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Steuerrecht
19.08.2016
Steuerrecht
Verjährung von Steuerforderungen: BVerfG zur Dauer der Ablaufhemmung von Festsetzungsfristen bei Außenprüfungen

Das BVerfG hat entschieden, dass die Ausrichtung der Steuerfestsetzungsfrist am Zeitpunkt der Schlussbesprechung verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden ist (Beschluss vom 21. Juli 2016 - 1 BvR 3092/15). Die 1. Kammer des Ersten Senats hat daher die Verfassungsbeschwerde gegen ein Urteil des Bundesfinanzhofs zum Lauf von Steuerfestsetzungsfristen bei Außenprüfungen nicht zur Entscheidung angenommen.

Die vom Bundesfinanzhof vertretene Auslegung von § 171 Abs. 4 Satz 3 AO, wonach sich bei Außenprüfungen der Lauf der Festsetzungsfrist nur bei definitivem Unterbleiben der Schlussbesprechung nach dem Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlung richte, ist verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden.

Sachverhalt: BFH verneinte Eintritt der Festsetzungsverjährung

Das Finanzamt begann bei der Beschwerdeführerin im Jahr 1980 mit einer Außenprüfung für die Veranlagungszeiträume 1974 bis 1978. Nach Unterbrechung wurde die Außenprüfung im Jahr 1995 fortgesetzt. Die Schlussbesprechung fand Ende 1996 statt. Das Finanzamt erließ daraufhin im Jahr 1997 geänderte Steuerbescheide gegenüber der Beschwerdeführerin. Hiergegen klagte die Beschwerdeführerin erfolglos, wobei sie Verjährung einwandte.

In letzter Instanz verneinte der Bundesfinanzhof den Eintritt der Festsetzungsverjährung. Die Ablaufhemmung nach § 171 Abs. 4 Satz 3 AO richte sich nicht nach dem Zeitpunkt der letzten Ermittlungshandlung im Jahr 1989, sondern nach dem Zeitpunkt der Schlussbesprechung im Jahr 1996. Die Beschwerdeführerin rügt mit ihrer Verfassungsbeschwerde vor allem die Verletzung der Prinzipien der Rechtssicherheit und des Rechtsfriedens. Die Auslegung des Bundesfinanzhofs führe zu einer ewigen Verjährung unter Kontrolle der Finanzverwaltung.

Kein Verstoß gegen Grundsätze der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes

Die angegriffenen Entscheidungen verstoßen nicht gegen das Rechtsstaatsprinzip in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und Belastungsvorhersehbarkeit (Art. 2 Abs. 1 GG in Verbindung mit Art. 20 Abs. 3 GG).

1. Das Rechtsstaatsprinzip schützt in seiner Ausprägung als Gebot der Belastungsklarheit und -vorhersehbarkeit davor, dass lange zurückliegende, abgeschlossene Vorgänge unbegrenzt zur Anknüpfung neuer Lasten herangezogen werden können. Ausdruck der Gewährleistung von Rechtssicherheit sind dabei auch Verjährungsregelungen. Sie sollen sicherstellen, dass Einzelne nach Ablauf einer bestimmten Frist nicht mehr mit Forderungen überzogen werden, wenn der berechtigte Hoheitsträger über einen längeren Zeitraum seine Befugnis nicht wahrgenommen hat.

Es ist Aufgabe des Gesetzgebers, die berechtigten Interessen der Allgemeinheit am Steueraufkommen und der Einzelnen an Rechtssicherheit durch entsprechende Gestaltung von Verjährungsbestimmungen zu einem angemessenen Ausgleich zu bringen. Dabei steht ihm ein weiter Gestaltungsspielraum zu.

2. Gemessen an diesen Grundsätzen sind die angegriffenen Entscheidungen verfassungsrechtlich nicht zu beanstanden. Die Auslegung des § 171 Abs. 4 Satz 3 AO durch den Bundesfinanzhof, die bei Außenprüfungen den Lauf der Festsetzungsfrist nur bei definitivem Unterbleiben der Schlussbesprechung an die letzte Ermittlungshandlung knüpft, führt zu keiner mit den Grundsätzen der Rechtssicherheit und des Vertrauensschutzes unvereinbaren Handhabung der Regeln über die Festsetzungsverjährung bei Außenprüfungen.

Keine "ewige Verjährung unter Kontrolle der Finanzverwaltung"

Es wäre allerdings mit den beschriebenen Grundsätzen nicht vereinbar, wenn die Finanzverwaltung durch Hinauszögern der Schlussbesprechung den Ablauf der Festsetzungsfrist nach eigenem Gutdünken bestimmen und so letztlich beliebig verlängern könnte.

Durch die dem Steuerpflichtigen nach § 201 Abs. 1 Satz 1 AO eröffnete Möglichkeit, auf die Schlussbesprechung zu verzichten, hat er es jedoch selbst in der Hand, den Ablauf der Festsetzungsfrist aus § 169 AO herbeizuführen. Gegen den Willen des Steuerpflichtigen darf die Finanzbehörde keine Schlussbesprechung durchführen und kann so auch nicht den Fristlauf ab der letzten Ermittlungshandlung gegen den Willen des Steuerpflichtigen verhindern.

Es ist im vorliegenden Fall auch nicht erkennbar, dass ein Verzicht auf die Schlussbesprechung mit unzumutbaren Nachteilen verbunden gewesen wäre. Im vorliegenden Beschwerdefall, in dem seit der letzten Ermittlungshandlung die Festsetzungsverjährung nach § 169 AO ohne Berücksichtigung dieser Ablaufhemmung bereits abgelaufen wäre, konnte der Steuerpflichtige ohne erkennbaren Rechtsnachteil auf die Schlussbesprechung verzichten.

Ein Verzicht hätte unmittelbar zum Eintritt der Verjährung und damit zum Erlöschen des Steueranspruchs geführt. Äußerungen des Steuerpflichtigen zur Sach- und Rechtslage, die während des Außenprüfungsverfahrens, aber außerhalb der Schlussbesprechung getätigt worden wären, müssten in gleicher Weise bei der Entscheidungsfindung der Finanzbehörde berücksichtigt werden wie solche, die innerhalb der Schlussbesprechung erfolgen.


(PM BVerfG vom 19.8.2016)

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