BAG: Tarifliche Zuschläge für Nachtarbeit – unterschiedliche Höhe bei regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit – Gleichheitssatz – Sachgrund – Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit
BAG, Urteil vom 23.8.2023 – 10 AZR 108/21
ECLI:DE:BAG:2023:230823.U.10AZR108.21.0
Volltext: BB-Online BBL2023-2739-1
Orientierungssätze
1. Ist nach Auslegung nicht erkennbar, welchen Anwendungsbereich eine Tarifnorm hat, verstößt sie gegen das Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit und ist daher unwirksam. Aus einer unwirksamen Tarifnorm können keine Ansprüche erwachsen. Sie kann deshalb auch nicht herangezogen werden, um eine Ungleichbehandlung zu begründen (Rn. 35 ff.).
2. Erhalten Arbeitnehmer, die regelmäßige Nachtarbeit leisten, und Arbeitnehmer, die unregelmäßige Nachtarbeit versehen, dafür unterschiedlich hohe Zuschläge, sind beide Arbeitnehmergruppen miteinander vergleichbar und werden ungleich behandelt (Rn. 50 ff.).
3. Eine Ungleichbehandlung durch unterschiedlich hohe Zuschläge für Nachtarbeit verstößt dann nicht gegen den Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG, wenn hierfür ein aus dem Tarifvertrag erkennbarer sachlicher Grund besteht. Dieser kann im Ausgleich der schlechteren Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit liegen (Rn. 57 f., 68 ff.).
Sachverhalt
Die Parteien streiten über die Höhe tariflicher Nachtarbeitszuschläge.
Der Kläger leistete im streitgegenständlichen Zeitraum Nachtarbeit bei der Beklagten, einem in N mit der Produktion von Zink und Zinklegierungen befassten Unternehmen. Im Arbeitsverhältnis der Parteien galt kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit der Manteltarifvertrag zwischen NORDMETALL, Verband der Metall- und Elektroindustrie e. V., Hamburg, und der IG Metall, Bezirk Küste, Hamburg, für das Nordwestliche Niedersachsen (Bezirksgruppe Nord-West) vom 3. Juli 2008/8. Februar 2018 in der für das Gebiet Oldenburg bis zum 31. März 2020 maßgeblichen Fassung (MTV).
Der MTV enthielt unter anderem folgende Regelungen:
„§ 3
Arbeitszeit
…
6. Dreischicht-Pause
Wird in 3 Schichten ohne feste Betriebspause gearbeitet, so ist den Beschäftigten ausreichend Gelegenheit zum Einnehmen der Mahlzeit ohne Entgeltabzug zu gewähren.
…
§ 6
Nacht-, Sonntags-, Feiertags- und Mehrarbeit
…
Oldenburg
1. Nachtarbeit
Als Nachtzeit gilt die Zeit von 21.00 Uhr bis 06.00 Uhr.
…
3. Mehrarbeit
3.1 Positive Definition
Mehrarbeit sind die über die nach § 3 festgelegte tägliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit hinaus zu leistenden Arbeitsstunden.
…
§ 7
Zuschläge
…
Oldenburg
1. Höhe der Zuschläge
Die Zuschläge betragen bei:
1.1 Mehrarbeit
a. für die erste und zweite Mehrarbeitsstunde
25 %
b. für weitere Stunden
40 %
1.2 Nachtarbeit
a. regelmäßige Nachtarbeit (mindestens eine Arbeitswoche oder regelmäßig wiederkehrend)
15 %
b. unregelmäßige Nachtarbeit
30 %
c. Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt
50 %
1.3 Sonntagsarbeit
a. für Sonntagsarbeit
50 %
b. für Arbeit an Feiertagen, soweit sie auf einen Sonntag fallen
100 %
1.4 Feiertagsarbeit
a. für Arbeit an gesetzlichen Wochenfeiertagen
150 %
b. für Arbeit an Feiertagen, soweit sie auf einen Sonntag oder arbeitsfreien Wochentag fallen
100 %
2. Geldgrundsatz
Mehrarbeitszuschläge sind grundsätzlich in Geld zu vergüten.
3. Mehrere Zuschläge
Treffen mehrere Zuschläge zusammen, so ist nur der jeweils höhere Zuschlag zu zahlen. Ausgenommen hiervon ist in Schichtbetrieben der Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit, der neben den Zuschlägen für Mehrarbeit an Sonn- und Feiertagen gezahlt wird.
4. Berechnung
Die Zuschläge werden vom Durchschnittsstundenverdienst gemäß § 8 dieses Vertrages berechnet.“
Der Kläger verrichtete von Oktober 2018 bis April 2019 regelmäßige Nachtarbeit im tarifvertraglichen Sinn, für die er einen Zuschlag in Höhe von 15 % erhielt.
Mit seiner Klage begehrt der Kläger – nach erfolgloser außergerichtlicher Geltendmachung – für die geleistete Nachtarbeit die Zahlung weiterer Nachtarbeitszuschläge in Höhe der Differenz zwischen dem gezahlten tariflichen Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit in Höhe von 15 % und dem tariflichen Zuschlag für Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt, in Höhe von 50 % des Durchschnittsstundenverdienstes.
Er hat die Auffassung vertreten, der Anspruch ergebe sich aus § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV iVm. dem allgemeinen Gleichheitssatz aus Art. 3 Abs. 1 GG. Nach der tariflichen Regelung erhielten Arbeitnehmer – trotz Vergleichbarkeit der Arbeitnehmergruppen – für regelmäßige Nachtarbeit Zuschläge von nur 15 %, für unregelmäßige Nachtarbeit Zuschläge von 30 % sowie für Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt, Zuschläge von 50 %, ohne dass für diese Ungleichbehandlung ein sachlicher Grund gegeben sei. Der vorrangig zu beachtende Gesundheitsschutz rechtfertige die Ungleichbehandlung nicht; andere Aspekte als dieser könnten bei Nachtarbeit höhere Zuschläge nicht rechtfertigen. Zudem sei die Teilhabe am sozialen Leben auch bei regelmäßiger Nachtarbeit deutlich erschwert. Planbarkeit könne sowohl bei regel- als auch bei unregelmäßiger Nachtarbeit vorliegen oder fehlen. Ein Zuschlag von nur 15 % für regelmäßige Nachtarbeit sei nicht vom Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien gedeckt, er verteuere die Nachtarbeit nicht ausreichend. Außerdem sei dieser Gestaltungsspielraum mit Blick darauf eingeschränkt, dass tarifvertragliche Regelungen für Nachtarbeitszuschläge der Durchführung von Unionsrecht iSv. Art. 51 Abs. 1 Satz 1 der Charta der Grundrechte der Europäischen Union (GRC) dienten und insoweit an Art. 20 und Art. 31 Abs. 1 GRC zu messen seien.
§ 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV habe auch einen Anwendungsbereich. Die Beklagte leiste an Mitarbeiter, die regelmäßig Nachtschicht erbrächten, Zuschläge von 15 %. Mitarbeiter, die „außer der Reihe“ zur Nachtarbeit herangezogen würden, erhielten einen Zuschlag von 30 % und Mitarbeiter, die an sich ausschließlich in Tagschichten tätig würden, erhielten für Nachtschichten Zuschläge in Höhe von 50 %.
Der Kläger hat beantragt, die Beklagte zu verurteilen, an ihn
1. 301,34 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. November 2018,
2. 531,96 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. Dezember 2018,
3. 304,75 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. Januar 2019,
4. 428,14 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. Februar 2019,
5. 534,43 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. März 2019,
6. 278,20 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. April 2019 und
7. 499,00 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit 1. Mai 2019
zu zahlen.
Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Die tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstießen nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Die Gruppen der Arbeitnehmer, die regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verrichteten, seien schon nicht vergleichbar. Zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit bestehe zudem ein Regel-Ausnahmeverhältnis, weil regelmäßige Nachtarbeit sehr viel häufiger anfalle als unregelmäßige Nachtarbeit. Die unterschiedliche Höhe der Nachtarbeitszuschläge überschreite auch nicht den Gestaltungsspielraum der Tarifvertragsparteien. Die Zuschlagsdifferenz verringere sich außerdem durch die Regelungen zur bezahlten Essenspause. Ferner werde der Zuschlag bereits ab 21:00 Uhr und damit zwei Stunden vor Beginn der Nachtzeit nach dem Arbeitszeitgesetz gezahlt. Er solle auch nicht nur die Erschwernis für die Arbeit in der Nacht ausgleichen, sondern kompensieren, dass die betroffenen Arbeitnehmer die Möglichkeit verlören, über ihre Freizeit zu disponieren. Arbeitgeber sollten von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abgehalten werden. Außerdem sei die Teilhabe am sozialen Leben, etwa die Organisation der Kinderbetreuung, bei unregelmäßiger Nachtarbeit wesentlich schwerer zu organisieren. Der Zuschlag nach § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV stelle schon keinen Zuschlag für Nachtarbeit dar, sondern diene dem Ausgleich von Mehrarbeit in der Nacht. Den Zuschlag erhielten nur Mitarbeiter, die ihre Sollzeit überschritten hätten und in der Nacht eingesetzt würden. Die Formulierung „weder regelmäßig noch unregelmäßig“ beruhe allein auf steuerrechtlichen Gesichtspunkten. Im Übrigen komme ein Zuschlag in Höhe von 50 % nur äußerst selten vor. Schließlich sei eine „Anpassung nach oben“ abzulehnen.
Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zurückgewiesen und die Revision zugelassen. Mit dieser verfolgt der Kläger seine Zahlungsansprüche weiter.
Der Senat hat das Revisionsverfahren im Hinblick auf zwei Vorabentscheidungsersuchen zum Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) gemäß Art. 267 des Vertrags über die Arbeitsweise der Europäischen Union (AEUV) ausgesetzt. Der EuGH hat auf die dort gestellte Frage mit Urteil vom 7. Juli 2022 geantwortet (- C-257/21 und C-258/21 – [Coca-Cola European Partners Deutschland]).
Aus den Gründen
12 Die Revision des Klägers ist unbegründet. Die Vorinstanzen haben zu Recht entschieden, dass er für den streitgegenständlichen Zeitraum keine weiteren Nachtarbeitszuschläge für die während der Nachtschichten geleisteten Arbeitsstunden verlangen kann.
13 I. Die Klage ist zulässig.
14 1. Zwar ist die Klageschrift weder unterschrieben noch findet sich ein Nachweis über deren ordnungsgemäße Zustellung in der Akte. Beides führt jedoch nicht dazu, dass die Klage unzulässig ist. Der Prozessbevollmächtigte des Klägers hat in seiner unterschriebenen Replik auf die Klageschrift Bezug genommen und dadurch den Mangel der fehlenden Unterschriftsleistung mit ex-nunc-Wirkung behoben (vgl. BAG 30. Juli 2020 – 2 AZR 43/20 – Rn. 18, BAGE 172, 18; BGH 3. Juni 1987 – VIII ZR 154/86 – zu II 2 a der Gründe, BGHZ 101, 134). Die fehlende Zustellung ist durch den tatsächlichen Zugang der Klageschrift geheilt (§ 189 ZPO).
15 2. Die Klage ist hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Der Kläger hat für jeden Monat des streitgegenständlichen Zeitraums die Anzahl der geleisteten Nachtarbeitsstunden angegeben und die Klageforderung ausgehend vom tariflichen Bruttostundenlohn mit der geltend gemachten Differenz von 35 Prozentpunkten für die geleisteten Nachtarbeitsstunden berechnet. Damit ist die Klage in Bezug auf jeden Monat, für den der Kläger höhere Nachtarbeitszuschläge verlangt, als abschließende Gesamtklage zu verstehen und hinreichend bestimmt (vgl. BAG 25. Mai 2022 – 10 AZR 230/19 – Rn. 14 mwN; 21. März 2018 – 10 AZR 34/17 – Rn. 13, BAGE 162, 230).
16 II. Die Klage ist unbegründet. Der Kläger kann von der Beklagten keine weiteren Nachtarbeitszuschläge für den streitgegenständlichen Zeitraum verlangen. Ein solcher Anspruch steht ihm weder unmittelbar aus dem MTV noch wegen eines Verstoßes der Bestimmungen des MTV gegen Art. 3 Abs. 1 GG zu.
17 1. Ein Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag ergibt sich nicht unmittelbar aus den Regelungen des MTV.
18 a) Der MTV gilt im Arbeitsverhältnis der Parteien kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit unmittelbar und zwingend (§ 3 Abs. 1, § 4 Abs. 1 TVG).
19 b) Nach § 7 Nr. 1.2 Buchst. a MTV ist für regelmäßige Nachtarbeit (mindestens eine Arbeitswoche oder regelmäßig wiederkehrend) ein Zuschlag von 15 % zu zahlen. Für unregelmäßige Nachtarbeit ist nach § 7 Nr. 1.2 Buchst. b MTV ein Zuschlag von 30 % zu leisten. Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt, ist nach § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV mit einem Zuschlag von 50 % des Durchschnittsstundenverdienstes zu vergüten. Da es sich bei der vom Kläger geleisteten Nachtarbeit um regelmäßige Nachtarbeit iSv. § 7 Nr. 1.2 Buchst. a MTV handelt, hat er nach den Regelungen des MTV nur Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 15 % des Durchschnittsstundenverdienstes (§ 7 Nr. 4 MTV). Davon gehen auch die Parteien übereinstimmend aus.
20 2. Der Kläger hat auch keinen Anspruch auf einen höheren Nachtarbeitszuschlag – weder in Höhe von 50 % noch in Höhe von 30 % – wegen eines Verstoßes der tariflichen Differenzierung gegen Art. 3 Abs. 1 GG und einer daraus folgenden Anpassung „nach oben“. Die Regelungen des MTV stellen einen angemessenen Ausgleich für die Belastungen durch regelmäßige Nachtarbeit dar und haben Vorrang vor dem gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG. In Bezug auf die Regelung in § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV kann schon deshalb keine gleichheitswidrige Schlechterstellung vorliegen, weil die Tarifnorm dem Gebot der Normenklarheit nicht genügt. Sie ist deshalb unwirksam, kann keine Ansprüche begründen und nicht als Bezugspunkt für die Geltendmachung einer Ungleichbehandlung herangezogen werden. Die Unterscheidung bei der Zuschlagshöhe für regelmäßige Nachtarbeit in § 7 Nr. 1.2 Buchst. a MTV einerseits und für unregelmäßige Nachtarbeit in § 7 Nr. 1.2 Buchst. b MTV andererseits verstößt nicht gegen den allgemeinen Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG. Arbeitnehmer, die regelmäßige Nachtarbeit leisten, werden gegenüber Arbeitnehmern, die unregelmäßige Nachtarbeit erbringen, nicht gleichheitswidrig schlechter gestellt. Für die Ungleichbehandlung bei der Höhe des Nachtarbeitszuschlags gibt es einen aus dem MTV erkennbaren sachlichen Grund, der diese rechtfertigt.
21 a) Die Tarifvertragsparteien sind nicht unmittelbar an Grundrechte gebunden, wenn sie tarifliche Normen setzen (st. Rspr., zB BAG 15. Juni 2021 – 9 AZR 413/19 – Rn. 33; 24. Februar 2021 – 10 AZR 108/19 – Rn. 26; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 26, BAGE 173, 205; 19. November 2020 – 6 AZR 449/19 – Rn. 21; 2. September 2020 – 5 AZR 168/19 – Rn. 21). Die Tarifautonomie ist darauf angelegt, die strukturelle Unterlegenheit der einzelnen Arbeitnehmer beim Abschluss von Arbeitsverträgen durch kollektives Handeln auszugleichen und damit ein annähernd gleichgewichtiges Aushandeln der Vergütungen und Arbeitsbedingungen zu ermöglichen (BVerfG 11. Juli 2017 – 1 BvR 1571/15 ua. – Rn. 146, BVerfGE 146, 71). Mit der Normsetzung auf Grundlage der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie üben die Tarifvertragsparteien daher keine delegierte Staatsgewalt aus. Sie nehmen vielmehr privatautonom ihre Grundrechte wahr, wobei ihre Normsetzung durch den in § 4 Abs. 1 TVG enthaltenen staatlichen Geltungsbefehl tariflicher Rechtsnormen getragen wird. Mit der kollektiv ausgeübten privatautonomen Ausgestaltung der Arbeitsbedingungen durch Tarifverträge ist eine unmittelbare Grundrechtsbindung der Tarifvertragsparteien nicht zu vereinbaren. Sie führte zu einer umfassenden Überprüfung tarifvertraglicher Regelungen am Maßstab der Verhältnismäßigkeit und damit zu einer „Tarifzensur“ durch die Arbeitsgerichte (BAG 19. Dezember 2019 – 6 AZR 563/18 – Rn. 19, BAGE 169, 163; 3. Juli 2019 – 10 AZR 300/18 – Rn. 17; ErfK/Schmidt 23. Aufl. GG Einl. Rn. 47).
22 b) Der allgemeine Gleichheitssatz des Art. 3 Abs. 1 GG bildet aber als fundamentale Gerechtigkeitsnorm eine ungeschriebene Grenze der Tarifautonomie. Der Schutzauftrag der Verfassung verpflichtet die Arbeitsgerichte dazu, gleichheitswidrige Differenzierungen in Tarifnormen zu unterbinden. Dementsprechend ist Tarifregelungen die Durchsetzung zu verweigern, die zu gleichheitswidrigen Differenzierungen führen (vgl. BAG 16. August 2022 – 9 AZR 490/21 – Rn. 20; 23. Februar 2021 – 3 AZR 618/19 – Rn. 39, BAGE 174, 116; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 27 ff. mwN auch zur Gegenauffassung, BAGE 173, 205; 19. November 2020 – 6 AZR 449/19 – Rn. 21; 29. September 2020 – 9 AZR 364/19 – Rn. 47, BAGE 172, 313; 27. Mai 2020 – 5 AZR 258/19 – Rn. 37; 19. Dezember 2019 – 6 AZR 563/18 – Rn. 23 ff., BAGE 169, 163; 3. Juli 2019 – 10 AZR 300/18 – Rn. 18; zust. Bayreuther NZA 2019, 1684, 1686). Diese Grenze ist zu beachten, obwohl Tarifnormen nicht selten Ergebnisse tarifpolitischer Kompromisse sind („Gesamtpaket“), und kann damit zur Beschränkung der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Rechte der Tarifvertragsparteien führen (vgl. BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 31 mwN, aaO; abl. Jacobs RdA 2023, 9, 15 ff.).
