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Arbeitsrecht
27.10.2022
Arbeitsrecht
BAG: Gebäudereinigung – tariflicher Erschwerniszuschlag – Atemschutzmaske

BAG, Urteil vom 20.7.2022 – 10 AZR 41/22

ECLI:DE:BAG:2022:200722.U.10AZR41.22.0

Volltext: BB-Online BBL2022-2548-3

Orientierungssätze

1. Der Begriff der Atemschutzmaske i.S.v. § 10 Nr. 1.2 RTV ist im fachtechnischen, arbeitsschutzrechtlichen Sinn zu verstehen. Eine Atemschutzmaske im Tarifsinn ist deshalb nur eine solche, die als persönliche Schutzausrüstung (PSA) i.S.d. PSA-BV dazu bestimmt ist, die Beschäftigten vor einer Gefährdung für ihre Sicherheit und Gesundheit zu schützen (Rn. 17 ff.).

2. Ist Beschäftigten der Gebäudereinigung bei Ausübung ihrer Tätigkeit aufgrund arbeitsschutzrechtlicher Bestimmungen oder vom Arbeitgeber – in Erfüllung seiner Pflichten aus § 618 BGB, §§ 3 ff. ArbSchG – vorgeschrieben, eine solche Atemschutzmaske (z.B. eine FFP2-Maske) zu tragen, besteht ein Anspruch auf einen Zuschlag nach § 10 Nr. 1.2 RTV i.H.v. 10 % auf den Lohn des Tätigkeitsbereichs (Rn. 12 und Rn. 31).

3. Eine medizinische Gesichtsmaske (sog. OP-Maske) ist hingegen keine Atemschutzmaske i.S.d. RTV, denn sie dient nach ihrer Einordnung nach den die PSA-BV konkretisierenden Vorschriften, namentlich den Arbeitsmedizinischen Regeln, der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel, der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung und der DGUV Regel 112-190, vorrangig dem Fremd- und nicht dem Eigenschutz (Rn. 19 ff.).

4. Diesem Ergebnis steht nicht entgegen, dass auch das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske bei der Arbeit eine Erschwernis mit sich bringt. Nach den tariflichen Bestimmungen soll erst ein bestimmtes Maß an Erschwernis, wie sie nach der Einschätzung der Tarifvertragsparteien die Pflicht zum Tragen einer Atemschutzmaske als persönlicher Schutzausrüstung mit sich bringt, die Zuschlagspflicht auslösen (Rn. 32 f.).

 

▄Leitsatz

Anspruch auf einen Erschwerniszuschlag nach § 10 Nr. 1.2 des Rahmentarifvertrags für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung haben Arbeitnehmer, die während der Ausführung ihrer Tätigkeit eine vorgeschriebene Atemschutzmaske als persönliche Schutzausrüstung tragen. Eine medizinische Gesichtsmaske (sog. OP-Maske) erfüllt diese Anforderung nicht.▄

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Verpflichtung zur Zahlung eines tariflichen Erschwerniszuschlags für das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske während der Arbeit.

Die Beklagte beschäftigt den Kläger seit dem 1. August 2007 als Reinigungskraft. Für das Arbeitsverhältnis gilt der für allgemeinverbindlich erklärte Rahmentarifvertrag für die gewerblich Beschäftigten in der Gebäudereinigung vom 31. Oktober 2019 (RTV, Allgemeinverbindlicherklärung vom 5. April 2020, BAnz. AT 15. April 2020 B2).

Dieser enthält ua. folgende Bestimmung:

„§ 10 Erschwerniszuschläge

Der Anspruch auf nachstehende Zuschläge setzt voraus, dass Beschäftigte die einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften einhalten.

Beschäftigte haben für die Zeit, in der sie mit einer der folgenden Arbeiten beschäftigt werden, Anspruch auf den nachstehend jeweils aufgeführten Erschwerniszuschlag, bezogen auf den jeweiligen Lohn des Tätigkeitsbereichs.

