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Arbeitsrecht
15.03.2012
Arbeitsrecht
BAG: Kirchlicher Arbeitnehmer - Kündigung wegen Loyalitätsverstoß










BAG
, Urteil  vom 08.09.2011 - Aktenzeichen 2 AZR 543/10
(Vorinstanz: LAG Düsseldorf vom
01.07.2010 - Aktenzeichen 5 Sa 996/09; ) (Vorinstanz: ArbG
Düsseldorf vom 30.07.2009 - Aktenzeichen 6 Ca
2377/09; )


Amtliche Leitsätze:
Auch bei Kündigungen wegen Enttäuschung der berechtigten
Loyalitätserwartungen eines kirchlichen Arbeitgebers kann die stets
erforderliche Interessenabwägung im Einzelfall zu dem Ergebnis führen, dass dem
Arbeitgeber die Weiterbeschäftigung des Arbeitnehmers zumutbar und die Kündigung
deshalb unwirksam ist. Abzuwägen sind das Selbstverständnis der Kirchen
einerseits und das Recht des Arbeitnehmers auf Achtung seines Privat- und
Familienlebens andererseits.

Redaktionelle Normenkette: AGG § 9
Abs. 2; GG
Art. 2
Abs. 1;
GG
Art. 6
Abs. 1;
GG
Art. 140;
KSchG
§ 1
Abs. 2;
WRV Art. 137 Abs. 3;

BAG-Pressemitteilung Nr. 69/11








Tatbestand:
 






Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen
Kündigung der Beklagten.
RN 1






Der Kläger ist seit dem Jahre 2000 im katholischen
S-Krankenhaus in D als Chefarzt der Abteilung
Innere Medizin ("Abteilungsarzt") beschäftigt. Trägerin des Krankenhauses ist
die Beklagte.
RN 2






Nach dem Arbeitsvertrag der Parteien leisten die Mitarbeiter
ihren Dienst im Geist christlicher Nächstenliebe; als wichtiger Grund zur
außerordentlichen Kündigung ist ua. "Leben in kirchlich ungültiger Ehe oder
eheähnlicher Gemeinschaft" vorgesehen.
RN 3






Nach Art. 3 Abs. 2 der auf
das Arbeitsverhältnis anwendbaren Grundordnung des kirchlichen Dienstes vom 22.
September 1993 (GrO) können kirchliche Dienstgeber pastorale, katechetische
sowie in der Regel erzieherische und leitende Aufgaben nur einer Person
übertragen, die der katholischen Kirche angehört. Art. 4 Abs. 1 GrO fordert von
den katholischen Mitarbeitern, dass sie die Grundsätze der katholischen
Glaubens- und Sittenlehre anerkennen und beachten. Bei leitenden katholischen
Mitarbeitern, zu denen ua. Abteilungsärzte gehören, ist das persönliche
Lebenszeugnis iSd. Grundsätze der katholischen Glaubens- und Sittenlehre
erforderlich.
RN 4






Nach Art. 5 Abs. 1 GrO muss der Dienstgeber, wenn ein
Mitarbeiter die Beschäftigungsanforderungen nicht mehr erfüllt, durch Beratung
zu erreichen versuchen, dass dieser den Mangel auf Dauer beseitigt. Als letzte
Maßnahme kommt eine Kündigung in Betracht. Gem. Art. 5 Abs. 2 GrO ist der Abschluss einer nach dem
Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe ein
schwerwiegender Loyalitätsverstoß, der eine Kündigung rechtfertigen kann. In
diesem Fall ist nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO die Weiterbeschäftigung ua. dann
ausgeschlossen, wenn der Loyalitätsverstoß von leitend tätigen Mitarbeitern
begangen wird. Lediglich aus schwerwiegenden Gründen des Einzelfalls kann
ausnahmsweise von der Kündigung abgesehen werden (Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO). Im Fall des Abschlusses einer nach dem
Glaubensverständnis und der Rechtsordnung der Kirche ungültigen Ehe scheidet
eine Weiterbeschäftigung jedenfalls dann aus, wenn sie unter öffentliches
Ärgernis erregenden oder die Glaubwürdigkeit der Kirche beeinträchtigenden
Umständen geschlossen wird (Art. 5 Abs. 5 GrO).
RN 5






Eine ungültige Ehe schließt nach katholischem
Rechtsverständnis (vgl. Canon [Can.] 1085 § 1 Codex Iuris Canonici [CIC]), wer
durch das Band einer früheren Ehe gebunden ist. Eine neue Eheschließung ist auch
dann nicht erlaubt, wenn eine frühere Ehe aus irgendeinem Grund nichtig oder
aufgelöst worden ist, die Nichtigkeit bzw. die Auflösung der früheren Ehe aber
noch nicht rechtmäßig und sicher feststeht, Can. 1085 § 2 CIC.
RN 6






