BFH: Einreichung der Klageschrift; Anforderung an die Wirksamkeit bei fehlender qualifizierter elektronischer Signatur; Revisionszulassung bei Mehrfachbegründung
BFH, Beschluss vom 21.2.2025 – XI B 53/24
ECLI:DE:BFH:2025:B.210225.XIB53.24.0
Volltext BB-Online BBL2025-662-4
Amtliche Leitsätze
1. NV: Ist ein Urteil eines Finanzgerichts kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt (Mehrfachbegründung), kann die Revision nur dann zugelassen werden, wenn hinsichtlich eines jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist.
2. NV: Ein elektronisches Dokument, das aus einem besonderen elektronischen Postfach versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, ist nur dann wirksam auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Gericht eingereicht, wenn die das Dokument signierende (und damit verantwortende) Person mit der tatsächlich versendenden Person übereinstimmt.
Aus den Gründen
1 Die Beschwerde hat keinen Erfolg. Die Beschwerde hat nur in Bezug auf einen Begründungsstrang des Finanzgerichts (FG) Zulassungsgründe hinreichend dargelegt. Im Übrigen liegen hinsichtlich beider Begründungsstränge jedenfalls keine Zulassungsgründe vor.
2 1. Ist ein Urteil eines FG kumulativ auf mehrere selbständig tragende Gründe gestützt (Mehrfachbegründung), kann nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) die Revision nur dann zugelassen werden, wenn hinsichtlich eines jeden dieser Gründe ein Zulassungsgrund dargelegt wird und gegeben ist (vgl. BFH-Beschlüsse vom 15.04.2016 - XI B 109/15, BFH/NV 2016, 1306, Rz 17; vom 23.10.2018 - VIII B 44/18, BFH/NV 2019, 108, Rz 10; vom 28.09.2022 - X B 168/21, BFH/NV 2023, 43, Rz 20 ff.; vom 15.05.2024 - IX B 1/24, BFH/NV 2024, 916, Rz 2). Dies gilt auch in dem Fall, in dem das FG die Klage als unzulässig angesehen hat, hilfsweise aus materiell-rechtlichen Gründen zudem die Begründetheit verneint und den Urteilstenor entsprechend gefasst hat (vgl. BFH-Beschluss vom 30.09.2016 - X B 27/16, BFH/NV 2017, 162, Rz 9). Die materielle Sachprüfungsbefugnis eines Gerichts ist zwar nur eröffnet, wenn es die Zulässigkeit der Klage oder des Rechtsmittels festgestellt hat; dem Rechtsmittelgericht ist ein Rückgriff auf die Ausführungen der Vorinstanz zur Unbegründetheit aber nicht verwehrt (vgl. Urteil des Bundesverwaltungsgerichts ‑‑BVerwG‑‑ vom 13.07.2023 - 2 C 7.22, BVerwGE 179, 328, Rz 26 ff.). Maßgeblicher Grund hierfür ist, dass die Vorentscheidung dann im Revisionsverfahren nicht korrigierbar wäre, was für die Zulassung jedoch erforderlich ist (vgl. BFH-Beschluss vom 02.07.2019 - VIII B 99/18, BFH/NV 2019, 1348, Rz 13). Der BFH zieht deshalb zum Beispiel auch § 126 Abs. 4 der Finanzgerichtsordnung (FGO) im Verfahren der Nichtzulassungsbeschwerde entsprechend heran (vgl. BFH-Beschlüsse vom 11.02.2020 - XI B 69, 70/19, BFH/NV 2020, 891, Rz 23; vom 27.10.2020 - XI B 33/20, BFH/NV 2021, 459, Rz 21).
3 2. Ausgehend davon ist die Revision nicht zuzulassen.
4 a) Das FG hat im Tenor der Vorentscheidung die Klage abgewiesen. Unter 1. der Entscheidungsgründe hat es ausgeführt, weshalb die Klage unzulässig sei (erster Begründungsstrang), und unter 2. begründet, weshalb die Klage ungeachtet ihrer Unzulässigkeit auch unbegründet sei, die angefochtenen Bescheide rechtmäßig seien und die Klägerin und Beschwerdeführerin (Klägerin) nicht in ihren Rechten verletzten (zweiter Begründungsstrang).
5 b) Bezüglich des zweiten Begründungsstrangs bringt die Klägerin nur vor, dass ein Verstoß gegen "die Grundordnung des Verfahrens" vorliege, ohne ihn zu spezifizieren. Die materiellen Fragen seien nach Auffassung der Klägerin nur "höchst eingeschränkt" Gegenstand der zweiten mündlichen Verhandlung vor dem FG-Senat gewesen. Der FG-Senat habe sich nicht umfassend mit den materiell-rechtlichen Problemen befasst, sondern isoliert auf die Unzulässigkeit der Klage abgestellt.
6 Dies trifft jedoch weder nach dem Inhalt des Sitzungsprotokolls vom 02.07.2024 noch nach dem Inhalt des FG-Urteils zu. Das FG hat danach vielmehr die Sach- und Rechtslage mit der Klägerseite als einzigem anwesenden Beteiligten ausführlich erörtert, im Tatbestand umfassende tatsächliche Feststellungen zu den materiell-rechtlichen Fragen des Streitfalls getroffen und in den Entscheidungsgründen über mehrere Seiten begründet, warum die Klägerin keine ausreichende Gewinnermittlung vorgelegt hat, warum sie ihren Mitwirkungspflichten nicht genügt hat und warum sich bei anderer Beurteilung aus dem Vorgang keine Gewinnauswirkungen im Streitjahr 2013 ergeben. Dies lässt Verfahrensfehler oder Zulassungsgründe nicht erkennen.
