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Arbeitsrecht
27.10.2022
Arbeitsrecht
BAG: Befristung – Hochschule – Dauer – Verlängerung – Promotionszeit

BAG, Urteil vom 20.7.2022 – 7 AZR 239/21

ECLI:DE:BAG:2022:200722.U.7AZR239.21.0

Volltext: BB-Online BBL2022-2547-2

Orientierungssatz

Nach abgeschlossener Promotion ist gemäß § 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren - im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren - zulässig. Nach § 2 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 WissZeitVG verlängert sich die zulässige Befristungsdauer für die Postdoc-Phase in dem Umfang, in dem Zeiten der Promotion mit und ohne Beschäftigung nach § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG weniger als sechs Jahre gedauert haben. Bei der Ermittlung des die Postdoc-Phase verlängernden Befristungszeitraums ist die gesamte Promotionszeit unabhängig davon zu berücksichtigen, ob sie innerhalb oder außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses i.S.v. § 2 Abs. 1 S. 1 WissZeitVG zurückgelegt wurde, ob sie im Inland oder im Ausland absolviert wurde oder ob sie vor oder nach Abschluss eines Studiums lag. Beträgt die Promotionszeit nicht weniger als sechs Jahre, verlängert sich die nach § 2 Abs. 1 S. 2 WissZeitVG zulässige Befristungsdauer von sechs Jahren in der Postdoc-Phase nach § 2 Abs. 1 S. 2 Halbs. 2 WissZeitVG daher unabhängig von der zeitlichen und inhaltlichen Ausgestaltung etwaiger in der Promotionsphase bestehender Beschäftigungsverhältnisse nicht (Rn. 23 ff.).

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten darüber, ob ihr Arbeitsverhältnis aufgrund Befristung am 12. August 2019 geendet hat.

Der Kläger wurde von der Universität F mit Bescheid vom 6. Mai 1998 als Doktorand der Philosophie angenommen. Die Promotionszeit endete am 15. Dezember 2004 mit der erfolgreichen Verteidigung der Dissertation und der Verleihung des Doktorgrades. Über diese Daten erteilte die Universität F dem Kläger unter dem 7. August 2019 eine Bescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber.

Während seiner Promotionszeit war der Kläger vom 1. Mai 1997 bis 30. September 2000, vom 1. Mai 2001 bis 15. August 2001 und vom 1. August 2004 bis 30. September 2004 als wissenschaftliche Hilfskraft mit weniger als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit und vom 1. Dezember 2003 bis 31. Mai 2004 als wissenschaftlicher Mitarbeiter mit 50 % der regelmäßigen Arbeitszeit an der Universität F beschäftigt. Dort war er auch nach Abschluss seiner Promotion in der Zeit vom 1. April 2008 bis zum 31. März 2011 auf der Grundlage zweier befristeter Arbeitsverträge in Vollzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter tätig. In der Zeit vom 13. Mai 2014 bis zum 12. August 2019 war er bei dem beklagten Land als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Koblenz-Landau auf der Grundlage von drei befristeten Arbeitsverträgen – zum Teil in Vollzeit, zum Teil in Teilzeit mit 50 % der regelmäßigen Arbeitszeit – beschäftigt. Der letzte, zum 12. August 2019 befristete Arbeitsvertrag der Parteien vom 8. Juni 2017 enthält ua. folgende Bestimmungen:

„§ 1  

Herr Dr. M wird ab 01.07.2017 bis 12.08.2019 als vollbeschäftigter wissenschaftlicher Mitarbeiter nach § 56 Absatz 1 HochSchG weiterbeschäftigt. Die Lehrverpflichtung beträgt 8 Semesterwochenstunden.

§ 2    

…    

Die Befristung des Vertrages beruht auf § 30 Absatz 1 Satz 1 TV-L i.V.m. § 2 Absatz 1 WissZeitVG.“

Mit seiner am 18. Juli 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem beklagten Land am 26. Juli 2019 zugestellten Klage hat der Kläger die Unwirksamkeit der Befristung zum 12. August 2019 geltend gemacht. Er hat die Auffassung vertreten, die Befristung könne wegen Überschreitung der zulässigen Höchstbefristungsdauer von sechs Jahren nicht auf § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG gestützt werden.

Der Kläger hat – soweit für die Revision von Interesse – zuletzt beantragt

festzustellen, dass das Arbeitsverhältnis der Parteien nicht aufgrund der im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 vereinbarten Befristung mit Ablauf des 12. August 2019 endet.

