BFH: Beitragszuschuss zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung kein umsatzsteuerrechtliches Entgelt
BFH, Urteil vom 19.5.2010 - XI R 35/08
Leitsatz
Nach § 257 Abs. 2 SGB V oder § 61 Abs. 2 SGB XI geschuldete Beitragszuschüsse zur privaten Kranken- oder Pflegeversicherung sind kein Entgelt i.S. von § 10 UStG .
Sachverhalt
Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin) ist als freie Journalistin weit überwiegend für eine Rundfunkanstalt (X) tätig. Sie wird von X jeweils für einzelne Programmvorhaben verpflichtet.
Ihre Tätigkeit wurde von X nach Tagessätzen vergütet. Die Höhe und Anzahl der Tagessätze für die jeweils zu erbringende Leistung legte sie vor Beginn der Tätigkeit unabhängig von der tatsächlich aufgewendeten bzw. aufzuwendenden Zeit fest. Die Klägerin konnte sodann entscheiden, ob sie die Leistung für dieses Entgelt ausführte. Für jede Produktion schloss die Klägerin mit X einen gesonderten so genannten "Mitwirkendenvertrag (Beschäftigungsvertrag)".
Neben den Honorarzahlungen erhielt die Klägerin von X in den Streitjahren 2002 und 2003 Urlaubsgeld und Beitragszuschüsse zu einer privaten Kranken- und Pflegeversicherung. Der Anspruch auf diese Zahlungen war im "Tarifvertrag für auf Produktionsdauer Beschäftigte der X" geregelt. Die so genannten "Arbeitgeberzuschüsse" zur Kranken- und Pflegeversicherung ließ die Klägerin im Rahmen ihrer Umsatzsteuererklärungen unberücksichtigt.
Anlässlich einer Umsatzsteuer-Sonderprüfung vertrat der Prüfer die Auffassung, die Zuschüsse der X zur Kranken- und Pflegeversicherung stellten umsatzsteuerrechtliches Entgelt für die Leistungen der Klägerin dar.
Entsprechend den Prüfungsfeststellungen erließ der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) geänderte Umsatzsteuerjahresbescheide für die Streitjahre.
Die Klage hatte Erfolg. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, die Klägerin sei zwar Unternehmerin i.S. des § 2 des Umsatzsteuergesetzes 1999 (UStG), die Zuschüsse der X zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung stellten jedoch kein Entgelt im umsatzsteuerrechtlichen Sinne dar. Sie seien kein Bestandteil der vertraglich vereinbarten Leistungsvergütung. Zu ihrer Zahlung sei X vielmehr gesetzlich verpflichtet. Ein unmittelbarer Zusammenhang zwischen den Beitragszuschüssen und den Leistungen der Klägerin sei nicht erkennbar. Das Urteil ist veröffentlich in Entscheidungen der Finanzgerichte 2009, 292.
Das FA trägt zur Begründung seiner Revision im Wesentlichen vor, entgegen der Würdigung durch das FG stünden die Beitragszuschüsse in unmittelbarem Zusammenhang mit den erbrachten Leistungen. Mit der Beauftragung der Klägerin erhalte diese als "unständig Beschäftigte" unter den weiteren in § 257 des Sozialgesetzbuchs Fünftes Buch - Gesetzliche Krankenversicherung (SGB V) genannten Voraussetzungen einen Anspruch auf Zahlung von Beitragszuschüssen zu ihrer freiwilligen Krankenversicherung. Auch wenn diese Verpflichtung der X nicht privatrechtlich begründet sei, sondern auf den gesetzlichen Bestimmungen des § 257 Abs. 2 SGB V bzw. § 61 Abs. 2 des Sozialgesetzbuchs Elftes Buch - Soziale Pflegeversicherung (SGB XI) beruhe, ändere dies nichts daran, dass X diese Beitragszuschüsse ebenso wie die originären Honorarzahlungen aufwende, um die Leistungen der Klägerin zu erhalten. Der unmittelbare Zusammenhang zwischen den Leistungen der Klägerin und den Beitragszuschüssen sei nicht durch die gesetzliche Verpflichtung der X unterbrochen.
Das FA beantragt sinngemäß, das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Die Klägerin beantragt sinngemäß, die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Aus den Gründen
10 II. Die Revision ist unbegründet und war daher zurückzuweisen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Zu Recht hat das FG entschieden, dass die von X gezahlten Beitragszuschüsse zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin umsatzsteuerrechtlich nicht als Entgelt zu beurteilen sind.
11 Nach § 1 Abs. 1 Nr. 1 UStG unterliegen der Umsatzsteuer die Lieferungen und sonstigen Leistungen, die ein Unternehmer im Inland gegen Entgelt im Rahmen seines Unternehmens ausführt. Es kann offen bleiben, ob die Klägerin Unternehmerin i.S. des § 2 UStG war. Denn jedenfalls handelte es sich bei den von X gezahlten Zuschüssen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin nicht um Entgelt i.S. der §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 UStG.
