BAG: Rechtsmissbrauchsgrenzen bei Arbeitnehmerüberlassung
BAG, Urteil vom 15.5.2013 - 7 AZR 494/11
Sachverhalt
Nachdem der Revisionskläger zu 1. seine Revision zurückgenommen hat, machen im Revisionsverfahren nur die Revisionsklägerinnen zu 2. bis 7. (künftig: Klägerinnen) das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses zum Beklagten geltend.
Der Beklagte ist Mitglied des Caritasverbandes. Auf seine Vertragsarbeitnehmer wendet er die Allgemeinen Arbeitsbedingungen der Caritas (künftig: AVR Caritas) an. Er beschäftigt über 400 Arbeitnehmer.
Zum 1. Februar 2005 gründete der Beklagte die C GmbH (künftig: C) in F. Er ist ihr einziger Gesellschafter. Einen wesentlichen Teil der Geschäftstätigkeit der C macht die Arbeitnehmerüberlassung aus. Sie erfolgt - nach dem Vortrag des Beklagten „bislang" - nur an den Beklagten. Es werden keine Arbeitnehmer überlassen, die vorher für den Beklagten tätig waren. Neben der Arbeitnehmerüberlassung ist die C noch an zwei Standorten in N und M tätig. Dort betreibt sie mit eigenen Arbeitnehmern Anlagenpflege, Dienstleistungs- und Montagearbeiten sowie eine Gaststätte. Zum 10. März 2010 beschäftigte die C 235 Mitarbeiter auf insgesamt umgerechnet 143,5 Vollzeitstellen. Bei ihr besteht ein Betriebsrat. Sie ist im Besitz einer Arbeitnehmerüberlassungserlaubnis. Die C wendet die tarifvertraglichen Bestimmungen an, die zwischen dem Bundesverband Zeitarbeit und der DGB-Tarifgemeinschaft Zeitarbeit abgeschlossen wurden. Sie sind in der Regel für die Arbeitnehmer ungünstiger als die AVR Caritas.
Zu den von der C an den Beklagten überlassenen Arbeitnehmern gehören auch die Klägerinnen. Ihre Arbeitsverhältnisse wurden zunächst befristet abgeschlossen, jedoch später entfristet. Das Arbeitsverhältnis der Revisionsklägerin zu 2. begann am 2. Januar 2006, das der Revisionsklägerin zu 3. am 1. August 2006, das der Revisionsklägerin zu 4. am 1. Juli 2006, das der Revisionsklägerin zu 5. am 1. Juli 2005, das der Revisionsklägerin zu 6. am 1. September 2006 und das der Revisionsklägerin zu 7. am 1. August 2007.
Die Klägerinnen haben die Ansicht vertreten, zwischen ihnen und dem Beklagten sei ein Arbeitsverhältnis entstanden. Der Beklagte habe die C letztlich nur als „Strohmann" eingesetzt. Deshalb sei unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs bzw. unter entsprechender Anwendung von § 10 AÜG ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien zustande gekommen.
Vor dem Arbeitsgericht haben die Klägerinnen in ihren Klageschriften als Antrag zu 1. den Antrag angekündigt, festzustellen, dass zwischen ihnen und dem Beklagten seit dem jeweils genannten Zeitpunkt des mit der C geschlossenen Arbeitsvertrags ein unbefristetes Arbeitsverhältnis besteht. Nach dem Sitzungsprotokoll haben die klagenden Parteien vor dem Arbeitsgericht im Kammertermin jeweils den Antrag zu 1. aus den Klageschriften gestellt. Im Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils sind die Anträge ohne die Daten des Beginns des Arbeitsverhältnisses wiedergegeben. Das Arbeitsgericht hat die Klagen abgewiesen.
Im Berufungsverfahren haben die Klägerinnen - in der Sache - zuletzt beantragt
festzustellen, dass zwischen den Klägerinnen einerseits und dem Beklagten andererseits ein Arbeitsverhältnis besteht.
