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Arbeitsrecht
10.05.2012
Arbeitsrecht
BAG: Entschädigungsanspruch bei falscher Beantwortung der Frage nach Schwerbehinderung











BAG, Urteil  vom 07.07.2011 - Aktenzeichen 2 AZR 396/10
(Vorinstanz: LAG Frankfurt/Main vom 24.03.2010 - Aktenzeichen 6/7 Sa 1373/09;) (Vorinstanz: ArbG Frankfurt/Main vom 20.05.2009 - Aktenzeichen 7 Ca 7633/08;
)
 


BAG-Pressemitteilung Nr. 58/11
NZA 2012, 34








Tatbestand:
 






Die Parteien streiten über die Wirksamkeit einer Anfechtung
und einer außerordentlichen, hilfsweise ordentlichen Kündigung. Sie streiten
ferner über einen Anspruch der Klägerin auf Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG.
RN 1






Die Beklagte ist ein Softwareunternehmen mit Sitz in D. Sie
beschäftigt bundesweit mehr als 1200 Arbeitnehmer. Sie unterhält ua. eine
Niederlassung in B. Dort war die Klägerin seit dem 1. März 2007 auf der
Grundlage eines schriftlichen Arbeitsvertrags vom 31. Januar 2007 als
Angestellte im Außendienst (Vertrieb) tätig. Ihr durchschnittliches
Bruttomonatseinkommen betrug 7.082,67 Euro. Die Klägerin war seit Juli 1998 als
Schwerbehinderte mit einem Grad der Behinderung von 50 anerkannt.
RN 2






Vor Unterzeichnung des Arbeitsvertrags der Parteien im Januar
2007 hatte die Beklagte der Klägerin einen Personalfragebogen vorgelegt. Die
Frage, ob sie anerkannte Schwerbehinderte oder Gleichgestellte sei, hatte die
Klägerin verneint.
RN 3






Am 7. Oktober 2008 teilte die Klägerin der Beklagten mit, dass
sie als Schwerbehinderte anerkannt sei. Die Beklagte hatte ihr zuvor unter
Hinweis auf betriebsbedingte Gründe nahegelegt, gegen eine Abfindung aus dem
Arbeitsverhältnis auszuscheiden.
RN 4






Noch am Abend des 7. Oktober 2008 stellte die Beklagte die
Klägerin von der Erbringung der Arbeitsleistung frei. Sie forderte sie auf, ihre
persönlichen Sachen aus ihrem Büro zu entfernen und die Firmenkreditkarte sowie
den Computer abzugeben. Zudem sperrte sie ihre Zugangsberechtigungen zu den
betrieblichen Kommunikationsmitteln, der EDV, den Kundendatenbanken und dem
Firmenkonto. Die Beklagte hat behauptet, dabei habe es sich wie bei jeder
streitigen Trennung von Mitarbeitern, insbesondere von solchen aus dem Vertrieb,
um eine völlig normale und unbedingt angezeigte Maßnahme gehandelt.
RN 5






Mit Schreiben vom 8. Oktober 2008 erklärte die Beklagte die
Anfechtung des Arbeitsvertrags wegen arglistiger Täuschung. Sie warf der
Klägerin vor, die Frage nach einer anerkannten Schwerbehinderung in dem
Personalfragebogen unwahr beantwortet zu haben. Zudem kündigte die Beklagte das
Arbeitsverhältnis nach Zustimmung des Integrationsamts mit Schreiben vom 22.
Oktober 2008 außerordentlich fristlos, hilfsweise ordentlich zum nächstmöglichen
Termin.
RN 6






