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Steuerrecht
21.07.2016
Steuerrecht
FG Düsseldorf: Zulässigkeit des gesetzlichen Nachzahlungszinssatzes auch in einer allgemeinen Phase der Niedrigzinsen

FG Düsseldorf, Urteil vom 10.3.2016 – 16 K 2976/14 AO, Rev. Eingelegt

Volltext: BB-ONLINE BBL2016-1765-1

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Die Kläger sind für das Streitjahr 2011 zur Einkommensteuer zusammenveranlagte Eheleute. Streitig ist, ob zu Recht Nachzahlungszinsen (§ 233 a der Abgabenordnung ‑ AO ‑) festgesetzt wurden und diese ggf. zu erlassen sind.

Der Kläger hatte am 19.10.2011 eine zu versteuernde Sonderzahlung erhalten. Dies teilte er dem Beklagten am 25.11.2011 mit und beantragte, die Einkommensteuervorauszahlungen anzupassen. Der Beklagte änderte daraufhin am 6.12.2011 den Vorauszahlungsbescheid und berechnete unter Abzug einer Ermäßigung für Einkünfte aus Gewerbebetrieb i.H.v. 302.640 Euro die vorauszuzahlende Einkommensteuer. Der Qualifikation als Einkünfte aus Gewerbebetrieb lag die seinerzeit streitige Einschätzung des für die Gesellschaft, an der der Kläger beteiligt war, zuständigen Finanzamtes () zu Grunde (Mitteilung vom 29.12.2011 über die voraussichtlichen Besteuerungsgrundlagen). Das dort anhängige Einspruchsverfahren führte jedoch später zu einer Umqualifizierung als Einkünfte aus selbständiger Arbeit und einer entsprechenden Bescheidung.

Der Kläger bezahlte zunächst die festgesetzten Vorauszahlungen und stellte zugleich „auf einem gesonderten Konto“ bei der ()bank einen Geldbetrag von 300.000 Euro wegen der aus seiner Sicht drohenden Einkommensteuernachzahlung in Folge der zu Unrecht in Abzug gebrachten Ermäßigung bei Einkünften aus Gewerbebetrieb nach § 35 des Einkommensteuergesetzes (EStG) zur Steuerzahlung bereit.

Er gab am 28.12.2012 seine Einkommensteuererklärung 2011 ab. Sodann leistete er am 16./18.7.2013 im Hinblick auf die drohende Einkommensteuernachzahlung für den Fall der späteren Qualifizierung seiner Einkünfte als Einkünfte aus selbständiger Arbeit eine freiwillige Zahlung i.H.v. 366.400 Euro an das Finanzamt. Erst zeitlich danach erging am 26.9.2013 schließlich der Einkommensteuerbescheid 2011. Darin waren die Einkünfte des Klägers als Einkünfte aus selbständiger Arbeit erfasst und war, anders als noch im Vorauszahlungsbescheid, der Feststellung des Finanzamtes () folgend, eine Ermäßigung nach § 35 EStG nicht vorgenommen worden. Zugleich wurden auch die streitigen Nachzahlungszinsen i.H.v. 11.721 Euro (Zinszeitraum April bis September 2013) festgesetzt.

Dagegen wandten sich die Kläger am 20.10.2013 im Wege des Einspruchs. Zudem beantragten sie am 18.11.2013 den Erlass der Nachzahlungszinsen. Die Einkommensteuerfestsetzung wurde am 18.12.2013 und am 7.8.2014 aus anderen Gründen geändert. Die Nachzahlungszinsen waren zuletzt mit 11.431 Euro berechnet worden. Über diesen Einspruch wurde erst im Klageverfahren, am 11.8.2015, entschieden. Der Einspruch wurde zurückgewiesen.

Der Erlassantrag hatte zum Teil Erfolg. Die Zinsen wurden mit Bescheid vom 25.11.2013 für die Monate August und September erlassen (3.664 Euro). Der dagegen eingelegte Einspruch wurde mit Einspruchsentscheidung vom 13.8.2014 zurückgewiesen.

Daraufhin haben die Kläger am 17.9.2014 Klage erhoben, mit der sie sich gegen die Einkommensteuerfestsetzung mit dem Ziel der Aufhebung der Festsetzung der Nachzahlungszinsen wenden und hilfsweise beantragen, auch die restlichen Zinsen zu erlassen.