Der Beklagte hat beantragt, die Klagen abzuweisen.
Er hat behauptet, die C sei nicht nur Zahlstelle, sondern verwalte die Arbeitsverhältnisse tatsächlich. Sie verfüge auch über eine entsprechende betriebliche Organisation. Ein Fall des Rechtsmissbrauchs liege nicht vor.
Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen der Klägerinnen nach mündlicher Verhandlung am 3. Mai 2011 zurückgewiesen.
Mit ihrer Revision verfolgen die Klägerinnen den vor dem Landesarbeitsgericht gestellten Antrag weiter.
Während des Revisionsverfahrens hat der Beklagte mit den Klägerinnen zu verschiedenen Zeitpunkten, jedoch jeweils zu Ende Oktober 2011 einen Arbeitsvertrag geschlossen. Die Klägerinnen machen geltend, dass sich hierdurch ihre Anträge nicht erledigt haben. Diese seien dahin zu verstehen, dass das Bestehen eines Arbeitsverhältnisses bereits ab Abschluss des Arbeitsvertrags festgestellt werden solle. Daran bestehe schon deshalb ein rechtliches Interesse, da ihnen in diesem Fall Vergütungsdifferenzen für die Vergangenheit zustünden. Der Beklagte begehrt die Zurückweisung der Revision.
Aus den gründen
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Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufungen der Klägerinnen zu Recht zurückgewiesen. Streitgegenstand des Urteils des Landesarbeitsgerichts und Gegenstand des Revisionsverfahrens ist die Frage, ob zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht, also am 3. Mai 2011, zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten ein Arbeitsverhältnis bestand. Für diesen Antrag besteht weiterhin ein rechtliches Interesse. Er ist unbegründet.
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A. Gegenstand des Berufungs- und des Revisionsverfahrens ist nicht, ob schon mit dem Abschluss der Arbeitsverträge zwischen den Klägerinnen und der C ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien entstanden ist, sondern lediglich, ob ein solches zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht am 3. Mai 2011 bestand. Für den so ausgelegten Antrag besteht weiterhin ein Feststellungsinteresse.
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I. Gegenstand des Revisionsverfahrens ist der Streitgegenstand, wie er der Entscheidung des Berufungsgerichts zugrunde lag. Streitgegenstand im Berufungsverfahren war allein der Antrag auf Feststellung des Bestehens eines Arbeitsverhältnisses, den das Landesarbeitsgericht bezogen auf die letzte mündliche Verhandlung im Berufungsverfahren zu entscheiden hatte und entschied. Dass die Klägerinnen im Berufungsverfahren keinen auf die Vergangenheit bezogenen Antrag gestellt haben, ergibt die Auslegung ihres Antrages.
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1. Für die Auslegung von Prozesserklärungen - und damit auch der Antragstellung - sind die für Willenserklärungen des bürgerlichen Rechts entwickelten Grundsätze heranzuziehen. Daher ist analog § 133 BGB nicht am buchstäblichen Sinn des in der Prozesserklärung gewählten Ausdrucks zu haften, sondern der in der Erklärung verkörperte Wille anhand der erkennbaren Umstände - gegebenenfalls in einer Gesamtbetrachtung mehrerer gleichzeitiger Erklärungen - zu ermitteln. Die Prozesspartei darf nicht am buchstäblichen Sinn ihrer Wortwahl festgehalten werden. Vielmehr sind Prozesserklärungen im Zweifel so auszulegen, dass dasjenige gewollt ist, was aus der Sicht der Prozessparteien nach den Maßstäben der Rechtsordnung vernünftig ist und der recht verstandenen Interessenlage entspricht. Daneben sind aber auch die schutzwürdigen Belange des Erklärungsadressaten zu berücksichtigen. Das verbietet es, eindeutigen Erklärungen nachträglich einen Sinn zu geben, der dem Interesse des Erklärenden am Besten dient (vgl. zum Ganzen: BAG 22. Dezember 2009 - 3 AZN 753/09 - Rn. 12, BAGE 133, 28). Daher kann es geboten sein, rechtskundige Prozessvertreter auch am Wortlaut ihrer Erklärungen festzuhalten (vgl. BAG 21. Februar 2013 - 6 AZR 524/11 - Rn. 36 mwN). Das Revisionsgericht ist befugt, prozessuale Willenserklärungen selbständig auszulegen (vgl. BAG 22. Dezember 2009 - 3 AZN 753/09 - Rn. 11 f., aaO).
