: Zur Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung
BFH, Urteil vom 13.12.2007 - VI R 57/04
Vorinstanz: FG Berlin vom 5.7.2004 - 8 K 8313/03 (EFG 2005, 234)
LEITSÄTZE
1. Ist nach einer Nettolohnvereinbarung streitig, in welcher Höhe Bruttoarbeitslohn in der Lohnsteuerbescheinigung hätte berücksichtigt werden müssen, ist der Finanzrechtsweg nicht gegeben.
2. Nach der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung kann der Arbeitnehmer eine Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr verlangen.
3. Ein unzutreffender Lohnsteuerabzug kann mit Einwendungen gegen die Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr rückgängig gemacht werden.
FGO § 33 Abs. 1; EStG §§ 41c Abs. 3 Satz 1, 42d Abs. 3 Satz 4; GVG § 17a
SACHVERHALT
I.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin) war bis zum ... bei der Beklagten und Revisionsbeklagten (Beklagte) tätig. Zur Beendigung des zuletzt beim Bundesarbeitsgericht (BAG) anhängigen Rechtsstreits, in dem sich die Klägerin gegen die Befristung ihres Arbeitsverhältnisses gewandt hatte, schlossen Klägerin und Beklagte einen Vergleich: Das Arbeitsverhältnis zwischen der Klägerin und der Beklagten habe aufgrund betriebsbedingter arbeitgeberseitiger Kündigung zum genannten Datum geendet. Für den Verlust des Arbeitsplatzes solle die Beklagte an die Klägerin einen Abfindungsbetrag in Höhe von 150 000 DM zahlen. Dabei solle es sich um einen netto --nach Abzug von Steuern-- verbleibenden Auszahlungsbetrag handeln.
Der Abfindungsbetrag in Höhe von 150 000 DM floss der Klägerin im März 2000 zu. Auf Antrag der Klägerin stellte die Beklagte im Juni 2002 eine (besondere) Lohnsteuerbescheinigung für das Kalenderjahr 2000 aus, in der es heißt:
Ermäßigt zu besteuernder Arbeitslohn | 161 246,30 DM, |
einbehaltene Lohnsteuer | 10 660,00 DM, |
einbehaltener Solidaritätszuschlag | 586,30 DM. |
Am 11. Oktober 2002 erließ das Finanzamt (FA) gegenüber der mit ihrem Ehemann zusammen veranlagten Klägerin einen Einkommensteuerbescheid für das Jahr 2000, aus dem sich ein Nachzahlungsbetrag in Höhe von ... DM ergab. Die Nachzahlung beruhte insbesondere darauf, dass die Klägerin seit dem 1. April 2000 Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit erzielt hatte.
Daraufhin wandte sich die Klägerin an die Beklagte mit der Bitte, bei Berechnung des Bruttoarbeitslohns und der einzubehaltenden Lohnsteuer die von ihr seit dem 1. April 2000 erzielten laufenden Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit in Höhe von ... DM zu berücksichtigen. Die von der Beklagten als einbehalten berechnete Lohnsteuer sei viel zu niedrig.
Im März 2003 erhob die Klägerin gegen die Beklagte Klage beim Arbeitsgericht (ArbG). Darin begehrte sie, die Beklagte zu verpflichten, die von der Klägerin seit dem 1. April 2000 erzielten Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit bei der Berechnung der von der Beklagten einzubehaltenden Lohnsteuer zu berücksichtigen und eine entsprechend berichtigte Lohnsteuerbescheinigung für das Jahr 2000 auszustellen. Soweit die Klägerin die Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung 2000 begehrte, verwies das ArbG den Rechtsstreit an das Finanzgericht (FG) Berlin. Die dagegen von der Klägerin beim Landesarbeitsgericht eingelegte sofortige Beschwerde hatte keinen Erfolg.
Das FG wies die Klage mit den in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2005, 234 veröffentlichten Gründen als unbegründet ab.
Mit ihrer Revision rügt die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts.
