: Auflösung einer Kapitalgesellschaft
OFD Frankfurt am Main, Rundvfg. vom 21.5.2008 - S 2244 A - 21 - St 215 (§ 17 Abs. 4 EStG) I. Allgemeines Nach § 17 Abs. 4 Satz 1 EStG gilt als Veräußerung i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG auch die Auflösung einer Kapitalgesellschaft. Zu den Einkünften aus Gewerbebetrieb gehört somit auch der Gewinn aus der Auflösung von Kapitalgesellschaften, wenn der Gesellschafter innerhalb der letzten fünf Jahre am Kapital der Gesellschaft zu mindestens 1 % beteiligt war und er die Beteiligung in seinem Privatvermögen hält. Entsprechendes gilt für die aus der Auflösung einer Kapitalgesellschaft entstehenden Verluste, sofern die Verlustberücksichtigung nicht nach § 17 Abs. 2 Satz 6 EStG ausgeschlossen ist.
II. Zivilrechtliche Auflösung einer Kapitalgesellschaft
Die Entstehung eines Auflösungsgewinns oder -verlusts setzt die zivilrechtliche Auflösung der Kapitalgesellschaft voraus (BFH vom 03.06.1993, BStBI II 1994, 162 m.w.N.).
Zivilrechtliche Gründe für die Auflösung einer GmbH (§§ 60, 75 ff GmbHG) bzw. AG sind (§§ 262, 275 ff., 396 AktG):
- Ablauf der im Gesellschaftsvertrag / in der Satzung bestimmten Zeit entsprechender Beschluss der Gesellschafter-/ Hauptversammlung
- Eröffnung des Insolvenzverfahrens
- rechtskräftige Ablehnung der Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse - Löschung der Gesellschaft wegen Vermögenslosigkeit (Gesellschaft verfügt über kein oder nur noch geringfügiges Aktivvermögen)
- gerichtliches Urteil, wenn die Gesellschaft durch gesetzwidriges Verhalten das Gemeinwohl gefährdet
- Beschluss des Registergerichts, durch welchen ein Mangel des Gesellschaftsvertrag / der Satzung festgestellt wurde
- Gerichtsentscheid über Feststellung der Nichtigkeit der Gesellschaft
- gerichtliches Urteil oder Entscheidung des Verwaltungsgerichts oder der Verwaltungsbehörde Keine zivilrechtlichen Auflösungsgründe sind (BFH vom 21.01.2004, BStBI II 2004, 551):
- Einstellung der Tätigkeit der Gesellschaft
- Überschuldung der Gesellschaft (Vermögenslosigkeit per Saldo)
III. Zeitpunkt der steuerlichen Berücksichtigung des Auflösungsgewinns bzw. -verlusts Von dem Zeitpunkt der zivilrechtlichen Auflösung der Kapitalgesellschaft ist der Zeitpunkt der steuerlichen Berücksichtigung des Auflösungsgewinns bzw. -verlusts zu unterscheiden. Der BFH hat dabei folgende Grundsätze aufgestellt (BFH vom 03.06.1993, BStBI II 1994, 162, vom 04.11.1997, BStBI II 1999, 344, vom 25.01.2000, BStBI II 2000, 343, vom 27.11.2001, BStBI II 2002, 731 und vom 21.01.2004, BStBI II 2004, 551 - vgl. auch H 17 (7) Auflösung und Kapitalherabsetzung EStH 2006):
Der Zeitpunkt der steuerlichen Berücksichtigung des Auflösungsgewinns bzw. -verlustes bestimmt sich nach den Grundsätzen ordnungsgemäßer Buchführung, insbesondere dem sog. Realisationsprinzip. Die Realisation des Auflösungsgewinns bzw. -verlusts setzt neben der zivilrechtlichen Auflösung der Gesellschaft voraus, dass der Gesellschafter mit Zuteilungen und Rückzahlungen aus dem Gesellschaftsvermögen nicht mehr rechnen kann (Vermögenslage auf Ebene der Gesellschaft) und dass feststeht, ob und in welcher Höhe noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigende wesentliche Aufwendungen anfallen werden (Vermögenslage auf Ebene des Gesellschafters). Beide Voraussetzungen müssen kumulativ erfüllt sein. Dies ist regelmäßig erst mit Abschluss der Liquidation der Fall. Der einmal entstandene Gewinn oder Verlust ist im Zeitpunkt seines Entstehens steuerlich zu berücksichtigen. Ein Wahlrecht hat der Steuerpflichtige insofern nicht.