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2. Dass die Klägerinnen im Berufungsverfahren - entsprechend dem Wortlaut des gestellten Antrages - keinen auf den Zeitpunkt des Abschlusses ihrer Arbeitsverträge mit der C abstellenden, vergangenheitsbezogenen, sondern ausschließlich einen gegenwartsbezogenen Feststellungsantrag gestellt - und damit der Sache nach nur beschränkt Berufung eingelegt - haben, ergibt schon ein Vergleich zu ihrem erstinstanzlich gestellten Antrag. Ausweislich des Protokolls der mündlichen Verhandlung vor dem Arbeitsgericht wurde der jeweilige Antrag zu 1. der Klageschrift gestellt. Dort sind die entsprechenden Daten der Arbeitsverträge mit der C ausdrücklich genannt. Dass der Antrag im Tatbestand des arbeitsgerichtlichen Urteils abweichend wiedergegeben ist, ist unschädlich. Bei Widersprüchen zwischen Tatbestand und Protokoll geht das Protokoll vor (§ 314 ZPO). Diesen ausdrücklich gestellten Klageantrag haben die Klägerinnen aber nicht mehr zum Gegenstand des Berufungsverfahrens gemacht. Zwar mag es im Interesse der Klägerinnen gelegen haben, auch den genauen Beginn ihres Arbeitsverhältnisses feststellen zu lassen. Das führt aber vorliegend nicht zwingend zu einem entsprechenden Verständnis des Antrages. Vielmehr ging dieser ersichtlich in erster Linie dahin, das gegenwärtige Bestehen eines Arbeitsverhältnisses mit dem Beklagten feststellen zu lassen. Das gebietet es - auch vor dem Hintergrund des berechtigten Interesses des Beklagten -, den in der Berufungsinstanz von rechtskundigen Prozessvertretern gestellten Antrag entsprechend seinem Wortlaut zu verstehen. Dementsprechend hat auch das Landesarbeitsgericht den Antrag ersichtlich, ohne dies allerdings näher auszuführen, zu Recht ausschließlich als gegenwartsbezogenen Antrag erachtet.
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II. Der Antrag ist zulässig. Insbesondere haben die Klägerinnen weiterhin ein berechtigtes Interesse an der begehrten Feststellung. Dem steht nicht entgegen, dass sie sämtlich während des Revisionsverfahrens einen Arbeitsvertrag mit dem Beklagten geschlossen haben.
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1. Nach § 256 Abs. 1 ZPO kann Klage auf Feststellung des Bestehens oder Nichtbestehens eines Rechtsverhältnisses erhoben werden, wenn die klagende Partei ein rechtliches Interesse daran hat, dass das Rechtsverhältnis durch richterliche Entscheidung alsbald festgestellt werde. Das besondere Feststellungsinteresse ist eine in jedem Stadium des Rechtsstreits von Amts wegen zu prüfende Sachurteilsvoraussetzung. Es muss noch in der Revisionsinstanz gegeben sein (BAG 22. Februar 2012 - 4 AZR 579/10 - Rn. 16 mwN). Ein derartiges Interesse besteht grundsätzlich, wenn im Zusammenhang mit Arbeitnehmerüberlassung der Leiharbeitnehmer - wie hier - geltend machen will, es sei zum Entleiher ein Arbeitsverhältnis zustande gekommen. Diese Feststellungsklage muss grundsätzlich den gegenwärtigen Stand des Rechtsverhältnisses betreffen. Es kann ausnahmsweise auch auf eine Feststellung für die Vergangenheit angetragen werden, wenn sich aus der begehrten Feststellung noch Rechtsfolgen für die Gegenwart oder Zukunft ergeben können (vgl. BAG 10. Oktober 2007 - 7 AZR 448/06 - Rn. 21 mwN).
