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Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
28.10.2010
Bilanzrecht und Betriebswirtschaft
BFH: Keine Nachholung der AfA auf ein nicht als Betriebsvermögen erfasstes Wirtschaftsgut

BFH, Urteil vom 22.6.2010 - VIII R 3/08

Leitsätze

1. Es besteht die Pflicht, die abschnittsbezogene lineare (so genannte Normal-)AfA auch tatsächlich vorzunehmen.

2. Wegen des Prinzips der Gesamtgewinngleichheit ist auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die AfA im selben Umfange vorzunehmen wie beim Betriebsvermögensvergleich.

3. Bei einem bilanzierenden Steuerpflichtigen ist die verspätete Erfassung notwendigen Betriebsvermögens eine fehlerberichtigende Einbuchung, bei der sich der Bilanzansatz nach dem Wert richtet, mit dem das bisher zu Unrecht nicht bilanzierte Wirtschaftsgut bei von Anfang an richtiger Bilanzierung zu Buche stehen würde. Deshalb darf auch im Rahmen der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG die versäumte AfA auf ein zunächst nicht als Betriebsvermögen erfasstes Wirtschaftsgut nicht nachgeholt werden.

Sachverhalt

Streitig ist, in welcher Höhe der Restbuchwert eines Patents im Betriebsvermögen eines freiberuflich tätigen Erfinders bei der Ermittlung des Gewinns aus der Veräußerung des Patents im Rahmen der Betriebsaufgabe zu berücksichtigen ist.

Die Klägerin und ihr im Februar 2007 verstorbener Ehemann (früherer Kläger) wurden im Streitjahr (1998) zusammen zur Einkommensteuer veranlagt. Die Klägerin ist die Erbin ihres Ehemannes.

Dieser hatte im Jahr 1985 eine Erfindung zum Patent angemeldet. Die Nutzung des Patents überließ er ab 1987 aufgrund eines Lizenzvertrags der X-GmbH, deren Gesellschafter er war. Die Lizenzeinnahmen wurden zunächst als Einnahmen aus selbständiger Tätigkeit erklärt und besteuert. Mit Vertrag vom 4.12.1997 verkaufte der frühere Kläger das Patent für 2 Mio. DM zum 1.1.1998 und gab damit zugleich seine Erfindertätigkeit auf.

Nachfolgende Verhandlungen mit dem FA führten im Mai 2002 zu der folgenden tatsächlichen Verständigung:

„Die Tätigkeit als Erfinder einer Methode zur ... wurde erst mit Verwertung der Erfindung am 1.1.1987, also mit Abschluss der diesbezüglichen Lizenzverträge, mit Einkunftserzielungsabsicht betrieben. Die bis dahin ausgeübte Tätigkeit als o. g. Erfinder wurde nicht mit der Absicht betrieben, Einkünfte zu erzielen. Der Einlagewert des Patents ... zum 1.1.1987 in das Betriebsvermögen des Herrn ... beträgt 375 000 DM.

Die Restnutzungsdauer des Patents wird zum Einlagezeitpunkt, 1.1.1987, mit 19 Jahren und 3 Monaten angenommen, da das Patent eine Laufzeit bis Ende März 2006 hat."

Ausgehend von dieser Verständigung ermittelte das FA den Veräußerungs-/Aufgabegewinn aus der freiberuflichen Tätigkeit mit 1 789 862 DM. Hierbei berücksichtigte es neben weiteren unstreitigen Kostenpositionen einen Restbuchwert des Patents zum Veräußerungszeitpunkt in Höhe von 160 720 DM, den es ausgehend von einem Einlagewert von 375 000 DM ermittelt hatte abzüglich der rechnerisch auf die Jahre 1987 bis 1997 entfallenden Absetzungen für Abnutzung (AfA) auf das Patent. Dementsprechend setzte das FA die Einkommensteuer in einem Änderungsbescheid für 1998 (Streitjahr) vom 12.6.2002 fest, der weiterhin unter dem Vorbehalt der Nachprüfung stand. Auch für 1997 erging ein Änderungsbescheid, in dem noch die errechnete AfA für ein Jahr einkünftemindernd berücksichtigt wurde. Wegen Bestandskraft der Steuerfestsetzungen für die Vorjahre führte das FA keine weiteren Steueränderungen wegen der AfA durch.