Nachdem sich seine erste Ehefrau im Jahre 2005 von ihm
getrennt hatte, lebte der Kläger mit seiner jetzigen Frau von 2006 bis 2008
unverheiratet zusammen. Das war der Beklagten nach den Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts seit Herbst 2006 bekannt. Nach der Scheidung von seiner
ersten Ehefrau Anfang 2008 heiratete der Kläger im August 2008 seine jetzige
Frau standesamtlich. Davon erfuhr die Beklagte spätestens im November 2008. In
den folgenden Wochen fanden sowohl zwischen den Parteien als auch auf Seiten der
Beklagten Erörterungen und Beratungen statt. Nach Anhörung der bei ihr
bestehenden Mitarbeitervertretung (MAV), die von einer Stellungnahme absah,
kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis im März 2009 fristgerecht zum 30.
September 2009.
RN 7






Dagegen hat der Kläger Kündigungsschutzklage erhoben. Er hat
die Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial ungerechtfertigt. Die erneute
Heirat stelle keinen Kündigungsgrund dar. Er sei als Chefarzt weder leitender
Angestellter noch Träger der kirchlichen Verkündigung iSd. Art. 5 Abs. 3 GrO.
Die Kündigung verstoße gegen den Gleichbehandlungsgrundsatz. Die Beklagte habe
andere geschiedene und wiederverheiratete Chefärzte durchaus eingestellt oder
weiterbeschäftigt oder beschäftige sie sogar derzeit. Ein etwaiges
Kündigungsrecht habe die Beklagte überdies verwirkt. Er habe sich nicht
kirchenfeindlich verhalten. Die Trennung sei nicht öffentlich geworden. Sie habe
auch bei der Belegschaft kein Ärgernis erregt.
RN 8






Der Kläger hat beantragt
RN 9






1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis zwischen den
Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 30. März 2009 zum 30.
September 2009 nicht beendet worden ist;
 






2. für den Fall des Obsiegens mit dem Feststellungsantrag die
Beklagte zu verpflichten, ihn über den 30. September 2009 hinaus als Leitenden
Arzt Abteilung medizinische Klinik (Innere Medizin) am S-Krankenhaus in D bis zum rechtskräftigen Abschluss des
Kündigungsschutzprozesses weiterzubeschäftigen.
 






Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die
Auffassung vertreten, die Kündigung sei sozial gerechtfertigt. Der Kläger sei
eine ungültige Ehe iSd. katholischen Kirchenrechts eingegangen und habe dadurch
in erheblicher Weise gegen seine Verpflichtungen aus dem Arbeitsverhältnis
verstoßen. Der Kläger sei als leitender Mitarbeiter iSd. Art. 5 Abs. 3 GrO
anzusehen. Sie habe das Kündigungsverfahren nach Kenntnis von der
Wiederverheiratung zügig vorangetrieben. Ein Großteil der vom Kläger benannten
geschiedenen und wiederverheirateten Chefärzte sei nicht katholisch. Andere
arbeiteten in Krankenhäusern, die nicht in ihrer Trägerschaft stünden. Herr Dr.
B sei Ende 2003 ausgeschieden. Zudem habe er seine Wiederverheiratung erst einen
Monat vor seinem altersbedingten Ausscheiden angezeigt; mit Rücksicht auf das
kurz bevorstehende Ausscheiden sei in diesem Fall von einer Kündigung abgesehen
worden. Allenfalls bei dem schon in den 80er Jahren verstorbenen Chefarzt Dr. S
könne ein vergleichbarer Sachverhalt angenommen werden. Damals habe die
Grundordnung des kirchlichen Dienstes aber noch nicht gegolten.
RN 10






Das Arbeitsgericht hat nach den Klageanträgen erkannt. Das
Landesarbeitsgericht hat - nach Durchführung einer Beweisaufnahme - die Berufung
der Beklagten zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt die Beklagte ihren
Antrag, die Klage abzuweisen, weiter.
RN 11








Entscheidungsgründe:
 






Die Revision ist unbegründet. Ob ein mögliches Kündigungsrecht
der Beklagten verwirkt wäre, kann dahin stehen. Die Kündigung ist sozial
ungerechtfertigt iSd. § 1
KSchG.
Der Kläger hat zwar gegen Loyalitätsanforderungen verstoßen. Dieser Verstoß
führt aber unter den hier gegebenen Umständen nicht zur Wirksamkeit der
Kündigung: Die erforderliche umfassende Abwägung der rechtlich geschützten
Interessen beider Parteien geht zu Gunsten des Klägers aus.
RN 12






I. Das Recht der Beklagten zum Ausspruch der ordentlichen
Kündigung dürfte entgegen der Auffassung des Klägers nicht verwirkt sein. Die
Beklagte hat die Kündigung nicht mit illoyaler Verspätung ausgesprochen. Nachdem
sie im November 2008 von der Wiederverheiratung erfahren hatte, musste sie nicht
nur das in der Grundordnung vorgeschriebene beratende Gespräch mit dem Kläger
führen, sondern auch den Aufsichtsrat beteiligen und eine Stellungnahme des
Generalvikars einholen. Angesichts der - auch für die Beklagte und das
Krankenhaus - weitreichenden Folgen des Kündigungsentschlusses ist es nicht zu
beanstanden, dass sie dabei umsichtig und ohne Hast vorging. Letztlich kommt es
auf eine etwaige Verwirkung des Kündigungsrechts nicht an. Die Kündigung ist aus
anderen Gründen unwirksam.
RN 13