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2. Durch die Revision der Klägerinnen ist dem Senat der vom Landesarbeitsgericht beschiedene Streitgegenstand angefallen. Dieser besteht in der - zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht, also am 3. Mai 2011, gegenwartsbezogenen - Frage, ob zu diesem Zeitpunkt ein Arbeitsverhältnis zwischen den Parteien bestand. Im Zeitpunkt der Entscheidung des Senats lag damit ein auf die Vergangenheit, nämlich den 3. Mai 2011 bezogener Klageantrag vor. Trotz des Vergangenheitsbezugs haben die Klägerinnen an der begehrten Feststellung weiterhin ein berechtigtes Interesse, da sich aus ihr noch Rechtsfolgen für die Gegenwart und Zukunft, insbesondere auch für mögliche Ansprüche der Klägerinnen auf Vergütungsdifferenzen ergeben können. Das Feststellungsinteresse ist auch nicht deshalb entfallen, weil die Parteien während des Revisionsverfahrens einen Arbeitsvertrag geschlossen haben. Zum einen ist damit das Bestehen von Ansprüchen der Klägerinnen für die Zeit vor dem Abschluss der Arbeitsverträge mit dem Beklagten nicht geklärt. Zum anderen können auch Ansprüche aus den nunmehr vertraglich zwischen den Parteien begründeten Arbeitsverhältnissen von der Gesamtdauer des Arbeitsverhältnisses und damit von dessen vorhergehendem Bestehen abhängen (vgl. dazu BAG 18. Februar 2003 - 3 AZR 160/02 - zu A II der Gründe, BAGE 105, 59).
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B. Die Klage ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass zwischen den Parteien bis zum 3. Mai 2011 kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen ist. Die Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien folgt weder aus § 1 Abs. 2 AÜG noch aus der unmittelbaren oder entsprechenden Anwendung von § 10 Abs. 1 AÜG. Auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs (§ 242 BGB) gilt nichts anderes.
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I. Zwischen den Parteien ist kein Arbeitsverhältnis aufgrund § 1 Abs. 2 AÜG (idF der Bekanntmachung vom 3. Februar 1995, BGBl. I S. 158, seinerzeit zuletzt geändert durch die am 30. April 2011 in Kraft getretenen Regelungen des Ersten Gesetzes zur Änderung des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes - Verhinderung von Missbrauch der Arbeitnehmerüberlassung vom 28. April 2011, BGBl. I S. 642, im Folgenden: Missbrauchsverhinderungsgesetz) zustande gekommen. Nach dieser Regelung, die zum hier maßgeblichen Zeitpunkt, also am 3. Mai 2011, anwendbar war, wird vermutet, dass der Überlassende Arbeitsvermittlung betreibt, wenn er Arbeitnehmer Dritten zur Arbeitsleistung überlässt und nicht die üblichen Arbeitgeberpflichten oder das Arbeitgeberrisiko, einschließlich der Anwendung des „equal-pay"-Grundsatzes (§ 3 Abs. 1 Nr. 3 AÜG) übernimmt. Selbst dann, wenn nach dieser Vorschrift Arbeitsvermittlung vermutet wird, ist sie nicht geeignet, ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher zu begründen. Zwar enthielt § 13 AÜG früher eine Regelung, nach der in Fällen unzulässiger Arbeitsvermittlung „die arbeitsrechtlichen Ansprüche des Arbeitnehmers gegen den Arbeitgeber dieses Arbeitsverhältnisses" nicht durch Vereinbarung ausgeschlossen werden konnten. Dieser Vorschrift entnahm das Bundesarbeitsgericht, dass in einem solchen Falle ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher zustande komme. § 13 AÜG in dieser Fassung wurde jedoch durch Art. 63 Nr. 9 des Arbeitsförderungs-Reformgesetzes vom 24. März 1997 (BGBl. I S. 594) mit Wirkung vom 1. April 1997 ersatzlos aufgehoben. Das hat zur Folge, dass eine nach dem AÜG vermutete Arbeitsvermittlung für sich genommen nicht mehr zur Begründung eines Arbeitsverhältnisses zwischen Leiharbeitnehmer und Entleiher führt (ausführlich BAG 28. Juni 2000 - 7 AZR 100/99 - BAGE 95, 165; ebenso 2. Juni 2010 - 7 AZR 946/08 - Rn. 31; aA Ulber AÜG 4. Aufl. Einl. D Rn. 45, 56 ff.).