Im Januar 2003 beantragten die Klägerin und der frühere Kläger, den Einkommensteuerbescheid 1998 gemäß § 164 Abs. 2 AO zu ändern und dabei den Aufgabegewinn um die rechnerisch auf die Jahre 1987 bis 1996 entfallenden und steuerlich nicht berücksichtigten Absetzungsbeträge zu mindern. Das FA lehnte den Änderungsantrag ab, da die nachträgliche Aufnahme des Patents in die Bilanz eine berichtigende Einbuchung darstelle, die eine Nachholung unterlassener AfA nicht zulasse entsprechend den Ausführungen im Urteil des BFH vom 24.10.2001 - X R 153/97 (BFHE 197, 105, BStBl. II 2002, 75, BB 2002, 507). Der Einspruch hiergegen blieb erfolglos.

Das FG gab der Klage mit seinem in EFG 2008, 598 veröffentlichten Urteil im Wesentlichen statt.

Zu Unrecht habe das FA bei dem nach § 18 Abs. 3 EStG i. V. m. § 16 Abs. 2 und 3 EStG zu ermittelnden Veräußerungsgewinn die AfA-Beträge für die Vorjahre weiterhin unberücksichtigt gelassen. Im Rahmen des Veräußerungsgewinns sei der Wert des Betriebsvermögens nach § 4 Abs. 1 oder § 5 EStG zu bestimmen. Steuerpflichtige, die ihren laufenden Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln - wie es der frühere Kläger tat -, seien deshalb gehalten, zur Ermittlung des Veräußerungs- oder Aufgabegewinns zum Betriebsvermögensvergleich überzugehen. Dabei gehörten die in den bestandskräftig veranlagten Jahren bis einschließlich 1996 steuerlich nicht genutzten AfA-Beträge zum Restbuchwert und minderten den Veräußerungsgewinn.

Diese Auffassung stütze sich auf die Rechtsprechung verschiedener Senate des BFH. Der Entscheidung des X. Senats des BFH in BFHE 197, 105, BStBl. II 2002, 75, die die Nachholung von AfA versage in Fällen der berichtigenden Einbuchung von Wirtschaftsgütern des notwendigen Betriebsvermögens, sei jedenfalls für Steuerpflichtige, die ihren Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermitteln, nicht zu folgen.

Das FA ist der Auffassung, das angefochtene Urteil verletze die Rechtsnormen des § 2 Abs. 7 EStG i. V. m. § 7 EStG insoweit, als es faktisch eine Nachholung der nicht in Anspruch genommenen AfA-Beträge aus bereits bestandskräftig veranlagten Jahren zulasse, obschon ein Wirtschaftsgut des notwendigen Betriebsvermögens bislang nicht als solches steuerlich berücksichtigt wurde; dies laufe dem Prinzip der Jahressteuer und der abschnittsweisen Erfassung des Wertverzehrs von Wirtschaftsgütern des Anlagevermögens zuwider. Der Gedanke der richtigen Erfassung des Totalgewinns habe gegenüber diesem Prinzip zurückzutreten.

Das FA beantragt, das angefochtene Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt, die Revision des FA als unbegründet zurückzuweisen.

Sie ist der Auffassung, dass die Grundsätze, die der X. Senat des BFH mit dem Urteil in BFHE 197, 105, BStBl. II 2002, 75 aufgestellt hat, auf den Streitfall nicht übertragbar seien, da ein Steuerpflichtiger, der seinen Gewinn nach § 4 Abs. 3 EStG ermittele, sich in den Streitjahren gar nicht vor einem fehlenden Bilanzansatz habe schützen können. Eine Pflicht zur Aufstellung eines Anlageverzeichnisses für Zwecke des § 4 Abs. 3 EStG habe zu diesem Zeitpunkt noch nicht bestanden.

Aus den Gründen

16        II. Die Revision ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 S. 1 Nr. 1 FGO). Der angefochtene Einkommensteuerbescheid für 1998 ist entgegen der Auffassung des FG rechtmäßig.

17        Zu Unrecht hat das FG bei der Ermittlung des Aufgabegewinns die Summe der jährlichen AfA-Beträge auf das Patent für die Jahre 1987 bis 1996 vom Restbuchwert abgezogen und damit gewinnmindernd berücksichtigt.