1 Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung

(Schutzbekleidung, Atemschutzgerät)

1.1 Arbeiten, bei denen ein vorgeschriebener Schutzanzug (mit PVC o.ä. beschichtet) verwendet wird

a) mit Kapuze, Überschuhen, Handschuhen und Brille            5 %    

b) mit Kapuze, Überschuhen und Handschuhen, Filterschutzmaske oder luftunterstützenden Beatmungssystemen             15 %  

c) mit Kapuze, Überschuhen und Handschuhen, Frischluftsaugschlauchgerät, Druckluftschlauchgerät (Pressluftatmer) oder ein Regenerationsgerät           20 %  

d) in Form des Vollschutzes oder des Chemikalienschutzanzugs (Form C) mit Gesichts-
und Atemschutz  40 %  

1.2 Arbeiten, bei denen eine vorgeschriebene Atemschutzmaske verwendet wird          10 %  

2 Arbeiten in/an besonderen Räumen und Einrichtungen

2.1 Manuelles Parkettabziehen ohne jeglichen Maschineneinsatz       3,00 Euro/Stunde

2.2 Staubdacharbeiten      3,00 Euro/Stunde

2.3 Reinigen von Sheddächern in Abständen von mehr als 6 Monaten               3,00 Euro/Stunde

2.4 Reinigen von Steinfassaden unter Verwendung von Strahlgut und/oder Hochdruckgeräten   3,00 Euro/Stunde

2.5 Innenreinigungsarbeiten in Arbeitsbereichen mit außergewöhnlicher Verschmutzung, z. B. Reinigung von Waschkauen in der Schwerindustrie, sanitäre Anlagen in Werkstattbereichen, öffentliche Bedürfnisanstalten, Farbspritzanlagen (Spritzkabinen), Fahrbahnen, Maschinen, Kessel und Werkhallen im Industriebereich, Inspektionsgruben in Kraftfahrzeugbetrieben, Filteranlagen, Produktionsbereiche der chemischen Industrie, in denen Farben, Säuren und Teerprodukte usw. hergestellt oder verarbeitet werden                             0,75 Euro/Stunde

Nicht gemeint sind typische Arbeiten der Unterhaltsreinigung in Werkstattbüros, -fluren und -treppen sowie in Kunden- und Besuchertoiletten

2.6 Arbeiten mit über 40°C im Arbeitsbereich (Witterungseinflüsse sind ausgenommen)              0,50 Euro/Stunde

2.7 Arbeiten in Kühlräumen mit Temperaturen unter 6°C im Arbeitsbereich (Witterungseinflüsse sind ausgenommen)       0,50 Euro/Stunde

2.8 Grundreinigungsarbeiten in Straßenbahn-, S-Bahn-, U-Bahnwaggons und Bussen, soweit sie nicht in einer höheren Lohngruppe als 1 eingestuft sind   0,50 Euro/Stunde

2.9 Reinigung von Güterbahnwaggons, Triebwagen, Flugzeugkabinen, soweit sie nicht in einer höheren Lohngruppe als 1 eingestuft sind     0,75 Euro/Stunde

2.10 Arbeiten in Bootsmannstühlen oder manuell betriebenen Hängekörben   2,00 Euro/Stunde

Fallen mehrere Zuschläge nach Nummer 2 zusammen, so können sie nicht gegenseitig aufgerechnet werden. Alle Zuschläge sind einzeln nebeneinander zu gewähren.

3 Belastungszuschlag

Wegen der mit Reinigungstätigkeiten verbundenen besonderen körperlichen Belastungen bei einer Arbeitszeit über acht Stunden täglich (§ 3 Satz 1 Arbeitszeitgesetz) oder über die 40. Wochenarbeitsstunde hinaus und zur Vermeidung dieser zusätzlichen Belastungen erhalten Beschäftigte für die Arbeitszeit über die acht Stunden täglich hinaus oder alternativ für die Arbeitszeit über die 40. Wochenarbeitsstunde hinaus einen Zuschlag in Höhe von 25 Prozent.“

§ 1 der Verordnung über Sicherheit und Gesundheitsschutz bei der Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen bei der Arbeit vom 4. Dezember 1996 (PSA-BV, BGBl. I S. 1841) lautet:

„§ 1 Anwendungsbereich

(1) Diese Verordnung gilt für die Bereitstellung persönlicher Schutzausrüstungen durch Arbeitgeber sowie für die Benutzung persönlicher Schutzausrüstungen durch Beschäftigte bei der Arbeit.