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II. Ein Arbeitsverhältnis ist auch weder in unmittelbarer noch in entsprechender Anwendung von § 10 Abs. 1 Satz 1 AÜG zustande gekommen. Das scheitert schon daran, dass ein gegen das AÜG verstoßendes Verhalten nicht vorliegt.
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1. In dem im Streitfall maßgeblichen Zeitraum, also in der Zeit vor dem 3. Mai 2011, hatte der Gesetzgeber bewusst darauf verzichtet, im AÜG eine zeitliche Begrenzung für die Höchstdauer der Arbeitnehmerüberlassung vorzusehen. Das ergibt sich aus der Neukonzeption des Rechts der Arbeitnehmerüberlassung, die der Gesetzgeber mit dem Ersten Gesetz für moderne Dienstleistungen am Arbeitsmarkt (vom 23. Dezember 2002, verkündet am 30. Dezember 2002, BGBl. I S. 4607, nach seinem Art. 14 im Wesentlichen in Kraft getreten am 1. Januar 2003 - im Folgenden: Erstes Dienstleistungsgesetz) vorgenommen hatte. Während das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz in der bis dahin geltenden Fassung (seinerzeit zuletzt geändert durch Gesetz vom 23. Juli 2002, BGBl. I S. 2787, berichtigt S. 3760) in § 3 Abs. 1 Nr. 6 noch eine Höchstüberlassungsdauer von 24 aufeinander folgenden Monaten vorsah, wurde diese Bestimmung durch Art. 6 Nr. 3 Buchst. b des Ersten Dienstleistungsgesetzes aufgehoben. Das war Teil eines Gesamtkonzeptes, mit dem der Gesetzgeber einerseits durch die Einführung eines - tarifdispositiven - grundsätzlichen Gebots der Gleichbehandlung von entliehenen Arbeitnehmern mit der Stammbelegschaft den Schutz der Leiharbeitnehmer erhöhte, andererseits aber die Arbeitnehmerüberlassung „folgerichtig von all denjenigen Regelungen" befreite, „die bisher als Schutzmaßnahmen notwendig waren, weil Leiharbeit aufgrund des Zusammentreffens hoher Flexibilitätsanforderungen mit relativ geringen Entgelten vielfach als prekär angesehen werden musste" (BT-Drucks. 15/25 S. 24). Zu diesen Regelungen rechnete er auch die Beschränkung der Überlassungsdauer (aaO S. 39). Damit war klar, dass künftig eine unbeschränkte Überlassung von Arbeitnehmern zulässig sein sollte. Zwar hat der Gesetzgeber durch Art. 1 Nr. 2 Buchst. a bb) des Missbrauchsverhinderungsgesetzes als § 1 Abs. 1 Satz 2 in das Arbeitnehmerüberlassungsgesetz eine Regelung eingefügt, wonach die Überlassung von Arbeitnehmern an Entleiher „vorübergehend" erfolgt. Diese Bestimmung trat nach Art. 2 des Missbrauchsverhinderungsgesetzes jedoch erst am 1. Dezember 2011 und damit nach dem hier maßgeblichen Zeitraum in Kraft.