Die Klägerin beantragt, das angefochtene Urteil aufzuheben und die Beklagte zu verpflichten, der Klägerin eine Lohnsteuerbescheinigung 2000 folgenden Inhalts zu erteilen:
Ermäßigt zu besteuernder Arbeitslohn | 224 000 DM, |
einbehaltene Lohnsteuer | 70 120 DM, |
einbehaltener Solidaritätszuschlag | 3 857 DM. |
Die Beklagte beantragt, die Revision zurückzuweisen.
AUS DEN GRÜNDEN
II.
Die Revision ist unbegründet. Das FG hat zu Recht die Klage auf Verpflichtung der Beklagten zur Erteilung der von der Klägerin begehrten Lohnsteuerbescheinigung abgewiesen.
1. Das FG hat zwar zu Recht darauf hingewiesen, dass die Voraussetzungen, unter denen nach § 33 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Finanzrechtsweg gegeben ist, im Streitfall nicht vorliegen (ausführlich dazu Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 29. Juni 1993 VI B 108/92, BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760; vgl. auch Schmidt/Drenseck, EStG, 26. Aufl., § 39b Rz 10 f. und § 41b Rz 1). Auch soweit sich das zunächst im arbeitsgerichtlichen Verfahren geltend gemachte Begehren der Klägerin auf die Erteilung einer nachträglich korrigierten Lohnsteuerbescheinigung mit nach ihrer Ansicht zutreffenden steuerlichen Eintragungen richtet, geht es ausschließlich um die Klärung der Frage, in welcher Höhe die Beklagte aus der im Wege eines arbeitsgerichtlichen Vergleichs getroffenen Nettolohnvereinbarung (näher zum Begriff z.B. BFH-Urteile vom 6. Dezember 1991 VI R 122/89, BFHE 166, 540, BStBl II 1992, 441, und vom 28. Februar 1992 VI R 146/87, BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733, unter 1. a; Schmidt/ Drenseck, a.a.O., § 39b Rz 11 und § 42d Rz 20) zusätzlichen (Brutto-)Arbeitslohn schuldet und noch durch Zahlungen an das FA erfüllen muss (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760).
Auch die Abgrenzung einer sog. abgeleiteten von einer sog. originären Nettolohnvereinbarung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 166, 540, BStBl II 1992, 441) ist arbeitsrechtlicher Natur. Dem steht nicht entgegen, dass nach Auffassung des BAG (Beschluss vom 11. Juni 2003 5 AZB 1/03, Neue Juristische Wochenschrift --NJW-- 2003, 2629, BFH/NV 2003, Beilage 4, 253) für eine Klage, die auf die Berichtigung einer Lohnsteuerbescheinigung gerichtet ist, nicht die Gerichte für Arbeitssachen, sondern die Finanzgerichte zuständig sind. Jene Entscheidung bezog sich nicht auf die Situation einer Nettolohnvereinbarung, bei der die Höhe des aufgrund dieser Vereinbarung vom Arbeitgeber geschuldeten Bruttolohns zwischen den Parteien des Arbeitsverhältnisses streitig ist. Besteht --anders als im Streitfall-- Streit, ob Lohnsteuer-Abzugsbeträge, die in der Lohnabrechnung vorgenommen worden sind, in der Lohnsteuerbescheinigung auszuweisen sind, ist auch nach Auffassung des BFH der Finanzrechtsweg gegeben (vgl. auch BFH-Beschluss vom 30. Juni 2005 VI S 7/05, BFH/NV 2005, 1849; Thomas, Maßnahmen des Arbeitnehmers gegen Fehler beim Lohnsteuerabzug, in: Personalrecht im Wandel, Festschrift für Küttner, München 2006, S. 239 ff., 240). Indes war das FG an den Verweisungsbeschluss des ArbG hinsichtlich des Rechtswegs gebunden (§ 17a Abs. 2 Satz 3 des Gerichtsverfassungsgesetzes --GVG--). Der BFH hat als Rechtsmittelgericht ebenfalls nicht zu prüfen, ob der beschrittene Rechtsweg zulässig ist (§ 17a Abs. 5 GVG; vgl. auch BFH-Urteil vom 19. Oktober 2001 VI R 36/96, BFH/NV 2002, 340).
