BAG: Betriebliches Eingliederungsmanagement (BEM) - Mindestanforderungen und Bedeutung des Ergebnisses für die Darlegungs- und Beweislast bei krankheitsbedingter Kündigung
BAG , Urteil vom 10.12.2009 - Aktenzeichen 2 AZR 400/08 (Vorinstanz: LAG Frankfurt/Main vom 13.07.2007 - Aktenzeichen 10 Sa 140/07; ) (Vorinstanz: ArbG Frankfurt/Main vom 07.12.2006 - Aktenzeichen 19 Ca 4901/06; ) | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Redaktionelle Leitsätze: 1. Die Durchführung des BEM ist keine formelle Wirksamkeitsvoraussetzung für eine Kündigung. § 84 Abs. 2 SGB IX ist aber auch kein bloßer Programmsatz. Die Norm konkretisiert vielmehr den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Das BEM ist nicht selbst ein milderes Mittel. Mit seiner Hilfe können aber mildere Mittel als die Kündigung, zB eine Umgestaltung des Arbeitsplatzes oder eine Weiterbeschäftigung auf einem anderen - ggf. durch Umsetzungen freizumachenden - Arbeitsplatz, erkannt und entwickelt werden. Dabei wird das Verhältnismäßigkeitsprinzip nicht allein dadurch verletzt, dass kein BEM durchgeführt wurde. Es muss hinzukommen, dass überhaupt Möglichkeiten einer alternativen (Weiter-)Beschäftigung bestanden haben, die eine Kündigung vermieden hätten. 2. a) Hat der Arbeitgeber entgegen seiner gesetzlichen Pflicht überhaupt kein BEM durchgeführt, darf er sich dadurch keine darlegungs- und beweisrechtlichen Vorteile verschaffen können. In diesem Fall kann sich der Arbeitgeber nicht darauf beschränken vorzutragen, er kenne keine alternativen Einsatzmöglichkeiten für den erkrankten Arbeitnehmer und es gebe keine leidensgerechten Arbeitsplätze, die der Arbeitnehmer trotz seiner Erkrankung noch einnehmen könne. Er hat vielmehr von sich aus denkbare oder vom Arbeitnehmer (außergerichtlich) bereits genannte Alternativen zu würdigen und im Einzelnen darzulegen, aus welchen Gründen sowohl eine Anpassung des bisherigen Arbeitsplatzes an dem Arbeitnehmer zuträgliche Arbeitsbedingungen als auch die Beschäftigung auf einem anderen - leidensgerechten - Arbeitsplatz ausscheiden. Erst dann ist es Sache des Arbeitnehmers, sich hierauf substantiiert einzulassen und darzulegen, wie er sich selbst eine leidensgerechte Beschäftigung vorstellt. b) Das Gleiche gilt, wenn der Arbeitgeber zur Erfüllung seiner Verpflichtung aus § 84 Abs. 2 SGB IX ein Verfahren durchgeführt hat, das nicht den gesetzlichen Mindestanforderungen an ein BEM genügt. Zwar enthält § 84 Abs. 2 SGB IX keine nähere gesetzliche Ausgestaltung des BEM. Dieses ist ein rechtlich regulierter "Suchprozess", der individuell angepasste Lösungen zur Vermeidung zukünftiger Arbeitsunfähigkeit ermitteln soll. Gleichwohl lassen sich aus dem Gesetz gewisse Mindeststandards ableiten. Zu diesen gehört es, die gesetzlich dafür vorgesehenen Stellen, Ämter und Personen zu beteiligen und zusammen mit ihnen eine an den gesetzlichen Zielen des BEM orientierte Klärung ernsthaft zu versuchen. Ziel des BEM ist es festzustellen, aufgrund welcher gesundheitlichen Einschränkungen es zu den bisherigen Ausfallzeiten gekommen ist und ob Möglichkeiten bestehen, sie durch bestimmte Veränderungen künftig zu verringern, um so eine Kündigung zu vermeiden. | ||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||||
Amtliche Normenkette: KSchG § 1 Abs. 2; SGB IX § 84 Abs. 2; Redaktionelle Normenkette: KSchG § 1 Abs. 2; SGB IX § 84 Abs. 2;
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