Im Klageverfahren argumentieren die Kläger, dass die Vorschrift des § 233 a AO seit Jahren wegen der Niedrigzinsphase gegen das allgemeine Gleichheitsgebot verstoße und der Zielsetzung bei Einführung der sogenannten Vollverzinsung im Jahre 1990 widerspreche. Ziel der Norm sei nämlich, den Zins- und Liquiditätsvorteil bzw. den Nachteil auszugleichen. Ein solcher Vorteil bzw. Nachteil entstehe aber in einer Niedrigzinsphase nicht in dem vom Gesetz angenommenen Umfang. Zudem sei es bei den hier in Rede stehenden Zinsen, anders als bei den Stundungs- und Aussetzungszinsen so, dass die Kläger sich nicht die Verzinsung in Kauf nehmend betätigt hätten. Bei Nachzahlungszinsen, wie hier, sei der Einfluss der Steuerpflichtigen nur begrenzt. Zu berücksichtigen sei deshalb, dass es letztlich aufgrund fehlerhafter Rechtsanwendung der Verwaltung bei der Qualifizierung der Einkünfte zu der Nachzahlung gekommen sei. Die hierzu, nämlich zu der Frage der Gewerblichkeit der Tätigkeit eines Insolvenzverwalters, maßgebliche Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) im Urteil vom 15.12.2010 VIII R 50/09, (Bundessteuerblatt –BStBl‑ II 2011, 506) sei bereits am 27.6.2011 im Bundessteuerblatt veröffentlicht gewesen, hätte dem Beklagten also bekannt sein müssen.

Die Zinsregelung entspreche überdies nicht dem Grundsatz der Besteuerung nach der individuellen Leistungsfähigkeit.

Da die Kläger die Nachzahlung bereits im Juli geleistet hätten, sei der Monat Juli nicht in die Zinsberechnung einzubeziehen.

Die Kläger beantragen,

den Zinsfestsetzungsbescheid vom 26.09.2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 11.08.2015 ersatzlos aufzuheben,

hilfsweise:

das Finanzamt zu verpflichten, in Abänderung des Bescheides vom 25.11.2013 in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 13.08.2014 den Zinsbetrag vollumfänglich zu erlassen,

hilfsweise: die Revision zuzulassen.

Der Beklagte beantragt,

die Klage abzuweisen.

Der Beklagte entgegnet, die Rechtsprechung des BFH habe sich zu der Frage der Gewerblichkeit der Tätigkeit eines Insolvenzverwalters erst in 2012 geändert. Erst im April 2013 habe das Feststellungsfinanzamt für die Jahre 2009 und 2010 Feststellungsbescheide erlassen, aus denen die nicht bestehende Gewerbesteuerpflicht der Gesellschaft hervorging. Eine Änderung des Vorauszahlungsbescheides für 2011 sei zu diesem Zeitpunkt aus technischen Gründen nicht mehr möglich gewesen.

Wegen des zeitlichen Umfangs des Erlasses von Zinsen beruft sich der Beklagte auf Nr. 70.1.2 Sätze 1 und 2 AEAO zu § 233 a AO.

Aus den Gründen

Die Klage ist unbegründet.

 

1. Der Zinsbescheid entspricht den gesetzlichen Vorgaben. Gemäß § 233 a Abs. 1 und 3 AO ist der Unterschiedsbetrag zwischen festgesetzter Einkommensteuer und anzurechnenden Steuerabzugsbeträgen zu verzinsen. Gemäß Abs. 2 der Vorschrift beginnt der Zinslauf 15 Monate nach Ablauf des Kalenderjahres, in dem die Steuer entstanden ist und endet mit Ablauf des Tages, an dem die Steuerfestsetzung wirksam wird. Durch § 238 Abs. 1 Satz 1 AO wird der Zinssatz typisierend auf 0,5 % pro Monat festgelegt. An diese Vorgaben hat der Beklagte sich bei der mit dem Einkommensteuerbescheid vom 26.9.2013 verbundenen Zinsfestsetzung gehalten. Insoweit haben auch die Kläger keine Einwände vorgebracht.

