BAG: Gesamtbetriebsrat bei Betriebsführungsgesellschaft
BAG , Urteil vom 17.03.2010 - Aktenzeichen 7 AZR 706/08 (Vorinstanz: LAG München vom 11.03.2008 - Aktenzeichen 6 Sa 461/07; ) (Vorinstanz: ArbG München vom 03.12.2004 - Aktenzeichen 37 Ca 23675/03; ) | ||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Normenkette: BetrVG § 47;
| ||||||||||||||||||||||||||
|
wird folgende Vereinbarung getroffen: |
1. Zur Behandlung von Angelegenheiten im Sinne des § 50 BetrVG, die alle oder mehrere Betriebe der D-, T- sowie W-Unternehmen betreffen, wird ein Gesamtbetriebsrat D gebildet. |
2. In den Gesamtbetriebsrat entsenden |
der Betriebsrat Direktion M | 2 Mitglieder |
der Betriebsrat SZ M | 1 Mitglied |
der Betriebsrat Industrie N | 1 Mitglied |
der Betriebsrat W | 7 Mitglieder |
..." |
Auf Seite 18 der Konzeption 1997 heißt es in einer mit zwei Unterschriften versehenen "Erklärung der beteiligten Gewerkschaften": | RN 5 |
"Unter Beachtung der engen Verflechtung der D-Unternehmen und der bisher bestehenden betrieblichen Übung sehen wir die Konzeption der D-Unternehmen als angemessene Regelung für den Umfang der Beteiligungsrechte und die Form der Zusammenarbeit an. Wir werden die in den Verhandlungen erarbeitete Konzeption gegenüber unseren Mitgliedern und den Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter der D-Unternehmen vertreten." |
Die Klägerin hat zuletzt beantragt, | RN 9 |
die Beklagte zu verurteilen, an sie 21.686,21 Euro brutto nebst Zinsen iHv. vier Prozent seit dem 1. April 2000 zu zahlen. |
Entscheidungsgründe: |
Die Revision der Beklagten ist begründet und führt unter Aufhebung der Entscheidung des Landesarbeitsgerichts zur Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils. Die Klage ist unbegründet. | RN 12 |
I. Die Klägerin kann die Klageforderung nicht auf den Sozialplan vom 17. Mai 1999 stützen. Dieser Sozialplan ist unwirksam. | RN 13 |
a) Nach § 47 Abs. 1 BetrVG wird der Gesamtbetriebsrat für ein Unternehmen gebildet. Das Betriebsverfassungsgesetz kennt keinen eigenständigen Unternehmensbegriff, sondern setzt ihn voraus. Es knüpft dabei an die in anderen Gesetzen für das Unternehmen vorgeschriebenen Rechts- und Organisationsformen an. Nach den Vorschriften des Aktiengesetzes, des GmbH-Gesetzes, des Handelsgesetzbuches und des Bürgerlichen Gesetzbuches können die Kapitalgesellschaften, die Gesellschaften des Handels- und des bürgerlichen Rechts wie auch Vereine jeweils nur Träger eines einheitlichen Unternehmens sein (BAG 13. Februar 2007 - 1 AZR 184/06 - Rn. 17 mwN, BAGE 121, 168). Für das Betriebsverfassungsgesetz folgt die das Unternehmen kennzeichnende Einheitlichkeit seines Rechtsträgers vor allem aus der im Gesetz angelegten Unterscheidung zwischen Konzern und Unternehmen. Ein Konzern ist unabhängig von seiner konkreten Ausgestaltung trotz einer einheitlichen Leitung kein einheitliches Unternehmen, sondern ein Zusammenschluss rechtlich selbständiger Unternehmen, die infolge des Zusammenschlusses ihre rechtliche Selbständigkeit als Unternehmen nicht verlieren. Die rechtliche Selbständigkeit von