II. Die Kündigung ist sozial ungerechtfertigt iSd. § 1
KSchG.
Diese Bestimmung findet auf das Arbeitsverhältnis der Parteien
Anwendung.
RN 14






1. Der Kläger hat sich durch die Wiederverheiratung in
Widerspruch zu den berechtigten Loyalitätserwartungen der Beklagten gesetzt. Ob
eine Enttäuschung dieser Erwartungen die Kündigung (auch) aus Gründen im
Verhalten oder (nur) aus Gründen in der Person des Klägers bedingen kann,
braucht dabei nicht entschieden zu werden (2 a). Die Kündigung war nicht schon
wegen Verstoßes gegen § 1
KSchG,
§§ 1,
7
AGG sozial ungerechtfertigt. Zu der in der Kündigung liegenden unterschiedlichen
Behandlung wegen der Religion war die Beklagte an sich nach § 9 Abs. 2 AGG berechtigt (2 b). Jedoch führt die Abwägung der
beiderseitigen Interessen zur Sozialwidrigkeit der Kündigung (2 c).
RN 15






2. Eine Kündigung ist aus Gründen im Verhalten des
Arbeitnehmers gemäß § 1
Abs. 2
Satz 1 KSchG
sozial gerechtfertigt, wenn der Arbeitnehmer eine Vertragspflicht erheblich - in
der Regel schuldhaft - verletzt hat, die zumutbare Möglichkeit einer anderen,
zukünftige Störungen zuverlässig ausschließenden Beschäftigung nicht besteht und
die Lösung des Arbeitsverhältnisses in Abwägung der Interessen beider
Vertragsteile billigenswert und angemessen erscheint. Auch die erhebliche
Verletzung einer vertraglichen Nebenpflicht kann eine Kündigung sozial
rechtfertigen (BAG 9. Juni 2011 - 2
AZR 284/10
- Rn. 34, DB 2011, 2724;
28. Oktober 2010 - 2
AZR 293/09
- Rn. 12, AP KSchG
1969 § 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 62 = EzA KSchG
§ 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 78). Voraussetzung ist, dass der Arbeitnehmer
sich rechtswirksam zu dem beanstandeten Tun oder Unterlassen hat verpflichten
können. Ob dies mit Blick auf das Versprechen, nicht erneut zu heiraten, unter
dem Regime staatlichen Rechts möglich ist, erscheint nicht
unzweifelhaft.
RN 16






17 Eine Kündigung ist aus Gründen in der Person des
Arbeitnehmers bedingt, wenn der Arbeitnehmer aufgrund persönlicher Eigenschaften
- ohne dass ihm das vorwerfbar wäre - nicht (mehr) in der Lage ist, die Leistung
vertragsge- recht zu erfüllen (BAG 18. Januar 2007 - 2
AZR 731/05
- Rn. 15, BAGE 121, 32). Vorausgesetzt ist eine Nicht- oder
Schlechterfüllung der geschuldeten Leistung, etwa weil der Arbeitnehmer einer
beruflichen Anforderung nicht (mehr) entspricht.
 






Da die Kündigung im Streitfall auf einer Ungleichbehandlung
beruht, sind zur näheren Bestimmung ihrer sozialen Rechtfertigung die
Vorschriften des AGG heranzuziehen (BAG 6. November 2008 - 2
AZR 523/07
- BAGE 128, 238).
Die stets notwendige Abwägung der rechtlich geschützten Interessen der Parteien
muss bei Kündigungen aus kirchenspezifischen Gründen dem Selbstverständnis der
Kirchen ein besonderes Gewicht beimessen (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - zu B II 1 e der Gründe, BVerfGE
70, 138). Die Arbeitsgerichte haben zwischen dem Recht der Arbeitnehmer auf
Achtung ihres Privat- und Familienlebens (Art. 8
EMRK)
einerseits und den nach Art. 9
EMRK
(Religionsfreiheit) und Art. 11
EMRK
(Vereinigungsfreiheit) geschützten Rechten der Religionsgemeinschaft
andererseits abzuwägen. Dieses Abwägungsgebot folgt auch aus der Rechtsprechung
des Europäischen Gerichtshofs für Menschenrechte (
EGMR
3. Februar 2011 - 18136/02 - EzA BGB
2002 § 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 17; 23. September 2010 - 425/03 - NZA 2011, 277; 23.
September 2010 - 1620/03 - NZA 2011, 279),
deren Beachtung verfassungsrechtlich geboten ist (BVerfG 14. Oktober 2004 - 2
BvR 1481/04
- BVerfGE 111, 307).
RN 18