Die Klägerin hat rechtzeitig Kündigungsschutzklage erhoben.
Sie hat die Auffassung vertreten, weder Anfechtung noch Kündigung hätten das
Arbeitsverhältnis aufgelöst. Die Frage nach dem Bestehen einer anerkannten
Schwerbehinderung habe sie wegen der darin liegenden Diskriminierung falsch
beantworten dürfen. Ein Anfechtungsgrund wegen arglistiger Täuschung liege nicht
vor. Die auf die falsche Antwort gestützte Kündigung sei gleichermaßen
diskriminierend und deshalb unwirksam. Zudem stehe ihr ein
Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs. 2 AGG zu.
Die Anfechtungserklärung vom 8. Oktober 2008 und die Kündigungserklärung vom 22.
Oktober 2008 beruhten auf ihrer falschen Antwort im Personalfragebogen. Die
Diskriminierung ergebe sich außerdem aus der Art und Weise, in der sie am 7.
Oktober 2008 ihren Arbeitsplatz habe verlassen müssen, sowie aus dem
Prozessverhalten der Beklagten. Diese versuche, ihr eine Behinderung aus
psychischen Gründen zu unterstellen.
RN 7






Die Klägerin hat - soweit im Revisionsverfahren unter diversen
weiteren Anträgen von Interesse - beantragt
RN 8






1. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien
durch die Anfechtungserklärung der Beklagten vom 8. Oktober 2008 nicht aufgelöst
worden ist;
 






2. festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien auch
nicht durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung der Beklagten
vom 22. Oktober 2008 aufgelöst worden ist;
 






3. die Beklagte zu verurteilen, an sie eine Entschädigung in
einer in das Ermessen des Gerichts gestellten Höhe, welche einen Betrag von
96.000,00 Euro nicht unterschreiten möge, nebst Zinsen zu zahlen.
 






Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die
Ansicht vertreten, die Frage nach einer anerkannten Schwerbehinderung sei auch
unter Geltung des AGG zulässig. Sie habe die Frage in erster Linie gestellt,
weil sie die Anzahl schwerbehinderter Menschen im Betrieb habe erhöhen wollen.
Mit einer wahrheitsgemäßen Antwort wären die Einstellungschancen der Klägerin
noch größer gewesen. Sie wäre genauso eingestellt worden. Die Klägerin habe eine
zulässige Frage bewusst unwahr beantwortet. Sie habe damit zugleich über ihre
Ehrlichkeit getäuscht. Dies rechtfertige die Anfechtung und auch die
außerordentliche Kündigung. Die Voraussetzungen für einen Entschädigungsanspruch
der Klägerin lägen nicht vor. Die Frage sei nicht diskriminierend gewesen. Der
Grund für Anfechtung und Kündigung sei nicht die Behinderung der Klägerin
gewesen, sondern der mit der Lüge hervorgerufene Vertrauensbruch. Offenheit und
Ehrlichkeit im Umgang miteinander zählten zu den festen Bestandteilen ihrer
"Unternehmenskultur". Bei einer falschen Antwort auf eine andere, gleich
bedeutsame Frage hätte sie in gleicher Weise reagiert.
RN 9






Das Arbeitsgericht hat den Feststellungsanträgen der Klägerin
stattgegeben und den Zahlungsantrag abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat
insoweit die Berufungen beider Parteien durch Teilurteil zurückgewiesen. Mit
ihrer Revision begehrt die Beklagte weiterhin die Abweisung auch der
Feststellungsanträge, die Klägerin verfolgt mit ihrer Revision den
Zahlungsantrag weiter.
RN 10








Entscheidungsgründe:
 






Die Revisionen haben keinen Erfolg. Der Erlass eines
Teilurteils verstieß nicht gegen § 301
ZPO
(I.). Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die Anfechtung der
Beklagten vom 8. Oktober 2008 noch durch die Kündigung vom 22. Oktober 2008
aufgelöst worden (II.). Ein Anspruch der Klägerin auf Zahlung einer
Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG besteht
nicht (III.).
RN 11






I. Das angefochtene Teilurteil ist nicht bereits deswegen von
Amts wegen aufzuheben, weil sein Erlass gegen § 301
ZPO
verstoßen hätte. Die Streitgegenstände waren teilbar. Das Landesarbeitsgericht
hat angenommen, Entscheidungsreife habe nur hinsichtlich der mit dem Teilurteil
beschiedenen Anträge vorgelegen. Die über sie ergangene Entscheidung hing nicht
von der Entscheidung über die übrigen Streitgegenstände ab. Eine mögliche
Vorgreiflichkeit des entschiedenen Teils für den Rest-Streit steht dem Erlass
eines Teilurteils nicht entgegen. Der Gefahr einer Widersprüchlichkeit der
Entscheidungen kann ggf. durch eine Aussetzung des Rest-Streits nach § 148
ZPO
begegnet werden.
RN 12