2. Nach der Rechtsprechung des erkennenden Senats fehlt selbst für den Fall, dass der Finanzrechtsweg gegeben ist, bei Streit über eine Nettolohnvereinbarung einer isolierten Klage auf Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung regelmäßig das Rechtsschutzbedürfnis (BFH-Beschluss in BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760, unter 1. c). Die Folge einer Nettolohnvereinbarung ist, dass der Arbeitgeber mit der Auszahlung des Nettolohns aus der Sicht des Arbeitnehmers die Lohnsteuer vorschriftsmäßig einbehalten hat (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes --EStG--), weshalb der Arbeitnehmer nur in Anspruch genommen werden kann, wenn er weiß, dass der Arbeitgeber die Lohnsteuer nicht vorschriftsmäßig angemeldet hat, und er diesen Sachverhalt dem FA nicht unverzüglich mitteilt (§ 42d Abs. 3 Satz 4 Nr. 2 EStG; vgl. BFH-Urteil in BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733, unter 1. a). Damit ist im Fall einer Nettolohnvereinbarung die aus Sicht des Arbeitnehmers vorschriftsmäßig einbehaltene Lohnsteuer nach § 36 Abs. 2 Nr. 2 EStG auf die Einkommensteuer anzurechnen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760, unter 1. c). Eine Bindung an den Inhalt der Lohnsteuerbescheinigung besteht bei der Veranlagung nicht (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 340, unter 2. c). Behauptet der Arbeitnehmer eine Nettolohnvereinbarung, so ist er deshalb --was die Anrechnung von Steuerabzugsbeträgen angeht-- auf die Möglichkeit zu verweisen, das Vorliegen einer solchen Vereinbarung in den Verfahren der Steuerfestsetzung und der Steueranrechnung als bürgerlich-rechtliche Vorfrage durch die Finanzbehörde sowie ggf. die Finanzgerichte klären und gleichzeitig auch endgültig entscheiden zu lassen (vgl. BFH-Beschluss in BFHE 171, 409, BStBl II 1993, 760, unter 1. c). Dies hat auch das FG in seiner angefochtenen Entscheidung berücksichtigt. Dabei hat es zutreffend ausgeführt, dass bei einer Nettolohnvereinbarung die gesetzlich einzubehaltende und abzuführende Lohnsteuer --fiktiv-- als tatsächlich einbehalten gelte; in Folge dessen sei das FA grundsätzlich verpflichtet, die nach den gesetzlichen Vorschriften vom Arbeitgeber einzubehaltende Lohnsteuer bei der Veranlagung des Arbeitnehmers so anzurechnen, als ob sie tatsächlich einbehalten und abgeführt worden sei. Gleichwohl hat das FG ein Rechtsschutzbedürfnis der Klägerin mit der Begründung bejaht, es führe zu einer erheblichen zeitlichen Verzögerung, wenn die Klägerin auf einen Rechtsstreit mit ihrem Wohnsitz-FA verwiesen werde. Ob dem zu folgen ist oder ob die Klage mangels Rechtsschutzbedürfnisses bereits unzulässig ist, kann indes offen bleiben. Die Revision hat jedenfalls deshalb keinen Erfolg, weil die Klage unbegründet ist.
3. Das FG hat im Ergebnis zu Recht eine lohnsteuerrechtliche Verpflichtung der Beklagten zur Änderung der Lohnsteuerbescheinigung verneint.
a) Der Berichtigung der streitbefangenen Lohnsteuerbescheinigung steht --ungeachtet deren inhaltlicher Richtigkeit-- entgegen, dass gemäß § 41c Abs. 3 Satz 1 EStG nach Beendigung des Dienstverhältnisses die Änderung des Lohnsteuerabzugs nur bis zur Übermittlung oder Ausschreibung der Lohnsteuerbescheinigung zulässig ist. Nach der Übermittlung der Lohnsteuerbescheinigung kann der Arbeitnehmer eine Berichtigung der Lohnsteuerbescheinigung nicht mehr verlangen (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 340, unter 2. c, und Beschluss vom 24. Januar 2006 VI B 123/05, BFH/NV 2006, 945; Küttner/Huber, Personalbuch 2007, Stichwort Lohnsteuerbescheinigung, Rz 18; Diebold in Herrmann/Heuer/Raupach, § 41b EStG Rz 13).
