BAG: Kündigung wegen Glaubenskonflikt
BAG , Urteil vom 24.02.2011 - Aktenzeichen 2 AZR 636/09 (Vorinstanz: LAG Schleswig-Holstein vom 20.01.2009 - Aktenzeichen 5 Sa 270/08; ) (Vorinstanz: ArbG Kiel vom 16.06.2008 - Aktenzeichen 2 Ca 455 c/08; ) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Leitsätze: Beruft sich der Arbeitnehmer gegenüber einer Arbeitsanweisung des Arbeitgebers auf einen ihr entgegenstehenden, ernsthaften inneren Glaubenskonflikt, kann das Beharren des Arbeitgebers auf Vertragserfüllung ermessensfehlerhaft iSv. § 106 Satz 1 GewO iVm. Art. 4 Abs. 1 GG sein. In diesem Fall stellt zwar die Weigerung des Arbeitnehmers, der Weisung nachzukommen, keine vorwerfbare Pflichtverletzung dar, kann aber geeignet sein, eine Kündigung des Arbeitsverhältnisses aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers zu rechtfertigen, wenn es dem Arbeitgeber nicht ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, den Arbeitnehmer anderweit sinnvoll einzusetzen. Orientierungssätze: 1. Weigert sich der Arbeitnehmer aus Glaubensgründen, eine vom arbeitsvertraglich vereinbarten Leistungsspektrum umfasste Arbeitsleistung zu erbringen, kann dies - je nach den Umständen des Einzelfalls - eine ordentliche Kündigung rechtfertigen. 2. Der Arbeitgeber muss bei der Ausübung seines Weisungsrechts auf einen ihm offenbarten Glaubenskonflikt Bedacht nehmen. Er darf dem Arbeitnehmer bei verfassungskonformer Auslegung und Anwendung von § 106 Satz 1 GewO regelmäßig keine Arbeit zuweisen, die diesen in einen nachvollziehbar dargelegten, ernsthaften und unüberwindbaren Glaubenskonflikt brächte. Etwas anderes kann dann gelten, wenn entgegenstehende Grundrechte oder Verfassungsaufträge - sei es auch nur vorübergehend - ein Hintanstellen der Glaubensüberzeugungen geboten erscheinen lassen. 3. Beruft sich der Arbeitnehmer erstmals nach erteilter Weisung auf einen unüberwindbaren inneren Glaubenskonflikt, kann der Arbeitgeber nach den vorstehenden Grundsätzen verpflichtet sein, erneut von seinem Direktionsrecht Gebrauch zu machen und dem Arbeitnehmer - soweit möglich und zumutbar - eine andere Arbeit zuzuweisen. Beharrt der Arbeitgeber auf die Arbeitsleistung, kann dies iSv. § 106 Satz 1 GewO ermessensfehlerhaft sein. Der Arbeitnehmer braucht in einem solchen Fall der Anordnung keine Folge zu leisten. Auf ein etwaiges Leistungsverweigerungsrecht nach § 275 Abs. 3 BGB kommt es nicht an. 4. Nur in eng begrenzten Fällen hängt die Frage, ob der Arbeitgeber dem Arbeitnehmer die Arbeitsleistung trotz eines bestehenden Glaubens- oder Gewissenskonflikts verbindlich zuweisen darf, von der Vorhersehbarkeit des Konflikts ab. 5. War das Beharren des Arbeitgebers auf die Vertragserfüllung iSv. § 106 Satz 1 GewO iVm. Art. 4 Abs. 1 GG ermessensfehlerhaft, stellt die Weigerung des Arbeitnehmers, der Weisung nachzukommen, keine vorwerfbare Vertragspflichtverletzung dar. Sie kann aber geeignet sein, eine Kündigung aus Gründen in der Person des Arbeitnehmers zu rechtfertigen, wenn es dem Arbeitgeber nicht ohne größere Schwierigkeiten möglich ist, den Arbeitnehmer anderweit sinnvoll einzusetzen. 6. Beruft sich der Arbeitnehmer auf verbleibende Einsatzmöglichkeiten, hat er im Kündigungsschutzprozess zumindest in Grundzügen aufzuzeigen, wie er sich eine mit seinen Glaubensüberzeugungen in Einklang stehende Beschäftigung im Rahmen der vom Arbeitgeber vorgegebenen Betriebsorganisation vorstellt. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
BAP-Pressemitteilung Nr. 16/11
| ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||