(2) Persönliche Schutzausrüstung im Sinne dieser Verordnung ist jede Ausrüstung, die dazu bestimmt ist, von den Beschäftigten benutzt oder getragen zu werden, um sich gegen eine Gefährdung für ihre Sicherheit und Gesundheit zu schützen, sowie jede mit demselben Ziel verwendete und mit der persönlichen Schutzausrüstung verbundene Zusatzausrüstung.

…“  

Der Kläger trug in der Zeit von August 2020 bis Mai 2021 auf Anweisung der Beklagten bei der Ausführung der Arbeit eine medizinische Gesichtsmaske (sog. OP-Maske). Die Zahlung eines tariflichen Erschwerniszuschlags für diese Arbeitsstunden lehnte die Beklagte nach außergerichtlicher Geltendmachung durch den Kläger ab.

Der Kläger hat die Auffassung vertreten, es handele sich bei einer medizinischen Gesichtsmaske um eine Atemschutzmaske iSd. § 10 Nr. 1.2 RTV. Die Auslegung dieser Tarifnorm ergebe, dass allein die Erschwernis, die das Tragen einer OP-Maske bei der Arbeit mit sich bringe, durch den Erschwerniszuschlag iHv. 10 % abgegolten werden solle. Die Schutzwirkung der OP-Maske sei demgegenüber unerheblich. Im Übrigen verringere auch eine OP-Maske die Gefahr der eigenen Ansteckung, so dass sie als Teil der persönlichen Schutzausrüstung (PSA) anzusehen sei. § 1 Abs. 2 PSA-BV stehe dem nicht entgegen. Hiervon umfasst seien auch Ausrüstungen, die neben dem Fremdschutz auch das Schutzziel des Eigenschutzes verfolgten. Außerdem entspreche es Sinn und Zweck der Tarifnorm, einen Zuschlag für die Erschwernis bei der Arbeit gewähren zu wollen.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.115,87 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz auf 241,86 Euro seit dem 19. Januar 2021, auf 509,59 Euro seit dem 9. März 2021, auf 88,88 Euro seit dem 23. März 2021, auf 117,21 Euro seit dem 16. April 2021, auf 74,44 Euro seit dem 18. Mai 2021 und auf 83,89 Euro seit dem 28. Juni 2021 zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen und gemeint, § 10 Nr. 1.2 RTV setze voraus, dass der Arbeitnehmer die einschlägigen Unfallverhütungsvorschriften einhalte und eine Atemschutzmaske als persönliche Schutzausrüstung zum Zwecke der Verhütung eines (eigenen) Arbeitsunfalls trage. Auch müsse das Tragen einer Atemschutzmaske durch Arbeitsschutzvorschriften vorgeschrieben sein. Beides sei hier nicht gegeben. Eine OP-Maske stelle keine Atemschutzmaske im Tarifsinn dar, weil sie nicht den Beschäftigten, sondern Dritte vor Ansteckung schützen solle. Damit gehöre sie nicht zur PSA der Beschäftigten.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen, das Landesarbeitsgericht die Berufung des Klägers zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt der Kläger sein Klageziel weiter.

Aus den Gründen

10        Die zulässige Revision ist nicht begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des Klägers zu Recht zurückgewiesen, denn die zulässige Klage ist unbegründet.

11        I. Der Kläger hat gegen die Beklagte keinen Anspruch auf die Zahlung eines Erschwerniszuschlags nach § 10 Nr. 1.2 RTV für den streitgegenständlichen Zeitraum. Er erfüllte durch das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske während seiner Tätigkeit nicht die tariflichen Voraussetzungen für einen solchen Zuschlag.

12        1. Nach § 10 Satz 1 RTV setzt ein Anspruch auf die dort geregelten Erschwerniszuschläge voraus, dass die Beschäftigten die einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften einhalten. Nach § 10 Satz 2 RTV besteht ein Anspruch auf Zuschlag in Höhe der benannten Prozentsätze für die Zeit, in der der Arbeitnehmer mit einer der aufgezählten Arbeiten beschäftigt worden ist. Hierzu zählt ua. nach § 10 Nr. 1 das „Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung (Schutzbekleidung, Atemschutzgerät)“ für „Arbeiten, bei denen eine vorgeschriebene Atemschutzmaske verwendet wird“ (§ 10 Nr. 1.2 RTV).

