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Arbeitsrecht
10.10.2013
Arbeitsrecht
BAG: Personenbedingte Kündigung wegen Untersuchungshaft

BAG, Urteil vom 23.5.2013 - 2 AZR 120/12


Sachverhalt


Die Parteien streiten - noch - über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.


Die Beklagte produziert Automobile. Der Kläger war bei ihr seit 1997 als Fahrzeugpolsterer beschäftigt. Im Betrieb ist ein Betriebsrat gebildet.


In der Zeit vom 12. März bis zum 10. April 2008 befand sich der Kläger wegen des Verdachts eines Verstoßes gegen das Betäubungsmittelgesetz in Untersuchungshaft. Am 23. September 2008 wurde er zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt. Die Strafe wurde zur Bewährung ausgesetzt.


Am 17. September 2010 wurde der Kläger erneut vorläufig festgenommen. Im Anschluss daran befand er sich in Untersuchungshaft. Am 20. September 2010 teilte seine Ehefrau dies der Beklagten mit. Grund für die Verhaftung war, dass der Kläger zusammen mit einer weiteren Person eine „Haschisch-Plantage" betrieb. Dort hatte die Polizei 18 Kilogramm Cannabispflanzen gefunden. Eine solche Menge enthält ca. zwei bis drei Kilogramm des Wirkstoffs THC.


In den Folgetagen versuchte die Beklagte erfolglos, mit dem Prozessbevollmächtigten des Klägers Kontakt aufzunehmen. Mit Schreiben vom 24. September 2010 forderte sie den Kläger auf, zum Sachstand Stellung zu nehmen. Am 27. September 2010 erhielt sie Kenntnis von einem Zeitungsartikel, aus welchem sich ua. die gefundene Cannabismenge ergab. Am 1. Oktober 2010 teilte der Prozessbevollmächtigte des Klägers mit, zu einem Haftprüfungstermin, einem Termin zur Hauptverhandlung und einem zu erwartenden Strafmaß könne er sich frühestens nach Akteneinsicht äußern. Über eine Haftverschonung werde noch verhandelt. Am 7. Oktober 2010 teilte er mit, dass ein Ende der Inhaftierung nicht absehbar sei und sich eine etwaige weitere Verurteilung aller Voraussicht nach negativ auf die Aussetzung der ersten Haftstrafe zur Bewährung auswirke.


Am 8. Oktober 2010 hörte die Beklagte den Betriebsrat zu einer beabsichtigten außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung zum 30. Juni 2011 an. Dieser äußerte Bedenken.


Mit Schreiben vom 12. Oktober 2010 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis der Parteien außerordentlich fristlos. Mit Schreiben vom 15. Oktober 2010 kündigte sie hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen Termin und gab diesen mit dem 30. Juni 2011 an. Gegen beide Kündigungen hat der Kläger fristgerecht Klage erhoben.


Am 1. Februar 2011 fand der erste Hauptverhandlungstermin im Strafverfahren statt. Das Amtsgericht verhängte gegen den Kläger mit rechtskräftig gewordenem Urteil vom 17. Februar 2011 eine Freiheitsstrafe von drei Jahren wegen gemeinschaftlichen unerlaubten Besitzes von Betäubungsmitteln in nicht geringer Menge.


Mit Schreiben vom 28. Juni 2011 beantragte der Kläger die Zurückstellung der Freiheitsstrafe ab September 2011 zwecks Durchführung einer Drogentherapie gem. § 35 BtMG. Am 21. Juli 2011 entschied die Staatsanwaltschaft mit Zustimmung des Gerichts, die weitere Vollstreckung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 17. Februar 2011 gem. § 35 Abs. 1 und Abs. 3 BtMG für die Behandlung in einer Therapieeinrichtung ab dem 19. September 2011 für die Dauer von längstens zwei Jahren zurückzustellen. Die nachgewiesene Zeit des Aufenthalts sollte gem. § 36 Abs. 1 Satz 1 BtMG auf die Strafe angerechnet werden, bis infolge der Anrechnung zwei Drittel der Strafe erledigt wären. Am 19. September 2011 nahm der Kläger die (teilstationäre) Therapie auf.


