FG Berlin Brandenburg: Rückwirkende Änderung der Umsatzbesteuerung von Bauleistungen an Bauträger vorerst ausgeschlossen
FG Berlin-Brandenburg, Beschluss vom 3.6.2015 – 5 V 5026/15
Aus den Gründen
I.
Der Antragsteller hatte in 2009 Bauleistungen an die als Bauträger fungierende B… GmbH & Co. KG erbracht und diese unter Anwendung des § 13b Abs. 1 Satz 1 Nr.4, Abs. 2 Satz 2 UStG (in der für 2009 geltenden Fassung) netto abgerechnet; die Umsatzsteuer wurde von dem Leistungsempfänger als Steuerschuldner abgeführt. Mit geändertem Bescheid vom 18.12.2014 über Umsatzsteuer 2009 setzte der Antragsgegner die Steuer auf die der B… GmbH & Co. KG berechneten Entgelte gegenüber dem Antragsteller fest. Er verwies darauf, dass der Leistungsempfänger aufgrund der Entscheidung des Bundesfinanzhofs (BFH) vom 22.08.2013 (V R 37/10), wonach das Reverse Charge Verfahren auf Bauträger keine Anwendung finde, seine Steuerschuldnerschaft verneint und die Erstattung der geleisteten Umsatzsteuer verlangt habe. Da der Antragsteller eine entsprechende Rechnungsberichtigung abgelehnt habe, sei die Steuer auf der Grundlage des § 27 Abs. 19 Satz 1 Umsatzsteuergesetz (UStG) in der Fassung des Gesetzes vom 25.7.2014 wie geschehen festzusetzen. Die Vertrauensschutzregelung des § 176 Abgabenordnung (AO) stehe dieser Änderung gemäß § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG nicht entgegen. Der Einspruch gegen den Bescheid ist noch nicht beschieden, die Aussetzung der Vollziehung lehnte der Antragsgegner ab.
Zur Begründung seines Antrags macht der Antragsteller geltend, er sei nicht Steuerschuldner nach § 13 b UStG und sei es nach der Rechtsprechung des BFH nie gewesen. Die Berichtigung der Umsatzsteuererklärung des Leistungsempfängers könne daher nicht ohne weiteres zu einer Steuerschuld des leistenden Unternehmers führen. § 27 Abs. 19 UStG sei verfassungswidrig, da er die Inanspruchnahme des Leistenden rückwirkend anordne und den Vertrauensschutz nach § 176 AO aushebele. Außerdem sei die Regelung des § 27 Abs. 19 UStG nicht auf die in Rede stehenden Umsätze anwendbar, da die Tatbestandsvoraussetzungen nicht vorlägen. So treffe es nicht zu, dass er – der Antragsteller – und die B… GmbH & Co. KG davon ausgegangen seien, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG schulde, und diese Annahme sich als unrichtig herausgestellt habe. Vielmehr hätten sich die Vertragspartner an das Gesetz und die Verwaltungsanweisungen gehalten, nach denen auch Bauträger unter das Reverse Charge Verfahren fielen. Die Entscheidung des BFH vom 22.08.2013, wonach Bauträger nicht zum Kreis der Steuerschuldner nach § 13b UStG gehörten, sei somit ein klassischer Fall der Vertrauensschutzregelung nach § 176 Abs. 2 AO. Im Übrigen berücksichtige die Regelung des § 27 Abs.19 UStG nicht, dass eine Rechnungsberichtigung wegen Verjährung ggf. zivilrechtlich nicht mehr durchgesetzt werden könne und die wirtschaftlichen Folgen vom leistenden Unternehmer zu tragen seien.
Der Antragsteller beantragt,
die Vollziehung des Umsatzsteuerbescheids 2009 vom 18.12.2014 bis zum Ablauf eines Monats nach Bekanntgabe einer Einspruchsentscheidung auszusetzen.
Der Antragsgegner beantragt,
den Antrag abzuweisen.
Er ist der Auffassung, die Vertrauensschutzregelung des § 176 AO stehe der Inanspruchnahme des Antragstellers nicht entgegen. Die Änderung sei nach § 164 Abs. 2 AO erfolgt und danach jederzeit möglich. Vor diesem Hintergrund habe ein Vertrauenstatbestand gar nicht erst entstehen können. Außerdem habe einer der Vertragspartner den Sachverhalt nachträglich verändert, so dass sich der Antragsteller nicht auf Treu und Glauben berufen könne. Im Übrigen erleide er keinen Vermögensschaden, soweit er die in Rede stehende Steuer seinem Vertragspartner nachträglich in Rechnung stelle.