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2. Die Richtlinie 2008/104/EG des Europäischen Parlaments und des Rates vom 19. November 2008 über Leiharbeit (ABl. EU L 327 vom 5. Dezember 2008 S. 9 ff. - künftig: Leiharbeitsrichtlinie) gebietet kein anderes Ergebnis. Allerdings geht diese Richtlinie in Art. 1 Abs. 1 sowie Art. 3 Abs. 1 Buchst. b, c, d und e davon aus, dass Leiharbeitnehmer dem entleihenden Unternehmen überlassen werden, um dort „vorübergehend" zu arbeiten. Den Mitgliedstaaten wurde in Art. 11 Abs. 1 Satz 1 der Leiharbeitsrichtlinie jedoch eine Umsetzungsfrist bis zum 5. Dezember 2011 gelassen. Diese Frist war bis zum Ende des hier maßgeblichen Zeitraums noch nicht abgelaufen. Die gesetzlichen Regeln, wonach eine unbefristete Überlassung möglich war, waren daher bis dahin ohne Weiteres unionsrechtskonform.
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III. Entgegen der Auffassung der Klägerinnen ist auch unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs zwischen den Parteien bis zum 3. Mai 2011 kein Arbeitsverhältnis zustande gekommen.
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1. Der Grundsatz von Treu und Glauben (§ 242 BGB) als Gebot der Redlichkeit und allgemeine Schranke der Rechtsausübung beschränkt sowohl subjektive Rechte als auch Rechtsinstitute und Normen. Rechtsmissbrauch setzt voraus, dass ein Vertragspartner eine an sich rechtlich mögliche Gestaltung in einer mit Treu und Glauben unvereinbaren Weise nur dazu verwendet, sich zum Nachteil des anderen Vertragspartners Vorteile zu verschaffen, die nach dem Zweck der Norm und des Rechtsinstituts nicht vorgesehen sind. Beim institutionellen Missbrauch ergibt sich der Vorwurf bereits aus dem Sinn und Zweck des Rechtsinstituts. Die institutionelle Rechtsmissbrauchskontrolle verlangt daher weder ein subjektives Element noch eine Umgehungsabsicht (vgl. BAG 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 - Rn. 38). Die Annahme eines institutionellen Rechtsmissbrauchs bedarf jedoch des Rückbezugs auf die Gestaltungsmöglichkeiten, die das Recht den Vertragsparteien einräumt. Vertragsgestaltungen können nur dann als rechtsmissbräuchlich angesehen werden, wenn sie gravierend von den Gestaltungsmöglichkeiten abweichen, die nach der Konzeption des Gesetzes noch gebilligt sind (vgl. hierzu auch BAG 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 - Rn. 41).
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2. Hiernach liegt im Streitfall selbst dann kein Fall des institutionellen Rechtsmissbrauchs vor, wenn der Einsatz der Klägerinnen beim Beklagten in einer mehr als vorübergehenden Überlassung bestanden haben sollte.
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a) Ein Missbrauch der Gestaltungsmöglichkeiten des Arbeitnehmerüberlassungsgesetzes liegt nicht vor.
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aa) Nach der im hier maßgeblichen Zeitraum vor dem 3. Mai 2011 noch geltenden Rechtslage war auch eine zeitlich unbegrenzte Arbeitnehmerüberlassung kraft gesetzlicher Konzeption zulässig (oben Rn. 24 f.).