18        1. a) Nach § 7 Abs. 1 S. 1 EStG ist bei Wirtschaftsgütern, deren Verwendung oder Nutzung durch den Steuerpflichtigen zur Erzielung von Einkünften sich erfahrungsgemäß auf einen Zeitraum von mehr als einem Jahr erstreckt, jeweils für ein Jahr der Teil der Anschaffungs- oder Herstellungskosten abzusetzen, der bei gleichmäßiger Verteilung dieser Kosten auf die Gesamtdauer der Verwendung oder Nutzung auf ein Jahr entfällt.

19        Nach allgemeiner Meinung besteht eine Pflicht, diese abschnittsbezogene (so genannte Normal-)AfA auch tatsächlich vorzunehmen (vgl. BFH-Urteil vom 8.4.2008 - VIII R 64/06, BFH/NV 2008, 1660, unter II.1. der Entscheidungsgründe; Schmidt/Kulosa, EStG, 29. Aufl., § 7 Rz. 6; Lambrecht in Kirchhof, EStG, 9. Aufl., § 7 Rz. 22; Blümich/Brandis, § 7 EStG Rz. 314).

20            Allerdings können AfA auf Wirtschaftsgüter - auch auf solche des Betriebsvermögens -, deren Vornahme pflichtwidrig unterlassen wurde, nach bisheriger ständiger Rechtsprechung grundsätzlich in späteren Steuerabschnitten nachgeholt werden, wenn eine Berücksichtigung in dem nach dem Gesetz zutreffenden Steuerabschnitt (Veranlagungszeitraum) verfahrensrechtlich nicht mehr möglich ist (vgl. z. B. BFH-Urteile vom 7.10.1971 - IV R 181/66, BFHE 103, 564, BStBl. II 1972, 271; vom 11.12.1987 - III R 266/83, BFHE 152, 128, BStBl. II 1988, 335, BB 1988, 733; vom 29.10.1991 - VIII R 51/84, BFHE 166, 431, BStBl. II 1992, 512, BB 1992, 822; vom 16.2.1995 - IV R 29/94, BFHE 177, 389, BStBl. II 1995, 635, BB 1995, 2200; vom 26.6.1996 - XI R 41/95, BFHE 180, 572, BStBl. II 1996, 601, BB 1996, 2402; vom 14.11.2007 - XI R 37/06, BFH/NV 2008, 365; s. auch Amtliches Einkommensteuerhandbuch 2009, H 7.4 „Unterlassene oder überhöhte AfA").

21        Diese Rechtsprechung hat ihren Ausgangspunkt im Grundsatz des Bilanzenzusammenhangs (vgl. schon BFH-Urteil vom 3.7.1956 - I 344/55 U, BFHE 63, 137, BStBl. III 1956, 250), der ungeachtet der für vergangene Jahre eingetretenen Bestandskraft von Steuerbescheiden die Bilanzberichtigung und damit die Fehlerkorrektur bei falscher Bewertung von Wirtschaftsgütern in verfahrensrechtlich noch offenen Wirtschaftsjahren ermöglicht.

22        Die Nachholung von AfA wird aber auch bei der Gewinnermittlung nach § 4 Abs. 3 EStG und bei den Überschusseinkünften für zulässig erachtet (Blümich/Brandis, § 7 EStG Rz. 319, m. w. N.; Schmidt/Kulosa, a. a. O., § 7 Rz. 7, m. w. N.; vgl. auch BFH-Urteil in BFHE 177, 389, BStBl. II 1995, 635). Dies gebiete schon der Gleichbehandlungsgrundsatz (vgl. BFH-Urteile in BFHE 103, 564, BStBl. II 1972, 271; in BFH/NV 2008, 365, m. w. N.; ferner grundsätzlich: Beschluss des Großen Senats des BFH vom 26.11.1973 - GrS 5/71, BFHE 111, 242, BStBl. II 1974, 132, BB 1974, 304).