II. Die Revision der Beklagten ist unbegründet. Das
Arbeitsverhältnis der Parteien ist weder durch die Anfechtungserklärung der
Beklagten noch durch die außerordentliche, hilfsweise ordentliche Kündigung
aufgelöst worden.
RN 13






1. Die Rüge der Beklagten, das Landesarbeitsgericht habe den
nicht entschiedenen Teil des Rechtsstreits nicht nach § 148
ZPO
aussetzen dürfen, geht als Verfahrensrüge gegen das Teilurteil ins Leere. Der
Aussetzungsbeschluss betrifft den durch dieses nicht entschiedenen Teil des
Rechtsstreits. Die Frage, ob dem Verfahren hinsichtlich dieses Teils Fortgang
hätte gegeben werden müssen, berührt nicht die in die Revision gelangten
Streitgegenstände. Das Teilurteil teilt den Rechtsstreit in zwei selbständige
Verfahren (BGH 30. Oktober 1997 - VII
ZR 299/95
- zu II 3 a der Gründe, NJW 1998, 686).
RN 14






2. Die Anfechtung vom 8. Oktober 2008 hat das
Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgelöst. Eine arglistige Täuschung iSv. §
123
Abs. 1
BGB
liegt nicht vor. Die Beklagte ist nicht durch die falsche Antwort der Klägerin
zum Abschluss des Arbeitsvertrags bestimmt worden. Auf einen Irrtum nach § 119
Abs. 2
BGB
stützt sie die Anfechtung nicht.
RN 15






a) Die falsche Beantwortung einer dem Arbeitnehmer bei der
Einstellung zulässigerweise gestellten Frage kann den Arbeitgeber nach § 123
Abs. 1
BGB
dazu berechtigen, den Arbeitsvertrag wegen arglistiger Täuschung anzufechten
(BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 380/99 - zu II 1 der Gründe, BAGE 96, 123; 5.
Oktober 1995 - 2
AZR 923/94
- zu B II 1 der Gründe, BAGE 81, 120).
Das setzt voraus, dass die Täuschung für den Abschluss des Arbeitsvertrags
ursächlich war (vgl. für die widerrechtliche Drohung BAG 12. Mai 2010 - 2
AZR 544/08
- Rn. 41, AP BGB
§ 123
Nr. 68 = EzA BGB
2002 § 123
Nr. 9; 28. November 2007 - 6
AZR 1108/06
- Rn. 59, BAGE 125, 70).
RN 16