23 c) Bei der Erfüllung ihres verfassungsrechtlichen Schutzauftrags haben die Gerichte allerdings zu beachten, dass den Tarifvertragsparteien als selbständigen Grundrechtsträgern bei ihrer Normsetzung aufgrund der durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie ein weiter Gestaltungsspielraum zusteht. Sie bestimmen in diesem Rahmen nicht nur den Zweck einer tariflichen Leistung (BAG 29. September 2020 – 9 AZR 364/19 – Rn. 47, BAGE 172, 313; 19. Dezember 2018 – 10 AZR 231/18 – Rn. 34, BAGE 165, 1). Ihnen kommt auch eine Einschätzungsprärogative zu, soweit die tatsächlichen Gegebenheiten, die betroffenen Interessen und die Regelungsfolgen zu beurteilen sind (BAG 19. Dezember 2019 – 6 AZR 563/18 – Rn. 26, BAGE 169, 163; vgl. auch BT-Drs. 12/5888 zum Entwurf des ArbZG S. 20: „Ein wesentliches Ziel des Gesetzentwurfs ist es, den Tarifvertragsparteien … im Interesse eines praxisnahen, sachgerechten und effektiven Arbeitszeitschutzes mehr Befugnisse und mehr Verantwortung als bisher zu übertragen. Die Tarifvertragsparteien kennen die in den Betrieben zu leistende Arbeit und die für die Arbeitnehmer entstehenden zeitlichen Belastungen [größere Sachnähe der Tarifvertragsparteien …]. Sie können daher viel stärker differenzieren, …“). Darüber hinaus verfügen die Tarifvertragsparteien über einen Beurteilungs- und Ermessensspielraum hinsichtlich der inhaltlichen Gestaltung der Regelungen (BAG 16. Dezember 2020 – 5 AZR 143/19 (A) – Rn. 43, BAGE 173, 251). Die Gerichte dürfen nicht eigene Gerechtigkeitsvorstellungen an die Stelle von Bewertungen der zuständigen Koalitionen setzen. Die Tarifvertragsparteien sind nicht verpflichtet, die jeweils zweckmäßigste, vernünftigste oder gerechteste Lösung zu wählen. Es genügt, wenn für die getroffene Regelung ein sachlich vertretbarer Grund besteht (BAG 23. Februar 2021 – 3 AZR 618/19 – Rn. 40, BAGE 174, 116; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 41, BAGE 173, 205; 19. Dezember 2019 – 6 AZR 563/18 – aaO; 24. Oktober 2019 – 2 AZR 158/18 – Rn. 34, BAGE 168, 238; 15. April 2015 – 4 AZR 796/13 – Rn. 32, BAGE 151, 235).
24 Dies bedingt im Ergebnis eine deutlich zurückgenommene Prüfungsdichte durch die Gerichte (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 42, BAGE 173, 205). Ein Verstoß gegen das allgemeine Gleichheitsgrundrecht ist erst dann anzunehmen, wenn die Tarifvertragsparteien es versäumt haben, tatsächliche Gemeinsamkeiten oder Unterschiede der zu ordnenden Lebensverhältnisse zu berücksichtigen, die so bedeutsam sind, dass sie bei einer am Gerechtigkeitsgedanken orientierten Betrachtungsweise hätten beachtet werden müssen. Bei der Gruppenbildung dürfen sie generalisieren und typisieren. Allerdings müssen die Differenzierungsmerkmale im Normzweck angelegt sein und dürfen ihm nicht widersprechen. Auf abstrakt denkbare Zwecke kommt es dabei nicht an, sondern auf solche, die den Tarifnormen im Weg der Auslegung zu entnehmen sind. Diese können sich insbesondere aus den in der Regelung selbst normierten Voraussetzungen sowie den Ausschluss- und Kürzungstatbeständen ergeben, die die Tarifvertragsparteien unter Beachtung ihres Gestaltungsspielraums festgelegt haben (BAG 12. Oktober 2021 – 9 AZR 577/20 (B) – Rn. 34 mwN). Das gilt unabhängig davon, ob es sich um Verbandstarifverträge, unternehmensbezogene Verbandstarifverträge oder Tarifverträge mit einzelnen Arbeitgebern handelt.
25 d) Diese Grundsätze gelten im Ausgangspunkt auch für tarifvertragliche Regelungen über den Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit. Allerdings können solche tariflichen Regelungen den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG nur verdrängen, wenn sie unter Beachtung des Gesundheitsschutzes der Nachtarbeitnehmer tatsächlich einen angemessenen Ausgleich gewährleisten.
26 aa) Das Bundesverfassungsgericht hat für den Bereich der Nachtarbeit erkannt, dass der Gesetzgeber verpflichtet ist, den Schutz der Arbeitnehmer vor den schädlichen Folgen der Nachtarbeit zu regeln. Eine solche Regelung war notwendig, um dem objektiven Gehalt der Grundrechte, insbesondere dem Recht auf körperliche Unversehrtheit aus Art. 2 Abs. 2 Satz 1 GG, zu genügen. Für dieses Grundrecht besteht eine staatliche Schutzpflicht. Dem Gesetzgeber kommt dabei ein weiter Einschätzungs-, Wertungs- und Gestaltungsfreiraum zu, um die Schutzpflicht zu erfüllen (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 ua. – zu C III 3 der Gründe, BVerfGE 85, 191; BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 44, BAGE 173, 205).
27 bb) Der Gesetzgeber ist dem Schutzauftrag mit § 6 Abs. 5 ArbZG nachgekommen. Die Norm überantwortet die Schaffung von Ausgleichsregelungen für geleistete Nachtarbeit wegen ihrer größeren Sachnähe vorrangig den Tarifvertragsparteien. Die gesetzlichen Ansprüche greifen nur subsidiär (vgl. BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 45 mwN, BAGE 173, 205). Auch bei solchen tarifvertraglichen Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit handelt es sich aber um originär ausgeübte Tarifautonomie (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 46, aaO; aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 21). Der verfassungsrechtlich gewährleistete Schutz der Koalitionsfreiheit ist nicht auf den Bereich des Unerlässlichen beschränkt. Er geht über den Kernbereich des Art. 9 Abs. 3 GG hinaus und erstreckt sich auf alle koalitionsspezifischen Verhaltensweisen (BVerfG 12. Juni 2018 – 2 BvR 1738/12 ua. – Rn. 115 mwN, BVerfGE 148, 296).
28 cc) Die Tarifvertragsparteien sind frei in ihrer Entscheidung, ob sie einen tariflichen Ausgleich für erbrachte Nachtarbeit regeln wollen. Dies gilt sowohl im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG als auch darüber hinaus. So können sie beispielsweise die Nachtzeit gegenüber den Bestimmungen des ArbZG erweitern oder auch Arbeitnehmern, die keine Nachtarbeitnehmer nach § 2 Abs. 5 ArbZG sind, einen Ausgleichsanspruch gewähren. Entscheiden sie sich aber im Anwendungsbereich des § 6 Abs. 5 ArbZG dafür, eine Regelung zu treffen, sind sie – anders als regelmäßig sonst bei der Gewährung tariflicher Leistungen – in einem gewissen Maß inhaltlich gebunden. Sie haben zu beachten, dass der Gesundheitsschutz beim Ausgleich der Belastungen durch Nachtarbeit im Vordergrund steht und diesem Genüge getan werden muss. Die tarifliche Regelung muss die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 72 mwN, BAGE 173, 165; 13. Dezember 2018 – 6 AZR 549/17 – Rn. 18; 17. Januar 2012 – 1 ABR 62/10 – Rn. 15 mwN; 18. Mai 2011 – 10 AZR 369/10 – Rn. 18; Baeck/Deutsch/Winzer ArbZG 4. Aufl. § 6 Rn. 83; BeckOK ArbSchR/Höfer Stand 1. Juli 2023 ArbZG § 6 Rn. 52, 54; BeckOK ArbR/Kock Stand 1. Juni 2023 ArbZG § 6 Rn. 25 f.; Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 269; Kohte FS Buschmann 2014 S. 71, 81; Raab ZFA 2014, 237, 244; J. Ulber AuR 2020, 157, 161 f.; aA Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 26 f.; wohl auch Neumann/Biebl ArbZG 16. Aufl. § 6 Rn. 26). Nur dann kann die tarifliche Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG hinsichtlich des die Nachtarbeit leistenden Arbeitnehmers verdrängen. Das folgt schon aus dem Wortsinn des Begriffs „Ausgleichsregelung“ in § 6 Abs. 5 ArbZG und entspricht dem Sinn und Zweck des Gesundheitsschutzes (BAG 17. Januar 2012 – 1 ABR 62/10 – aaO).
29 dd) Bei der näheren Ausgestaltung, wie eine solche angemessene Kompensation erfolgen soll, sind die Tarifvertragsparteien hingegen im Rahmen der Tarifautonomie freier als der unmittelbar an § 6 Abs. 5 ArbZG gebundene Arbeitgeber. Ihnen kommt ein Beurteilungsspielraum zu, wie sie den Ausgleich für die Nachtarbeit regeln wollen (BAG 18. Mai 2011 – 10 AZR 369/10 – Rn. 18; HK-ArbZeitR/Lorenz 2. Aufl. ArbZG § 6 Rn. 127). § 6 Abs. 5 ArbZG sieht für tarifliche Regelungen keine konkreten Mindestvorgaben vor. Erforderlich, aber auch ausreichend ist, dass die tarifvertragliche Regelung den mit § 6 Abs. 5 ArbZG verfolgten Zwecken (vgl. dazu zuletzt BAG 25. Mai 2022 – 10 AZR 230/19 – Rn. 28, 36 mwN) bei einer Gesamtbetrachtung gerecht wird. Die Tarifvertragsparteien sind deshalb auch nicht an die von der Rechtsprechung entwickelten Regelwerte für gesetzliche Nachtarbeitszuschläge gebunden (aA Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 14; J. Ulber AuR 2020, 157, 162 f.).