Die Staatsanwaltschaft beantragte, die Aussetzung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 23. September 2008 zu widerrufen. Über den Antrag des Klägers, die Verbüßung dieser Strafe zurückzustellen, war zum Zeitpunkt der mündlichen Verhandlung vor dem Landesarbeitsgericht noch nicht entschieden.


Der Kläger hat die Auffassung vertreten, sein haftbedingtes Fehlen sei kein Kündigungsgrund. Bei einer Zurückstellung der Freiheitsstrafe aus dem Urteil vom 17. Februar 2011 sei damit zu rechnen gewesen, dass er spätestens im Jahr 2012 seiner Arbeitsverpflichtung wieder würde nachkommen können. Genauere und sichere Angaben zum Zeitpunkt seiner Einsatzfähigkeit seien ihm nicht möglich gewesen. Er habe beantragen wollen, die noch zu verbüßende Reststrafe zur Bewährung auszusetzen. Üblicherweise werde einem solchen Antrag stattgegeben, wenn eine Drogentherapie mit Erfolg abgeschlossen worden sei.


Der Kläger hat beantragt


festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien weder durch die Kündigung vom 12. Oktober 2010, noch durch die Kündigung vom 15. Oktober 2010 aufgelöst worden ist.


Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat vorgetragen, zum Zeitpunkt der Kündigung habe sie damit rechnen müssen, dass der Kläger durch die zu erwartende neuerliche Haftstrafe über Jahre an der Wiederaufnahme seiner Arbeit gehindert wäre. Da die sichergestellte Drogenmenge höher gewesen sei als bei der Straftat im Jahr 2008, habe sie davon ausgehen müssen, dass eine längere Haftstrafe verhängt würde. Diese Prognose habe sich durch die Verurteilung zu einer Freiheitsstrafe von drei Jahren bestätigt. Das Fehlen des Klägers habe zu betrieblichen Beeinträchtigungen geführt. Das Arbeitsverhältnis sei zudem seit Jahren durch verspätete Arbeitsaufnahmen und erhebliche krankheitsbedingte Fehlzeiten belastet gewesen.


Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und festgestellt, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die außerordentliche Kündigung vom 12. Oktober 2010 nicht aufgelöst worden ist. Die gegen die ordentliche Kündigung gerichtete Klage hat es abgewiesen. Mit der Revision begehrt der Kläger, die erstinstanzliche Entscheidung wiederherzustellen.


Aus den Gründen


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Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die ordentliche Kündigung vom 15. Oktober 2010 zu Recht für sozial gerechtfertigt gehalten.


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I. Die Revision ist zulässig. Sie ist rechtzeitig eingelegt und ordnungsgemäß begründet worden.


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1. Nach § 72 Abs. 5 ArbGG iVm. § 551 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 ZPO gehört zum notwendigen Inhalt der Revisionsbegründung die Angabe der Revisionsgründe. Bei einer Sachrüge muss die Revisionsbegründung den vermeintlichen Rechtsfehler des Landesarbeitsgerichts so aufzeigen, dass Gegenstand und Richtung des Revisionsangriffs erkennbar sind. Sie muss dazu eine Auseinandersetzung mit den tragenden Argumenten des angefochtenen Urteils enthalten. Dies erfordert die konkrete Darlegung der Gründe, aus denen das Urteil rechtsfehlerhaft sein soll (BAG 27. September 2012 - 2 AZR 811/11 - Rn. 12; 16. November 2011 - 4 AZR 234/10 - Rn. 15).


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2. Diesen Anforderungen wird die Revisionsbegründung - noch - gerecht. Der Kläger hat dargelegt, dass und aus welchen Gründen er die tragende Annahme des Landesarbeitsgerichts, bei Ausspruch der Kündigung sei mit einer Haftdauer von mehr als zwei Jahren zu rechnen gewesen, für rechtsfehlerhaft hält.