12 a) Der Umsatz wird bei Lieferungen und sonstigen Leistungen (§ 1 Abs. 1 Nr. 1 Satz 1 UStG) gemäß § 10 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG nach dem Entgelt bemessen, wobei Entgelt alles ist, was der Leistungsempfänger aufwendet, um die Leistung zu erhalten, jedoch abzüglich der Umsatzsteuer. Diese Regelung beruht auf Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG). Danach ist bei Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen Besteuerungsgrundlage alles, was den Wert der Gegenleistung bildet, die der Lieferer oder Dienstleistende für diese Umsätze vom Abnehmer oder Dienstleistungsempfänger oder von einem Dritten erhält oder erhalten soll. Gemäß Art. 11 Teil A Abs. 2 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG sind in die Besteuerungsgrundlage die Steuern, Zölle, Abschöpfungen und Abgaben mit Ausnahme der Mehrwertsteuer selbst einzubeziehen.
13 b) Nach der Rechtsprechung des Bundesfinanzhofs (BFH) ist eine Zahlung/Aufwendung grundsätzlich (nur) dann Entgelt/Gegenleistung für eine bestimmte Leistung, wenn sie "für die Leistung" bzw. "für diese Umsätze" gewährt wird bzw. der Leistende sie hierfür erhält (BFH-Urteil vom 19. Oktober 2001 V R 75/98, BFH/NV 2002, 547, unter II.3.c der Gründe). Zahlt eine Rundfunkanstalt aufgrund einer satzungsmäßigen Verpflichtung zugunsten ihrer freien Mitarbeiter Beiträge an eine Pensionskasse für freie Mitarbeiter der Deutschen Rundfunkanstalten, gehören auch diese Beiträge zum Entgelt für die Leistungen der Mitarbeiter (vgl. BFH-Urteil vom 9. Oktober 2002 V R 73/01, BFHE 200, 130, BStBl II 2003, 217, BB 2002, 1654 Ls).
14 Gesetzlich geschuldete Sozialversicherungsbeiträge können hingegen kein Entgelt i.S. von § 10 UStG sein, da der Leistungsempfänger in diesen Fällen eine eigene Verbindlichkeit tilgt (vgl. BFH-Urteil vom 25. Juni 2009 V R 37/08, BFHE 226, 415, BStBl II 2009, 873). Nicht zum Entgelt nach § 10 UStG gehören öffentlich-rechtliche Abgaben, die der Leistungsempfänger aufgrund einer ihn treffenden Verpflichtung schuldet, auch wenn sie durch die bezogene Leistung veranlasst sind. Kein Entgelt ist daher beispielsweise die vom Erwerber gezahlte Grunderwerbsteuer, auch wenn die Zahlung der Grunderwerbsteuer durch den Erwerber den Grundstückslieferer von seiner Grunderwerbsteuerschuld befreit. Dementsprechend erhöhen auch andere öffentlich-rechtliche Abgaben, die der Leistungsempfänger aufgrund einer ihn treffenden Verpflichtung zu entrichten hat (wie nach dem Arbeitsförderungsgesetz und dem Sozialgesetzbuch Sechstes Buch - Gesetzliche Rentenversicherung - für den Arbeitgeber von Gesetzes wegen bestehenden Beitragspflichten) nicht das Entgelt (vgl. zum Ganzen BFH-Urteil in BFHE 226, 415, BStBl II 2009, 873).
15 c) Die zitierten BFH-Urteile stimmen mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH) überein. Hiernach ist Besteuerungsgrundlage einer Lieferung von Gegenständen i.S. des Art. 11 Teil A Abs. 1 Buchst. a der Richtlinie 77/388/EWG alles, was in unmittelbarem Zusammenhang mit der Lieferung als Gegenleistung erlangt wird, in Geld ausgedrückt werden kann und einen subjektiven Wert darstellt (vgl. EuGH-Urteile vom 23. November 1988 Rs. C-230/87 --Naturally Yours Cosmetics--, Slg. 1988, 6365; vom 3. Juli 2001 Rs. C-380/99 --Bertelsmann--, Slg. 2001, I-5163, BFH/NV 2001, Beilage 3, 192, Randnr. 17). Sowohl nach der BFH- als auch nach der EuGH-Rechtsprechung sind gezahlte Beträge somit nur dann Entgelt, wenn der Anspruch auf Zahlung unmittelbar mit der erbrachten Leistung zusammenhängt (vgl. allgemein hierzu BFH-Urteil in BFH/NV 2002, 547, unter II.3.c der Gründe).
16 d) Bei Anwendung dieser Grundsätze ist das FG zu Recht davon ausgegangen, dass es sich bei den von X gezahlten Zuschüssen zur privaten Kranken- und Pflegeversicherung der Klägerin nicht um Entgelt i.S. der §§ 1 Abs. 1 Nr. 1, 10 Abs. 1 UStG handelt.