a) Mit der Wiederverheiratung hat der Kläger gegen seine
Loyalitätsobliegenheit aus dem Arbeitsvertrag (§ 10 Abs. 4 Nr. 2) und gegen die
darin in Bezug genommene Grundordnung (Art. 5 Abs. 2 GrO) verstoßen. Durch die Eingehung seiner zweiten
(standesamtlichen) Ehe hat der Kläger den Grundsatz der Unauflöslichkeit der Ehe
verletzt. Dieser zählt zu den wesentlichen Grundsätzen der katholischen
Glaubens- und Sittenlehre. Er wird in den Vorschriften des Codex Iuris Canonici
von 1983 bekräftigt (CIC Can. 1055, 1056, 1134 und insbesondere Can. 1141, nach
dem die gültig geschlossene und vollzogene Ehe zwischen Getauften durch keine
menschliche Gewalt und aus keinem Grunde, außer durch den Tod, aufgelöst werden
kann). Das Verbot der Wiederverheiratung gilt nach der katholischen
Glaubenslehre auch in der Zeit, in der ein eingeleitetes
Ehenichtigkeitsverfahren noch nicht erfolgreich beendet ist. Im Streitfall lag
daher zum Zeitpunkt der Kündigung ein Verstoß gegen Can. 1085 § 2 CIC vor (vgl. BAG 16. September 2004 - 2
AZR 447/03
- Rn. 48, AP BGB
§ 611
Kirchendienst Nr. 44 = EzA BGB
2002 § 242
Kündigung Nr. 5).
RN 19






aa) Das Verlangen der Beklagten nach Einhaltung der
Vorschriften der katholischen Glaubens- und Sittenlehre steht im Einklang mit
den verfassungsrechtlichen Vorgaben.
RN 20






(1) Dem Kläger steht freilich das Recht auf freie Entfaltung
seiner Persönlichkeit gemäß Art. 2
Abs. 1
GG
und auf Schutz der Ehe (Art. 6
Abs. 1
GG)
zu. Diese Grundrechte umfassen regelmäßig auch die Freiheit, eine zweite Ehe
einzugehen. Die Gestaltung des privaten Lebensbereichs steht außerhalb der
Einflusssphäre des Arbeitgebers und wird durch arbeitsvertragliche Pflichten nur
insoweit eingeschränkt, wie sich das private Verhalten auf den betrieblichen
Bereich auswirkt und dort zu Störungen führt. Berührt außerdienstliches
Verhalten den arbeitsvertraglichen Pflichtenkreis nicht, so ist der Arbeitgeber
regelmäßig nicht berechtigt, die ihm bekannt gewordenen Umstände aus der
Privatsphäre des Arbeitnehmers durch den Ausspruch einer Kündigung zu
missbilligen (BAG 10. September 2009 - 2
AZR 257/08
- Rn. 20, AP KSchG
1969 § 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 60 = EzA KSchG
§ 1
Verhaltensbedingte Kündigung Nr. 77; 16. September 2004 - 2
AZR 447/03
- Rn. 43, AP BGB
§ 611
Kirchendienst Nr. 44 = EzA BGB
2002 § 242
Kündigung Nr. 5).
RN 21






(2) Die Grundrechte des Arbeitnehmers nach Art. 2
Abs. 1,
Art. 6
Abs. 1
GG
bestehen jedoch nicht uneingeschränkt. Nach dem Beschluss des
Bundesverfassungsgerichts vom 4. Juni 1985 (- 2
BvR 1718/83 ua. - BVerfGE 70, 138), dem das Bundesarbeitsgericht in ständiger
Rechtsprechung gefolgt ist (so zB BAG 21. Februar 2001 - 2
AZR 139/00
- Rn. 53, AP BGB
Kirchendienst § 611
Nr. 29 = EzA BGB
§ 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 47; 24. April 1997 - 2
AZR 268/96
- AP BGB
§ 611
Kirchendienst Nr. 27 = EzA BGB
§ 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 43; 18. November 1986 - 7 AZR 274/85 - AP GG
Art. 140
Nr. 35 = EzA BGB
§ 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 26), kommt das durch Art. 140
GG
iVm. Art. 137
Abs. 3 WRV verfassungsrechtlich verbürgte Selbstordnungs- und
Selbstverwaltungsrecht neben den verfassten Kirchen auch den ihnen zugeordneten,
insbesondere karitativen Einrichtungen zu (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - Rn. 59, aaO.). Die
Verfassungsgarantie des kirchlichen Selbstbestimmungsrechts gewährleistet den
Kirchen darüber zu befinden, welche Dienste es in ihren Einrichtungen geben soll
und in welchen Rechtsformen sie wahrzunehmen sind. Die Kirchen können sich dabei
der staatlichen Privatautonomie bedienen, um ein Arbeitsverhältnis zu begründen
und zu regeln (BVerfGE 4. Juni 1985 - 2 BvR
1718/83 ua. - Rn. 58, aaO.).
RN 22