III.1. Insolvenzfreie Auflösung Bei der insolvenzfreien Auflösung entsteht nach den vorstehenden Grundsätzen der Auflösungsgewinn bzw. -verlust regelmäßig erst in dem Zeitpunkt, in dem weder mit einer Auskehrung von Gesellschaftsvermögen an den Gesellschafter noch mit einer wesentlichen Änderung der durch die Beteiligung veranlassten Aufwendungen wie Veräußerungskosten, Aufgabekosten oder nachträglichen Anschaffungskosten mehr zu rechnen, ist. Auf Ebene der Gesellschaft sind auch Sachverhalte zu berücksichtigen, die die Kapitalgesellschaft oder den Gesellschafter - wenn er Kaufmann wäre - zur Bildung einer Rückstellung verpflichten würden -3 (BFH vom 27.11.2001, BStBI II 2002, 731). Der Zeitpunkt des Abschlusses der Liquidation wird für Gesellschaften, die noch verteilungsfähiges Vermögen haben, durch den Zeitpunkt der Entstehung des Anspruchs auf Auszahlung des Liquidationsguthabens bestimmt (BFH vom 27.10.1992, BStBI II 1993, 340). Ausnahmsweise kann der Zeitpunkt der steuerlichen Berücksichtigung des Auflösungsgewinns bzw. -verlusts schon vor Abschluss der Liquidation liegen, wenn mit einer wesentlichen Änderung des bereits festgestellten Auflösungsergebnisses nicht mehr zu rechnen ist. Diese Voraussetzung ist erfüllt, wenn die Kapitalgesellschaft entsprechend ihrer vorgelegten Bilanz bereits im Zeitpunkt des Auflösungsbeschlusses vermögenslos war und deshalb mit einer wesentlichen Änderung des Auflösungsgewinns bzw. -verlusts nicht mehr zu rechnen ist. Dies gilt allerdings nicht für den Fall der Überschuldung einer Gesellschaft. Eine Überschuldung auf Basis der Bewertung zu Verkehrswerten dokumentiert zwar, dass die Gesellschaft per Saldo vermögenslos ist, weil ihr Vermögen die bestehenden Verbindlichkeiten nicht mehr deckt. Vermögenslosigkeit als Auflösungs- und Vollbeendigungsgrund einer Gesellschaft setzt aber voraus, dass die Gesellschaft über kein oder nur noch geringfügiges Aktivvermögen verfügt (BFH vom 21.01.2004, BStBI II 2004, 551).
Eine Kapitalgesellschaft kann unter Berücksichtigung der besonderen Zwecksetzung des § 17 EStG trotz vorhandener Aktivwerte als vermögenslos behandelt werden, wenn der Gesellschafter mit einer Auskehrung von Gesellschaftsvermögen im Rahmen der Vermögensverteilung nach § 72 GmbHG nicht mehr rechnen konnte (BFH vom 27.11.2001, BStBI II 2002, 731). Auch hier muss jedoch absehbar sein, ob und in welcher Höhe den Gesellschaftern noch nachträgliche Anschaffungskosten oder sonstige im Rahmen des § 17 Abs. 2 EStG zu berücksichtigende Veräußerungskosten anfallen.