23        b) Etwas anderes gilt nach Rechtsprechung, Verwaltungsauffassung und ganz überwiegender Meinung in der Literatur, wenn es um die AfA auf Wirtschaftsgüter des notwendigen Betriebsvermögens geht, die in der Bilanz nicht aktiviert waren und die erst zu einem späteren Zeitpunkt als dem der Anschaffung, Herstellung oder Einlage in das Betriebsvermögen erstmals in die Bilanz eingebucht werden (BFH-Urteil in BFHE 197, 105, BStBl. II 2002, 75; BFH-Beschluss vom 29.10.2009 - X B 100/09, BFH/NV 2010, 205; Amtliches Einkommensteuerhandbuch 2009, H 7.4 „Unterlassene oder überhöhte AfA"; Gosch, Die steuerliche Betriebsprüfung 2002, 87; v. Groll, HFR 2002, 211; Weber-Grellet, FR 2002, 210; ders. BB 2003, 37, 42; Schmidt/Kulosa, a. a. O., § 7 Rz. 7; Lambrecht in Kirchhof, a. a. O., § 7 Rz. 26; Handzik in Littmann/Bitz/Pust, Das Einkommensteuerrecht, Kommentar, § 7 EStG Rz. 224; Nolde in Herrmann/Heuer/Raupach, § 7 EStG Rz. 97; a. A. Groh, DB 1998, 1931, 1936). In diesem Fall der fehlerberichtigenden Einbuchung (s. auch BFH-Urteil vom 14.1.2010 - IV R 86/06, BFH/NV 2010, 1096) bestimmt sich der Bilanzansatz nach dem Wert, mit dem das bisher zu Unrecht nicht bilanzierte Wirtschaftsgut bei von Anfang an richtiger Bilanzierung zu Buche stehen würde (BFH-Urteile in BFHE 197, 105, BStBl. II 2002, 75; vom 12.10.1977 - I R 248/74, BFHE 123, 478, BStBl. II 1978, 191, unter 1.b der Entscheidungsgründe; vgl. ferner für den Fall erstmaliger Bilanzerstellung BFH-Urteil vom 30.10.1997 - IV R 76/96, BFH/NV 1998, 578). Dies erfordert für die Ermittlung des Einbuchungswertes eine „Schattenrechnung", bei der die bisher unberücksichtigt gebliebenen AfA-Beträge von den Anschaffungskosten abgesetzt werden (BFH-Urteil in BFHE 197, 105, BStBl. II 2002, 75). Weil das betreffende Wirtschaftsgut in den Bilanzen der Vorjahre nicht aktiviert war, gibt es insoweit keinen Bilanzenzusammenhang mit der Bilanz für das Jahr der Einbuchung, der die rechnerisch folgerichtige Fortentwicklung eines Bilanzwertes gebieten könnte.

24        c) Wegen des Prinzips der Gesamtgewinngleichheit, wonach die Art der Gewinnermittlung zwar zu unterschiedlichen Periodengewinnen führen kann, die Identität des Totalgewinns von Beginn bis Ende des Betriebes aber gewahrt bleiben muss (BFH-Urteile in BFH/NV 2008, 365; vom 15.4.1999 - IV R 68/98, BFHE 188, 291, BStBl. II 1999, 481, BB 1999, 1423 Ls, m. w. N.; vgl. ferner BFH-Urteil vom 2.10.2003 - IV R 13/03, BFHE 203, 373, BStBl. II 2004, 985, BB 2003, 2724, m. w. N. aus der Literatur; Schmidt/Heinicke, a. a. O., § 4 Rz. 10; vgl. ferner Blümich/Wied, § 4 EStG Rz. 58; Drüen, FR 1999, 1097), ist auch bei Gewinnermittlung durch Einnahme-Überschuss-Rechnung nach § 4 Abs. 3 EStG die AfA in demselben Umfange vorzunehmen wie bei der Gewinnermittlung durch Betriebsvermögensvergleich. Das hat auch zur Konsequenz, dass eine Minderung der AfA-Bemessungsgrundlage bei verspäteter Zuordnung eines Wirtschaftsgutes zum Betriebsvermögen bei beiden Gewinnermittlungsarten gleich ausfallen muss.

25        2. Da die Vorentscheidung auf einer anderen Rechtsauffassung beruht, ist sie aufzuheben. Die Klage ist abzuweisen. Das Patent des früheren Klägers ist erst infolge der tatsächlichen Verständigung der Beteiligten als Wirtschaftsgut des Betriebsvermögens erfasst worden. Wegen der Bestandskraft der Steuerfestsetzungen für die Veranlagungszeiträume bis einschließlich 1996 konnte die abschnittsbezogene AfA nach § 7 Abs. 1 S. 1 EStG für jene Jahre nicht mehr vorgenommen werden. Die nachholende steuerliche Berücksichtigung der auf jene Jahre entfallenden AfA-Beträge im Rahmen der Wertermittlung des Betriebsvermögens nach § 18 Abs. 3 i. V. m. § 16 Abs. 2 S. 2 EStG kommt nicht mehr in Betracht.

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