13        2. Eine medizinische Gesichtsmaske, die der Kläger während seiner Arbeit auf Anweisung der Beklagten getragen hat, ist – so zu Recht das Landesarbeitsgericht – keine Atemschutzmaske im tariflichen Sinn. Das ergibt die Auslegung der Tarifnorm (zu den Auslegungsgrundsätzen für Tarifverträge vgl. BAG 13. Oktober 2021 – 4 AZR 365/20 – Rn. 21 mwN).

14        a) Die Auslegung einer Tarifnorm durch das Landesarbeitsgericht ist in der Revisionsinstanz in vollem Umfang nachprüfbar (st. Rspr., vgl. zB BAG 11. November 2020 – 4 AZR 210/20 – Rn. 21 mwN). Vorliegend lässt sie im Ergebnis keinen Rechtsfehler erkennen.

15        b) Allerdings steht dem geltend gemachten Anspruch bereits – anders als das Landesarbeitsgericht und der Kläger meinen – der Wortlaut der Tarifnorm entgegen, von dem bei der Auslegung eines Tarifvertrags vorrangig auszugehen ist (BAG 13. Oktober 2021 – 4 AZR 365/20 – Rn. 21 mwN; 8. September 2021 – 10 AZR 104/19 – Rn. 17 mwN).

16        aa) Bei der Wortlautauslegung ist, wenn die Tarifvertragsparteien einen Begriff nicht eigenständig definieren, erläutern oder einen feststehenden Rechtsbegriff verwenden, vom allgemeinen Sprachgebrauch auszugehen. Enthält die Tarifnorm einen Fachbegriff, ohne ihn näher zu erläutern, ist hingegen davon auszugehen, dass die Tarifvertragsparteien den Begriff in seiner in fachlichen Kreisen bestimmten Bedeutung verwenden wollten (vgl. BAG 8. September 2021 – 10 AZR 104/19 – Rn. 17 mwN; 24. Februar 2021 – 10 AZR 130/19 – Rn. 18 mwN). Dies gilt hier für den arbeitsschutzrechtlichen Fachbegriff der Atemschutzmaske.

17        bb) Von dem Begriff „Atemschutzmaske“ in seiner fachtechnischen Bedeutung ist die medizinische Gesichtsmaske nicht umfasst. Maßgebend sind insoweit – wie der Gesamtwortlaut der Norm zeigt – die einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften. Auf diese verweist § 10 Satz 1 RTV. Zudem wird durch die Überschrift zu § 10 Nr. 1 RTV – „Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung (… Atemschutzgerät)“ – ein Bezug zu bestimmten Schutzausrüstungen und den insoweit maßgeblichen Regelungen des Arbeitsschutzes hergestellt. Ausschlaggebend sind damit für die Begriffsbestimmung das Arbeitsschutzgesetz (ArbSchG) und die dieses konkretisierenden Vorschriften.

18        (1) § 3 Abs. 1 ArbSchG regelt, dass der Arbeitgeber zu Schutzmaßnahmen gegenüber seinen Arbeitnehmern verpflichtet ist. Konkretisierungen erfolgen gemäß der Ermächtigung in §§ 18, 19 ArbSchG durch eine Reihe von Ausführungsverordnungen. Ebenso ergänzen andere spezielle Vorschriften die allgemeinen Regelungen im ArbSchG, zB die PSA-BV. Pflichten des Arbeitgebers oder Pflichten und Rechte der Beschäftigten zur Gewährleistung von Sicherheit und Gesundheitsschutz der Beschäftigten bei der Arbeit sind zudem in weiteren Vorschriften iSv. § 2 Abs. 4 ArbSchG geregelt. Hierzu zählen ua. die Unfallverhütungsvorschriften (UVV) als sonstige Rechtsvorschriften iSd. ArbSchG (vgl. Pieper ArbSchR 7. Aufl. § 2 ArbSchG Rn. 30; Kollmer/Klindt/Schlucht/Kothe 4. Aufl. ArbSchG § 2 Rn. 142 f.). Regeln, Bekanntmachungen und Informationen der gesetzlichen Unfallversicherungsträger können wiederum „sonstige gesicherte arbeitswissenschaftliche Erkenntnisse“ iSv. § 4 Nr. 3 ArbSchG enthalten, die der Arbeitgeber zu beachten hat (vgl. Pieper ArbSchR § 4 ArbSchG Rn. 15a, 16j ff.; HK-ArbSchR/Blume/Faber 2. Aufl. § 4 ArbSchG Rn. 90). DGUV-Regeln etwa konkretisieren das ArbSchG und erläutern, mit welchen konkreten Präventionsmaßnahmen Pflichten zur Verhütung von ua. arbeitsbedingten Gesundheitsgefahren erfüllt werden können (vgl. Eichendorf in Schlegel/Voelzke jurisPK-SGB VII Stand 15. Januar 2022 § 15 Rn. 82 ff.).