(3) Bedienen sich die Kirchen wie jedermann der
Privatautonomie zur Begründung von Arbeitsverhältnissen, so findet auf diese das
staatliche Arbeitsrecht Anwendung. Die Einbeziehung der kirchlichen
Arbeitsverhältnisse in das staatliche Arbeitsrecht hebt indessen deren
Zugehörigkeit zu den "eigenen Angelegenheiten" der Kirche iSv. Art. 140
GG,
Art. 137
Abs. 3
WRV nicht auf. Das ermöglicht es den Kirchen, in den Schranken des für alle
geltenden Gesetzes den kirchlichen Dienst nach ihrem Selbstverständnis zu regeln
und dazu die spezifischen Obliegenheiten kirchlicher Arbeitnehmer verbindlich zu
machen. Werden Loyalitätsanforderungen in einem Arbeitsvertrag festgelegt, nimmt
der kirchliche Arbeitgeber nicht nur die allgemeine Vertragsfreiheit für sich in
Anspruch; er macht zugleich von seinem verfassungskräftigen
Selbstbestimmungsrecht Gebrauch (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/03 ua. - Rn. 59, BVerfGE 70, 138).
RN 23






(4) Welche kirchlichen Grundverpflichtungen als Gegenstand des
Arbeitsverhältnisses bedeutsam sein können, richtet sich nach den von der
verfassten Kirche anerkannten Maßstäben. Dagegen kommt es weder auf die
Auffassung der einzelnen betroffenen kirchlichen Einrichtungen, bei denen die
Meinungsbildung von verschiedenen Motiven beeinflusst sein kann, noch auf
diejenige breiter Kreise unter Kirchenmitgliedern oder gar einzelner, bestimmten
Tendenzen verbundener Mitarbeiter an (BAG 21. Februar 2001 - 2
AZR 139/00
- Rn. 53, AP BGB
§ 611
Kirchendienst Nr. 29 = EzA BGB
§ 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 47). Die Arbeitsgerichte haben die vorgegebenen
kirchlichen Maßstäbe für die Bewertung einzelner Loyalitätsanforderungen
zugrunde zu legen, soweit die Verfassung das Recht der Kirche anerkennt,
hierüber selbst zu befinden. Es bleibt danach grundsätzlich den verfassten
Kirchen überlassen, verbindlich zu bestimmen, was die "Glaubwürdigkeit der
Kirche und der Einrichtung, in der sie beschäftigt sind" (vgl. Art. 4 Abs. 4,
Art. 5 Abs. 5 GrO) erfordert, welches die zu beachtenden "Grundsätze der
katholischen Glaubens- und Sittenlehre" sind (vgl. Art. 4 Abs. 1 GrO) und welche
"Loyalitätsverstöße" (vgl. Art. 5 Abs. 2 GrO)
aus "kirchenspezifischen Gründen" als "schwerwiegend" anzusehen sind. Auch die
Entscheidung darüber, ob und wie innerhalb der im kirchlichen Dienst tätigen
Mitarbeiter eine Abstufung der Loyalitätsanforderungen eingreifen soll (vgl.
Art. 5 Abs. 3 und Abs. 4 GrO), ist grundsätzlich eine dem kirchlichen
Selbstbestimmungsrecht unterliegende Angelegenheit (vgl. BAG 21. Februar 2001 -
2
AZR 139/00
- aaO.; bestätigend: EGMR
3. Februar 2011 - 18136/02 - EzA BGB
2002 § 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 17).
RN 24






bb) Nach den damit maßgeblichen kirchlichen Vorschriften liegt
ein Loyalitätsverstoß vor.
RN 25






(1) Die nach Art. 5 Abs. 2
GrO generell als Kündigungsgrund in Betracht kommende Wiederheirat eines
verheirateten Arbeitnehmers rechtfertigt nach Art. 5 Abs. 3 Satz 1 GrO eine
Kündigung, wenn der betroffene Mitarbeiter "leitend tätig" ist. Die Wahrnehmung
einer "missio canonica" ist nicht erforderlich. Nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO kann von einer Kündigung allerdings
ausnahmsweise abgesehen werden, wenn schwerwiegende Gründe des Einzelfalls die
Kündigung als unangemessen erscheinen lassen.
RN 26






(2) Der Kläger als Abteilungsarzt für "Innere Medizin" ist
leitender Mitarbeiter iSd. Art. 5 Abs. 3 Satz 1 Alt. 1 GrO. Das zeigt Buchst. A
Ziff. 6 der auf den Arbeitsvertrag anwendbaren Grundordnung für katholische
Krankenhäuser in Nordrhein-Westfalen vom 5. November 1996. Danach sind leitend
tätige Mitarbeiter im Sinne der genannten Grundordnung ua. die Abteilungsärzte.
Gem. § 1 Abs. 1 des Dienstvertrags ist der Kläger Abteilungsarzt.
RN 27






(3) Ein Ausnahmefall nach Art. 5 Abs. 3 Satz 2 GrO liegt nicht vor. Die Beurteilung des
Landesarbeitsgerichts, die Beklagte habe das Vorliegen von Ausnahmetatbeständen
zu Recht verneint, ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden.
RN 28