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II. Die Revision ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, das Arbeitsverhältnis der Parteien sei durch die ordentliche Kündigung vom 15. Oktober 2010 aufgelöst worden.


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1. Die Kündigung ist iSv. § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG durch Gründe in der Person des Klägers bedingt.


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a) Als Kündigungsgrund in der Person des Arbeitnehmers kommen Umstände in Betracht, die auf einer in dessen persönlichen Verhältnissen oder Eigenschaften liegenden „Störquelle" beruhen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 13; 5. Juni 2008 - 2 AZR 984/06 - Rn. 27 mwN). Zu diesen zählt eine Arbeitsverhinderung des Arbeitnehmers, die auf einer Straf- oder Untersuchungshaft beruht (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 12, BAGE 136, 213; 22. September 1994 - 2 AZR 719/93 - zu II 1 der Gründe). Deren Qualifizierung als Grund in der Person des Arbeitnehmers lässt es zu, auf eine mögliche Resozialisierung des straffällig gewordenen Arbeitnehmers Bedacht zu nehmen. Nicht jede Freiheitsstrafe kann ohne Rücksicht auf ihre Dauer und ihre Auswirkungen zum Verlust des Arbeitsplatzes führen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 13).


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b) Eine Würdigung des der Haft zugrunde liegenden Tatgeschehens unter verhaltensbedingten Gesichtspunkten ist nur veranlasst, wenn dieses einen Bezug zum Arbeitsverhältnis hat oder der Arbeitnehmer auf andere Weise arbeitsvertragliche Pflichten, insbesondere seine Pflicht zur Rücksichtnahme (§ 241 Abs. 2 BGB) verletzt hat (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 14). Das ist hier nicht der Fall. Das Landesarbeitsgericht hat das Vorliegen der entsprechenden Voraussetzungen verneint. Dagegen wendet sich die Beklagte nicht. Sie stützt die Kündigung nurmehr auf die im Erklärungszeitpunkt zu erwartenden haftbedingten Abwesenheitszeiten des Klägers.


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c) Voraussetzung einer Kündigung wegen haftbedingter Arbeitsverhinderung ist, dass der Arbeitnehmer aller Voraussicht nach für eine verhältnismäßig erhebliche Zeit nicht in der Lage sein wird, seine arbeitsvertraglichen Verpflichtungen zu erfüllen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 15).


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aa) Maßgebend für die vom Arbeitgeber insoweit anzustellende Prognose sind die objektiven Verhältnisse im Zeitpunkt des Zugangs der Kündigungserklärung. Die tatsächliche Entwicklung nach Kündigungsausspruch kann nur in engen Grenzen Berücksichtigung finden (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 17; 10. Juni 2010 - 2 AZR 541/09 - Rn. 52, BAGE 134, 349).


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bb) Grundlage für die Prognose muss nicht zwingend eine bereits erfolgte - rechtskräftige - strafgerichtliche Verurteilung sein. Die Erwartung, der Arbeitnehmer werde für längere Zeit an der Erbringung seiner Arbeitsleistung gehindert sein, kann auch im Fall der Untersuchungshaft berechtigt sein. Dann kommt es darauf an, ob die der vorläufigen Inhaftierung zugrunde liegenden Umstände bei objektiver Betrachtung mit hinreichender Sicherheit eine solche Prognose rechtfertigen. Da ohne rechtskräftige Verurteilung nicht auszuschließen ist, dass sich die Annahme als unzutreffend erweist, muss der Arbeitgeber vor Ausspruch der Kündigung alle zumutbaren Anstrengungen zur Aufklärung des Sachverhalts unternommen, insbesondere dem Arbeitnehmer Gelegenheit zur Stellungnahme gegeben haben.