b) Im Streitfall bedarf es keiner Entscheidung darüber, ob
sich der Arbeitgeber weiterhin nach einer Anerkennung als Schwerbehinderter auch
dann erkundigen darf, wenn die Behinderung für die Ausübung der vorgesehenen
Tätigkeit ohne Bedeutung ist (vgl. dazu bisher BAG 18. Oktober 2000 - 2 AZR 380/99 - BAGE
96, 123; 3. Dezember 1998 - 2
AZR 754/97
- zu II 2 der Gründe, BAGE 90,
251;
5. Oktober 1995 - 2
AZR 923/94
- BAGE 81, 120).
Dies ist seit Inkrafttreten des § 81
Abs. 2
SGB
IX
zum 1. Juli 2001 und des Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes zum 18.
August 2006, insbesondere im Hinblick auf Art. 1, Art. 4 Abs. 1 und Art. 5
Satz 2 der Richtlinie 2000/78/EG des Rates,
umstritten (verneinend Deinert in Deinert/Neumann Handbuch SGB
IX
2. Aufl. § 17
Rn. 17; LPK-SGB IX/Düwell 3. Aufl. § 85 Rn. 16 f., 20; ders. BB 2001, 1527, 1529
und BB 2006, 1741, 1743; KR/Etzel 9. Aufl. §§ 85
- 90 SGB
IX
Rn. 32; HaKo/Fiebig 3. Aufl. §§ 85-
92
SGB
IX
Rn. 19; Trenk-Hinterberger in HK-
SGB IX
3. Aufl. Rn. 36; Knittel SGB
IX
Kommentar 5. Aufl. § 68
Rn. 43; Messingschlager NZA 2003, 301, 303; Nollert-Borasio/Perreng AGG 2. Aufl.
§ 2
Rn. 17 f.; ErfK/Preis 11. Aufl. § 611
BGB
Rn. 272, 274; Rolfs/Paschke BB 2002, 1260, 1261; Thüsing/Lambrich BB 2002, 1046,
1049; SPV/Vossen 10. Aufl. Rn. 1522; Wisskirchen/Bissels NZA 2007, 169, 173;
bejahend Schaub NZA 2003, 299, 300; differenzierend Joussen NZA 2007, 174, 176
ff.). Selbst wenn die Frage der Beklagten zulässig gewesen wäre und die Klägerin
sie wahrheitsgemäß hätte beantworten müssen, wäre der durch die Täuschung
erregte Irrtum für den Abschluss des Arbeitsvertrags auf Seiten der Beklagten
nicht ursächlich gewesen. Die Beklagte hat ausdrücklich erklärt, sie hätte die
Klägerin auch dann eingestellt, wenn diese die Frage wahrheitsgemäß beantwortet
hätte.
RN 17






c) Die Beklagte vermag die Anfechtung nach § 123
Abs. 1
BGB
nicht darauf zu stützen, die Klägerin habe sie über ihre Ehrlichkeit getäuscht.
Ihre Annahme, die Klägerin sei ehrlich, beruhte nicht auf deren falscher
Antwort. Hätte die Klägerin die Frage richtig beantwortet, wäre die Beklagte
ebenso von ihrer Ehrlichkeit ausgegangen.
RN 18






3. Das Arbeitsverhältnis der Parteien ist nicht durch die
außerordentliche Kündigung vom 22. Oktober 2008 beendet worden. Es fehlt an
einem wichtigen Grund iSv. § 626
Abs. 1
BGB.
RN 19






a) Gemäß § 626
Abs. 1
BGB
kann das Arbeitsverhältnis aus wichtigem Grund ohne Einhaltung einer
Kündigungsfrist gekündigt werden, wenn Tatsachen vorliegen, aufgrund derer dem
Kündigenden unter Berücksichtigung aller Umstände des Einzelfalls und unter
Abwägung der Interessen beider Vertragsteile die Fortsetzung des
Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist nicht zugemutet werden
kann. Das Recht zur außerordentlichen Kündigung wird durch eine Möglichkeit zur
Anfechtung ebenso wenig ausgeschlossen wie umgekehrt. Beide Gestaltungsrechte
bestehen nebeneinander (BAG 28. März 1974 - 2
AZR 92/73
- zu 1 der Gründe, AP BGB
§ 119
Nr. 3 = EzA BGB
§ 119
Nr. 5). Die Anfechtung setzt zwar einen Grund voraus, der schon bei Abschluss
des Arbeitsvertrags vorgelegen hat, während die Kündigung dazu dient, ein durch
nachträgliche Umstände belastetes oder sinnlos gewordenes Arbeitsverhältnis zu
beenden (BAG 28. März 1974 - 2
AZR 92/73
- aaO.). Denkbar ist aber, dass ein Anfechtungsgrund im zustande
gekommenen Arbeitsverhältnis so stark nachwirkt, dass dem Arbeitgeber die
Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses auch nur bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
unzumutbar ist (BAG 28. März 1974 - 2
AZR 92/73
- aaO.; KR/Fischermeier 9. Aufl. § 626
BGB
Rn. 45; APS/Preis 3. Aufl. Grundlagen K Rn. 23; MünchArbR/Wank 2. Aufl. § 120
Rn. 12).
RN 20






b) Es kann auch in diesem Zusammenhang dahinstehen, ob die
Klägerin verpflichtet war, die Frage nach einer Anerkennung als Schwerbehinderte
wahrheitsgemäß zu beantworten. Selbst wenn dies zu bejahen wäre, läge ein
wichtiger Grund iSv. § 626
Abs. 1
BGB
nicht vor. Die Täuschung wirkte nicht in einer Weise nach, dass der Beklagten
eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses bis zum Ablauf der Kündigungsfrist
unzumutbar gewesen wäre. Die Klägerin war mehr als eineinhalb Jahre im
Arbeitsverhältnis tätig, ohne dass es Beanstandungen gegeben hätte.
RN 21






