BGH: Urlaubsgeld fällt nicht in die Insolvenzmasse
BGH, Beschluss vom 26.4.2012 - IX ZB 239/10
Leitsatz
Urlaubsgeld fällt nicht in die Insolvenzmasse, soweit es den Rahmen des Üblichen in gleichartigen Unternehmen nicht übersteigt; dies gilt auch dann, wenn das Urlaubs-geld in den vorgegebenen Grenzen eine erhebliche Höhe erreicht.
Sachverhalt
I.
Durch Beschluss des Insolvenzgerichts vom 28. Januar 2009 wurde auf Eigenantrag des Schuldners das Insolvenzverfahren über dessen Vermögen eröffnet und der weitere Beteiligte zum Insolvenzverwalter bestellt. Dieser bean-tragte beim Insolvenzgericht, 50 vom Hundert des Urlaubsgeldes, das dem Schuldner im Monat Juni 2010 in Höhe von 3.377,88 € zustand, für pfändbar zu erklären.
Das Insolvenzgericht hat dem Antrag stattgegeben. Auf die sofortige Be-schwerde des Schuldners hat das Landgericht den Beschluss des Amtsgerichts geändert und das Urlaubsgeld insgesamt für unpfändbar erklärt. Mit der vom Landgericht zugelassenen Rechtsbeschwerde begehrt der weitere Beteiligte die Wiederherstellung des amtsgerichtlichen Beschlusses.
Aus den Gründen
II.
Die statthafte Rechtsbeschwerde (§ 574 Abs. 1 Satz 1 Nr. 2 ZPO, §§ 4, 36 Abs. 1, Abs. 4 InsO iVm § 850a Nr. 2 ZPO) ist auch im Übrigen zulässig (§ 574 Abs. 3 Satz 2, § 575 ZPO). Sie hat jedoch in der Sache keinen Erfolg.
1. Das Beschwerdegericht hat gemeint, nach § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO, § 850a Nr. 2 ZPO sei Urlaubsgeld unpfändbar, soweit es den Rahmen des Üb-lichen nicht übersteige. Dies sei hier nicht der Fall. Abzustellen sei nicht darauf, welche Summe in Deutschland durchschnittlich an Urlaubsgeld bezahlt werde, sondern darauf, was vergleichbare Unternehmen bei vergleichbarem Anlass ihren Arbeitnehmern zukommen ließen. Das übliche Urlaubsgeld in der Bran-che, in der der Schuldner tätig sei, sei höher als das gezahlte Urlaubsgeld. Dass es in der derzeitigen wirtschaftlichen Lage möglicherweise nicht mehr all-gemein üblich sei, Urlaubsgeld zu zahlen, sei unerheblich. Zwar gebiete der Zweck des § 36 Abs. 1 InsO im vorliegenden Fall nicht die völlige Freigabe des Urlaubsgeldes, weil diesem selbst bei dem beantragten Abzug von 50 vom Hundert ein Nettoeinkommen von 4.655 € für Juni 2010 verbleibe. § 36 Abs. 1 InsO sehe aber keine Sonderregelung für einkommensstarke Schuldner vor, sondern erkläre § 850a ZPO uneingeschränkt für anwendbar.
2. Diese Ausführungen halten rechtlicher Prüfung stand. Das streitige Urlaubsgeld des Schuldners ist in vollem Umfang unpfändbar, weil es den Rahmen des Üblichen nicht übersteigt.
a) Gegenstände, die nicht der Zwangsvollstreckung unterliegen, gehören nach § 36 Abs. 1 Satz 1 InsO nicht zur Insolvenzmasse. § 850a ZPO ist gemäß § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO entsprechend anwendbar.
Nach § 850a Nr. 2 ZPO sind unpfändbar die für die Dauer eines Urlaubs über das Einkommen hinaus gewährten Bezüge, soweit sie den Rahmen des Üblichen nicht übersteigen. Bei dem hier streitigen Betrag handelt es sich um ein solches Urlaubsgeld, weil es sich um eine entsprechende Zusatzvergütung handelt. Das steht zwischen den Parteien nicht in Streit.
b) Die Höhe des Urlaubsgeldes hält sich nach den Feststellungen des Beschwerdegerichts im Rahmen des Üblichen bei vergleichbaren Unternehmen der Metallindustrie, in der der Schuldner tätig ist. Das wird von der Rechtsbe-schwerde ebenfalls nicht in Frage gestellt.
c) Sinn und Zweck der Regelung des § 850a Nr. 2 ZPO erfordern und ermöglichen keine Auslegung, wonach Teile des Urlaubsgeldes gleichwohl pfändbar seien.
Die Unpfändbarkeit des Urlaubsgeldes ist aus sozialen Gründen ange-ordnet (vgl. Stein/Jonas/Brehm, ZPO, 22. Aufl., § 850a ZPO Rn. 1) und folgt aus der Zweckgebundenheit der Leistung; es wird aus besonderem Anlass ge-währt, daher soll es auch dem Arbeitnehmer zukommen (Stöber, Forderungs-pfändung, 15. Aufl., Rn. 985; Musielak/Becker, ZPO, 9. Aufl., § 850a Rn. 3; Baumbach/Lauterbach/Albers, Hartmann, ZPO, 70. Aufl., § 850a Rn. 4; Stein/ Jonas/Brehm, aaO Rn. 12; Zöller/Stöber, ZPO, 29. Aufl., § 850a Rn. 3). § 850a Nr. 2 InsO erfasst das Urlaubsgeld, ohne dass es darauf ankommt, ob der Ar-beitnehmer das Geld tatsächlich in entsprechender Höhe für urlaubsbedingte Mehraufwendungen ausgibt (Kessal-Wulf in Schuschke/Walker, Vollstreckung und vorläufiger Rechtsschutz, 5. Aufl., § 850a Rn. 3).