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bb) Jedenfalls vor Ablauf der Umsetzungsfrist der Leiharbeitsrichtlinie besteht auch keine Pflicht der nationalen Gerichte, die gesetzgeberische Entscheidung über die Zulässigkeit einer zeitlich nicht begrenzten Arbeitnehmerüberlassung unter dem Gesichtspunkt des institutionellen Rechtsmissbrauchs zu korrigieren. Auf eine „Vorwirkung" der Leiharbeitsrichtlinie können sich die Klägerinnen nicht stützen. Zwar sind auch die nationalen Gerichte im Rahmen ihrer Zuständigkeit an die in Art. 288 Abs. 3 AEUV enthaltene Umsetzungspflicht gebunden, nach der Richtlinien hinsichtlich des Ziels für die Mitgliedstaaten verbindlich sind, ihnen jedoch die Wahl der dazu erforderlichen Mittel überlassen wird (vgl. EuGH 17. September 1997 - C-54/96 - [Dorsch Consult] Rn. 43, Slg. 1997, I-4961). Eine Verpflichtung zur Umsetzung einer Richtlinie besteht jedoch lediglich im Rahmen der Richtlinie und damit auch der dort vorgesehenen Umsetzungsfrist (vgl. BAG 2. April 1996 - 1 ABR 47/95 - zu B II 2 b bb (2) der Gründe, BAGE 82, 349). Die Mitgliedstaaten und ihre Gerichte sind lediglich gehindert, Maßnahmen zu treffen, die geeignet sind, das in der Richtlinie vorgegebene Ziel ernsthaft in Frage zu stellen (vgl. EuGH 18. Dezember 1997 - C-129/96 - [Inter-Environnement Wallonie] Rn. 45, Slg. 1997, I-7411).
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b) Auch unter dem Gesichtspunkt der Umgehung sonstiger Schutzvorschriften liegt hier kein Fall des institutionellen Rechtsmissbrauchs vor, der das Zustandekommen eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten gebieten würde.
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aa) Sollen durch eine vertragliche Gestaltung zwingende soziale Schutzrechte umgangen werden, bleiben die daraus bestehenden Ansprüche bestehen. Die Gestaltung ist insoweit nichtig, als sie diese Ansprüche vereitelt (vgl. BGH 23. Juni 1971 - VIII ZR 166/70 - zu III der Gründe, BGHZ 56, 285). Ein Rechtsmissbrauch kann sich auch aus dem bewussten und gewollten Zusammenwirken mehrerer Personen bei den Vertragsgestaltungen ergeben (vgl. BAG 9. März 2011 - 7 AZR 657/09 - Rn. 21; 18. Juli 2012 - 7 AZR 443/09 - Rn. 39). Das kann auch dazu führen, dass sich Rechte, die durch Zwischenschaltung eines „Strohmanns" umgangen werden sollen, gegen einen Dritten richten können (vgl. BGH 22. November 2006 - VIII ZR 72/06 - Rn. 15 ff., BGHZ 170, 67). Sollen im bewussten und gewollten Zusammenwirken arbeitsrechtliche Schutzvorschriften umgangen werden, kann dies zur Folge haben, dass sich eine hieran beteiligte Person so behandeln lassen muss, wie sie bei Anwendung der umgangenen Vorschrift zu behandeln wäre (vgl. dazu BAG 20. Juli 1982 - 3 AZR 446/80 - zu 3 b und d der Gründe, BAGE 39, 200). Hieraus folgt freilich nicht zwingend, dass das Vertragsverhältnis zu dem dazwischen geschalteten Dritten nichtig wäre (vgl. BGH 12. Dezember 2012 - VIII ZR 89/12 - Rn. 15). Die Rechtsfolge kann vielmehr auch darin bestehen, dass sich bei Aufrechterhaltung des Vertragsverhältnisses zum Dritten nur einzelne Ansprüche gegen denjenigen richten, der rechtsmissbräuchlich vertragliche Beziehungen zu sich verhindert hat. Entscheidend sind der Schutzzweck der umgangenen Norm und die Frage, ob die Umgehung gerade in der Verhinderung der gesetzlich an sich vorgesehenen Begründung eines Rechtsverhältnisses zu einem Dritten insgesamt oder lediglich in der Vermeidung oder Verkürzung einzelner Ansprüche liegt.