4. Die ordentliche Kündigung ist ebenfalls unwirksam. Sie ist
sozial ungerechtfertigt iSv. § 1
Abs. 1
KSchG.
Auf das Arbeitsverhältnis fand im Zeitpunkt der Kündigung das Kündigungsschutzgesetz
Anwendung (§ 1
Abs. 1,
§ 23
Abs. 1
KSchG).
Ein Kündigungsgrund iSv. § 1
Abs. 2
Satz 1 KSchG
ist nicht gegeben. Die Täuschung der Klägerin wirkte auch nicht in der Weise
fort, dass der Beklagten eine Fortsetzung des Arbeitsverhältnisses jedenfalls
über die Kündigungsfrist hinaus unzumutbar gewesen wäre.
RN 22






III. Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Die Klägerin
hat keinen Anspruch auf Entschädigung nach § 15
Abs. 2
AGG iVm. § 81
Abs. 2
Satz 2 SGB
IX
.
RN 23






1. Der auf Zahlung einer Entschädigung gerichtete Klageantrag
ist hinreichend bestimmt (§ 253
Abs. 2
Nr. 2
ZPO).
RN 24






a) § 15 Abs. 2 AGG eröffnet
die Möglichkeit, die Höhe der begehrten Entschädigung in das Ermessen des
Gerichts zu stellen. Den Gerichten wird insoweit ein Beurteilungsspielraum
eingeräumt. Hängt die Bestimmung eines Betrags vom billigen Ermessen des
Gerichts ab, ist ein unbezifferter Zahlungsantrag zulässig. Der Kläger muss
allerdings Tatsachen benennen, die zur Bestimmung des Betrags herangezogen
werden können, und muss die Größenordnung der geltend gemachten Forderung
angeben (BAG 19. August 2010 - 8
AZR 370/09
- Rn. 19, EzA AGG § 15
Nr. 11; 17. August 2010 - 9
AZR 839/08
- Rn. 16, EzA SGB
IX
§ 81
Nr. 21; 16. September 2008 - 9
AZR 791/07
- Rn. 18, BAGE 127, 367).
RN 25






b) Diese Voraussetzungen sind hier erfüllt. Die Klägerin hat
einen Sachverhalt dargelegt, der grundsätzlich die Bestimmung einer
Entschädigung ermöglicht, und hat den Mindestbetrag einer aus ihrer Sicht
angemessenen Entschädigung mit 96.000,00 Euro beziffert.
RN 26






2. Die Klage auf Entschädigung ist unbegründet. Die Klägerin
wurde von der Beklagten nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligt. Es bedarf
deshalb keiner Klärung, ob § 15 Abs. 2 AGG nach
§ 2 Abs. 4 AGG auf Benachteiligungen durch
Kündigungen überhaupt anwendbar ist (offen gelassen auch durch BAG 28. April
2011 - 8
AZR 515/10
- Rn. 20, NJW 2011, 2458).
RN 27






a) Die Klägerin hat den Entschädigungsanspruch nach § 15 Abs.
2 AGG innerhalb der Frist des § 15
Abs. 4
AGG schriftlich geltend gemacht und die Klagefrist des § 61b
Abs. 1
ArbGG
eingehalten.
RN 28