Schließlich weist der Antragsgegner darauf hin, dass die Erhöhung der steuerpflichtigen Umsätze unzutreffend nicht um die Bemessungsgrundlage (4.500 €), sondern lediglich um die darauf entfallende Umsatzsteuer (855 €) erfolgt sei.
II.
Der Antrag ist begründet.
Nach summarischer Überprüfung des derzeitigen Sach- und Streitstands bestehen ernstliche Zweifel im Sinne von § 69 Abs. 3 Satz 1 in Verbindung mit Abs. 2 Satz 2 Finanzgerichtsordnung (FGO) an der Rechtmäßigkeit des angefochtenen Steuerbescheids. Zweifel bestehen insoweit, als der angefochtene Bescheid ohne Beachtung des Grundsatzes des Vertrauensschutzes nach § 176 Abs. 2 AO erlassen worden ist. In diesem Zusammenhang ist fraglich, ob die Suspendierung des § 176 AO durch § 27 Abs. 19 Satz 2 UStG verfassungsgemäß ist. Die Prüfung dieser Frage bleibt einem Hauptverfahren vorbehalten.
§ 176 Abs. 2 AO bestimmt, dass bei der Aufhebung oder Änderung eines Steuerbescheids nicht zuungunsten des Steuerpflichtigen berücksichtigt werden darf, dass eine allgemeine Verwaltungsvorschrift der Bundesregierung, einer obersten Bundes- oder Landesbehörde von einem obersten Gerichtshof des Bundes als nicht mit dem geltenden Recht in Einklang stehend bezeichnet worden ist. Mit Schreiben vom 16.10.2009
(IV B 9 – S 7279/0, BStBl. I 2009, 1298) hatte das Bundesfinanzministerium (BMF) zum Anwendungsbereich der Regelung über die Steuerschuldnerschaft des Leistungsempfängers nach § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG Stellung genommen und diesen auf die bis dato nicht dieser Bestimmung unterfallenden Bauträger erweitert. Der BFH entschied hiergegen mit Urteil vom 22.08.2013 (V R 37/10, BStBl. II 2014, 128), dass § 13b Abs. 2 Satz 2 UStG einschränkend dahingehend auszulegen sei, dass der Leistungsempfänger nur dann Steuerschuldner sei, wenn er die an ihn erbrachte Werklieferung oder sonstige Leistung mit Bauwerksbezug seinerseits zur Erbringung einer derartigen Leistung verwende. Dies treffe auf Bauträger regelmäßig nicht zu, so dass diese Vorschrift auf sie nicht anzuwenden sei.
Die Voraussetzungen des § 176 Abs. 2 AO liegen danach im Streitfall vor. Die Anwendung der Vertrauensschutzregelung ist nach der momentanen Auffassung des Senats nicht durch § 27 Abs. 19 UStG ausgeschlossen. Diese Norm wurde durch Art. 7 Nr. 9 des Gesetzes vom 25.07.2014 mit Wirkung vom 31.07.2014 zur Regelung der Fälle geschaffen, in denen sich Bauträger auf die zitierte Rechtsprechung des BFH berufen und die Erstattung der entrichteten Umsatzsteuer beantragen, und sieht vor, dass dann, wenn Unternehmer und Leistungsempfänger davon ausgegangen sind, dass der Leistungsempfänger die Steuer nach § 13b UStG auf eine vor dem 15. Februar 2014 erbrachte steuerpflichtige Leistung schuldet, und sich diese Annahme als unrichtig heraus stellt, die gegen den leistenden Unternehmer wirkende Steuerfestsetzung zu ändern ist, soweit der Leistungsempfänger die Erstattung der Steuer fordert, die er in der Annahme entrichtet hatte, Steuerschuldner zu sein. Nach Satz 2 der Norm steht § 176 AO der Änderung nicht entgegen.
Nach Auffassung des Senats ist ernstlich zweifelhaft, ob die rückwirkende Änderung der Steuerfestsetzung beim leistenden Unternehmer unter Suspendierung des Vertrauensschutzes nicht gegen das Verbot der Rückwirkung von Gesetzen verstößt, welches aus dem in Art. 20 Abs. 3 Grundgesetz – GG – abgeleitet wird. Das hätte zur Folge, dass die Regelung insoweit unwirksam wäre.