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bb) Danach kann hier auch unter dem Gesichtspunkt der Umgehung der beim Beklagten anzuwendenden Arbeitsbedingungen kein zur Entstehung eines Arbeitsverhältnisses zwischen den Parteien führender Rechtsmissbrauch durch ein Ausweichen auf Arbeitnehmerüberlassung angenommen werden (für die grundsätzliche Zulässigkeit einer derartigen Gestaltung: Melms/Lipinski BB 2004, 2409, 2415; Willemsen/Annuß BB 2005, 437; dagegen insbesondere Brors/Schüren BB 2004, 2745; Düwell/Dahl DB 2009, 1070, 1074). Denn selbst wenn davon auszugehen wäre, dass vorliegend in rechtsmissbräuchlicher Weise eine Anwendung der beim Beklagten geltenden Arbeitsbedingungen umgangen werden sollte, könnte dies allenfalls zu Leistungspflichten des Entleihers, jedoch nicht zum Entstehen eines Arbeitsverhältnisses zwischen ihm und dem Leiharbeitnehmer führen.
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Auch unter dem Gesichtspunkt der Umgehung von Kündigungsschutzvorschriften ist zwischen den Klägerinnen und dem Beklagten kein Arbeitsverhältnis entstanden. Dies gilt auch dann, wenn die C - wovon im Streitfall auszugehen sein dürfte - Arbeitnehmer ausschließlich an den Beklagten verlieh. Dabei mag zugunsten der Klägerinnen angenommen werden, dass sich die kündigungsrechtliche Absicherung von Leiharbeitnehmern - zumindest tatsächlich - dann als geringer darstellt, wenn der Verleiher seine Leiharbeitnehmer sämtlich ausschließlich an einen Entleiher überlässt und demzufolge die Gefahr besteht, dass im Falle der Beendigung des Überlassungsvertrags zwischen Verleiher und Entleiher die Beschäftigungsmöglichkeit für sämtliche Leiharbeitnehmer entfällt (vgl. zu diesem Gedanken ausführlich: Däubler AiB 2008, 524, 525; ebenso: Schüren BB 2007, 2346, 2349). Dieser Umstand rechtfertigt es allein jedoch nicht, unter dem Gesichtspunkt des Rechtsmissbrauchs das Vertragsverhältnis zwischen dem Verleiher und dem Leiharbeitnehmer als nichtig zu erachten und ein Arbeitsverhältnis zwischen dem Leiharbeitnehmer und dem Entleiher anzunehmen. Zum einen ist die Gefährdung ihrer Arbeitsplätze für Arbeitnehmer auch sonst - also unabhängig von der Arbeitnehmerüberlassung - immer dann erhöht, wenn ihr Arbeitgeber ausschließlich Aufträge nur eines Auftraggebers ausführt. Zum anderen bleibt den Leiharbeitnehmern jedenfalls der aus § 1 Abs. 3 KSchG folgende Schutz in all den Fällen erhalten, in denen der Entleiher den Überlassungsvertrag nicht insgesamt beendet, sondern lediglich in seinem Umfang reduziert.
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IV. Soweit der Senat vorgehend Unionsrecht angewandt hat, ist dessen Inhalt aufgrund des Wortlauts der Leiharbeitsrichtlinie und der zitierten Entscheidungen hinreichend klar. Eine Pflicht, nach Art. 267 AEUV eine Vorabentscheidung des Gerichtshofs der Europäischen Union einzuholen, besteht nicht (vgl. EuGH 6. Oktober 1982 - Rs. 283/81 - [C.I.L.F.I.T.] Slg. 1982, 3415).
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C. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1, § 100 Abs. 1, §§ 565, 516 Abs. 3 ZPO.