aa) Sie hat den Anspruch zwar nicht unmittelbar gegenüber der
Beklagten geltend gemacht. Die schriftliche Erhebung kann aber durch die
Klageerhebung ersetzt werden, sofern die Klage innerhalb der Zweimonatsfrist des
§ 15 Abs. 4 AGG dem Arbeitgeber zugestellt worden ist (Bauer/Göpfert/Krieger AGG
3. Aufl. § 15 Rn. 55). Die Klageerweiterung mit dem Entschädigungsantrag wurde
der Beklagten am 25. November 2008 zugestellt. Die Klägerin stützt den Anspruch
auf Umstände, die ihr nicht länger als zwei Monate zuvor zur Kenntnis gelangt
waren, nämlich die Art und Weise, in der sie am 7. Oktober 2008 ihren
Arbeitsplatz habe verlassen müssen, die Anfechtungserklärung vom 8. Oktober
2008, die Kündigung vom 22. Oktober 2008 und den Prozessvortrag der Beklagten im
vorliegenden Rechtsstreit.
RN 29






bb) Durch die am 25. November 2008 zugestellte
Klageerweiterung ist auch die Dreimonatsfrist gem. § 61b
Abs. 1
ArbGG
gewahrt.
RN 30






b) Die Voraussetzungen für einen Anspruch nach § 15
Abs. 2
Satz 1 AGG iVm. § 81
Abs. 2
Satz 2 SGB
IX
auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung sind aber nicht
gegeben.
RN 31






aa) Nach § 81
Abs. 2
Satz 1 SGB
IX
in der ab 18. August 2006 geltenden Fassung dürfen Arbeitgeber
schwerbehinderte Beschäftigte nicht wegen ihrer Behinderung benachteiligen.
Gemäß § 81
Abs. 2
Satz 2 SGB
IX
gelten hierzu die Regelungen des ebenfalls am 18. August 2006 in Kraft
getretenen Allgemeinen Gleichbehandlungsgesetzes. Ein Verstoß gegen das
Benachteiligungsverbot begründet nach § 15
Abs. 2
Satz 1 AGG iVm. § 81
Abs. 2
Satz 2 SGB
IX
einen Anspruch auf Zahlung einer angemessenen Entschädigung in Geld auch
wegen eines Schadens, der nicht Vermögensschaden ist. § 15 Abs. 2 AGG regelt zwar nicht ausdrücklich, dass der
Entschädigungsanspruch einen Verstoß des Arbeitgebers gegen das
Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs. 1 AGG voraussetzt (BAG 19. August 2010 - 8
AZR 370/09
- Rn. 29, EzA AGG § 15 Nr. 11; 22. Januar 2009 - 8
AZR 906/07
- Rn. 28, BAGE 129, 181).
Dies ergibt sich aber aus dem Zusammenhang mit § 15 Abs. 1 AGG (vgl. BAG 24.
September 2009 - 8
AZR 705/08
- Rn. 24, AP AGG § 3 Nr. 2 = EzA
AGG § 3 Nr. 1). Der Verstoß braucht nicht schuldhaft erfolgt zu sein (BAG 18.
März 2010 - 8
AZR 1044/08
- Rn. 36, AP AGG § 15 Nr. 3 = EzA AGG § 15 Nr. 7).
RN 32






bb) Ein Verstoß gegen das Benachteiligungsverbot gem. § 7 Abs.
1 AGG liegt vor, wenn Beschäftigte wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes
benachteiligt werden. Der Kausalzusammenhang ist gegeben, wenn die
Benachteiligung an einen oder mehrere der in § 1 AGG genannten Gründe anknüpft
oder dadurch motiviert ist (BT-Drucks. 16/1780 S. 32). Ausreichend ist, dass ein
in § 1 AGG genannter Grund jedenfalls mitursächlich war (BAG 18. März 2010 - 8
AZR 1044/08
- Rn. 33, AP AGG § 15 Nr. 3 = EzA AGG § 15 Nr. 7; 22. Oktober
2009 - 8
AZR 642/08
- Rn. 27, AP AGG § 15 Nr. 2 =
EzA AGG § 15 Nr. 4; 21. Juli 2009 - 9
AZR 431/08
- Rn. 40, BAGE 131, 232). Für den Begriff der Benachteiligung
gilt § 3 AGG.
RN 33