b) Die zeitliche Begrenzung der Möglichkeit, eine Lohnsteuerbescheinigung zu ändern, folgt aus der Funktion dieser Bescheinigung. Die Lohnsteuerbescheinigung ist eine Urkunde, die dem leichteren Nachweis steuerlicher Verhältnisse bei der Einkommensteuer-Veranlagung dient (vgl. eingehend hierzu Thomas, a.a.O., S. 239 ff.). Sie ist ein Beweispapier über den Lohnsteuerabzug, so wie er tatsächlich stattgefunden hat, und nicht, wie er --etwa wie hier nach Auffassung des Arbeitnehmers-- hätte durchgeführt werden müssen. Aus der Dokumentations- und Beweisfunktion für einen abgeschlossenen Sachverhalt ergibt sich, dass mit Einwendungen gegen die Lohnsteuerbescheinigung ein unzutreffender Lohnsteuerabzug nicht mehr ungeschehen gemacht werden kann (vgl. Thomas, a.a.O., S. 241).
4. Nach alledem hat das FG zu Recht keine Tatsachenfeststellungen zu der Frage getroffen, ob bzw. inwieweit der Beklagten bekannt war oder sein musste, dass die Klägerin ab dem 1. April 2000 erstmals nach längerer Zeit wieder laufenden Arbeitslohn von einem neuen Arbeitgeber beziehen würde. Auf die Frage, ob die Klägerin auf eine Berücksichtigung des von ihr ab dem 1. April 2000 erzielten Arbeitslohnes hätte hinwirken müssen, kommt es einkommensteuerrechtlich ebenfalls nicht an.
5. Dieses lohnsteuerrechtlich begründete Ergebnis schließt nicht aus, dass ein Arbeitgeber aufgrund einer über einen sonstigen Bezug getroffenen Nettolohnvereinbarung arbeitsrechtlich einen höheren Bruttolohn schuldet, als den, der sich bei zutreffender Anwendung lohnsteuerrechtlicher Vorschriften ergibt. Dies wäre etwa der Fall, wenn sich aus der arbeitsrechtlichen Nettolohnvereinbarung --etwa in Gestalt der Regelung eines konkreten Berechnungsmodus-- ergäbe, dass der geschuldete Bruttolohn --was die darin enthaltene Lohnsteuer betrifft-- auch unter Berücksichtigung von laufenden Arbeitslöhnen und weiteren sonstigen Bezügen zu bemessen ist, die der Arbeitnehmer aus nach dem Zeitpunkt der (Netto-)Zahlung eines sonstigen Bezugs beginnenden künftigen Dienstverhältnissen bezieht. Über die arbeitsrechtliche Auslegung des zwischen den Beteiligten geschlossenen Vergleichs als abgeleitete oder originäre Nettolohnvereinbarung (vgl. BFH-Urteil in BFHE 167, 507, BStBl II 1992, 733) war jedoch weder im vorinstanzlichen Verfahren noch im Revisionsverfahren zu entscheiden. Dies ungeachtet dessen, dass arbeitsrechtliche Ansprüche des Arbeitnehmers im Zusammenhang mit der Lohnsteuerbescheinigung nicht über das hinausgehen, wozu der Arbeitgeber im Rahmen des Lohnsteuerabzugsverfahrens verpflichtet ist (vgl. BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 340, unter 2.). Weil die Lohnsteuerbescheinigung --wie bereits unter II. 2. ausgeführt-- bei der Veranlagung nicht bindet, wird in dem vorliegenden Rechtsstreit auch nicht mittelbar über die Auslegung der zwischen den Beteiligten streitigen Nettolohnvereinbarung entschieden.