19        (2) Nach § 1 Abs. 2 PSA-BV gelten als PSA solche Ausrüstungen, die dazu bestimmt sind, von Beschäftigten benutzt oder getragen zu werden, um sich gegen eine Gefährdung für ihre Sicherheit und Gesundheit zu schützen (vgl. auch die inhaltlich übereinstimmende Definition in Art. 3 Nr. 1 der Verordnung (EU) 2016/425 vom 9. März 2016 über persönliche Schutzausrüstungen, ABl. EU L 81 vom 31. März 2016 S. 51: „Ausrüstung, die entworfen und hergestellt wird, um von einer Person als Schutz gegen ein oder mehrere Risiken für ihre Gesundheit oder ihre Sicherheit getragen oder gehalten zu werden“). Das trifft auf eine Atemschutzmaske zu, nicht aber auf eine medizinische Gesichtsmaske. Letztere bezweckt einen Fremd-, aber keinen Eigenschutz. Ein gewisser Eigenschutz ist zwar vorhanden, aber nicht hinreichend, um sie als PSA einordnen zu können.

20        (a) Das folgt zunächst aus den Arbeitsmedizinischen Regeln (AMR Nummer 14.2, GMBl. 2014 S. 791, zuletzt geändert am 4. November 2015, GMBl. 2016 S. 173). Diese enthalten eine identische Definition für PSA wie die PSA-BV und geben den Stand der Arbeitsmedizin und sonstige gesicherte arbeitsmedizinische Erkenntnisse (§ 4 Nr. 3 ArbSchG) wieder (vgl. Pieper ArbSchR § 4 ArbSchG Rn. 9b). Die AMR Nr. 14.2 teilt Atemschutzgeräte in die Gruppen 1 bis 3 ein. Definiert wird das Atemschutzgerät als eine PSA, die den Träger vor dem Einatmen von Schadstoffen aus der Umgebungsatmosphäre oder vor Sauerstoffmangel schützt. In die Gruppe 1 fallen ua. Filtergeräte mit Partikelfilter der Partikelfilterklassen P1 und P2 und partikelfiltrierende Halbmasken (FFP1, FFP2 oder FFP3). Medizinische Gesichtsmasken werden nicht aufgeführt.

21        (b) Dass eine medizinische Gesichtsmaske keine PSA ist, ergibt sich zudem aus der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel (Bekanntmachung des BMAS vom 20. August 2020, GMBl. S. 484) und der SARS-CoV-2-Arbeitsschutzverordnung vom 21. Januar 2021 (Corona-ArbSchV, BAnz. AT 22. Januar 2021 V1, und idF vom 11. März und 14. April 2021 – für den Streitzeitraum ab dem 22. Januar 2021). Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel konkretisierte für den gemäß § 5 Infektionsschutzgesetz festgestellten Zeitraum der epidemischen Lage von nationaler Tragweite die Anforderungen an den Arbeitsschutz im Hinblick auf SARS-CoV-2 (vgl. Düwell jurisPR-ArbR 14/2021 Anm. 1; Pieper ArbSchR Anhang 2).

Sie beschrieb den Stand von Technik, Arbeitsmedizin und Hygiene sowie sonstige gesicherte Erkenntnisse iSv. § 4 Nr. 3 ArbSchG (Pieper ArbSchR Einl. Rn. 166).