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d) Die (prognostizierte) Nichterfüllung der Arbeitspflicht muss sich nachteilig auf das Arbeitsverhältnis auswirken. Da der Arbeitgeber im Fall der haftbedingten Arbeitsunfähigkeit des Arbeitnehmers typischerweise von der Lohnzahlungspflicht befreit ist (§ 616 Abs. 1, § 275 Abs. 1, § 326 Abs. 1 BGB), hängt es von der Dauer der Haft sowie Art und Ausmaß der betrieblichen Auswirkungen ab, ob die Inhaftierung geeignet ist, einen Grund zur Kündigung abzugeben. Das ist sie nicht, wenn es dem Arbeitgeber zuzumuten ist, für die Zeit des haftbedingten Arbeitsausfalls Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und dem Arbeitnehmer den Arbeitsplatz bis zur Rückkehr aus der Haft frei zu halten (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 15; 20. November 1997 - 2 AZR 805/96 - zu II 3 der Gründe). Jedenfalls dann, wenn im Kündigungszeitpunkt mit einer mehrjährigen haftbedingten Abwesenheit des Arbeitnehmers gerechnet werden muss, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich vorläufige Maßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 23).


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e) Liegt eine beachtliche Störung vor, bedarf es der abschließenden, alle Umstände des Einzelfalls einbeziehenden Abwägung, ob es dem Arbeitgeber unter Berücksichtigung der Interessen beider Vertragsteile dennoch zumutbar war, das Arbeitsverhältnis bis zum Wegfall des Hinderungsgrundes fortzusetzen. Sowohl bei der Frage, ob von einer erheblichen Störung des Austauschverhältnisses auszugehen ist, als auch bei der Interessenabwägung ist zu berücksichtigen, dass der Arbeitnehmer die haftbedingte Arbeitsverhinderung in aller Regel selbst zu vertreten hat (vgl. BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 15).


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f) Danach ist die Kündigung vom 15. Oktober 2010 sozial gerechtfertigt. Das Arbeitsverhältnis war im Kündigungszeitpunkt durch die zu erwartende haftbedingte Arbeitsverhinderung des Klägers erheblich belastet. Das Freihalten des Arbeitsplatzes war der Beklagten nach den Umständen des Falls nicht zumutbar.


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aa) Im Kündigungszeitpunkt musste die Beklagte mit hoher Gewissheit damit rechnen, dass der Kläger für die Dauer mehrerer Jahre an der Erbringung seiner Arbeitsleistung verhindert wäre.


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(1) Der Kläger befand sich bei Zugang der Kündigung bereits seit vier Wochen in Untersuchungshaft. Der Beklagten war das dem Kläger vorgeworfene Delikt bekannt. Sie hatte alle ihr möglichen Maßnahmen zur Klärung einer möglichen Haftdauer ergriffen, insbesondere dem Kläger über seinen Prozessbevollmächtigten Gelegenheit gegeben, zum Tatvorwurf Stellung zu nehmen. Der Kläger hat zu keiner Zeit bestritten, die Straftat begangen zu haben. Sein Prozessbevollmächtigter hatte erklärt, ein kurzfristiges Ende der Inhaftierung sei nicht abzusehen.


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(2) Unter diesen Umständen und nach den ihr vorliegenden Informationen musste die Beklagte davon ausgehen, der Kläger habe die ihm vorgeworfene Straftat tatsächlich begangen. Aus ihrer - objektiv berechtigten - Sicht stand deshalb als sicher zu erwarten, dass der Kläger strafrechtlich verurteilt würde. Ungewiss war allenfalls das Maß der zu erwartenden Strafe. Für deren mögliche Höhe gab es allerdings objektive Anhaltspunkte. Der Kläger war im Jahr 2008 wegen eines ähnlichen Delikts zu einer Freiheitsstrafe von zwei Jahren verurteilt worden. In Anbetracht seiner erneuten Straffälligkeit noch innerhalb des Bewährungszeitraums und der ihr bekannten Tatumstände, insbesondere der Menge der aufgefundenen Cannabispflanzen und des in ihnen enthaltenen Wirkstoffs, musste die Beklagte damit rechnen, dass das Strafmaß für die erneute Straftat jedenfalls nicht geringer als zuvor ausfiele und zudem die Aussetzung der Vorstrafe zur Bewährung widerrufen würde.