30 ee) Soweit tarifvertragliche Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit einen Anspruch auf bezahlten Freizeitausgleich begründen, tritt unmittelbar eine gesundheitsschützende Wirkung in den Fällen ein, in denen sich die Dauer der Arbeitszeit für den Arbeitnehmer durch den bezahlten Freizeitausgleich insgesamt verringert und er zeitnah gewährt wird. Nachtarbeitszuschläge wirken sich dagegen nicht positiv auf die Gesundheit des betroffenen Arbeitnehmers aus. Der individuelle Gesundheitsschaden wird über den Zuschlag kommerzialisiert. Die Arbeitsleistung des Arbeitnehmers wird verteuert, um auf diesem Weg allgemein Nachtarbeit einzudämmen, wodurch die Gesundheit mittelbar geschützt wird. Außerdem soll der Nachtarbeitszuschlag den Arbeitnehmer in einem gewissen Umfang für die erschwerte Teilhabe am sozialen Leben entschädigen (vgl. BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 48 mwN, BAGE 173, 205).
31 e) Unter Berücksichtigung dieser Grundsätze haben die Tarifvertragsparteien für Beschäftigte, die – wie der Kläger – regelmäßige Nachtarbeit leisten, im MTV Regelungen geschaffen, die den Zwecken des § 6 Abs. 5 ArbZG gerecht werden und die mit der Nachtarbeit verbundenen Belastungen angemessen kompensieren. Damit werden die gesetzlichen Ausgleichsansprüche für die streitgegenständlichen Nachtarbeitszeiten verdrängt.
32 aa) Ob im jeweiligen Tarifvertrag ein angemessener Ausgleich für die Belastungen durch die Nachtarbeit vorgesehen ist und die entsprechende Regelung den gesetzlichen Ausgleichsanspruch nach § 6 Abs. 5 ArbZG verdrängt, ist jeweils anhand der betroffenen Arbeitnehmergruppe – hier die Arbeitnehmer, die regelmäßige Nachtarbeit leisten – und der konkreten Arbeitssituation, die im Streit steht, zu prüfen. Eine Gesamtbetrachtung des Tarifvertrags im Hinblick auf seinen persönlichen Geltungsbereich ist nicht vorzunehmen. Eine solche würde auf der einen Seite nicht sicherstellen, dass für jeden einzelnen Nachtarbeitnehmer iSd. ArbZG ein angemessener tariflicher Ausgleichsanspruch besteht. Auf der anderen Seite kann der Umstand, dass es für einzelne Arbeitnehmergruppen an einem angemessenen Ausgleich fehlt (vgl. zu einer solchen Fallgestaltung zB BAG 18. Mai 2011 – 10 AZR 369/10 -) nicht dazu führen, dass tarifliche Regelungen, die für andere Gruppen einen angemessenen Ausgleich beinhalten, entgegen § 6 Abs. 5 ArbZG der Vorrang verwehrt wird.
33 bb) Danach wird § 6 Abs. 5 ArbZG im Hinblick auf Beschäftigte, die regelmäßige Nachtarbeit (mindestens eine Arbeitswoche oder regelmäßig wiederkehrend) leisten, durch die streitgegenständliche tarifliche Regelung verdrängt. Diese erhalten einen tariflichen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 15 % des Durchschnittsstundenverdienstes (§ 7 Nr. 1.2 Buchst. a MTV) ohne weitere Ausgleichsleistungen (wie zB bezahlte Freischichten). Gleichwohl haben die Tarifvertragsparteien mit der Zuschlagsregelung für die regelmäßige Nachtarbeit einen hinreichenden Ausgleich für die mit der Nachtarbeit verbundene Erschwernis geschaffen. Der Zuschlag in Höhe von 15 % liegt zwar an der unteren Grenze einer angemessenen Kompensation, wenn es sich um Arbeitsleistung handelt, die einer normalen Belastung durch die Nachtarbeit unterliegt und bei der keine besonderen Umstände vorliegen, die auf eine geringere Belastung schließen lassen (BAG 22. Februar 2023 – 10 AZR 397/20 – Rn. 32 mwN). Unter Berücksichtigung des Beurteilungsspielraums der Tarifvertragsparteien wird die Regelung für Beschäftigte, die regelmäßige Nachtarbeit leisten, dem Zweck des § 6 Abs. 5 ArbZG aber noch gerecht.
34 cc) Soweit der Kläger darauf verweist, dass eine Regelung, die für regelmäßige Nachtarbeit geringere Zuschläge gewährt als für unregelmäßige Nachtarbeit, die gesetzliche Zielsetzung missachte und deshalb unwirksam sei, vermag dies nicht zu überzeugen (so aber zB auch J. Ulber AuR 2020, 157, 163). Dies vermengt die Frage der Angemessenheit des Ausgleichs mit der Frage der Gleichbehandlung. Die Frage der Angemessenheit iSv. § 6 Abs. 5 ArbZG richtet sich aber nicht danach, ob andere Arbeitnehmer den gleichen oder ggf. einen höheren Nachtarbeitszuschlag erhalten.
35 f) Die Regelung in § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV, wonach für „Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt“ ein Anspruch auf einen Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % des Durchschnittsstundenverdienstes besteht, ist entgegen der Auffassung des Klägers bereits nicht geeignet, eine gleichheitswidrige Schlechterstellung zu begründen. Aus der Norm lässt sich nicht entnehmen, in welchen Fällen ein Anspruch auf den Nachtarbeitszuschlag in Höhe von 50 % entsteht. § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV genügt dem Gebot der Normenklarheit nicht und ist deshalb unwirksam. Aus einer unwirksamen Tarifnorm können sich Ansprüche nicht ergeben und insoweit kann auch keine Ungleichbehandlung vorliegen.
36 aa) Das aus dem Rechtsstaatsprinzip abgeleitete Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit verlangt vom Normgeber, die von ihm erlassenen Regelungen so bestimmt zu fassen, dass die Rechtsunterworfenen in zumutbarer Weise feststellen können, ob die tatsächlichen Voraussetzungen für die in der Rechtsnorm angesprochene Rechtsfolge erfüllt sind. Dies gilt grundsätzlich auch für tarifvertragliche Regelungen, was insbesondere im Schriftformgebot des § 1 Abs. 2 TVG seinen gesetzlichen Niederschlag gefunden hat. Der Normadressat muss erkennen können, ob er von einer Regelung erfasst ist und welchen Regelungsgehalt die tarifliche Vorschrift hat. Dabei ist den Tarifvertragsparteien allerdings die Verwendung unbestimmter Rechtsbegriffe nicht verwehrt. Unbestimmte Rechtsbegriffe genügen den rechtsstaatlichen Erfordernissen der Normenklarheit und Justitiabilität, wenn sie mit herkömmlichen juristischen Methoden ausgelegt werden können. Dem Tarifvertrag als Normenvertrag für eine Vielzahl von Arbeitsverhältnissen ist eine gewisse Unschärfe immanent. Lediglich in ganz besonderen Ausnahmefällen dürfen Gerichte tarifliche Regelungen wegen mangelnder Bestimmtheit und des darauf beruhenden Verstoßes gegen rechtsstaatliche Grundsätze für unwirksam erachten. Das ist dann der Fall, wenn der Regelungsgehalt einer Tarifnorm nicht mehr im Weg der Auslegung ermittelbar ist. Dabei ist im Einzelfall zu prüfen, ob die Unwirksamkeitsfolge die gesamte Bestimmung oder nur einen Teil erfasst (st. Rspr., umfassend zB BAG 26. Februar 2020 – 4 AZR 48/19 – Rn. 38 mwN, BAGE 170, 56).
37 bb) Die Auslegung des normativen Teils eines Tarifvertrags, die in der Revisionsinstanz in vollem Umfang überprüfbar ist, folgt nach ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts den für die Auslegung von Gesetzen geltenden Regeln. Danach ist zunächst vom Tarifwortlaut auszugehen, ohne am Buchstaben zu haften. Dabei sind der wirkliche Wille der Tarifvertragsparteien und damit der Sinn und Zweck der Tarifnorm mit zu berücksichtigen, soweit sie in den tariflichen Normen ihren Niederschlag gefunden haben. Auch auf den tariflichen Gesamtzusammenhang ist abzustellen. Verbleiben noch Zweifel, können ohne Bindung an eine Reihenfolge weitere Kriterien wie die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags, ggf. auch die praktische Tarifübung, ergänzend herangezogen werden. Im Zweifel ist die Tarifauslegung zu wählen, die zu einer vernünftigen, sachgerechten, zweckorientierten und praktisch brauchbaren Regelung führt (st. Rspr., zB BAG 16. November 2022 – 10 AZR 210/19 – Rn. 13 mwN).
