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Arbeitsrecht
23.01.2014
Arbeitsrecht
LAG Niedersachsen: Keine Anrechnung einer Vorbeschäftigungszeit als Leiharbeitnehmer auf die Wartefrist

LAG Niedersachsen, Urteil vom 5.4.2013 - 12 Sa 50/13


Sachverhalt


Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer ordentlichen Kündigung.


Der jetzt 53 Jahre alte Kläger ist ledig und hat ein Kind. Am 06.05.2011 unterzeichnete der Kläger einen schriftlichen Arbeitsvertrag mit der Firma D. Personal-Service GmbH und Co. KG, nach welchem der Kläger „entsprechend der Tätigkeit im Einsatzbetrieb eingestellt [wurde] als Fertigungsplaner" (Bl. 57 ff. d. A.). Diese Tätigkeit nahm der Kläger zum 09.05.2011 in den Betriebsräumen der Beklagten in C-Stadt auf. Am 14.11.2011 schloss der Kläger mit der Beklagten einen unbefristeten Arbeitsvertrag als Fertigungsplaner. § 14 dieses Vertrages regelte:


 „Der Arbeitsvertrag wird auf unbestimmte Zeit geschlossen. Die Probezeit beträgt 6 Monate. Während der Probezeit ist der Anstellungsvertrag mit einer Frist von 1 Monat zum Monatsende für beide Teile kündbar.


Nach der Probezeit kann das Arbeitsverhältnis von beiden Vertragsparteien unter Einhaltung einer Kündigungsfrist von 6 Monaten zum Ende des Kalendermonats gekündigt werden. Verlängerte gesetzliche Kündigungsfristen, die der Arbeitgeber zu beachten hat, geltend gleichermaßen für eine Kündigung durch den Arbeitnehmer." (Bl. 16 f. d. A.).


Tatsächlich war der Kläger sowohl im November noch für die Firma D. Personal-Service GmbH als auch im Dezember 2011 direkt bei der Beklagten unverändert an demselben Arbeitsplatz bei der Beklagten tätig. Noch im Januar 2012 erteilte die Beklagte dem Kläger ein gutes Zwischenzeugnis (Bl. 25 f. d. A.).


Mit Schreiben vom 15.05.2012 unterrichtete die Beklagte den bei ihr bestehenden Betriebsrat darüber, dass sie beabsichtige, das mit dem Kläger bestehende Arbeitsverhältnis innerhalb der Probezeit fristgerecht zu beenden (Bl. 24 d. A.). Diesem Kündigungsbegehren widersprach der Betriebsrat mit Schreiben vom 24.05.2012. Gleichwohl sprach die Beklagte mit Schreiben vom 29.05.2012 eine ordentliche Kündigung mit Wirkung zum 30.06.2012 aus (Bl. 22 d. A.). Hiergegen hat der Kläger mit am 19.06.2012 beim Arbeitsgericht Braunschweig eingegangenen Schriftsatz Kündigungsschutzklage erhoben.


Der Kläger hat die Auffassung vertreten, dass das Kündigungsschutzgesetz auf das Arbeitsverhältnis mit der Beklagten Anwendung finde, da er tatsächlich bereits seit dem 09.05.2011 bei der Beklagten in deren Betrieb in C-Stadt gearbeitet habe. Die vorgeschaltete Beschäftigung im Rahmen eines Leiharbeitsverhältnisses sei faktisch die Probezeit bei der Beklagten gewesen. Für die Vereinbarung einer weiteren Probezeit mit Wirkung ab dem 01.12.2011 habe es keinen sachlichen Grund gegeben. Die Beklagte habe die Erprobung des Klägers bereits zuvor positiv festgestellt. Dies zeige sich auch an dem positiven Zwischenzeugnis aus Januar 2012. Unwirksam sei auch die Vereinbarung einer kürzeren Kündigungsfrist in der abermaligen Probezeit. Frühestens könne das Arbeitsverhältnis von der Beklagten mit Wirkung zum 30.11.2012 beendet werden.


Der Kläger hat beantragt,


1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.05.2012 nicht zum 30.06.2012 beendet wird, sondern über diesen Zeitpunkt hinaus fortbesteht,


2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis auch nicht durch andere Tatbestände endet, sondern zu den unveränderten Bedingungen über den 30.06.2012 hinaus fortbesteht.


Die Beklagte hat beantragt,


die Klage abzuweisen.