(4) Die Kündigung erweist sich nicht als unverhältnismäßig
wegen Missachtung der Verfahrensvorschrift des Art. 5 Abs. 1 GrO. Nach Art. 5
Abs. 1 GrO muss der kirchliche Dienstgeber, wenn ein Mitarbeiter die
Beschäftigungsanforderungen nicht mehr erfüllt, durch "Beratung", dh. "ein
klärendes Gespräch" versuchen, dass der Mitarbeiter diesen Mangel auf Dauer
beseitigt. Im vorliegenden Fall ist die Beklagte dieser Verpflichtung im
Gespräch vom 26. Januar 2009 nachgekommen.
RN 29






b) Die Kündigung ist nicht wegen Verstoßes gegen §§ 1,
7
AGG ungerechtfertigt iSd. § 1
KSchG.
Die mit ihr verbundene Ungleichbehandlung des Klägers wegen seiner Religion ist
nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.
RN 30






aa) Liegt - wie hier - eine Nichtachtung von
Loyalitätsanforderungen vor, so ist die weitere Frage, ob sie eine Kündigung des
kirchlichen Arbeitsverhältnisses sachlich rechtfertigt, nach den
kündigungsschutzrechtlichen Vorschriften des § 1
KSchG
und des § 626
BGB
zu beantworten. Diese unterliegen als für alle geltendes Gesetz iSd. Art. 137
Abs. 3 Satz 1 WRV umfassender arbeitsgerichtlicher Anwendungskompetenz (BVerfG
7. März 2002 - 1
BvR 1962/01
- EzA BGB
§ 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 47a; BAG 21. Februar 2001 - 2
AZR 139/00
- AP BGB
§ 611
Kirchendienst Nr. 29 = EzA BGB
§ 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 47). Die Gerichte müssen jedoch auch in diesem
Rahmen dem in Art. 137 Abs. 3 WRV gewährleisteten Selbstbestimmungsrecht der
Religionsgemeinschaften Rechnung tragen (BVerfG 4. Juni 1985 - 2 BvR 1718/83 ua. - BVerfGE 70, 138). Dabei sind in
Fällen, in denen die Kündigung eine Benachteiligung iSd. §§ 1
ff. AGG mit sich bringt, für die Frage der sozialen Rechtfertigung nach § 1
KSchG
die Vorschriften des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes vom 14. August 2006
(BGBl. I S. 1897) heranzuziehen (BAG 6. November 2008 - 2
AZR 523/07
- BAGE 128, 238).
RN 31






bb) Die hier vorliegende Benachteiligung des Klägers führt
nicht nach § 1
KSchG
iVm. §§ 1,
7,
9
AGG zur Sozialwidrigkeit der Kündigung.
RN 32






(1) Die Kündigung stellt zwar eine unmittelbare
Benachteiligung des Klägers wegen der Religion iSd. § 3 Abs. 1 AGG dar. Dem
Kläger wäre nicht wegen Wiederverheiratung gekündigt worden, wenn er nicht
katholisch wäre.
RN 33






(2) Die Benachteiligung ist jedoch nach § 9 Abs. 2 AGG gerechtfertigt.
RN 34






(a) Nach § 9 Abs. 2 AGG
berührt das Verbot unterschiedlicher Behandlung wegen der Religion nicht das
Recht der Religionsgemeinschaften und der ihnen zugeordneten Einrichtungen iSd.
§ 9 Abs. 1 AGG, von ihren Beschäftigten ein loyales und aufrichtiges Verhalten
im Sinne ihres jeweiligen Selbstverständnisses verlangen zu können. Die
Vorschrift will Art. 4 Abs. 2 der Richtlinie
2000/78/EG des Rates vom 27. November 2000 umsetzen. Danach können - sofern die
Bestimmungen dieser Richtlinie im Übrigen eingehalten werden - die Kirchen und
andere öffentliche oder private Organisationen, deren Ethos auf religiösen
Grundsätzen oder Weltanschauungen beruht, im Einklang mit den einzelstaatlichen
verfassungsrechtlichen Bestimmungen und Rechtsvorschriften von den für sie
arbeitenden Personen verlangen, dass sie sich loyal und aufrichtig im Sinne des
Ethos der Organisation verhalten. Ob dadurch allein unterschiedliche
Behandlungen wegen der Religion oder auch Benachteiligungen aus anderen Gründen
(zB wegen der sexuellen Identität) erlaubt werden (vgl. ausführlich Thüsing
Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 487 ff. mwN) kann dahinstehen, da
die unterschiedliche Behandlung hier ausschließlich wegen der Religion erfolgt.
RN 35






(b) Im Streitfall hat der Kläger sich illoyal im Sinne des
Ethos der Beklagten verhalten. Die Beklagte sieht, wie aus dem Arbeitsvertrag,
der Grundordnung und den Vorschriften des Corpus Iuris Canonici hervorgeht, für
leitende Mitarbeiter die Wiederverheiratung Geschiedener als einen schweren
Verstoß gegen zentrale Anforderungen ihrer Glaubens- und Sittenlehre an. Danach
kommt der Ehe nicht eine formelle Funktion im Sinne eines frei zu schließenden
und auch wieder zu lösenden privatrechtlichen Vertrages zu, sondern sie ist als
Sakrament unauflöslich und integraler Bestandteil der göttlichen Schöpfungs- und
Erlösungsordnung (Thüsing Arbeitsrechtlicher Diskriminierungsschutz Rn. 491).
Diese Vorgabe muss von der staatlichen Gewalt geachtet werden. Die erneute
Heirat eines nach kirchlichem Verständnis Verheirateten ist ein schwerer und
ernster Verstoß gegen die Loyalitätsanforderungen (HWK/Annuß/Rupp 4. Aufl. § 9
AGG Rn. 5; AGG/Voigt 3. Aufl. § 9 AGG Rn. 33; Bauer/Göpfert/Krieger AGG 3. Aufl.
§ 9 Rn. 17).
RN 36