38 cc) Nach diesen Grundsätzen genügt § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV nicht dem Gebot der Normenklarheit. Auch nach Auslegung der Bestimmung nach den anerkannten Auslegungsgrundsätzen ist nicht erkennbar, in welchen Fällen Nachtarbeit unter diese Regelung fällt und ein Anspruch in Höhe von 50 % und nicht nur in Höhe von 15 % oder 30 % nach § 7 Nr. 1.2 Buchst. a oder b MTV besteht.
39 (1) Der Wortlaut von § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV enthält keine Legaldefinition oder Konkretisierung, in welchen Fällen Nachtarbeit gegeben ist, „soweit nicht unregelmäßig bzw. regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit vorliegt“.
40 (2) In der Zusammenschau mit § 7 Nr. 1.2 Buchst. a und b MTV lässt sich ebenfalls nicht ersehen, welche Nachtarbeitsstunden unter § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV fallen. Denn Nachtarbeit wird entweder mindestens für eine Arbeitswoche oder regelmäßig wiederkehrend geleistet und ist damit als regelmäßige Nachtarbeit iSv. § 7 Nr. 1.2 Buchst. a MTV zu qualifizieren, oder sie erfüllt diese Voraussetzungen nicht und wird daher unregelmäßig ausgeübt, so dass sie § 7 Nr. 1.2 Buchst. b MTV unterfällt. Welche Form der Nachtarbeit weder unregelmäßig ist noch regelmäßige Nacht- oder Nachtschichtarbeit darstellt, erschließt sich nicht.
41 (3) Ein Anwendungsbereich der Norm lässt sich auch nicht unter Berücksichtigung der für das Gebiet Oldenburg im Übrigen geltenden tariflichen Regelungen zur Arbeitszeit bzw. zu möglichen Arbeitszeitmodellen erschließen. Der MTV enthält keine Regelungen, aus denen erkennbar wird, unter welchen Voraussetzungen Nachtarbeitsstunden iSv. § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV gegeben sind, die nicht zugleich von § 7 Nr. 1.2 Buchst. a oder b MTV erfasst wären.
42 (4) Auch eine systematische Gesamtbetrachtung mit den im selben Tarifvertrag getroffenen Zuschlagsregelungen für die weiteren räumlichen Geltungsbereiche (Wilhelmshaven/Cuxhaven, Ostfriesische Werften) führt zu keinem anderen Ergebnis.
43 (a) So ist in § 7 Nr. 1.2 MTV idF für die Ostfriesischen Werften geregelt, dass für „unregelmäßige Nachtschichten“ Zuschläge in Höhe von 30 % (Buchst. b), für „regelmäßige Nachtschichten“ Zuschläge in Höhe von 15 % (Buchst. c), für „Wechselschichten, soweit sie in die Nachtzeit fallen […]“ Zuschläge in Höhe von 15 % (Buchst. d) sowie „für Nachtarbeit, soweit nicht unregelmäßige oder regelmäßige Nachtschichten vorliegen,“ Zuschläge in Höhe von 50 % (Buchst. a) zu leisten sind. Mit Blick darauf könnte erwogen werden, dass auch im hier in Rede stehenden Gebiet Oldenburg Zuschläge in Höhe von 50 % für Nachtarbeitsstunden geleistet werden sollen, die nicht regelmäßige oder unregelmäßige Schicht- oder Wechselschichtarbeit darstellen. Hiergegen spricht aber, dass in § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV idF für das Gebiet Oldenburg „Nacht- oder Nachtschichtarbeit“ ausdrücklich gleichermaßen ausgenommen ist, während sich die Ausnahme in § 7 Nr. 1.2 Buchst. a MTV idF für die Ostfriesischen Werften auf Nachtschichtarbeit beschränkt.
44 (b) Nach der ebenfalls dreistufigen Zuschlagsregelung für das Gebiet Wilhelmshaven/Cuxhaven ist nach § 7 Nr. 1.2 MTV „für regelmäßige Nachtarbeit, Nachtschichtarbeit (mindestens 1 Woche oder regelmäßig wiederkehrend)“ ein Zuschlag in Höhe von 15 % (Buchst. a), „für unregelmäßige Nachtarbeit“ ein Zuschlag in Höhe von 30 % (Buchst. b) sowie „für Nachtarbeit, soweit sie keine regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit ist,“ ein Zuschlag in Höhe von 50 % zu leisten (Buchst. c). Damit stellt sich für diese Regelung ebenfalls die Frage, welche Fallgestaltung Buchst. c erfassen soll. Erkenntnisse für das Verständnis der hier maßgeblichen Regelung ergeben sich aus dieser Tarifnorm jedenfalls nicht.
45 (c) Die unterschiedlich gestalteten Zuschlagsregelungen für die verschiedenen räumlichen Geltungsbereiche des MTV stehen auch der Annahme entgegen, in § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV idF für das Gebiet Oldenburg seien nur versehentlich Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit aufgeführt.
46 (5) Für die Annahme des Klägers, § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV sei einschlägig, wenn Mitarbeiter, die an sich ausschließlich in Tagschichten tätig würden, Nachtarbeit versähen, während Mitarbeiter, die regelmäßig Nachtschichten erbrächten, Zuschläge von 15 % erhielten und Mitarbeiter, die „außer der Reihe“ zur Nachtarbeit herangezogen würden, Zuschläge von 30 % beanspruchen könnten, finden sich weder in der Tarifnorm selbst noch in anderen Regelungen irgendwelche Anhaltspunkte. Auch in einer solchen Konstellation handelt es sich um unregelmäßige Nachtarbeit iSv. § 7 Nr. 1.2 Buchst. b MTV. Dass die Beklagte nach dem Vortrag des Klägers die Norm so angewandt hat, ändert daran für sich genommen nichts. Eine einheitliche Tarifübung im Geltungsbereich des MTV ist weder vorgetragen noch erkennbar.
47 (6) Für die – abweichende – Auffassung der Beklagten, § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV diene dem Ausgleich von Mehrarbeit in der Nacht und die Formulierung der Norm habe ausschließlich steuerliche Gründe, lassen sich weder der Norm selbst noch dem MTV Anhaltspunkte entnehmen. Dies gilt insbesondere auch deshalb, weil mit § 7 Nr. 3 MTV ausdrücklich eine eng begrenzte Regelung zum Zusammentreffen von bestimmten Nachtarbeitszuschlägen mit bestimmten Mehrarbeitszuschlägen in Schichtbetrieben besteht.
48 dd) Der Verstoß von § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV gegen das Gebot der Bestimmtheit und Normenklarheit führt zur Unwirksamkeit dieser Regelung. Dagegen tritt keine Rechtsunwirksamkeit aller Bestimmungen zu Nachtarbeitszuschlägen in § 7 Nr. 1.2 MTV oder gar des gesamten MTV ein. § 139 BGB findet auf Tarifverträge keine Anwendung. Eine Unwirksamkeit des gesamten Tarifvertrags kann bei Nichtigkeit einzelner Tarifbestimmungen nur ausnahmsweise angenommen werden. Maßgebend ist vielmehr, ob der Tarifvertrag ohne die unwirksame Bestimmung noch eine sinnvolle, in sich geschlossene Regelung enthält (BAG 26. Februar 2020 – 4 AZR 48/19 – Rn. 27 mwN, BAGE 170, 56). Dies ist auch hinsichtlich des Ausgleichs für Nachtarbeit der Fall. Mit den Regelungen in § 7 Nr. 1.2 Buchst. a und b MTV zu Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verbleiben sinnvolle und in sich widerspruchsfreie Regelungen. Sie erfassen sämtliche Nachtarbeitszeiten.
49 ee) Ist § 7 Nr. 1.2 Buchst. c MTV unwirksam, können aus ihm keine Ansprüche erwachsen. Die Tarifnorm kann daher auch nicht als Bezugspunkt herangezogen werden, um eine Ungleichbehandlung zu begründen. Vielmehr verbleiben nur die Bestimmungen in § 7 Nr. 1.2 Buchst. a und b MTV, die einen Anspruch auf Zuschläge in Höhe von 15 % bzw. 30 % begründen.
50 g) Die in § 7 Nr. 1.2 Buchst. a und b MTV enthaltene Differenzierung zwischen den Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit verstößt nicht gegen Art. 3 Abs. 1 GG. Es liegen zwar miteinander vergleichbare Arbeitnehmergruppen vor. Allerdings ist die unterschiedliche Behandlung bei den Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit sachlich gerechtfertigt. Mit dem höheren Zuschlag soll – wie die Auslegung der Bestimmungen des MTV ergibt – die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Dieser erkennbare Wille der Tarifvertragsparteien ist Teil deren ausgeübter Tarifautonomie und genügt als sachlicher Grund.
51 aa) Arbeitnehmer, die regelmäßige bzw. unregelmäßige Nachtarbeit iSd. MTV leisten, sind – entgegen der Ansicht der Beklagten – miteinander vergleichbar. Die jeweiligen Zuschlagstatbestände knüpfen übereinstimmend an die Arbeitsleistung in der tarifvertraglich definierten Nachtzeit an, die sich – insbesondere durch das Maß an Belastung – von der Arbeit zu anderen Zeiten unterscheidet (vgl. BAG 22. Februar 2023 – 10 AZR 332/20 – Rn. 33; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 50 ff. mwN auch zu krit. Stimmen, BAGE 173, 205). Dem steht auch nicht entgegen, dass die Tarifvertragsparteien grundsätzlich autonom die Tatbestandsvoraussetzungen festlegen können, auf deren Grundlage die Gruppen zu bilden sind. Das entbindet sie nicht davon, die Grenzen von Art. 3 Abs. 1 GG zu beachten. Die sich dabei stellende Frage, ob sachliche Gründe für die unterschiedliche Behandlung vorliegen, ist auf der Rechtfertigungsebene zu klären (vgl. BAG 22. Februar 2023 – 10 AZR 332/20 – aaO; 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 52, aaO; aA zB Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 267 f.; ähnlich Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 16 ff.; Kleinebrink NZA 2019, 1458, 1461).