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(3) Konkrete Anhaltspunkte dafür, dass der Kläger gleichwohl vorzeitig und alsbald seine Tätigkeit wieder würde aufnehmen können, waren bei Kündigungszugang nicht ersichtlich. Der Kläger hatte zu diesem Zeitpunkt einen Antrag auf Durchführung einer Therapie nach § 35 BtMG noch nicht gestellt, dementsprechend hatte die Beklagte keine Kenntnis von seiner späteren Einsicht und Therapiebereitschaft. Der Kläger hat im Übrigen nicht behauptet, er sei während der Durchführung der - teilstationären - Therapie arbeitsfähig gewesen. Ob und ggf. wann ein Rest der zu verbüßenden Freiheitsstrafe zur Bewährung ausgesetzt würde, war deshalb im Kündigungszeitpunkt völlig unklar.


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bb) Angesichts dessen war der Beklagten ein Festhalten am Arbeitsverhältnis über die ordentliche Kündigungsfrist hinaus nicht zuzumuten.


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(1) Die Beklagte musste mit der Erklärung der Kündigung als solcher nicht noch zuwarten. Sie war nicht etwa verpflichtet, den Arbeitsplatz bis zur Entscheidung über eine mögliche Strafaussetzung zur Bewährung frei zu halten. Zwar kann sich aus § 241 Abs. 2 BGB eine Verpflichtung des Arbeitgebers ergeben, den Arbeitnehmer bei seinem Streben nach Vollzugslockerungen zu unterstützen (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 28, BAGE 136, 213; 9. März 1995 - 2 AZR 497/94 - zu II 5 der Gründe). Im Streitfall war aber völlig ungewiss, ob und wann dem Kläger eine Aussetzung seiner Strafe gewährt würde. Die Pflicht des Arbeitgebers, den Arbeitnehmer in seinem Resozialisierungsbemühen zu unterstützen, geht nicht so weit, diesem auf die vage Aussicht hin, in ferner Zukunft eine Vollzugslockerung zu erreichen, bis zum Zeitpunkt einer Klärung, dh. möglicherweise über Monate hinweg die Rückkehr auf den Arbeitsplatz zu ermöglichen.


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(2) Der Darlegung konkreter Betriebsablaufstörungen bedurfte es wegen der für den Kläger zu erwartenden mehr als zweijährigen Freiheitsstrafe und der damit verbundenen hohen Wahrscheinlichkeit einer entsprechend langen Abwesenheit nicht.


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(a) Der Arbeitsvertrag ist auf den ständigen Austausch von Leistung und Gegenleistung gerichtet. Die Verpflichtung des Arbeitnehmers geht dahin, dem Arbeitgeber seine Arbeitskraft zur Verfügung zu stellen, damit dieser sie im Rahmen seiner arbeitsteiligen Betriebsorganisation sinnvoll einsetzen kann. Ist der Arbeitnehmer dazu nicht in der Lage, tritt hinsichtlich seiner Arbeitsleistung Unmöglichkeit ein, wenn - wie bei lang andauernder Arbeitsverhinderung die Regel - eine Nachleistung beiden Seiten nicht zugemutet werden kann (ErfK/Preis 13. Aufl. § 611 BGB Rn. 676). Zugleich ist der Arbeitgeber gehindert, von seinem Weisungsrecht Gebrauch zu machen, und muss, wenn er seine bisherige Arbeitsorganisation unverändert aufrechterhalten will, für eine anderweitige Erledigung der Arbeit sorgen. Bereits darin liegt eine Beeinträchtigung der betrieblichen Interessen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 20).