7 3. Lediglich ergänzend weist der beschließende Senat darauf hin, dass hinsichtlich des ersten Begründungsstrangs (Unzulässigkeit) kein Zulassungsgrund gegeben ist. Das FG hat verfahrensfehlerfrei die Einreichung der Klage als formunwirksam angesehen, ohne mit dieser Beurteilung von den angeblichen Divergenzentscheidungen abgewichen zu sein.
8 a) Es entspricht der übereinstimmenden Rechtsprechung der obersten Gerichtshöfe des Bundes, dass ein elektronisches Dokument, das aus einem besonderen elektronischen Postfach (besonderes elektronisches Anwaltspostfach, besonderes elektronisches Steuerberaterpostfach ‑‑beSt‑‑ oder besonderes elektronisches Behördenpostfach) versandt wird und nicht mit einer qualifizierten elektronischen Signatur versehen ist, nur dann wirksam auf einem sicheren Übermittlungsweg bei Gericht eingereicht ist, wenn die das Dokument signierende (und damit verantwortende) Person mit dem tatsächlichen Versender übereinstimmt (vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 30.03.2022 - XII ZB 311/21, Neue Juristische Wochenschrift ‑‑NJW‑‑ 2022, 2415, Rz 10 f.; vom 07.05.2024 - VI ZB 22/23, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2024, 964, Rz 5; vom 03.07.2024 - XII ZB 538/23, NJW 2024, 2996, Rz 8; vom 24.07.2024 - 1 StR 238/24, Strafverteidiger Forum 2024, 276, Rz 3; vom 04.09.2024 - IV ZB 31/23, Neue Juristische Wochenschrift-Rechtsprechungs-Report Zivilrecht ‑‑NJW-RR‑‑ 2024, 1506, Rz 10; Beschlüsse des Bundessozialgerichts vom 22.08.2024 - B 6 KA 25/23 B, juris, Rz 8; vom 18.11.2020 - B 1 KR 1/20 B, MMR - Zeitschrift für IT-Recht und Recht der Digitalisierung 2021, 803, Rz 7; BVerwG-Beschluss vom 19.12.2023 - 8 B 26.23, Neue Zeitschrift für Verwaltungsrecht 2024, 750, Rz 5; Senatsbeschluss vom 05.11.2024 - XI R 10/22, zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2025, 254, Rz 24). Ist das nicht der Fall, kann die als Absender ausgewiesene Person das Dokument nur dann wirksam einreichen, wenn sie es selbst qualifiziert elektronisch signiert und damit ihren unbedingten Willen zum Ausdruck bringt, auch eine entsprechende Verantwortung für den bestimmenden Schriftsatz zu übernehmen und dessen Inhalt zu verantworten und den Mandanten zumindest als Unterbevollmächtigter in Wahrnehmung des Mandats zu vertreten (BGH-Beschluss vom 03.07.2024 - XII ZB 538/23, NJW 2024, 2996, Rz 9).
9 b) Dies war hier nicht der Fall, weil nicht Steuerberater H, der die Klageschrift einfach signiert hat, die Übersendung vornahm, und der die Klageschrift übermittelnde Steuerberater G im Schreiben vom 24.02.2023 weder die Verantwortung für die Klage übernommen noch sein Schreiben qualifiziert elektronisch signiert hat. Die fehlende qualifizierte elektronische Signatur belegt der Prüfvermerk vom 24.02.2023. G hat außerdem inhaltlich selbst angegeben, dass die Klägerin (nur) durch H vertreten wird und dass er die "vom Prozessbevollmächtigten" [H] unterzeichnete Klageschrift nebst der darin avisierten Anlage (…) übersende". "Künftiger Schriftwechsel mit dem Prozessbevollmächtigten" [H] könne "kollegialiter" über das elektronische Postfach des G erfolgen. Die Übernahme einer inhaltlichen Verantwortung für die Klageschrift liegt darin nicht.
10 c) Soweit die Beschwerde meint, dass jedenfalls durch die Einreichung der Untervollmacht mit Schriftsatz vom 01.03.2023 eine Heilung erfolgt sei, war auch diese nicht qualifiziert signiert und hat mit ihr G nicht die Verantwortung für die Klageschrift übernommen. Auch sind G und H nicht Anwälte derselben Sozietät, sondern lediglich "langjährige Kooperationspartner" mit separater Anschrift, separatem Briefkopf und separatem Internetauftritt.
11 Soweit der Mangel der Einreichung nach Ablauf der Klagefrist dadurch geheilt worden sein könnte, dass G die Verantwortung für die Klageschrift des H (mit) übernommen hat, wirkt dies nicht zurück (vgl. BGH-Urteil vom 11.10.2024 - V ZR 261/23, NJW-RR 2025, 83, Rz 26 ff.).
12 d) Das FG ist mit der Annahme, dass die Klage unzulässig sei, auch nicht vom BFH-Beschluss vom 17.04.2024 - X B 68, 69/23 (zur amtlichen Veröffentlichung bestimmt, BFH/NV 2024, 845) abgewichen. Auf die Frage, ob G zur Registrierung verpflichtet war, kommt es vorliegend nicht an, da G sich registriert hat. Mit seinem empfangsbereit eingerichteten beSt stand ein sicherer Übertragungsweg zur Verfügung (vgl. BFH-Beschluss vom 11.04.2024 - XI B 59/23, BFH/NV 2024, 1349, Rz 14).
13 4. Von einer Darstellung des Sachverhalts und einer weitergehenden Begründung wird gemäß § 116 Abs. 5 Satz 2 Halbsatz 2 FGO abgesehen.
14 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.