Die Beklagte hat die Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartefrist nach § 1 KSchG geltend gemacht. Maßgeblich sei die Dauer des Arbeitsverhältnisses mit dem jeweiligen Vertragsarbeitgeber. Das hier maßgebliche Arbeitsverhältnis zur Beklagten sei erst mit Wirkung zum 01.12.2011 begründet worden. Die kürzere für die Probezeit vereinbarte Kündigungsfrist sei nicht zu beanstanden, da sie noch oberhalb der gesetzlich vorgesehenen Probezeitkündigungsfrist von zwei Wochen liege.


Mit Urteil vom 21.11.2012 hat das Arbeitsgericht Braunschweig die Klage abgewiesen. Diese Entscheidung ist am 11.12.2012 an die Prozessbevollmächtigten des Klägers zugestellt worden. Die hiergegen gerichtete Berufungsschrift einschließlich Berufungsbegründung ist am 10.01.2013 beim Landesarbeitsgericht eingegangen.


Zur Begründung der Berufung macht der Kläger geltend, er habe zum Zeitpunkt des Ausspruchs der Kündigung Ende Mai 2012 die sechsmonatige Wartefrist gemäß § 1 Abs. 1 KSchG bereits erfüllt gehabt, da er bereits seit Mai 2011 im Betrieb der Beklagten beschäftigt gewesen sei. Die Zeit der Beschäftigung als Leiharbeitnehmer sei auf die Wartezeit anzurechnen. Aus Sicht des Klägers habe es sich bei der Beschäftigung als Leiharbeitnehmer im Betrieb der Beklagten bereits um ein Probearbeitsverhältnis gehandelt. Sowohl die Vereinbarung einer weiteren sechsmonatigen Probezeit als auch der Ausspruch der Kündigung vom 29.05.2012 seien treuwidrig. Selbst wenn das Arbeitsverhältnis nicht dem Kündigungsschutzgesetz unterfallen sollte, könne die Kündigung frühestens zum 30.11.2012 wirken.


Der Kläger beantragt,


das Urteil des Arbeitsgerichts Braunschweig vom 21.11.2012 - 7 Ca 24/12 - abzuändern und festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien durch die ordentliche Kündigung der Beklagten vom 29.05.2012 weder zum 30.06.2012 noch zu einem späteren Zeitpunkt beendet worden ist.


Die Beklagte beantragt,


die Berufung zurückzuweisen.


Die Beklagte verteidigt das erstinstanzliche Urteil und macht geltend, dass es für die Frage der Erfüllung der sechsmonatigen Wartefrist nach § 1 Abs. 1 KSchG allein auf die beim jeweiligen Vertragsarbeitgeber zurückgelegte Beschäftigungszeit ankomme. Es bestehe auch ein materielles Interesse des neuen Arbeitgebers an der Vereinbarung einer Probezeit. In Einzelfällen komme es vor, dass die Leistung vormaliger Leiharbeitnehmerinnen und Leiharbeitnehmer nachlasse, wenn sie sich erst einmal in einem „festen" Arbeitsverhältnis wähnten. Soweit der Kläger etwaige Erklärungen der Firma D. Personal-Service GmbH & Co. KG so verstanden habe, dass die Beschäftigung als Leiharbeitnehmer die Probezeit bei der Beklagten ersetze, könnten derartige Erklärungen der Beklagten rechtlich nicht zugerechnet werden. Anlass für den Ausspruch der Kündigung seien kurzfristig nicht behebbare Schwierigkeiten in der Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und seinem neuen Vorgesetzten D. gewesen.


Ergänzend wird auf die zwischen den Parteien gewechselten Schriftsätze sowie die Sitzungsniederschrift der Verhandlung vom 05.04.2013 verwiesen.


Aus den Gründen


Die Berufung des Klägers ist zulässig aber unbegründet.


I.


Der Kläger hat die gemäß § 64 Abs. 2 c) ArbGG statthafte Berufung innerhalb der Fristen des § 66 Abs. 1 ArbGG eingelegt und begründet. Die Berufungsbegründung genügte den Anforderungen des § 520 Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 bis 4 ZPO, da der Kläger mit der Berufungsbegründung vom 08.01.2013 deutlich gemacht hat, inwiefern er die rechtliche Würdigung des Arbeitsgerichts für nicht zutreffend hält.


II.


Die Berufung ist jedoch unbegründet, da die Kündigung vom 29.05.2012 wirksam war und das Arbeitsverhältnis mit einmonatiger Frist zum 30.06.2012 beendet hat.