22        (aa) Die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel differenziert zwischen Mund-Nase-Bedeckung (Nr. 2.3), Mund-Nase-Schutz/Medizinische Gesichtsmasken (Nr. 2.4) und Atemschutzmasken (Nr. 2.5). Die medizinische Gesichtsmaske bietet nach Nr. 2.4 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel einen definierten Fremdschutz – sie schützt Dritte vor der Exposition gegenüber möglicherweise infektiösen Tröpfchen desjenigen, der die Maske trägt. Sie dient danach nicht dem Eigenschutz, was aber Voraussetzung einer PSA ist. Nach Nr. 2.5 Abs. 1 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel sind Atemschutzmasken filtrierende Halbmasken sowie Atemschutzmasken mit auswechselbarem Partikelfilter. Nach Nr. 2.5 Abs. 2 Satz 2 SARS-CoV-2-Arbeitsschutzregel schützen diese (zB FFP2-Masken) als PSA den Träger vor Tröpfchen und Aerosolen (Eigenschutz). Ohne Ausatemventil bieten sie auch einen gewissen Fremdschutz. Entsprechende Definitionen für die medizinische Gesichtsmaske finden sich nicht.

23        (bb) Gleiches ergibt sich aus der Corona-ArbSchV. Dort wird in § 3 Abs. 1 in der ursprünglichen bzw. in § 4 der nachfolgenden Fassungen bestimmt, dass der Arbeitgeber unter bestimmten Umständen Masken zur Verfügung zu stellen hat. Differenziert wird zwischen medizinischen Gesichtsmasken und Atemschutzmasken, die in der Anlage zur Corona-ArbSchV benannt sind. In der Anlage sind ua. FFP2-Masken oder vergleichbare Masken aufgeführt. Medizinische Masken werden unter dem Begriff „Atemschutzmasken“ nicht angeführt.

24        (c) Dass medizinische Masken keine Atemschutzmasken iSe. PSA sind, folgt des Weiteren aus der DGUV Regel 112-190. Nach der dortigen Definition sind Atemschutzgeräte PSA, die den Träger vor dem Einatmen von Schadstoffen aus der Umgebungsatmosphäre oder vor Sauerstoffmangel schützen (DGUV Regel 112-190 S. 9). Viertel-/Halbmasken, die Partikelfilter enthalten (sog. Filtergeräte oder auch filtrierende Halbmasken – ua. die Halbmasken FFP1, FFP2 und FFP3), zählen zu den Atemschutzgeräten iSd. vorgenannten Regel (DGUV Regel 112-190 S. 11, 14). Zu den FFP2-Masken ist explizit – unter Verweis auf besondere technische Regeln – aufgeführt, dass eine solche, gut angepasste Maske einen geeigneten Schutz vor infektiösen Aerosolen, einschließlich Viren, bietet (DGUV Regel 112-190 S. 32). Medizinische Gesichtsmasken sind auch hier nicht genannt.

25        (d) Soweit der Kläger auf die berufsgenossenschaftlichen Informationen für Sicherheit und Gesundheit bei der Arbeit aus September 2006 verweist, ändert das nichts. Dort ist nur wiedergegeben, dass Atemschutz zur PSA gehören kann. Was genau darunter fällt, ist nicht bestimmt. Es wird allgemein bezüglich der Frage, was unter „geeignete persönliche Schutzausrüstungen“ zu verstehen ist, auf § 29 Abs. 1 UVV „Grundsätze der Prävention“ verwiesen, wonach diese dem Stand der Technik entsprechen und die ermittelten Gefährdungen auf ein geringes Restrisiko begrenzen (BGI 515 S. 8 unter 3.2.1). Eine Definition für den Begriff der Atemschutzmaske ist nicht enthalten.

26        Gleiches gilt, soweit er auf die SARS-CoV-2-Arbeitsschutzstandards des Bundesinnungsverbands des Gebäudereiniger-Handwerks, der IG BAU sowie der BG BAU vom 30. März 2021 verweist. Zwar sollen nach deren Nr. II.1 Reinigungskräfte durch eine Schutzausrüstung gegen eine mögliche Übertragung geschützt werden. Verwiesen wird insoweit auf Nr. II.12 („Mund-Nasen-Schutz und Persönliche Schutzausrüstung (PSA)“), wonach „Mund-Nasen-Schutz oder FFP2-Masken bzw. vergleichbare Atemschutzmasken“ getragen werden müssen. Das führt aber nicht dazu, dass medizinische Gesichtsmasken zur PSA im Tarifsinn des RTV werden. Was eine PSA ist, wird nicht definiert.

27        c) Dieses Auslegungsergebnis wird von der Tarifsystematik bestätigt. Auch hiernach kommt es auf die Begrifflichkeiten gemäß den arbeitsschutzrechtlichen Vorschriften – insbesondere die zur PSA – an.