Kapitalgesellschaften und Gesamthandsgesellschaften des Handelsrechts geht auch nicht dadurch verloren, dass sie mit einem oder mehreren Unternehmen wirtschaftlich verflochten sind oder Personengleichheit der Geschäftsführung besteht. Dementsprechend kann sich ein Unternehmen iSd. BetrVG nicht über den Geschäfts- und Tätigkeitsbereich seines Rechtsträgers hinaus erstrecken. Vielmehr markiert der Rechtsträger mit seinem Geschäfts- und Tätigkeitsbereich die Grenzen des Unternehmens. Der Begriff des Unternehmens setzt damit auch in § 47 BetrVG die Einheitlichkeit und die rechtliche Identität des betreibenden Unternehmens voraus. Um einen Gesamtbetriebsrat zu bilden, müssen daher die mehreren Betriebe alle von demselben Unternehmen betrieben werden. Für Betriebe verschiedener Rechtsträger kann kein gemeinsamer Betriebsrat errichtet werden (BAG 13. Februar 2007 - 1 AZR 184/06 - Rn. 18 f. mwN, aaO). | RN 15 |
b) Der den Sozialplan vom 17. Mai 1999 schließende "Gesamtbetriebsrat" wurde unternehmensübergreifend und damit unter Verstoß gegen § 47 BetrVG errichtet. | RN 16 |
aa) Das Landesarbeitsgericht hat in den Gründen seiner Entscheidung ausgeführt, der gebildete "Gesamtbetriebsrat" sei für alle Unternehmen errichtet worden und dabei Bezug genommen auf die Auflistung der Unternehmen, die den Teilinteressenausgleich "O" vom 12. Mai 2000 abgeschlossen haben. Hierbei handelt es sich um eine für den Senat bindende Feststellung. Eine solche Feststellung kann auch in den Entscheidungsgründen enthalten sein (BAG 18. September 2003 - 2 AZR 498/02 - zu B I 1 der Gründe, AP ZPO § 314 Nr. 4 = EzA ZPO 2002 § 314 Nr. 1). Diese Feststellung entspricht der Konzeption 1997. Nach I. Satz 1 dieser Konzeption bilden die einzelnen Betriebsstätten "der D-, T- und W-Unternehmen" in verschiedenen Städten sowie die Gebietsdirektionen, Filialdirektionen und Vertriebsdirektionen jeweils eine organisatorische Einheit. Dabei ist nach I. Satz 2 der Konzeption 1997 die Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter "für mehrere Unternehmen tätig". Aus II. Nr. 2 der Konzeption 1997 ergibt sich, dass die typischen mitbestimmungspflichtigen Entscheidungen des Arbeitgebers ua. für das Service-Zentrum M, in dem die Klägerin tätig war, einheitlich getroffen werden und dort ein einheitlicher Betriebsrat gewählt wird. Nach der in II. Nr. 5 der Konzeption 1997 in Bezug genommenen Anlage 2 Nr. 1 wird "zur Behandlung von Angelegenheiten iSd. § 50 BetrVG, die alle oder mehrere Betriebe der D-, T- sowie W-Unternehmen betreffen", ein Gesamtbetriebsrat D gebildet. | RN 17 |
bb) Die Bildung eines unternehmensübergreifenden "Gesamtbetriebsrats" verstößt auch dann gegen § 47 BetrVG, wenn die Unternehmen der Versicherungsgruppe ausschließlich oder teilweise Gemeinschaftsbetriebe iSv. § 1 Abs. 2 BetrVG unterhalten. Auch für von verschiedenen Trägerunternehmen unterhaltene Gemeinschaftsbetriebe kann kein unternehmensübergreifender Gesamtbetriebsrat errichtet werden; die Trägerunternehmen werden durch die Bildung von Gemeinschaftsbetrieben nicht zu einem Unternehmen iSv. § 47 BetrVG. Vielmehr entsenden die Betriebsräte der Gemeinschaftsbetriebe jeweils Mitglieder in sämtliche bei den Trägerunternehmen zu errichtenden Gesamtbetriebsräte. Dies folgt zwingend aus § 47 Abs. 9 BetrVG (vgl. BAG 13. Februar 2007 - 1 AZR 184/06 - Rn. 19 mwN, BAGE 121, 168). | RN 18 |