17 aa) Die Klägerin hat diese Beträge nicht für die von ihr ausgeführten Leistungen erhalten, sondern weil X hierzu gesetzlich und unabdingbar verpflichtet war.
18 Nach den mit der Revision nicht angegriffenen Feststellungen des FG war die Klägerin in den Streitjahren eine nach § 232 Abs. 3 SGB V so genannte "unständig Beschäftigte" bei X. Als solche war sie grundsätzlich gemäß §§ 5 Abs. 1 SGB V, 23 Abs. 1 SGB XI in der gesetzlichen Kranken- und in der sozialen Pflegeversicherung versicherungspflichtig. Wegen Überschreitens der Jahresarbeitsentgeltgrenze war sie in den Streitjahren jedoch gemäß § 6 Abs. 1 Nr. 1 SGB V in der gesetzlichen Krankenversicherung versicherungsfrei. Sie hatte deshalb gegen X einen Anspruch auf Zahlung eines Beitragszuschusses. Denn nach § 257 Abs. 2 Satz 1 SGB V erhalten Beschäftigte, die von der Versicherungspflicht befreit und bei einem privaten Krankenversicherungsunternehmen versichert sind und unter den weiteren dort genannten Voraussetzungen Vertragsleistungen beanspruchen können, die der Art nach den Leistungen des SGB V entsprechen, von ihrem Arbeitgeber einen Beitragszuschuss. § 61 Abs. 2 SGB XI enthält eine weitgehend inhaltsgleiche Regelung für den Bereich der sozialen Pflegeversicherung. Der Zuschuss beträgt gemäß §§ 257 Abs. 2 Satz 2 SGB V, 61 Abs. 2 Satz 2 SGB XI höchstens die Hälfte des Betrages, den der Beschäftigte für seine Kranken- bzw. Pflegeversicherung zu zahlen hat. Darüber hinausgehende Beitragszuschüsse hat X nach den Feststellungen des FG nicht gezahlt.
19 Im Gegensatz zu zivilrechtlich geschuldetem Entgelt standen diese Beitragszuschüsse nicht zur Disposition der Klägerin und der X. Denn der Anspruch auf den Beitragszuschuss nach § 257 SGB V ist unabdingbar, so dass ein Verzicht des Arbeitnehmers darauf unzulässig ist (vgl. Urteil des Bundessozialgerichts --BSG-- vom 8. Oktober 1998 B 12 KR 19/97 R, BSGE 83, 40; Engelhard in: Schulin, HS-KV, § 54 Rz 405).
20 bb) Zwar unterscheiden sich die Beitragszuschüsse zur Kranken- und Pflegeversicherung von Sozialversicherungsbeiträgen dadurch, dass der Arbeitgeber Erstere gegenüber dem Beschäftigten, Letztere hingegen gegenüber den Sozialversicherungsträgern schuldet (vgl. dazu BFH-Urteil in BFHE 226, 415, BStBl II 2009, 873). Jedoch handelt es sich bei beiden um öffentlich-rechtliche Ansprüche (vgl. zu § 257 SGB V BSG-Urteil in BSGE 83, 40; sowie Beschluss des Gemeinsamen Senats der obersten Gerichtshöfe des Bundes vom 4. Juni 1974 GmS-OGB 2/73, BSGE 37, 292, zu der mit § 257 SGB V weitgehend inhaltsgleichen Regelung in § 405 der Reichsversicherungsordnung). Zudem ist der Zuschuss nach § 257 SGB V das Gegenstück zum vom Arbeitgeber gemäß § 249 Abs. 1 SGB V geschuldeten Anteil zur gesetzlichen Krankenversicherung des Beschäftigten (vgl. Knispel in Peters, Handb KV II SGB V § 257 Rz 7). Es ist daher nicht gerechtfertigt, die von X gezahlten Beträge umsatzsteuerrechtlich anders zu beurteilen als gesetzlich vom Arbeitgeber geschuldete Sozialversicherungsbeiträge. Dabei ist auch zu berücksichtigen, dass es unter Umständen nur von Zufälligkeiten abhängt, ob die Jahresarbeitsentgeltgrenze überschritten wird und statt der Pflichtversicherung in einer gesetzlichen Krankenkasse ein Anspruch auf Beitragszuschuss gemäß § 257 SGB V besteht.
21 cc) Die von der Klägerin gegenüber X ausgeführten Leistungen hingen ferner nur mittelbar mit den von X gezahlten Zuschüssen zusammen. Denn X hätte keine Beitragszuschüsse nach den §§ 257 Abs. 2 SGB V, 61 Abs. 2 SGB XI zahlen müssen, wenn die Klägerin sich nicht privat krankenversichert hätte. Außerdem hatte die Klägerin einen Anspruch auf einen Zuschuss zu ihrer privaten Krankenversicherung auch für Zeiten, in denen sie von X Urlaubsgeld erhielt und keine Leistungen ausführte (vgl. Knispel in Peters, a.a.O., § 257 Rz 32).