cc) Die Beweislastregel des § 22 AGG für eine Benachteiligung
wegen eines der in § 1 AGG genannten Merkmale wirkt sich auf die Verteilung der
Darlegungslast aus. Der Beschäftigte genügt seiner Darlegungslast, wenn er
Indizien vorträgt, die seine Benachteiligung wegen eines verpönten Merkmals
vermuten lassen. Dies ist der Fall, wenn die vorgetragenen Tatsachen aus
objektiver Sicht mit überwiegender Wahrscheinlichkeit darauf schließen lassen,
dass die Benachteiligung wegen dieses Merkmals erfolgt ist. Es genügt, Indizien
vorzutragen, die zwar nicht zwingend den Schluss auf die Kausalität zulassen,
die aber die Annahme rechtfertigen, dass sie gegeben ist (BAG 27. Januar 2011 -
8
AZR 580/09
- Rn. 29, NZA 2011, 737;
20. Mai 2010 - 8
AZR 287/08
(A) - AP AGG § 22 Nr. 1 = EzA AGG § 22 Nr. 1). Dabei ist kein zu
strenger Maßstab an die Vermutungswirkung der Hilfstatsachen anzulegen (BAG 24.
April 2008 - 8
AZR 257/07
- Rn. 40, AP AGG § 33
Nr. 2 = EzA BGB
2002 § 611a
Nr. 6 zu § 611a
BGB).
Werden vom Arbeitnehmer Tatsachen vorgetragen, die je für sich genommen nicht
zur Begründung der Kausalität ausreichen, ist eine Gesamtbetrachtung
vorzunehmen. Zu prüfen ist, ob die Hilfstatsachen, werden sie im Zusammenhang
gesehen, geeignet sind, die Vermutungswirkung zu begründen (vgl. zu § 611a
Abs. 1
Satz 3 BGB
aF BAG 27. Januar 2011 - 8
AZR 483/09
- Rn. 25, EzA BGB
2002 § 611a
Nr. 7).
RN 34






dd) Danach hat die Beklagte die Klägerin nicht iSv. § 7
Abs. 1
AGG bzw. § 81
Abs. 2
Satz 1 SGB
IX
benachteiligt.
RN 35






(1) Das Landesarbeitsgericht hat unterstellt, die
Tatbestandsvoraussetzungen des § 15 Abs. 2 AGG
seien erfüllt. Es hat angenommen, ein Entschädigungsanspruch bestehe selbst dann
nicht, weil die Verletzung des Persönlichkeitsrechts der Klägerin bereits durch
den materiellen Schadensersatz ausgeglichen sei.
RN 36






(2) Dies hält jedenfalls im Ergebnis einer
revisionsrechtlichen Überprüfung stand. Ungeachtet der Erwägungen des
Landesarbeitsgerichts fehlt es an hinreichenden Indiztatsachen iSv. § 22 AGG für
die Annahme, die Beklagte habe die Klägerin wegen ihrer Behinderung
benachteiligt.
RN 37






(a) Allerdings bestand ein enger zeitlicher Zusammenhang
zwischen der Anzeige ihrer Schwerbehinderung durch die Klägerin und den
Umständen, auf die sie ihren Entschädigungsanspruch stützt. Ob schon ein solcher
zeitlicher Zusammenhang geeignet sein kann, die Vermutungswirkung des § 22
AGG auszulösen, bedarf keiner Entscheidung (offen gelassen zu § 611a
BGB
in BAG 24. April 2008 - 8
AZR 257/07
- Rn. 37, AP AGG § 33
Nr. 2 = EzA BGB
2002 § 611a
Nr. 6). Er reicht dafür jedenfalls im Streitfall nicht aus. Das
Landesarbeitsgericht ist von der Richtigkeit der Einlassung der Beklagten
ausgegangen, nicht der Umstand, dass die Klägerin anerkannte Schwerbehinderte
sei, sondern deren falsche Antwort auf die entsprechende Frage sei der Grund für
die Anfechtung und die Kündigung des Arbeitsverhältnisses gewesen.
RN 38