52 bb) Die unterschiedlich hohen Zuschläge für Nachtarbeit in § 7 Nr. 1.2 Buchst. a und b MTV führen dazu, dass zwei Gruppen von Arbeitnehmern, die nachts arbeiten, ungleich behandelt werden. Der Ausgleich, den Arbeitnehmer für unregelmäßige Nachtarbeit erhalten, ist deutlich höher als derjenige für regelmäßige Nachtarbeit.
53 (1) Nach § 7 Nr. 1.2 Buchst. a MTV erhalten Arbeitnehmer für regelmäßige Nachtarbeit einen Zuschlag von 15 % des Durchschnittsstundenverdienstes, während der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit nach § 7 Nr. 1.2 Buchst. b MTV 30 % beträgt. Das führt zu einer Differenz in Höhe von 15 Prozentpunkten.
54 (2) Diese Differenz verringert sich nicht um die Dreischichtpause nach § 3 Nr. 6 MTV. Sie steht den Beschäftigten in Betrieben zu, in denen in drei Schichten ohne feste Betriebspausen gearbeitet wird, um ihnen ausreichend Gelegenheit zum Einnehmen der Mahlzeit ohne Entgeltabzug zu gewähren. Der Anspruch setzt damit zwar auch einen Einsatz in der Nachtschicht voraus. Die Pause wird aber bei Vorliegen der tariflichen Voraussetzungen in allen Schichten gewährt, also auch in Tagschichten. Demnach dient sie nicht dem Ausgleich der spezifischen Belastungen durch die Nachtarbeit, sondern dem Ausgleich des ununterbrochenen Schichtbetriebs ohne feste Betriebspausen.
55 (3) Die rechnerische Differenz bei der Zuschlagshöhe vermindert sich auch nicht dadurch, dass unregelmäßige Nachtarbeit in der Regel Mehrarbeit ist und der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit einen Mehrarbeitszuschlag umfasst. Zwar begründet § 7 Nr. 1.1 MTV für Mehrarbeit einen Zuschlag in Höhe von 25 %, ab der dritten Stunde in Höhe von 40 %. In den tariflichen Regelungen ist aber nicht angelegt, dass unregelmäßige Nachtarbeit stets oder auch nur typischerweise zuschlagspflichtige Mehrarbeit im Tarifsinn ist, also über die nach § 3 MTV festgelegte tägliche individuelle regelmäßige Arbeitszeit hinausgeht (§ 6 Nr. 3.1 MTV).
56 (4) Unerheblich ist auch, dass der Zuschlag nach § 7 Nr. 1.2 Buchst. a MTV bereits für die Zeit ab 21:00 Uhr geschuldet wird und somit der Beginn der Nachtzeit gegenüber der gesetzlichen Regelung um zwei Stunden vorgezogen ist. Das gilt sowohl für die regel- als auch die unregelmäßige Nachtarbeit, so dass sich hieraus in Bezug auf die Ungleichbehandlung keine Relativierung ergibt (aA wohl Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 251 „Ausgleichsfaktor“).
57 cc) Die Ungleichbehandlung von Arbeitnehmern, die regelmäßige Nachtarbeit leisten, gegenüber Arbeitnehmern, die unregelmäßige Nachtarbeit leisten, ist aber durch einen sachlichen Grund gerechtfertigt.
58 (1) Die Tarifvertragsparteien sind im Rahmen ihrer Einschätzungsprärogative nicht gehindert, tatsächliche Unterschiede hinsichtlich der Belastungen durch regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit anzunehmen. Dabei sind sie nicht auf gesundheitliche Aspekte beschränkt. Diese tatsächlichen Unterschiede vermögen auf der Regelungsebene aufgrund des den Tarifvertragsparteien zukommenden Beurteilungs- und Ermessensspielraums einen – auch deutlich – höheren Ausgleich für unregelmäßige Nachtarbeit zu rechtfertigen. Dabei hat sich die Prüfung der sachlichen Rechtfertigung der unterschiedlichen Behandlung am – aus dem Tarifvertrag erkennbaren – Zweck der Leistung zu orientieren (BAG 19. Dezember 2018 – 10 AZR 231/18 – Rn. 66, BAGE 165, 1; 23. März 2017 – 6 AZR 161/16 – Rn. 55, BAGE 158, 360). Ein solch weiterer Zweck liegt hier vor. Nach dem erkennbaren Willen der Tarifvertragsparteien soll mit dem höheren Zuschlag auch die schlechtere Planbarkeit unregelmäßiger Nachtarbeit ausgeglichen werden. Das ergibt die Auslegung der tariflichen Regelungen.
59 (2) Dies zugrunde gelegt ergibt sich zunächst, dass die Tarifvertragsparteien des MTV mit der Regelung von Nachtarbeitszuschlägen den Gesundheitsschutz der Nachtarbeitnehmer bezwecken. Das gilt sowohl im Hinblick auf den Zuschlag für regelmäßige Nachtarbeit als auch für unregelmäßige Nachtarbeit. Dieser Zweck stellt aber keinen Sachgrund für höhere Zuschläge zugunsten der Arbeitnehmer dar, die unregelmäßig Nachtarbeit leisten.
60 (a) Der Zweck des Gesundheitsschutzes ist zwar nicht ausdrücklich im MTV benannt. Er hat aber hinreichend Niederschlag gefunden. Die Zuschläge werden ausdrücklich als solche für Nachtarbeit bezeichnet (§ 7 Nr. 1.2 MTV). Der MTV definiert den Begriff der Nachtarbeit als die Zeit zwischen 21:00 Uhr und 06:00 Uhr (§ 6 Nr. 1 MTV), knüpft damit an § 2 Abs. 3 ArbZG an und erweitert den Nachtzeitraum. Vor dem Hintergrund der gesetzlichen Ausgleichsregelung des § 6 Abs. 5 ArbZG und dem dort normierten grundsätzlichen Vorrang von Ausgleichsregelungen in Tarifverträgen liegt nahe, dass die Tarifvertragsparteien von dieser Kompetenz Gebrauch machen und auch der gesetzlichen Zwecksetzung genügen wollten. Die Gesundheit – über die Verteuerung der Arbeit zumindest mittelbar – zu schützen, ist der typischerweise mit Nachtarbeitszuschlägen verfolgte Zweck (vgl. BAG 25. Mai 2022 – 10 AZR 230/19 – Rn. 25).
61 (b) Der Zweck des Gesundheitsschutzes vermag die Ungleichbehandlung allerdings nicht zu rechtfertigen.
62 (aa) Nachtarbeit ist nach gesicherten arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen für jeden Menschen schädlich, weil sie negative gesundheitliche Auswirkungen hat (BVerfG 28. Januar 1992 – 1 BvR 1025/82 ua. – zu C I 2 a der Gründe, BVerfGE 85, 191; ebenso BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 70 f., BAGE 173, 205; 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; 21. März 2018 – 10 AZR 34/17 – Rn. 49, BAGE 162, 230; 18. Oktober 2017 – 10 AZR 47/17 – Rn. 39, BAGE 160, 325; Schubert/Bayreuther in Schlachter/Heinig Europäisches Arbeits- und Sozialrecht [EnzEuR Bd. 7] 2. Aufl. § 11 Rn. 37; EuArbRK/Gallner 4. Aufl. RL 2003/88/EG Art. 8 Rn. 3 mwN). Das gilt im Ausgangspunkt unabhängig davon, ob sie innerhalb oder außerhalb von Schichtsystemen geleistet wird. Die gesundheitliche Belastung durch Nachtarbeit steigt nach bisherigem Kenntnisstand in der Arbeitsmedizin durch die Zahl der Nächte im Monat und die Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird (BAG 25. Mai 2022 – 10 AZR 230/19 – Rn. 24; 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – aaO; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12 – Rn. 19, BAGE 147, 33).
63 (bb) Durch Arbeit während der Nachtzeit wird die sog. zirkadiane Rhythmik gestört. Zu der sozialen Desynchronisation kommt die physiologische Desynchronisation der Körperfunktionen, die sich typischerweise in Schlafstörungen, Magen-Darm-Beschwerden und kardiovaskulären Beeinträchtigungen äußert (Beermann Nacht- und Schichtarbeit – ein Problem der Vergangenheit? S. 4 f. = https://d-nb.info/992446481/34; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 26 ff., 37 f.; DGUV Report 1/2012 S. 81 f., 91 ff., 119 ff.). Sekundärstudien deuten darauf hin, dass sich Nachtarbeit auch negativ auf die Psyche auswirkt (vgl. Amlinger-Chatterjee Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 31). Anerkannt ist, dass Nachtarbeit umso schädlicher ist, in je größerem Umfang sie geleistet wird (BAG 25. Mai 2022 – 10 AZR 230/19 – Rn. 24; 15. Juli 2020 – 10 AZR 123/19 – Rn. 27 mwN, BAGE 171, 280; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 17 mwN, BAGE 153, 378; vgl. auch den siebten Erwägungsgrund der Richtlinie 2003/88/EG; Mitteilung der Europäischen Kommission zu Auslegungsfragen in Bezug auf die Richtlinie 2003/88/EG des Europäischen Parlaments und des Rates über bestimmte Aspekte der Arbeitszeitgestaltung, ABl. EU C 165 vom 24. Mai 2017 S. 42).