cc) Die Unternehmen der D-Versicherungsgruppe haben sich nicht etwa unter Wahrung ihrer rechtlichen Selbständigkeit zu einem einheitlichen Unternehmensträger in Form einer Unternehmensführungsgesellschaft nach bürgerlichem Recht verbunden. Für die Annahme, alleinige Arbeitgeberin, bei der ein Gesamtbetriebsrat wirksam errichtet werden konnte, sei die D Versicherung AG, gibt es ebenfalls keine hinreichenden Anhaltspunkte. Nach der Konzeption 1997 ist die Mehrzahl der Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter in den einzelnen Betriebsstätten vielmehr "für mehrere Unternehmen der D, T und W tätig". In II. Nr. 5 der Einleitung zur Konzeption 1997 ist ausgeführt, dass Repräsentanzen für die einzelnen Betriebe "der D-, T- und W-Unternehmen" bestehen. Weiter wird in Nr. 1 der Anlage 2 zur Konzeption 1997 auf die alle oder mehrere Betriebe "der D-, T- sowie W-Unternehmen betreffenden" Angelegenheiten im Sinne des § 50 BetrVG Bezug genommen. Dies spricht gegen die Annahme, die Betriebe seien sämtlich von der auf die Beklagte verschmolzenen D AG geführt worden. | RN 19 |
dd) Die Zulässigkeit der Errichtung des "Gesamtbetriebsrats" ergibt sich nicht aus § 3 Abs. 1 Nr. 2 oder 3 BetrVG. Der aufgrund der Konzeption 1997 gebildeten Gesamtarbeitnehmervertretung liegt keine tarifvertragliche Vereinbarung zugrunde. Die Anlage 2 der Konzeption 1997 ist vielmehr zwischen der D-Holding AG und mehreren Gesamtbetriebsräten vereinbart worden. Bei der "Erklärung der beteiligten Gewerkschaften" auf Seite 18 der Konzeption 1997 handelt es sich nicht um einen Tarifvertrag, sondern lediglich um die zustimmende Erklärung einer Tarifvertragspartei zu der betrieblichen Regelung. | RN 20 |
2. Der unter Verstoß gegen § 47 BetrVG errichtete "Gesamtbetriebsrat" ist rechtlich nicht existent. Sein Handeln ist unbeachtlich; der mit ihm geschlossene Sozialplan vom 17. Mai 1999 ist unwirksam. | RN 21 |
a) Bereits funktionelle Zuständigkeitsüberschreitungen im Verhältnis zwischen Betriebsrat, Gesamtbetriebsrat und Konzernbetriebsrat führen zur Unwirksamkeit der von dem unzuständigen Betriebsverfassungsorgan geschlossenen Vereinbarungen (vgl. BAG 24. Mai 2006 - 7 AZR 201/05 - Rn. 11, AP BetrVG 1972 § 29 Nr. 6 = EzA BetrVG 2001 § 29 Nr. 1). Dies gilt erst recht, wenn ein Gremium betriebsverfassungsrechtlich gar nicht vorgesehen und unter Verkennung zwingender betriebsverfassungsrechtlicher Organisationsvorschriften errichtet worden ist. Ein solches Gremium ist rechtlich nicht existent (vgl. auch für die unter Verkennung der Voraussetzungen des § 54 BetrVG erfolgte Errichtung eines Konzernbetriebsrats: BAG 23. August 2006 - 7 ABR 51/05 - AP BetrVG 1972 § 54 Nr. 12 = EzA BetrVG 2001 § 54 Nr. 2; 14. Februar 2007 - 7 ABR 26/06 - BAGE 121, 212). Ihm stehen daher auch keine betriebsverfassungsrechtlichen Befugnisse zu. Von ihm abgeschlossene Betriebsvereinbarungen sind unwirksam. | RN 22 |