Dies ist revisionsrechtlich nicht zu beanstanden. Durch den
Hinweis der Klägerin auf ihre seit Juli 1998 bestehende Anerkennung als
Schwerbehinderte hatte die Beklagte nicht nur erstmalig Kenntnis von diesem
Umstand erlangt. Vielmehr wurde damit zugleich offenbar, dass die Klägerin vor
der Einstellung eine falsche Auskunft gegeben hatte. Die Beklagte hat
durchgängig vorgetragen, ausschließlich darauf und auf eine durch die falsche
Auskunft bewirkte Zerstörung des Vertrauensverhältnisses und nicht auf die
Schwerbehinderung als solche reagiert zu haben. Dem entspricht die Formulierung
im Schreiben vom 8. Oktober 2008, die Anfechtung erfolge wegen der Lüge im
Personalfragebogen. Auch aus dem weiteren Vortrag der Beklagten ergeben sich
keine hinreichenden Anhaltspunkte dafür, dass Anfechtung oder Kündigung wegen
der Behinderung der Klägerin ausgesprochen worden wären.
RN 39






(b) Eine Benachteiligung der Klägerin ergibt sich auch nicht
aus den Maßnahmen, welche die Beklagte im Zusammenhang mit der Freistellung am
7. Oktober 2008 anordnete. Diese waren nach den Feststellungen des
Landesarbeitsgerichts auf das beschränkt, was mit der sofortigen Beendigung
eines Arbeitsverhältnisses bei der Beklagten auch in anderen Fällen
einherging.
RN 40






(c) Die Mutmaßung der Beklagten im Schriftsatz vom 20. Februar
2009, die Schwerbehinderung der Klägerin habe "psychologische Ursachen", und die
sich daran anschließenden Ausführungen lassen keine Benachteiligung der Klägerin
wegen ihrer Behinderung vermuten. Aus diesem Vorbringen lässt sich nicht darauf
schließen, Freistellung, Anfechtung oder Kündigung seien eben deshalb erfolgt.
Die Beklagte hatte lediglich auf den Vortrag reagiert, die Klägerin weise keine
körperlichen Defizite auf.
RN 41






(d) Die Klägerin beruft sich nicht darauf, bereits die Frage
nach einer Schwerbehinderung als solche habe eine unzulässige Benachteiligung
dargestellt. Es kann daher dahinstehen, ob insoweit die Fristen gem. § 15
Abs. 4
AGG, § 61b
Abs. 1
ArbGG
gewahrt wären.
RN 42






Die Frage ist auch als Indiztatsache für eine spätere
Benachteiligung durch die Freistellung und die diese begleitenden Maßnahmen oder
durch die Anfechtung und Kündigung nicht geeignet. Aus ihr lässt sich auf eine
Benachteiligungsabsicht der Beklagten nicht mit hinreichender Sicherheit
schließen. Die Beklagte kann die Frage - so wie sie geltend macht - auch aus dem
Grund gestellt haben, bevorzugt Schwerbehinderte einstellen zu
wollen.
RN 43






(e) Auch aus den Gesamtumständen folgen keine hinreichenden
Indizien für eine Benachteiligung der Klägerin. Die zeitliche Nähe von
Freistellung, Anfechtung und Kündigung zur Anzeige der Schwerbehinderung genügt
selbst unter Berücksichtigung der vor der Einstellung gestellten Frage nicht, um
die Vermutungswirkung des § 22 AGG auszulösen. Die Beklagte hat sich - plausibel
- darauf berufen, sie habe allein den Umstand, dass die Klägerin unehrlich
gewesen sei, zum Anlass für die fraglichen Maßnahmen genommen. Das wird nicht
dadurch widerlegt, dass sie die Klägerin vor der Einstellung nach einer
Anerkennung als Schwerbehinderte gefragt hatte.
RN 44






IV. Die Kosten des Revisionsverfahrens haben die Parteien gem.
§ 97
Abs. 1,
§ 92
Abs. 1
Satz 1 ZPO
nach dem Verhältnis ihres Obsiegens und Unterliegens zu tragen.
RN 45
 

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