1. Die Kündigung vom 29.05.2012 war nicht am Maßstabe des Kündigungsschutzgesetzes zu messen, da die nach § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG maßgebliche sechsmonatige Wartefrist erst am 31.05.2012 abgelaufen wäre.


a) Mit der Formulierung „dessen Arbeitsverhältnis" knüpft § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG an die Dauer der Bindung mit dem jeweiligen Vertragsarbeitgeber an. Die Zusammenrechnung mehrerer Arbeitsverhältnisse, zwischen denen ein „enger sachlicher Zusammenhang besteht" (BAG vom 07.07.2011, 2 AZR 12/10, NZA 2012, 148 bis 152) nimmt das Bundesarbeitsgericht nur dann vor, wenn diese Arbeitsverhältnisse mit demselben Vertragsarbeitgeber, also mit derselben natürlichen oder juristischen Person bestanden haben.


b) Eine Zusammenrechnung von Beschäftigungszeiten bei verschiedenen Arbeitgebern zur Erreichung der sechsmonatigen Wartefrist nach § 1 Abs. 1 KSchG kommt auch nicht im Rahmen einer teleologischen Auslegung in Betracht: Die Wartezeit soll den Arbeitsvertragsparteien für eine gewisse Zeit die Prüfung ermöglichen, ob sie sich auf Dauer binden wollen (BAG vom 07.07.2011, 2 AZR 12/10, NZA 2012, 148 bis 152, Rn. 21). Die Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts zur Zusammenrechnung verschiedener zeitlich nur kurz unterbrochener Arbeitsverhältnisse, zwischen denen ein enger zeitlicher und sachlicher Zusammenhang besteht, befasst sich mit Arbeitsverhältnissen beim selben Vertragsarbeitgeber. Dieser kennt dann "seinen" Arbeitnehmer schon über einen längeren Zeitraum aus demselben Arbeitsverhältnis. Dagegen verändert sich bei der Neubegründung eines festen Arbeitsverhältnisses mit dem Entleiher nach Ablauf eines vorgeschalteten Leiharbeitsverhältnisses die Perspektive. Aus der vorherigen Zusammenarbeit kennt der Entleiher den Arbeitnehmer nur aus der „Kundenperspektive". Bestimmte Pflichten aus dem Arbeitsverhältnis (z. B. die Anzeige- und Nachweispflichten nach § 5 EntgeltfortzahlungsG) musste der Leiharbeitnehmer primär gegenüber seinem Vertragsarbeitgeber, d.h. bisher gegenüber dem Arbeitnehmerüberlassungsunternehmen, erbringen. Typischerweise übernimmt das Verleihunternehmen auch einige Aspekte der Personaldisposition. Die Zusammenarbeit zwischen dem (Leih-)Arbeitnehmer und dem Entleiher beschränkt sich in dieser Phase noch auf die rein fachliche Zusammenarbeit am Einsatzarbeitsplatz. Mit der Begründung eines Arbeitsverhältnisses zum Entleiher wird die Zusammenarbeit mit dem vormaligen Leiharbeitnehmer auf eine neue, umfassendere Grundlage gestellt. Hier besteht durchaus Anlass für eine erneute sechsmonatige Wartezeit zur Erprobung der gegenseitigen Zusammenarbeit unter allen Aspekten eines Arbeitsverhältnisses.


c) Eine Anrechnung der Vorbeschäftigungszeit als Leiharbeitnehmer auf das spätere Arbeitsverhältnis beim Entleiher ist kündigungsschutzrechtlich auch nicht mit Blick auf die Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts vom 10.10.2012 (7 ABR 53/11, BB 2013, 243-244) geboten. In betriebsverfassungsrechtlicher Hinsicht hat das Bundesarbeitsgericht am 10.10.2012 entschieden, dass Beschäftigungszeiten als Leiharbeitnehmer im entleihenden Betrieb auf die für die Wählbarkeit nach § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG erforderliche sechsmonatige Dauer der Betriebszugehörigkeit anzurechnen sind, wenn der Leiharbeitnehmer im Anschluss an die Überlassung in ein Arbeitsverhältnis mit dem Entleiher übernommen wurde. Schon der maßgebliche Gesetzeswortlaut ist im kündigungsschutzrechtlichen und im betriebsverfassungsrechtlichen Zusammenhang ein unterschiedlicher: Während § 1 Abs. 1 Satz 1 KSchG ausdrücklich auf den vertragsrechtlichen Begriff des „Arbeitsverhältnisses" Bezug nimmt, knüpft § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG daran an, ob der Arbeitnehmer schon „sechs Monate dem Betrieb angehört" hat. Letzteres ist ein Tatbestandsmerkmal, welches ein Abstellen auf die eher tatsächliche Eingliederung in den Betrieb ermöglicht. Dagegen besteht vertragsrechtlich zunächst ein „Arbeitsverhältnis" mit dem Leitarbeitsunternehmen und später mit dem Entleiher. Es handelt sich mithin nicht um ein einheitliches sondern um zwei aufeinanderfolgende Arbeitsverhältnisse mit verschiedenen Arbeitgebern. Auch die geregelte Interessenlage ist in § 8 Abs. 1 Satz 1 BetrVG eine andere: Das passive Wahlrecht kann bereits den Arbeitnehmern zugestanden werden, die den Betrieb seit mindestens sechs Monaten kennen - sei es aus der Perspektive eines Leiharbeitnehmers oder später aus der Perspektive der Stammbelegschaft. Der Sinn der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 KSchG ist hingegen erst erfüllt, wenn der jeweilige Vertragsarbeitgeber den neuen Arbeitnehmer sechs Monate lang in allen Belangen des Arbeitsverhältnisses kennen gelernt hat.