(c) Die umstrittene Frage, ob und in welchem Umfang Art. 4
Abs. 2 der Richtlinie 2000/78/EG es gebietet,
dass die nach § 9 AGG vom Arbeitgeber gestellte berufliche Anforderung zugleich
die Voraussetzungen einer nach der Art der Tätigkeit gerechtfertigten
Anforderung erfüllt (vgl. etwa AGG/Voigt § 9 Rn. 22 ff.; Bauer/Göpfert/Krieger
AGG § 9 Rn. 13 ff.; Mohr/v. Fürstenberg BB 2008, 2122; BT-Drucks. 16/1780 S. 35
f.; Schreiben der Kommission der Europäischen Union vom 31. Januar 2008 zu dem
am 28. Oktober 2010 eingestellten Vertragsverletzungsverfahren 2007/2362 zu Nr.
2), kann dahinstehen. Eine Auslegungsfrage iSd. Art. 267 AEUV stellt sich, wie
die Prüfung durch den Senat ergeben hat, nicht. Im Streitfall ist das Verbot der
Wiederverheiratung auch nach der Art der vom Kläger ausgeübten Tätigkeit
gerechtfertigt. Die Einhaltung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre ist
zwar nicht Voraussetzung für die Ausübung des Heilberufs im rein praktischen
Sinne. Der Kläger ist jedoch als Chefarzt Vorgesetzter zahlreicher Mitarbeiter
und verkörpert ihnen gegenüber und auch gegenüber den Patienten und ihren
Angehörigen sowie in der Öffentlichkeit in besonderem Maße das Ethos der
Beklagten. Sein Verhalten wird von seinen Mitarbeitern und von den Patienten und
ihren Angehörigen der Beklagten zugerechnet. Die Beklagte als juristische Person
vermittelt ethische Glaubwürdigkeit in herausragendem Maß durch ihr
Führungspersonal. Diese in mehrfacher Hinsicht besondere Funktion rechtfertigt
es, dass die Beklagte von denjenigen Mitarbeitern, die sie mit der Wahrnehmung
der Leitungsaufgaben betraut, eine Identifikation mit den Kernpunkten der
katholischen Glaubens- und Sittenlehre fordert. Auch der Europäische Gerichtshof
für Menschenrechte geht davon aus, dass besondere berufliche Anforderungen nicht
nur dann gegeben sind, wenn sie ein gleichsam handwerkliches Erfordernis
darstellen, sondern auch, wenn sie im Einklang mit der Richtlinie 2000/78/EG auf
den religiösen Grundsätzen des Arbeitgebers und der Bedeutung der Tätigkeit des
betreffenden Arbeitnehmers für diesen beruhen (so für das Gebot der ehelichen
Treue nach dem Verständnis der Mormonenkirche EGMR
23. September 2010 - 425/03 - NZA 2011, 277; vgl. auch EGMR
3. Februar 2011 - 18136/02 - EzA BGB
2002 § 611
Kirchliche Arbeitnehmer Nr. 17).
RN 37






c) Liegt danach ein Loyalitätsverstoß des Klägers vor, der an
sich geeignet ist, die ordentliche Kündigung nach § 1
KSchG
zu rechtfertigen, so ergibt doch die Abwägung der beiderseitigen Interessen der
Parteien, dass der Beklagten die Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses zumutbar
ist.
RN 38






aa) Zu Gunsten der Beklagten wiegt die unverkennbare Schwere
des Loyalitätsverstoßes. Die Beklagte hat als katholische Einrichtung das vom Grundgesetz
gestützte Recht, auch als solche zu wirken und in Erscheinung zu treten. Sie
versteht ihr karitatives Tun im Sinne der Erfüllung eines religiösen Auftrages.
Nach der katholischen Sittenlehre gehören Nächstenliebe und die Unauflöslichkeit
der Ehe als Teile zu derselben, umfassenden, nicht verfügbaren und einheitlichen
Auffassung vom Menschen als Geschöpf Gottes. Art. 9
und Art. 11
EMRK
gewährleisten, dass sich Menschen aufgrund einer sie verbindenden religiösen
Auffassung zusammenfinden und ihre Angelegenheiten nach Maßstäben ordnen können,
die nicht vom Staat oder der jeweils herrschenden öffentlichen Meinung über die
Natur des Menschen korrigiert werden dürfen. Das gilt auch dann, wenn die
betreffenden Auffassungen einer Bevölkerungsmehrheit unplausibel,
rückwärtsgerichtet oder irrational erscheinen mögen.
RN 39






bb) Entscheidend geschwächt wird das Interesse der Beklagten
an der Auflösung des Arbeitsverhältnisses allerdings durch drei Umstände, aus
denen hervorgeht, dass sie selbst die Auffassung vertritt, einer ausnahmslosen
Durchsetzung ihrer sittlichen Ansprüche zur Wahrung ihrer Glaubwürdigkeit nicht
immer zu bedürfen.
RN 40