III.2. Auflösung bei Insolvenz Im Falle der Eröffnung eines Insolvenzverfahrens kann der Auflösungsverlust grundsätzlich erst im Zeitpunkt der Beendigung des Insolvenzverfahrens berücksichtigt werden. Bei Eröffnung lässt es sich i.d.R. nicht feststellen, ob es zur Auskehrung von Restvermögen an die Gesellschafter kommen wird. Die stillen Reserven sind bei Veräußerungsgeschäften erst dann realisiert, wenn der Insolvenzverwalter die einzelnen Wirtschaftsgüter des Gesellschaftsvermögens oder das Unternehmen im Ganzen veräußert und mit dem letzten Geschäftsvorfall die Grundlage für die Schlussverteilung geschaffen hat. Denn die Dauer eines Insolvenzverfahrens ist nicht abzuschätzen. Dies gilt vor allem dann, wenn umfangreiches Betriebsvermögen mit erheblichen stillen Reserven abzuwickeln ist. Während des Insolvenzverfahrens können sich die Marktwerte der Wirtschaftsgüter erheblich verändern. Es kommt hinzu, dass bei der Eröffnung des Insolvenzverfahrens nicht sicher ist, ob es zu einer Maßgebliche Beteiligungsgrenze bis 31.12.1998 mehr als 25 % Maßgebliche Beteiligungsgrenze 01.01.1999 mindestens 10 % Maßgebliche Beteiligungsgrenze ab 01.01.2002 mindestens 1 % Vollbeendigung der Gesellschaft und damit zu einem endgültigen Auflösungsverlust der Gesellschafter kommen wird. Nach § 1 InsO sind die Erhaltung des Unternehmens in Ausführung eines Insolvenzplans und die Liquidation gleichrangige Ziele des Verfahrens. Auch ist zu beachten, dass nach § 18 InsO bereits die drohende Zahlungsunfähigkeit einen Insolvenzgrund darstellt. Im Falle des Insolvenzverfahrens muss daher die Auflösung der Gesellschaft nicht zwangsläufig zu deren Vollbeendigung führen. Zudem müssen wiederum die nachträglichen Anschaffungskosten weitestgehend feststehen. Hat der Insolvenzverwalter gegen den Gesellschafter eine zivilrechtliche Klage erhoben, die für den Gesellschafter im Falle seines Unterliegens zu weiteren nachträglichen Anschaffungskosten führt, ist sein Auflösungsverlust nicht vor Beendigung des Klageverfahrens realisiert (BFH vom 01.03.2005, BFH/NV 2005, 2171).
Ausnahmsweise kommt eine Berücksichtigung des Auflösungsverlusts schon vor Beendigung des Insolvenzverfahrens in Betracht, wenn aufgrund des Inventars und der Insolvenzeröffnungsbilanz oder einer Zwischenrechnungslegung ohne weitere Ermittlungen mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit damit zu rechnen ist, dass das Vermögen der Gesellschaft zu Liquidationswerten die Schulden nicht mehr decken wird und ein Zwangsvergleich ausgeschlossen ist. Dies ist nicht der Fall, wenn noch erhebliches Vermögen vorhanden ist, dessen konkrete Verwertungsergebnisse bei Eröffnung des Insolvenzverfahrens noch nicht absehbar sind. Wird die Eröffnung des Insolvenzverfahrens mangels Masse abgelehnt (§ 26 InsO) und innerhalb der sog. Notfrist von zwei Wochen keine (erfolgreiche) Beschwerde gegen den abweisenden Beschluss eingelegt, kann die Möglichkeit einer Auskehrung von Restvermögen an die Gesellschafter ausgeschlossen werden. Stehen zu diesem Zeitpunkt auch die wesentlichen Aufwendungen des Gesellschafters fest, kann der Auflösungsverlust nach § 17 Abs. 4 EStG in diesem Zeitpunkt berücksichtigt werden.