Durch die Beschränkung auf den Rahmen des Üblichen soll eine Lohnverschleierung verhindert werden (Prütting/Gehrlein/Ahrens, ZPO, 3. Aufl., § 850a Rn. 8), also eine Umgehung des § 850c ZPO auf dem Weg, dass das pfändbare Einkommen zugunsten unpfändbaren Einkommens vermindert wird (Stein/Jonas/Brehm, aaO Rn. 13; Stöber, aaO Rn. 990). Die Üblichkeit ist an-hand der Verhältnisse in gleichartigen Unternehmen zu prüfen (Prütting/ Gehrlein/Ahrens, aaO Rn. 8; Stöber, aaO Rn. 986, 990; Musielak/Becker, aaO Rn. 3; Thomas/Putzo/Seiler, ZPO, 32. Aufl., § 850a Rn. 3; Zöller/Stöber, aaO Rn. 6; Zimmermann, ZPO, 8. Aufl., § 850a Rn. 3; MünchKomm-ZPO/Smid, 3. Aufl., § 850a Rn. 7; Stein/Jonas/Brehm, aaO Rn. 12; Wieczorek/Schütze/ Lüke, ZPO, 3. Aufl., § 850a Rn. 12). Anhand dieses Maßstabes hat das Be-schwerdegericht die Üblichkeit festgestellt. Eine Umgehung des § 850c ZPO ist nicht gegeben.
d) Die Grenze von 500 €, die nach § 850a Nr. 4 ZPO gilt, ist nach der klaren gesetzlichen Beschränkung dieser Grenze auf den Sonderfall von Weih-nachtsvergütungen nicht auf das Urlaubsgeld nach Nr. 2 übertragbar (Musielak/Becker, aaO Rn. 3; Zöller/Stöber, aaO Rn. 6; MünchKomm-ZPO/ Smid, aaO Rn. 7; Wieczorek/Schütze/Lüke, aaO § 850a Rn. 13; a.A. Thomas/ Putzo/Seiler, aaO Rn. 3).
e) Soweit sich die Rechtsbeschwerde auf die Entscheidung des Senats vom 24. September 2009 (IX ZR 189/08, ZIP 2010, 293 Rn. 14) zu § 850b ZPO beruft und im Rahmen einer Billigkeitsentscheidung eine Gesamtabwägung zwischen den Interessen des Schuldners und der Gläubiger verlangt, die zu einer Einschränkung des Pfändungsschutzes für das Urlaubsgeld führen müs-se, übersieht sie, dass § 850b Abs. 2 ZPO eine solche Billigkeitsentscheidung vorsieht. § 850a ZPO eröffnet demgegenüber für eine solche Abwägung keinen Raum.
f) Ob der im Umfang des geltenden Rechts angeordnete Schutz des Ur-laubsgeldes rechtspolitisch angemessen und aufrechtzuerhalten ist, hat der Gesetzgeber zu entscheiden. Solange die derzeit geltende Fassung des § 850a Nr. 2 ZPO in Kraft ist, ist sie von den Gerichten anzuwenden, mag auch bei ho-hen Einkommen und Urlaubsgeldern im Verhältnis zu nicht privilegierten Gläu-bigern der Pfändungsschutz unangemessen großzügig erscheinen, zumal sol-che Gläubiger gegenüber dem Fiskus und den Sozialversicherungsträgern in-soweit benachteiligt werden, als das Urlaubsgeld steuer- und sozialversiche-rungspflichtiges Arbeitsentgelt darstellt.
Der Bundesrat hat den Entwurf eines Gesetzes zur Neustrukturierung und Modernisierung des Pfändungsschutzes vorgelegt (BT-Drucks. 17/2167) und darin entsprechende Änderungen vorgeschlagen (vgl. insbesondere S. 17 f zu Nr. 5) mit der - soweit hier einschlägig - Begründung, der bestehende um-fassende Pfändungsschutz für das Urlaubsgeld sei nicht gerechtfertigt. Die Bundesregierung hat das Grundanliegen des Entwurfes begrüßt, aber zahlrei-che Einzelbedenken erhoben (vgl. Drucks., aaO S. 28). Das Ergebnis des ein-geleiteten Gesetzgebungsverfahrens ist abzuwarten; der Entscheidung des Ge-setzgebers kann nicht vorgegriffen werden.
f) Die besonderen Belange des Insolvenzverfahrens rechtfertigen keine andere Beurteilung. § 36 Abs. 1 Satz 2 InsO nimmt in vollem Umfang auf § 850a ZPO Bezug. Die Pfändbarkeit des Anspruchs entspricht dem Umfang seiner Zugehörigkeit zur Masse. Die sozialpolitischen Erwägungen, die die Re-gelung zum Pfändungsschutz in der Einzelzwangsvollstreckung tragen, sind durch diese Verweisung auch im Insolvenzverfahren maßgebend (FK-InsO/ Schumacher, 6. Aufl., § 36 Rn. 1, 16; HK-InsO/Keller, 6. Aufl., § 36 Rn. 57; Ahrens/Gehrlein/Ringstmeier, InsO § 36 Rn. 63).