28        aa) Nach § 10 Satz 1 RTV besteht Anspruch auf einen Erschwerniszuschlag nur, wenn die einschlägigen Arbeitsschutzvorschriften eingehalten werden. Gemäß der Überschrift zu § 10 Nr. 1 RTV geht es um „Arbeiten mit persönlicher Schutzausrüstung (… Atemschutzgerät)“. Dies stellt den Bezug zur PSA-BV sowie zum Begriff des Atemschutzgeräts her. Die PSA-BV wiederum definiert – wie ausgeführt – als PSA eine solche Schutzausrüstung, die benutzt oder getragen wird, um sich vor Gefahren für die eigene Sicherheit und Gesundheit zu schützen. Konkretisierungen des Arbeitsschutzes in Bezug auf Atemschutzgeräte beinhaltet die DGUV Regel 112-190, die – wie aufgezeigt – Atemschutzgeräte als PSA definiert, die den Träger vor dem Einatmen von Schadstoffen aus der Umgebungsatmosphäre oder vor Sauerstoffmangel schützen. Diese Systematik und der § 10 RTV immanente Zusammenhang zu den arbeitsschutzrechtlichen Regelungen belegen, dass es den Tarifvertragsparteien auf den fachtechnischen Begriff der Atemschutzmaske iSd. arbeitsschutzrechtlichen Regelungen ankommt.

29        bb) Der Vergleich mit dem Zuschlag gemäß § 10 Nr. 1.1 Buchst. a und b RTV bestätigt das Ergebnis ebenfalls. Hiernach erhält der Arbeitnehmer für Arbeiten, bei denen er einen vorgeschriebenen Schutzanzug mit Kapuze, Überschuhen, Handschuhen und Brille trägt, einen Zuschlag iHv. 5 %. Kommt das Tragen einer Filterschutzmaske oder eines luftunterstützenden Beatmungssystems hinzu, beträgt der Zuschlag 15 %. Die zusätzliche Belastung durch Filterschutzmaske oder Beatmungssystem löst also einen Zuschlag von weiteren 10 % aus. Das spricht dafür, dass mit dem gleich hohen Zuschlag nach § 10 Nr. 1.2 RTV nur eine dementsprechende Erschwernis, die nach der Einschätzung der Tarifvertragsparteien das Tragen einer Atemschutzmaske typischerweise mit sich bringt, den Zuschlag auslösen soll und nicht das Tragen jedweder Gesichtsmaske (vgl. LAG Schleswig-Holstein 14. Oktober 2021 – 5 Sa 101/21 – zu I 1 b bb der Gründe).

30        d) Sinn und Zweck von § 10 Satz 1 RTV stehen dem vorstehenden Verständnis nicht entgegen.

31        aa) Mit einem Erschwerniszuschlag versehen sind solche Arbeiten, bei denen Gesundheitsgefahren für die Arbeitnehmer gegeben sein können, vor denen sie sich mit dem Tragen einer Atemschutzmaske im Sinn einer PSA schützen, was durch Vorschriften oder vom Arbeitgeber – in Erfüllung seiner Pflichten aus § 618 BGB, §§ 3 ff. ArbSchG – vorgeschrieben sein muss. Anknüpfungspunkt für den Zuschlag ist damit eine Tätigkeit, die das Tragen einer solchen Atemschutzmaske erfordert. Die hierdurch hervorgerufene Erschwernis bei der Arbeit soll ausgeglichen werden.

32        Richtig ist zwar, dass alle Gesichtsmasken, die Mund und Nase bedecken und während der Arbeit getragen werden, zu einer Erschwernis bei der Arbeit führen. Allerdings soll nach dem Willen der Tarifvertragsparteien insoweit nicht jede Erschwernis ausgeglichen werden, sondern nur eine solche, die das Maß bei Arbeiten mit einer PSA erreicht.

33        bb) Dass ein tariflicher Ausgleich nur ab einem gewissen Grad der Erschwernis der Arbeit vorgesehen ist, zeigt sich des Weiteren an den Regelungen in § 10 Nr. 2 und Nr. 3 RTV. Auch dort sind Zuschläge nur für bestimmte Arbeiten vorgesehen, die von den Tarifvertragsparteien nach der Art oder der Dauer der Tätigkeit als körperlich besonders belastend angesehen werden.