 

2. Die Höhe der Verzinsung ist auch verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden (so bereits BFH-Urteil vom 14.4.2015 IX R 5/14, Sammlung amtlich nicht veröffentlichter Entscheidungen des BFH -BFH/NV- 2015, 1329: Vollziehungsaussetzung für die Streitjahre 2008 bis 2011; BFH-Urteil vom 1.7.2014 IX R 31/13, BStBl II 2014, 925: Vollziehungsaussetzung für die Streitjahre 2004 bis 2011; BFH-Beschluss vom 29.5.2013 X B 233/12, BFH/NV 2013, 1380: zu §§ 233 a, 238 AO für die Streitjahre 2009 bis 2011; auch Bundesverfassungsgericht –BverfG- Beschluss vom 3.9.2009 1 BvR 2539/07, BFH/NV 2009, 2115: zu Nachzahlungszinsen für 2003 bis 2006). Ebenso wenig führt zur Verfassungswidrigkeit, dass die typisierende Verzinsung eine Abhängigkeit des Zinslaufes auch von der Arbeitsweise des Finanzamtes mit sich bringt (vgl. auch Finanzgericht –FG- Thüringen Urteil vom 22.4.2015 3 K 889/13, Entscheidungen der Finanzgerichte –EFG- 2016, 354, Revision I R 77/15: Streitjahre 2006 bis 2011; FG München Urteil vom 10.7.2014 8 K 3044/13, juris: Nachzahlungszinsen für das Streitjahr 2007). Bei der Beurteilung sieht der Senat außerdem nicht die Notwendigkeit, zwischen Aussetzungs- und Stundungszinsen und Nachzahlungszinsen zu unterscheiden. Zum einen trifft das Gesetz hinsichtlich der Höhe der Verzinsung keine Unterscheidung zwischen den Verzinsungsanlässen, zum anderen ist, anders  als die Kläger meinen, die Einflussnahme des Steuerpflichtigen auch bei den anderen Verzinsungsgründen nur eingeschränkt möglich und hängt der Zinslauf immer jeweils auch von der Arbeitsweise des Finanzamtes ab. Das Gericht kann nicht erkennen, dass sich die Entstehung der Nachzahlungszinsen hierbei in der von den Klägern geschilderten Weise hervorhebt.

Der gesetzliche Zins hielt sich auch für den Zeitraum April bis Juli 2013 beim Vergleich mit den Marktzinsen noch in einem der wirtschaftlichen Realität angemessenen Rahmen. Zum Vergleich lagen die Sollzinsen für Dispositionskredite im Streitzeitraum zu einem großen Teil deutlich über dem gesetzlichen Zinssatz (vgl. Bericht der Bildzeitung vom 21.8.2013, http://www.bild.de/geld/sparen/zinskonditionen/abzocke-bei-dispositionskrediten-banken-sparkassen-31914702.bild.html). Die Zinsen für das Neugeschäft der deutschen Banken für Kredite mit privaten Haushalten betrugen zwischen April und Juli 2013 zwischen 4,89 % und 5,6 %, für Zinsbindungen von über 5 Jahren sogar 7,91 % (Quelle: Zinsstatistik der Deutschen Bundesbank vom 1.4.2016). Die gesetzlichen Verzugszinsen nach § 288 Abs. 1 und Abs. 2 des Bürgerlichen Gesetzbuches lagen unter Berücksichtigung des Basiszinssatzes bei 4,87 %/4,62 % bzw. 7,87 %/7,62 % und damit jedenfalls insgesamt ebenfalls nicht bzw. nicht wesentlich unter dem Zinssatz des § 238 Abs. 1 AO. Das Gericht verweist hierzu auf die ausführlichen Erläuterungen des BFH in seinen Urteilen vom 14.4.2015 und vom 1.7.2014 (aaO.). Die für eine Vorlage an das Bundesverfassungsgericht gemäß Art. 100 Abs. 1 Grundgesetz erforderliche Überzeugung des Gerichts von der Verfassungswidrigkeit der Höhe der Nachzahlungszinsen liegt für den Verzinsungszeitraum April bis Juli 2013 nicht vor.

 

3. Auch mit ihrem Hilfsantrag konnten die Kläger keinen Erfolg haben. Denn von einer Verzinsung kann nur ausnahmsweise dann abgesehen werden, wenn zweifelsfrei feststeht, dass ein Steuerpflichtiger durch die verspätete Steuerfestsetzung keinen Vorteil erlangt hatte (vgl. BFH-Beschluss vom 30.10.2001 X B 147/01, BFH/NV 2002, 505). Die Zinsen sind dann zu erlassen. Dies war jedoch hier hinsichtlich der nicht erlassenen Zinsen für die Monate April bis Juli 2013 nicht der Fall.