2. Der Kläger hat auch in der Berufungsinstanz keine erheblichen Tatsachen vorgetragen, aus denen sich eine Treuwidrigkeit der Kündigung vom 29.05.2012 ergeben könnte.


Eine Kündigung verstößt dann gegen § 242 BGB und ist nichtig, wenn sie aus Gründen, die von § 1 KSchG nicht erfasst sind, Treu und Glauben verletzt. Nichts anderes gilt für die Kündigung, auf die wegen Nichterfüllung der sechsmonatigen Wartezeit nach § 1 Abs. 1 KSchG das Kündigungsschutzgesetz keine Anwendung findet, weil sonst für diese Fälle über § 242 BGB der kraft Gesetzes ausgeschlossene Kündigungsschutz doch gewährt werden würde. Zu den typischen Tatbeständen einer treuwidrigen Kündigung zählen Rechtsmissbrauch und Diskriminierung (BAG 22.05.2003, 2 AZR 426/02, AP Nr. 18 zu § 1 KSchG 1969 Wartezeit).


Im vorliegenden Fall ist dem Kläger zwar zuzugestehen, dass die für die Kündigung wohl ursächlichen Störungen in der Zusammenarbeit zwischen dem Kläger und seinem neuen Vorgesetzten, dem Zeugen D., nicht allein dem Kläger angelastet werden können. Dies reicht jedoch zur Begründung einer Treuwidrigkeit der Kündigung nicht aus. Innerhalb der sechsmonatigen Wartezeit ist der Arbeitgeber frei, ein Arbeitsverhältnis auch deshalb zu beenden, weil die Zusammenarbeit zwischen dem neu eingestellten Arbeitnehmer und anderen Arbeitnehmern nicht reibungslos funktioniert. Der Arbeitgeber ist in dieser Situation nicht gehalten, näher aufzuklären, wer die Störungen in der Zusammenarbeit primär zu vertreten hat. Er darf vom Recht zur ordentlichen Kündigung in der Wartezeit Gebrauch machen.


3. Die einmonatige Kündigungsfrist ist für die Dauer der sechsmonatigen Probezeit wirksam vereinbart worden. Die Kündigung vom 29.05.2012 hat das Arbeitsverhältnis zum 30.06.2012 beendet. Die in einem Formulararbeitsvertrag vereinbarte Probezeitdauer von sechs Monaten unterliegt gemäß § 307 Abs. 3 Satz 1 BGB nicht der Inhaltskontrolle nach § 307 Abs. 1 Satz 1 BGB. Durch die formularmäßige Vereinbarung einer für beide Vertragsteile gleichermaßen geltenden sechsmonatigen Probezeit nutzen die Parteien lediglich die gesetzlich zur Verfügung gestellten Möglichkeiten und weichen hiervon nicht ab. Die vereinbarte Probezeit von sechs Monaten hält sich innerhalb der von § 622 Abs. 3 BGB vorgegebenen Höchstgrenze. Von weiteren Voraussetzungen hängt die Wirksamkeit einer Probezeitvereinbarung im Sinne von § 622 Abs. 3 BGB nicht ab (BAG 24.01.2008, 6 AZR 519/07, NZA 2008, 521 bis 523).


III.


Der Kläger hat gemäß § 97 ZPO die Kosten der von ihm erfolglos eingelegten Berufung zu tragen.


Gründe für eine Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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