(1) Dies zeigt sich daran, dass die Beklagte nach Art. 3 Abs.
2 GrO mit leitenden Tätigkeiten auch
nichtkatholische Personen betrauen kann. Der katholische Glaube ist nur
regelmäßige Voraussetzung für die Übertragung von Leitungsaufgaben. Die Beklagte
ist also durch die Grundordnung nicht gezwungen, ihr "Wohl und Wehe"
gewissermaßen bedingungslos mit dem Lebenszeugnis ihrer leitenden Mitarbeiter
für die katholische Sittenlehre zu verknüpfen.
RN 41






(2) Durch diese Rechtslage ist es auch zu erklären, dass die
Beklagte mehrfach Chefärzte beschäftigt hat bzw. beschäftigt, die als
Geschiedene erneut geheiratet haben. Es handelt sich insoweit überwiegend um
nichtkatholische Arbeitnehmer bzw. katholische Arbeitnehmer in besonderen
Lebenslagen, denen gegenüber sie entweder von vornherein nicht die strenge
Befolgung der katholischen Glaubens- und Sittenlehre verlangt oder mit Rücksicht
auf besondere Gegebenheiten nicht durchsetzen zu müssen glaubte. Richtig ist,
dass darin - anders als es das Landesarbeitsgericht gesehen hat - kein Verstoß
gegen den arbeitsrechtlichen Gleichbehandlungsgrundsatz gefunden werden kann.
Das ändert aber nichts daran, dass die Beklagte das Ethos ihrer Organisation
durch eine differenzierte Handhabung bei der Anwendung und Durchsetzung ihres
legitimen Loyalitätsbedürfnisses selbst nicht zwingend gefährdet
sieht.
RN 42






(3) Die Beklagte hat nach den Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts den nach dem Vertrag der Parteien der Wiederverheiratung
gleichwertigen Verstoß des ehelosen Zusammenlebens des Klägers seit dem Herbst
2006 gekannt und hingenommen. Auch das zeigt, dass sie selbst ihre moralische
Glaubwürdigkeit nicht ausnahmslos bei jedem Loyalitätsverstoß als erschüttert
betrachtet, sondern sich, möglicherweise angesichts der ausgeprägten Verdienste
des Klägers um die Patienten und ihres eigenen mit diesen Verdiensten
verbundenen Rufs, durchaus zu unterscheiden gestattet.
RN 43






Schon bei Einbeziehung nur dieser Umstände ist schwer
erkennbar, warum ihr die Beschäftigung des Klägers nunmehr unzumutbar sein
sollte.
RN 44






cc) Der Beklagten ist die Weiterbeschäftigung des Klägers
jedenfalls dann zumutbar, wenn dessen Belange gegen die ihren abgewogen
werden.
RN 45






Zu Gunsten des Klägers fällt sein grundrechtlich und durch
Art. 8,
Art. 12
EMRK
geschützter Wunsch in die Waagschale, in einer nach bürgerlichem Recht
geordneten Ehe mit seiner jetzigen Frau zu leben. Auch deren Recht, die Form des
Zusammenlebens mit dem von ihr gewählten Partner im gesetzlich vorgesehenen
Rahmen zu bestimmen, verdient Achtung. Freilich hat der Kläger als Katholik
durch den Vertragsschluss mit der Beklagten in die Einschränkung seines Rechts
auf Achtung des Privat- und Familienlebens eingewilligt. Wenn er an der
Erfüllung seiner religiösen Pflicht aus Gründen, die den innersten Bezirk des
Privatlebens betreffen, gescheitert ist, so geschah dies jedoch nicht aus einer
ablehnenden oder auch nur gleichgültigen Haltung heraus. Der Kläger stellt die
mit seiner Religionszugehörigkeit verbundenen ethischen Pflichten nicht in
Abrede und hat sich zu keinem Zeitpunkt gegen die kirchliche Sittenlehre
ausgesprochen oder ihre Geltung oder Zweckmäßigkeit in Zweifel gezogen. Im
Gegenteil versucht er, den ihm nach kanonischem Recht verbliebenen Weg zur
kirchenrechtlichen Legalisierung seiner Ehe zu beschreiten. Seine Leistung und
sein Einsatz für die ihm anvertrauten Patienten, für seine Mitarbeiter und für
sie selbst werden von der Beklagten anerkannt. Störungen des Leistungsaustauschs
bestehen nicht. Irgendwelche auch nur leichten Irritationen bei Mitarbeitern
oder Patienten wegen des Kündigungssachverhalts sind nicht erkennbar.
RN 46






Angesichts dessen ist die ausgesprochene Kündigung sozial
nicht gerechtfertigt.
RN 47






III. Die Kosten der Revision fallen der Beklagten nach § 97
Abs. 1
ZPO
zur Last.
RN 48
 

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