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(b) Zumindest dann, wenn im Kündigungszeitpunkt noch eine Haftstrafe von mehr als zwei Jahren zu verbüßen ist und eine Entlassung vor Ablauf von zwei Jahren nicht sicher zu erwarten steht, kann dem Arbeitgeber regelmäßig nicht zugemutet werden, lediglich Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen und auf eine dauerhafte Neubesetzung des Arbeitsplatzes zu verzichten. Dabei ist neben den bereits angesprochenen Unwägbarkeiten zu berücksichtigen, dass dem Arbeitgeber die Möglichkeit zur Beschäftigung einer Aushilfskraft im sachgrundlos befristeten Arbeitsverhältnis lediglich für einen Zeitraum von 24 Monaten eröffnet ist. Er kann deshalb bei längerer Haftzeit nicht damit rechnen, die Abwesenheit des Arbeitnehmers einigermaßen problemlos überbrücken zu können. Hinzu kommt, dass mit zunehmender Haftdauer die Verwirklichung des Vertragszwecks in Frage gestellt wird. Eine mehrjährige Abwesenheit des Arbeitnehmers geht typischerweise mit einer Lockerung seiner Bindungen an den Betrieb und die Belegschaft sowie dem Verlust von Erfahrungswissen einher, das aus der täglichen Routine resultiert. Dementsprechend muss der Arbeitgeber bei der Rückkehr eines langjährig inhaftierten Arbeitnehmers mit Einarbeitungsaufwand rechnen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 23).


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(c) Eine Verpflichtung des Arbeitgebers, selbst bei mehrjähriger Haftstrafe bloße Überbrückungsmaßnahmen zu ergreifen, besteht auch nicht aus Gründen der Resozialisierung. Zwar hat er bei kurzzeitigen Inhaftierungen oder in Fällen, in denen nach Ablauf der Kündigungsfrist zeitnah eine Weiterbeschäftigung im offenen Vollzug möglich ist, auf die entsprechenden Belange des Arbeitnehmers angemessen Rücksicht zu nehmen. Dies rechtfertigt es aber nicht, vom Arbeitgeber zu verlangen, den Arbeitsplatz für den inhaftierten Arbeitnehmer für voraussichtlich mehr als zwei Jahre frei zu halten und ihm die damit verbundenen Lasten aufzuerlegen (BAG 24. März 2011 - 2 AZR 790/09 - Rn. 24). Die durchaus strengeren Anforderungen an eine Kündigung wegen lang anhaltender Erkrankung (vgl. BAG 12. Juli 2007 - 2 AZR 716/06 - Rn. 27 mwN, BAGE 123, 234; 29. April 1999 - 2 AZR 431/98 - zu II 3 a der Gründe, BAGE 91, 271) beruhen darauf, dass eine schwere Krankheit - anders als eine Freiheitsstrafe - für den Betroffenen in der Regel unvermeidbar war (BAG 25. November 2010 - 2 AZR 984/08 - Rn. 26, BAGE 136, 213).


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(3) Die Interessenabwägung führt nicht zu einem Überwiegen der Belange des Klägers. Zwar ist zu seinen Gunsten eine fast dreizehnjährige Dauer der Betriebszugehörigkeit zu berücksichtigen. Gleichwohl geht das Beendigungsinteresse der Beklagten vor. Im Jahr 2008 befand sich der Kläger schon einmal für die Dauer von vier Wochen in Untersuchungshaft. Seinen neuerlichen, aller Voraussicht nach langdauernden Ausfall hat der Kläger selbst verschuldet. Dabei wiegt besonders schwer, dass er während einer laufenden Bewährungsphase erneut straffällig geworden ist. Im Rahmen der Interessenabwägung erhebliche, ihn entlastende besondere Umstände hat der Kläger nicht vorgetragen. Von der Beklagten kann deshalb nicht verlangt werden, das Arbeitsverhältnis mit ihm fortzusetzen.


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2. Andere Gründe, aus denen die Kündigung vom 15. Oktober 2010 unwirksam sein könnte, sind nicht ersichtlich. Den Betriebsrat hat die Beklagte ordnungsgemäß nach § 102 Abs. 1 BetrVG angehört.


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III. Die Kosten seines erfolglosen Rechtsmittels hat gem. § 97 Abs. 1 ZPO der Kläger zu tragen.

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