III.3. Maßgebliche Beteiligungsgrenze Der Zeitpunkt der Realisierung des Gewinns bzw. Verlusts im vorstehenden Sinne ist auch entscheidend für die Frage, welche Gesetzesfassung anwendbar ist (BFH vom 17.11.2004, BFH/NV 2005, 540). Für die Überprüfung der Beteiligungsgrenze i.S.d. § 17 Abs. 1 EStG ist dabei deren zweimalige Herabsetzung zu beachten: bv Beispiel 1: A hält an der inländischen X-GmbH (Stammkapital 50.000 €) seit deren Gründung im Jahr 1990 20 % der Gesellschaftsanteile im Privatvermögen. Im Jahr 1998 wird über das Vermögen der X-GmbH das Konkursverfahren eröffnet und im Jahr 2003 beendet. A erhält keine Kapitalrückzahlung und seine Kapitalbeteiligung von 10.000 € geht verloren. Auflösungskosten hat er nicht getragen. Für die Frage, ob es sich dem Grunde nach um einen Vorgang i.S.d. § 17 Abs. 1 und Abs. 4 EStG handelt, sind die Voraussetzungen im Verlustentstehungszeitpunkt maßgeblich. Die zivilrechtliche Auflösung der Kapitalgesellschaft ist bereits im Jahr 1998 mit der Eröffnung des Konkursverfahrens erfolgt (§ 60 Abs. 1 Nr. 4 GmbHG). Der Auflösungsverlust entsteht jedoch erst im Veranlagungszeitraum 2003, da erst mit Abschluss des Konkursverfahrens feststeht, dass keine Auskehrung mehr an die Gesellschafter erfolgt. Im Jahr 2003 ist eine Beteiligung von mindestens 1 % erforderlich. Da A innerhalb der letzten 5 Jahre vor Realisierung des Veräußerungsverlusts mit 20 % beteiligt war, kann der Auflösungsverlust berücksichtigt werden und unterliegt dem Halbeinkünfteverfahren. Beispiel 2: Sachverhalt wie Beispiel 1, allerdings wird der Antrag auf Eröffnung des Konkursverfahrens im Jahr 1998 mangels Masse rechtskräftig abgelehnt. Die zivilrechtliche Auflösung der Kapitalgesellschaft ist bereits im Jahr 1998 mit Ablehnung des Antrags auf Eröffnung des Konkursverfahrens erfolgt (§ 60 Abs. 1 Nr. 5 GmbHG). Die Möglichkeit einer Auskehrung von Restvermögen an die Gesellschafter kann somit ausgeschlossen werden. Der Verlust entsteht daher im Veranlagungszeitraum 1998, in dem jedoch eine Beteiligung von mehr als 25 % erforderlich war. Da A nur zu 20 % beteiligt war, kann der Verlust nicht berücksichtigt werden. Beispiel 3: Sachverhalt wie Beispiel 1, allerdings wird das Konkursverfahren im Jahr 2001 beendet. Der Auflösungsverlust entsteht im Veranlagungszeitraum 2001, da erst mit Abschluss des Konkursverfahrens feststeht, dass keine Auskehrung mehr an die Gesellschafter erfolgt. Im Jahr 2001 war eine Beteiligung von mindestens 10 % erforderlich. Da A innerhalb der letzten 5 Jahre vor Realisierung des Veräußerungsverlusts mit 20 % beteiligt war, kann der Auflösungsverlust in voller Höhe berücksichtigt werden. Das Halbeinkünfteverfahren ist im Veranlagungszeitraum 2001 noch nicht anzuwenden.
IV. Anwendung des Halbeinkünfteverfahrens auf Auflösungsgewinne und -verluste Das Halbeinkünfteverfahren ist erstmals für Auflösungsgewinne bzw. -verluste anzuwenden, die im VZ 2002 realisiert werden. Bei Liquidationen im VZ 2001 ist für § 17 Abs. 4 EStG entgegen der bisherigen Verwaltungsauffassung das Halbeinkünfteverfahren noch nicht anzuwenden (BFH vom 27.03.2007, BStBl II 2008, 298 und 303).