34        cc) Soweit der Kläger darauf verweist, das Landesarbeitsgericht habe sich mit einer Erschwernis der Arbeit durch das Tragen einer medizinischen Gesichtsmaske, etwa infolge des erhöhten Atemwiderstands, nicht befasst und nur hierauf komme es nach den Regeln im RTV an, kann dem nicht gefolgt werden. Wie ausgeführt haben die Tarifvertragsparteien durch den Bezug zur PSA klar festgelegt, dass für einen Anspruch auf den Erschwerniszuschlag maßgeblich ist, ob die Tätigkeit mit dem Tragen einer vorgeschriebenen PSA verbunden ist. Nur auf die hiermit typischerweise verbundene Erschwernis kommt es an.

35        e) Soweit der Kläger in den Vorinstanzen auf die Tarifhistorie verwiesen hat, ergibt sich daraus nichts anderes.

36        aa) Verbleiben bei der Auslegung einer Tarifnorm nach Wortlaut, Wortsinn und tariflichem Gesamtzusammenhang Zweifel an deren Inhalt, können weitere Kriterien herangezogen werden (vgl. BAG 11. November 2020 – 4 AZR 210/20 – Rn. 20) – so ggf. auch die Entstehungsgeschichte des Tarifvertrags (vgl. BAG 27. Januar 2022 – 6 AZR 564/20 – Rn. 28).

37        bb) Vorliegend bestehen schon keine Zweifel an dem gefundenen Auslegungsergebnis. Im Übrigen ließe sich aus der Entstehungsgeschichte aber auch kein anderes Ergebnis herleiten.

38        Soweit aus den hier entscheidenden tariflichen Regelungen im RTV und deren Änderungen erkennbar, enthalten § 9 Nr. 1.1 und Nr. 1.2 RTV idF vom 16. August 2000 – wie auch idF vom 22. September 1995 – nahezu inhaltsgleiche Regelungen wie § 10 Nr. 1.1 und Nr. 1.2 RTV. Insbesondere der Erschwerniszuschlag unter § 10 Nr. 1.2 RTV ist in beiden Fassungen identisch. Verändert hat sich die Zuschlagsregelung für Arbeiten in „Isolier-, Intensiv-, Operationsräumen und sonstigen geschlossenen Krankenstationen wie TBC-Krankenstationen, Isotopenlabors, Bestattungseinrichtungen“ (§ 9 Nr. 2.8 RTV idF vom 16. August 2000). Dieser Erschwerniszuschlag wurde im RTV idF vom 4. Oktober 2003 abgeschafft, hatte aber per se nichts mit dem Tragen einer Atemschutzmaske zu tun. Denn insoweit gab es bereits die Zuschlagsregelung in § 9 Nr. 1.2 RTV idF vom 16. August 2000. Gleichzeitig wurde im RTV idF vom 4. Oktober 2003 § 7 umstrukturiert und ein neues Lohngruppensystem eingeführt. Die Tätigkeit der Reinigung von Isolier-, Intensiv-, Operationsräumen und sonstigen geschlossenen Krankenstationen wie TBC-Krankenstationen, Isotopenlabors findet sich seitdem in der Lohngruppe 2 und nicht mehr in einer Zuschlagsregelung wieder. Der zuvor in § 9 Nr. 2.8 geregelte Erschwerniszuschlag entfiel. Das zeigt, dass die Tarifvertragsparteien diesen aufgrund der neuen Lohngruppen nicht mehr für erforderlich hielten, sondern durch die neue Entgeltstruktur als angemessen vergütet ansahen. Sollte bei dieser Tätigkeit eine Atemschutzmaske vorgeschrieben sein und getragen werden, fällt der Erschwerniszuschlag nach § 10 Nr. 1.2 RTV – wie zuvor auch – zusätzlich an. Rückschlüsse auf die Beschaffenheit einer Atemschutzmaske können aus diesen tarifvertraglichen Änderungen nicht gezogen werden (vgl. auch LAG Schleswig-Holstein 14. Oktober 2021 – 5 Sa 101/21 – zu I 1 b dd der Gründe).

39        II. Der Kläger hat die Kosten der Revision zu tragen, § 97 Abs. 1 ZPO.

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