 

4. Die Verwaltung hat durch die ermessenslenkende Verwaltungsanweisung in Nr. 70.1.2 Satz 2 AEAO zu § 233 a AO bestimmt, dass dann, wenn die freiwillige Leistung –wie hier- nach Beginn des Zinslaufs erbracht worden ist, die Nachzahlungszinsen aus Vereinfachungsgründen nur insoweit zu erlassen sind, als die freiwillige Leistung auf jeweils volle Monate vor Wirksamkeit der Steuerfestsetzung entfällt (sog. „fiktive Erstattungszinsen“). Dabei ging der Erlassgeber davon aus, dass sich durch die freiwillige Leistung vor Steuerfestsetzung eine Situation ergibt, die derjenigen für Erstattungszinsen vergleichbar ist.

Ein Erlass der Nachzahlungszinsen in Höhe vergleichbar berechneter Erstattungszinsen ist im Rahmen der zu treffenden Ermessensentscheidung eine mögliche und zulässige Ermessensausübung (so auch BFH-Urteil vom 7.11.2013 X R 23/11, BFH/NV 2014, 660). Daran gemessen hat der Beklagte die Verzinsung zu Recht auf die Monate April bis Juli beschränkt.

 

5. Darüber hinaus hat der Beklagte innerhalb des ihm zustehenden Ermessensspielraumes ermessensfehlerfrei einen Erlass versagt. Die Ermessensausübung unterliegt nur einer eingeschränkten richterlichen Kontrolle (§ 102 der Finanzgerichtsordnung –FGO-). Zu prüfen ist nur, ob die Behörde bei ihrer Entscheidung die gesetzlichen Grenzen des Ermessens überschritten oder von ihrem Ermessen in einer dem Zweck der Ermächtigung nicht entsprechenden Weise Gebrauch gemacht hat. Nur ausnahmsweise kann der Ermessensspielraum so eingeengt sein, dass nur eine Entscheidung ermessensgerecht ist und das Ermessen „auf Null“ reduziert ist. Die Zahlung der Kläger auf ein Konto der Nationalbank war nicht geeignet, das Ermessen in diesem Sinne auf Null zu reduzieren. Das Geld verblieb in der Verfügungsmacht der Kläger und wurde dem Finanzamt bis zur freiwilligen a-conto Zahlung im Juli 2013 vorenthalten, so dass es bei der einer Kreditierung ähnlichen Situation gegenüber dem Finanzamt verblieb (so auch FG München Urteil vom 26.10.2015 7 K 774/14, EFG 2016, 351). Auch im Übrigen war keine Sondersituation entstanden, die eine abweichende Ermessensentscheidung ausnahmsweise geboten erscheinen lassen würde (vgl. BFH-Urteil vom 7.11.2013 X R 23/11, BFH/NV 2014, 660, Rz. 27: freiwillige Leistung nach Beginn des Zinslaufs). Eine schuldhafte Verzögerung der Steuerfestsetzung ist nicht erkennbar geworden. Zudem wäre eine verzögerte Steuerfestsetzung kein Grund wegen sachlicher Unbilligkeit der Zinsfestsetzung im Sinne einer Ermessensreduktion die Zinsen zu erlassen (vgl. FG Thüringen Urteil vom 22.4.2015 3 K 889/13, EFG 2016, 354, m.w.N., Revision I R 77/15; FG Köln Urteil vom 10.10.2013 10 K 1162/11, EFG 2014, 170; Verwaltungsgericht Karlsruhe Urteil vom 29.4.2015 4 K 662/13, juris). Im Übrigen war das beklagte Finanzamt bei seiner Bearbeitung auf die verbindlichen Feststellungen des Feststellungsfinanzamts hinsichtlich der streitigen Qualifizierung der Einkünfte des Klägers angewiesen.

 

6. Die Revision wird wegen grundsätzlicher Bedeutung zugelassen. Es ist höchstrichterlich ungeklärt, ob das allgemein niedrige Zinsniveau auf Dauer dazu führen kann, den gesetzlichen Zins nach § 238 Abs. 1 AO als unangemessen anzusehen.

7. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.

 

 

 

 

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