Eine Rechtsnorm entfaltet "echte" Rückwirkung, wenn ihre Rechtsfolge mit belastender Wirkung schon vor dem Zeitpunkt ihrer Verkündung für bereits abgeschlossene Tatbestände gelten soll ("Rückbewirkung von Rechtsfolgen"). Das ist grundsätzlich verfassungsrechtlich unzulässig. Da eine Norm erst mit der Verkündung rechtlich existent ist, muss der von einem Gesetz Betroffene bis zu diesem Zeitpunkt, zumindest aber bis zum endgültigen Gesetzesbeschluss, grundsätzlich darauf vertrauen können, dass seine auf geltendes Recht gegründete Rechtsposition nicht durch eine zeitlich rückwirkende Änderung der gesetzlichen Rechtsfolgenanordnung nachteilig verändert wird. Die maßgebliche Rechtsfolge steuerrechtlicher Normen ist dabei das Entstehen der Steuerschuld. Im Sachbereich des Steuerrechts liegt eine echte Rückwirkung daher nur vor, wenn der Gesetzgeber eine bereits entstandene Steuerschuld nachträglich abändert (vgl. Bundesverfassungsgericht – BVerfG –, Beschluss vom 07.07.2010, 2 BvL 14/02, 2 BvL 2/04, 2 BvL 13/05, BStBl. II 2011, 76).
Es spricht viel dafür, dass es sich so auch in Fällen wie dem Vorliegenden verhält. § 27 Abs. 19 UStG greift in die im Zeitpunkt seiner Verkündung bereits entstandene Steuerschuld für 2009 nachträglich ein, so dass eine unzulässige echte Rückwirkung jedenfalls nicht ausgeschlossen erscheint. Darüber hinaus dürfte diese Gesetzeslage auch gegen den unionsrechtlichen Grundsatz der Rechtssicherheit verstoßen, der gebietet, dass Rechtsvorschriften klar und bestimmt sind und dass ihre Anwendung für den Einzelnen voraussehbar ist (vgl. z. B. Urteil des Gerichtshofs der Europäischen Union – EuGH – 09.10.2014, C-492/13, UR 2014, 943; Lippross, „Steuerschuldnerschaft bei Bauleistungen an Bauträger“, UR 2014, 717). Die beliebige Abbedingung des Vertrauensschutzes nach § 176 AO je nach Kassenlage ist mit dem Grundsatz der Rechtssicherheit und mit der Rechtsstaatlichkeit staatlichen Handelns nicht vereinbar. Anhaltspunkte dafür, dass eine der in der Rechtsprechung des BVerfG anerkannten Ausnahmen für die Zulässigkeit rückwirkender belastender Gesetze vorliegen (vgl. etwa Beschluss vom 08.07.1977 – 2 BvR 499/74, BVerfGE 45, 142), vermag der Senat derzeit nicht zu erkennen.
Die rückwirkende Suspendierung des § 176 Abs. 2 AO ist auch nicht deshalb gerechtfertigt, weil – wie der Antragsgegner meint – ein Vertragspartner den Sachverhalt nachträglich verändert hat. Richtig ist vielmehr, dass die Übertragung der Steuerschuldnerschaft nicht zur Disposition der beteiligten Geschäftspartner steht (vgl. Urteil des BFH vom 22.08.2013, V R 37/10, BStBl. II 2014, 128), sondern Ausdruck des Befolgung eines Gesetzesbefehls und der dazu ergangenen Verwaltungsanweisungen ist. Mit der Rückforderung der Umsatzsteuer verhält sich der Bauträger daher auch nicht etwa abredewidrig, sondern er macht lediglich die korrekte Besteuerung nach dem Gesetz, wie sie vom BFH vorgegeben wurde, geltend (so auch Lippross a.a.O.). Im Übrigen schützt § 176 Abs. 2 AO nicht das Vertrauen in eine Steuerfestsetzung, sondern in die geltende Gesetzeslage, auf die Handlungen eines Steuerpflichtigen keinen Einfluss haben.
Ebenso verfehlt ist der Hinweis des Antragsgegners auf einen nicht eintretenden Vermögensschaden beim Antragsteller, wenn dieser die Steuer seinem Vertragspartner nachträglich in Rechnung stellt, da hierbei die zivilrechtlichen Verjährungsvorschriften übersehen werden. Eine Forderung aus dem Jahr 2009 ist bei Zugrundelegung der regelmäßigen Verjährungsfrist von drei Jahren längst verjährt.
Schließlich ist unerheblich, dass die Änderung des Steuerbescheids auf § 164 Abs. 2 AO beruhte, da § 176 AO für alle Fälle der Änderung von Steuerbescheiden zu berücksichtigen ist, unabhängig davon auf welchen Änderungsvorschriften sie beruht (Klein/Rüsken, AO 10. Auflage § 176 Rz. 5).
Die genannten Gründe sprechen gegen die Verfassungsmäßigkeit des § 27 Abs. 19 UStG. Bis zur endgültigen Klärung dieser Rechtsfrage im Rahmen einer noch zu erhebenden Klage ist die Aussetzung der Vollziehung geboten.
Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 1 FGO.