64 (cc) Aufgrund der steigenden gesundheitlichen Belastung durch eine größere Zahl der Nächte im Monat und eine höhere Zahl der aufeinanderfolgenden Nächte, in denen Nachtarbeit geleistet wird, sollten möglichst wenige Nachtschichten aufeinanderfolgen. Dem steht nicht entgegen, dass viele Schichtarbeitnehmer, die in einem Rhythmus von fünf und mehr aufeinanderfolgenden Nachtschichten arbeiten, subjektiv den Eindruck haben, dass sich ihr Körper der Nachtschicht besser anpasst. Das trifft nicht zu (vgl. Bundesanstalt für Arbeitsschutz und Arbeitsmedizin Leitfaden zur Einführung und Gestaltung von Nacht- und Schichtarbeit 9. Aufl. S. 12 f.; Langhoff/Satzer Gutachten zu arbeitswissenschaftlichen Erkenntnissen zu Nachtarbeit und Nachtschichtarbeit S. 32). Aufeinanderfolgende Nachtschichten sind besonders schädlich, obwohl sich Arbeitnehmer typabhängig unterschiedlich gut an die Nachtarbeit anpassen (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 72, BAGE 173, 205; 9. Dezember 2015 – 10 AZR 423/14 – Rn. 17, BAGE 153, 378; 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12 – Rn. 19 f. mwN, BAGE 147, 33; vgl. Langhoff/Satzer aaO S. 36). Bislang ist nicht belegt, dass aufeinanderfolgende Nachtschichten signifikant weniger gesundheitsschädlich sind, wenn Arbeitnehmer nach einem Schichtplan eingesetzt werden, der ihnen im Voraus bekannt ist. Nach Amlinger-Chatterjee zeigen extrahierte statistische Daten lediglich eine tendenziell geringere gesundheitliche Belastung, wenn die Arbeitszeiten vorhersagbar sind (Psychische Gesundheit in der Arbeitswelt S. 52).
65 (dd) Nach diesen Erkenntnissen läge es unter den Aspekten des Gesundheitsschutzes betrachtet näher, die in erheblichem Umfang geleistete regelmäßige Nachtarbeit mit höheren Zuschlägen zu vergüten als die gelegentlich außerhalb von Schichtsystemen geleistete Nachtarbeit (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 334/20 – Rn. 70, BAGE 173, 205; aA Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 31). Jedenfalls können danach Gesundheitsschutzaspekte die im MTV vorgenommene Differenzierung für sich genommen sachlich nicht rechtfertigen.
66 (3) Dafür, dass der Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit – so die Beklagte – auch den Zweck habe, einen Ausgleich für Mehrarbeit zu gewähren, die in der Regel mit unregelmäßiger Nachtarbeit verbunden sei, ergeben sich aus dem MTV – wie ausgeführt (vgl. Rn. 55) – keine Anhaltspunkte.
67 (4) Soweit die Beklagte darauf hinweist, unregelmäßige Nachtarbeit falle sehr viel seltener an als regelmäßige (Schicht-)Nachtarbeit und betreffe insoweit nur eine geringe Anzahl von Arbeitnehmern, ergibt sich auch aus einem solchen Ausnahmecharakter für sich genommen kein sachlicher Grund, der die Ungleichbehandlung rechtfertigen könnte. Der mögliche Ausnahmecharakter wäre zwar ein Umstand, der auf einen bestimmten Zweck der Leistung hindeuten kann, nicht aber ein selbständiger Zweck, der mit der Tarifregelung verfolgt wird. Auch die Größe der jeweils betroffenen Arbeitnehmergruppe – sollte die Beklagte hierauf abstellen – vermag die Begünstigung einer Mehrheit oder Minderheit allein nicht zu rechtfertigen. Denn Ungleichbehandlungen sind – dem Grundgedanken des Gleichheitsgebots folgend – unabhängig von der Größe der betroffenen Gruppen zu vermeiden.
68 (5) Ein Sachgrund ergibt sich aber aus dem von den Tarifvertragsparteien mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag ebenfalls verfolgten Zweck, gerade die Belastungen durch die schlechter vorhersehbaren und somit schlechter planbaren Nachtarbeitszeiten bei unregelmäßiger Nachtarbeit auszugleichen. Dieser Zweck hat auch ausreichend Niederschlag im MTV gefunden.
69 (a) § 7 Nr. 1.2 Buchst. b MTV benennt nicht ausdrücklich, welchem Zweck die höheren Zuschläge für unregelmäßige Nachtarbeit dienen. Durch die Gegenüberstellung des Begriffspaares „regelmäßig“ und „unregelmäßig“ im Zusammenhang mit der Nachtarbeit lässt sich der damit verbundene weitere Zweck aber aus der Tarifnorm erkennen. (vgl. dazu BAG 22. Februar 2023 – 10 AZR 332/20 – Rn. 53 ff.).
70 (aa) „Regelmäßig“ bedeutet „einer bestimmten festen Ordnung, Regelung (die besonders durch zeitlich stets gleiche Wiederkehr, gleichmäßige Aufeinanderfolge gekennzeichnet ist) entsprechend, ihr folgend“ (www.duden.de Stichwort „regelmäßig“, zuletzt abgerufen am 22. August 2023). Unregelmäßig bedeutet das Gegenteil, folgt gerade keiner Regel und erfolgt in ungleichen Abständen (www.duden.de Stichwort „unregelmäßig“, zuletzt abgerufen am 22. August 2023; vgl. zu diesem Begriffspaar auch BAG 19. September 2007 – 4 AZR 617/06 – Rn. 16). Bei typisierender Betrachtung folgt hieraus, dass regelmäßige Nachtarbeit besser vorhersehbar und planbar ist als unregelmäßige Nachtarbeit. Das gilt unabhängig davon, wie oft regelmäßige Nachtarbeit geleistet wird. Typischerweise werden bei dieser Art der Nachtarbeit (Schicht-)Pläne mit zeitlichem Vorlauf aufgestellt, die einem gewissen Rhythmus folgen. Deshalb ist es auch besser möglich, dass der Arbeitnehmer sich auf diese regelmäßig geschuldete Arbeitsleistung einstellt und sein privates Umfeld ggf. darauf ausrichtet. Unregelmäßige Nachtarbeit richtet sich dagegen nicht nach festen Regeln, sondern folgt üblicherweise einem weniger vorhersehbaren Bedarf (BAG 9. Dezember 2020 – 10 AZR 332/20 (A) – Rn. 130, BAGE 173, 165).
71 (bb) Mit Blick auf die Gegenüberstellung des Begriffspaares „regelmäßig“ und „unregelmäßig“ kann deshalb davon ausgegangen werden, dass die Tarifvertragsparteien angenommen haben, unregelmäßige Nachtarbeit sei aufgrund der typischerweise gegebenen Unvorhersehbarkeit schlechter planbar und mit ihr seien neben der gesundheitlichen Belastung durch die Nachtarbeit weitere Belastungen verbunden. Wird unregelmäßige Nachtarbeit geleistet, werden diese weiteren Belastungen mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag finanziell kompensiert (zur anders gelagerten Belastung vgl. auch BAG 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12 – Rn. 23, BAGE 147, 33). Dies entspricht dem langjährigen Begriffsverständnis in der Rechtsprechung zur Differenzierung bei Zuschlägen für regelmäßige und unregelmäßige bzw. planbare und unplanbare Nachtarbeit auch bereits vor Abschluss des hier maßgeblichen MTV. Dieses ging dahin, „unregelmäßige“ Nachtarbeit sei weniger vorhersehbar und die ungeplante und nicht vorhersehbare Heranziehung bringe eine weitere, anders gelagerte Belastung – nicht unbedingt gesundheitlicher Art – mit sich (vgl. BAG 4. Juli 1973 – 4 AZR 475/72 -; 26. September 2007 – 5 AZR 808/06 – Rn. 31 ff.; 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12 – aaO). Es ist davon auszugehen, dass diese Rechtsprechung den Tarifvertragsparteien bekannt war und dieses Verständnis sich auch in der hier streitgegenständlichen Regelung widerspiegelt (zur Fortführung eines bestimmten Begriffs durch die Tarifvertragsparteien vgl. zB BAG 24. März 2010 – 10 AZR 58/09 – Rn. 22, BAGE 134, 34).
72 (b) Der Zweck des Ausgleichs der schlechteren Planbarkeit der unregelmäßigen Nachtarbeit vermag die Ungleichbehandlung bei der Zuschlagshöhe zu rechtfertigen. Es handelt sich um einen sachlich vertretbaren Grund. Dabei ist unerheblich, dass mit der tariflichen Zuschlagsregelung des MTV idF für das Gebiet Oldenburg mehrere Zwecke gebündelt verfolgt werden und wie der weitere Zweck von den Tarifvertragsparteien finanziell bewertet wird.