b) Hiernach ist die Annahme des Landesarbeitsgerichts, aufgrund der vom Willen der Betriebspartner getragenen und gewerkschaftlich gebilligten Errichtung des unternehmensübergreifenden "Gesamtbetriebsrats" seien die von diesem abgeschlossenen Betriebsvereinbarungen wirksam, rechtsfehlerhaft. Die Errichtung des Gremiums nach der Anlage 2 zur Konzeption 1997 verstößt evident gegen die gesetzlichen Organisationsvorschriften des BetrVG. Es ist ein Vertretungsorgan gebildet worden, das vom Betriebsverfassungsgesetz nicht vorgesehen ist und keinen gesetzlichen Aufgabenbereich hat. Eine solche Arbeitnehmervertretung ist rechtlich nicht existent und kann keine wirksamen Vereinbarungen abschließen. Die Billigung der Errichtung des "Gesamtbetriebsrats" durch eine gewerkschaftliche Erklärung vermag hieran nichts zu ändern. Die Tarifvertragsparteien können nur nach Maßgabe der gesetzlichen Regelungen betriebsverfassungsrechtliche Organisationseinheiten gestalten (§ 3 Abs. 1 BetrVG). | RN 23 |
II. Die klagestattgebende Entscheidung des Landesarbeitsgerichts erweist sich nicht aus anderen Gründen als richtig (§ 561 ZPO). Die Rechtsvorgängerin der Beklagten hat den Arbeitnehmern keine Gesamtzusage über die Zahlung einer Abfindung unter Zugrundelegung der Voraussetzungen des Sozialplans vom 17. Mai 1999 erteilt. | RN 25 |
1. Die Umdeutung einer unwirksamen Betriebsvereinbarung in eine Gesamtzusage kommt allenfalls ausnahmsweise dann in Betracht, wenn besondere Umstände die Annahme rechtfertigen, der Arbeitgeber habe sich unabhängig von der Betriebsvereinbarung auf jeden Fall verpflichten wollen, seinen Arbeitnehmern die in dieser vorgesehenen Leistungen zu gewähren (vgl. BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - Rn. 34, BAGE 118, 211). Dabei ist insbesondere zu berücksichtigen, dass sich der Arbeitgeber von einer Betriebsvereinbarung durch Kündigung jederzeit lösen kann, während eine Änderung der Arbeitsverträge, zu deren Inhalt eine Gesamtzusage wird, nur einvernehmlich oder durch gerichtlich überprüfbare Änderungskündigung möglich ist. Ein hypothetischer Wille des Arbeitgebers, sich unabhängig von der Wirksamkeit einer Betriebsvereinbarung auf Dauer zu binden, ist daher nur in Ausnahmefällen anzunehmen (BAG 30. Mai 2006 - 1 AZR 111/05 - aaO). | RN 26 |
2. Hiernach hat sich die Beklagte nicht im Wege einer Gesamtzusage verpflichtet, die Abfindungen nach Maßgabe des unwirksamen Sozialplans vom 17. Mai 1999 zu zahlen. Besondere Umstände, die die Annahme rechtfertigen, die Beklagte habe sich unabhängig vom Sozialplan auf jeden Fall verpflichten wollen, ihren Arbeitnehmern die in diesem vorgesehenen Leistungen zu gewähren, liegen nicht vor. Rechtsfolge der Unwirksamkeit des Sozialplans ist vielmehr, dass für die durchgeführte Betriebsänderung ein wirksamer Sozialplan - trotz der ggf. bestehenden Verpflichtung nach § 112 BetrVG - bislang nicht zustande gekommen ist. | RN 27 |
III. Die Kostenentscheidung beruht auf § 97 Abs. 1, § 91 Abs. 1 ZPO. | RN 28 |