73 (aa) Die Tarifvertragsparteien sind grundsätzlich frei darin, in Ausübung ihrer grundrechtlich geschützten autonomen Regelungsmacht den Zweck einer tariflichen Leistung zu bestimmen. Es ist ihnen überlassen, die ihrer Ansicht nach auftretenden, prognostizierten Probleme in Bezug auf unregelmäßige Nachtarbeit im Vergleich zur regelmäßigen Nachtarbeit mit einem höheren Zuschlag zu vergüten. Den Gerichten ist eine eigene Bewertung nicht vorbehalten. Sie dürfen ihre Gerechtigkeitsvorstellungen nicht an die Stelle derjenigen der Tarifvertragsparteien setzen. Gleiches gilt für die Frage, mit welcher Regelungstechnik die Tarifvertragsparteien ihre Zwecksetzung im Tarifvertrag umsetzen wollen. So können die verschiedenen Erschwernisse mit getrennten Zuschlägen bedacht werden, was im Hinblick auf die Erkennbarkeit ihrer jeweiligen Zwecksetzung sicherlich vorzugswürdig ist. Ebenso ist es aber möglich, mit einem Zuschlag mehrere Zwecke zu verbinden und diese als sachlichen Grund für eine Ungleichbehandlung heranzuziehen, solange diese Zwecke aus den Tarifregelungen erkennbar sind (Rn. 23 f.).
74 (bb) Entgegen der Auffassung der Klägerseite gilt für Zuschläge, die auch dem Ausgleich der durch Nachtarbeit hervorgerufenen Erschwernisse dienen, nichts anderes. Weder § 6 Abs. 5 ArbZG noch andere Arbeitsschutzbestimmungen schreiben vor, dass Ausgleichsregelungen für Nachtarbeit ausschließlich diesem Zweck dienen müssen. Erforderlich, aber auch ausreichend ist vielmehr, dass durch den Tarifvertrag ein angemessener Ausgleich für Nachtarbeit gewährt wird (Rn. 28). Letzteres schließt aber nicht aus, dass mit einem einheitlichen Zuschlag auch weitere Zwecksetzungen, die nicht dem Gesundheitsschutz dienen, verbunden sind, wenn diese ihren Niederschlag in den Tarifregelungen gefunden haben.
75 (cc) Auch die schlechtere Planbarkeit von unregelmäßiger Nachtarbeit ausgleichen zu wollen, genügt, um die unterschiedlichen Zuschlagshöhen für regelmäßige Nachtschichtarbeit und Nachtarbeit, die keine regelmäßige Schichtarbeit ist, zu rechtfertigen (vgl. BAG 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12 – Rn. 22 f., BAGE 147, 33; Bayreuther RdA 2022, 290, 301; Creutzfeldt/Eylert ZFA 2020, 239, 270 f.; Temming jurisPR-ArbR 51/2022 Anm. 3 zu D; Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 21; aA Brandt/Lueken HSI-Report 3/2022 S. 5, 11 f.; Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 35 ff.).
76 (aaa) Ein tarifvertraglicher Zuschlag kann den Zweck verfolgen, die Einbuße der Dispositionsmöglichkeit über die Freizeit zu belohnen und Arbeitgeber von Eingriffen in den geschützten Freizeitbereich der Arbeitnehmer abzuhalten (vgl. BAG 19. Dezember 2018 – 10 AZR 231/18 – Rn. 67, BAGE 165, 1). Da unregelmäßige Nachtarbeit weniger planbar ist, greift sie in dem Moment, in dem sie anfällt, stärker in das soziale Leben ein als regelmäßige und damit vorhersehbare Nachtarbeit, soweit die Teilhabe am sozialen Leben eine zeitliche Koordination mit anderen Vorhaben erfordert. Bei regelmäßiger – planbarer – Nachtarbeit können außerberufliche, insbesondere familiäre Verpflichtungen koordiniert, Verabredungen getroffen und die Freizeitplanung hieran ausgerichtet verlässlich gestaltet werden (vgl. BAG 11. Dezember 2013 – 10 AZR 736/12 – Rn. 22 f., BAGE 147, 33; vgl. auch Kohte Gutachten zu Nachtarbeitszuschlagsregelungen S. 40: „[D]ie soziale Desynchronisation kann … bei nicht planmäßiger Nachtarbeit eine etwas stärkere Wirkung haben …“). Das ist bei unregelmäßiger Nachtarbeit schwieriger. Gleichzeitig beweisen die Arbeitnehmer bei unregelmäßiger Nachtarbeit eine größere Flexibilität. Ein Ausgleich für schlechter planbare Arbeitszeiten ist legitim, unabhängig davon, dass mit Nachtarbeit erhöhte Gesundheitsgefahren verbunden sind. Der höhere Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit dient – wie dargelegt (vgl. Rn. 68 ff.) – auch dem Zweck, diese besonderen Belastungen durch die Nachtarbeit zu kompensieren.
77 (bbb) Diese Aspekte konnten die Tarifvertragsparteien bei der Regelung unterschiedlich hoher Nachtarbeitszuschläge berücksichtigen. Soweit der Senat in der Entscheidung vom 21. März 2018 (- 10 AZR 34/17 – Rn. 52, BAGE 162, 230) ausführt, die Teilhabe am sozialen Leben sei bei regelmäßiger Nachtarbeit jedenfalls genauso betroffen wie bei unregelmäßiger Nachtarbeit, steht dies nicht entgegen. Es geht hier nicht um den Aspekt der Betroffenheit im Allgemeinen, sondern darum, dass unregelmäßige Nachtarbeit weniger planbar ist und dass sie, wenn sie anfällt, im privaten Umfeld größere Probleme zu verursachen vermag als voraussehbare regelmäßige Nachtarbeit.
78 (ccc) Ob – wie der Kläger meint – ein Zweck, der dem Gesundheitsschutz zuwiderlaufen würde, kein rechtfertigender Grund für eine Ungleichbehandlung sein kann, bedarf keiner Entscheidung. Denn das ist vorliegend nicht der Fall. Der erhöhte Zuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit stellt keinen Anreiz dar, solche Arbeiten vermehrt ausführen zu lassen. Vielmehr wird der ökonomisch handelnde Arbeitgeber versuchen, diese möglichst zu vermeiden.
79 (dd) Das Ausmaß der Differenz der Zuschläge für regelmäßige und unregelmäßige Nachtarbeit ist für die Beurteilung, ob ein Sachgrund die unterschiedliche Behandlung trägt, nicht von Bedeutung. Die Tarifautonomie schließt eine Angemessenheitsprüfung insoweit aus. Ergibt – wie hier – die Auslegung der tarifvertraglichen Regelungen, dass mit dem höheren Nachtarbeitszuschlag für unregelmäßige Nachtarbeit ein weiterer Zweck verfolgt wird, der nicht dem Ausgleich der besonderen Belastungen durch Nachtarbeit dient, ist es den Tarifvertragsparteien überlassen, die Höhe dafür nach ihrem Ermessen festzulegen. Nach der Konzeption des Grundgesetzes ist die Festlegung der Höhe des Entgelts grundsätzlich den Tarifvertragsparteien übertragen, weil dies nach Überzeugung des Verfassungsgebers zu sachgerechteren Ergebnissen als eine staatlich beeinflusste Lohnfindung führt (BAG 15. April 2015 – 4 AZR 796/13 – Rn. 32, BAGE 151, 235; 25. Januar 2012 – 4 AZR 147/10 – Rn. 32 mwN, BAGE 140, 291; vgl. auch Höpfner Die Rechtmäßigkeit der tarifvertraglichen Zuschlagsregelungen für geleistete Nachtarbeit am Maßstab des Art. 3 Abs. 1 GG S. 25 – „Kernelement der Tarifautonomie“). Dies umfasst die Bewertung von Erschwernissen, die ausgeglichen werden sollen. Dabei haben die Tarifvertragsparteien auch die Befugnis, Regelungen zu treffen, die den Betroffenen ungerecht und Außenstehenden nicht zwingend sachgerecht erscheinen mögen (BAG 25. Januar 2012 – 4 AZR 147/10 – aaO). Soweit die Entscheidung des Senats vom 21. März 2018 (- 10 AZR 34/17 – Rn. 45 ff., BAGE 162, 230) so verstanden werden könnte, dass auch bei Vorliegen eines weiteren Zwecks die Höhe der Differenz für die Bewertung einer möglichen Gleichheitswidrigkeit von Bedeutung ist, wird daran nicht festgehalten.
80 3. Der Kläger hat schließlich auch keinen Anspruch auf den höheren Nachtarbeitszuschlag, weil die tarifvertragliche Differenzierung zwischen regelmäßiger und unregelmäßiger Nachtarbeit gegen Art. 20 und 21 GRC verstieße. Der EuGH, dem nach Art. 267 AEUV die Aufgabe der verbindlichen Auslegung von Richtlinien zugewiesen ist, hat auf die Vorlagen des Senats vom 9. Dezember 2020 (- 10 AZR 332/20 (A) – BAGE 173, 165 und – 10 AZR 333/20 (A) -) entschieden, dass mit einer tarifvertraglichen Regelung, die für unregelmäßige Nachtarbeit einen höheren Vergütungszuschlag vorsieht als für regelmäßige Nachtarbeit, die Richtlinie 2003/88/EG nicht iSv. Art. 51 Abs. 1 GRC durchgeführt wird (vgl. EuGH 7. Juli 2022 – C-257/21 und C-258/21 – [Coca-Cola European Partners Deutschland] Rn. 45 ff.). Damit kommen die Bestimmungen der GRC vorliegend nicht zum Tragen.
81 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.