Das beklagte Land hat beantragt, die Klage abzuweisen. Es hat die Auffassung vertreten, die Befristung sei nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG gerechtfertigt. Die Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG sei nicht überschritten, weil sie sich durch Einsparzeiten aus der Promotionsphase nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG um 27,03 Monate verlängert habe. Zeiten, in denen der Kläger während seiner Promotionszeit in Hochschul-Beschäftigungsverhältnissen mit nicht mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit gestanden habe, seien nach § 2 Abs. 3 Satz 1 WissZeitVG auf die Befristungsdauer nicht anrechenbar und daher bei der Dauer der Promotionszeit für die Berechnung der Einsparzeiten nicht zu berücksichtigen. Auch die Beschäftigungszeiten des Klägers in der Promotionsphase mit einem Beschäftigungsumfang von mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit seien nicht zu berücksichtigen, soweit die Beschäftigung nicht der wissenschaftlichen Qualifizierung gedient habe.

Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung des beklagten Landes zurückgewiesen. Mit der Revision verfolgt das beklagte Land den Klageabweisungsantrag weiter. Der Kläger beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Aus den Gründen

8          Die Revision des beklagten Landes ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat der Befristungskontrollklage zu Recht stattgegeben.

9          I. Das Arbeitsverhältnis der Parteien hat nicht aufgrund der im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 vereinbarten Befristung mit Ablauf des 12. August 2019 geendet. Die Befristung ist unwirksam. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 vereinbarte Befristung nicht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG in der hier maßgeblichen am 17. März 2016 in Kraft getretenen Fassung (WissZeitVG) gerechtfertigt ist. Auf andere Befristungsgründe außerhalb des WissZeitVG hat sich das beklagte Land nicht berufen.

10        1. Die Befristungsabrede im Arbeitsvertrag vom 8. Juni 2017 fällt in den zeitlichen Geltungsbereich des WissZeitVG in der mit dem „Ersten Gesetz zur Änderung des Wissenschaftszeitvertragsgesetzes“ vom 11. März 2016 (BGBl. I S. 442 – 1. WissZeitVGÄndG) beschlossenen und am 17. März 2016 in Kraft getretenen Fassung. Für die Wirksamkeit der Befristung ist die im Zeitpunkt ihrer Vereinbarung geltende Rechtslage maßgeblich (vgl. BAG 20. Januar 2021 – 7 AZR 193/20 – Rn. 13 mwN, BAGE 173, 315).

11        2. Der betriebliche Anwendungsbereich von § 2 Abs. 1 WissZeitVG ist eröffnet. Es handelt sich um den Abschluss eines Arbeitsvertrags für eine bestimmte Zeit an einer Einrichtung des Bildungswesens, die nach Landesrecht eine staatliche Hochschule ist. Die Universität Koblenz-Landau ist gemäß § 1 Abs. 2 Nr. 2 Hochschulgesetz des Landes Rheinland-Pfalz eine staatliche Hochschule des Landes Rheinland-Pfalz. § 2 Abs. 1 WissZeitVG setzt nicht voraus, dass die staatliche Hochschule Vertragsarbeitgeber ist. Das beklagte Land kann als Träger der Hochschule von den Möglichkeiten zur Befristung von Arbeitsverträgen mit wissenschaftlichem Personal Gebrauch machen (vgl. BAG 15. Dezember 2021 – 7 AZR 453/20 – Rn. 13 mwN).

12        3. Die Befristung gilt nicht nach § 17 Satz 2 TzBfG iVm. § 7 Halbs. 1 KSchG als wirksam. Mit dem am 18. Juli 2019 beim Arbeitsgericht eingegangenen und dem beklagten Land am 26. Juli 2019 zugestellten Antrag hat der Kläger rechtzeitig – noch vor Befristungsablauf – eine Befristungskontrollklage iSv. § 1 Abs. 1 Satz 5 WissZeitVG iVm. § 17 Satz 1 TzBfG erhoben. Die Befristungskontrollklage kann bei einer kalendermäßigen Befristung schon vor Fristablauf erhoben werden (st. Rspr. vgl. nur BAG 23. Januar 2019 – 7 AZR 733/16 – Rn. 15 mwN, BAGE 165, 116).

13        4. Die Befristung genügt dem Zitiergebot nach § 2 Abs. 4 Satz 1 WissZeitVG. Danach ist im Arbeitsvertrag anzugeben, ob die Befristung auf den Vorschriften des WissZeitVG beruht. Das erfordert nicht die Angabe der einzelnen Befristungsnormen. Dem Zitiergebot ist entsprochen, wenn sich aus der Befristungsvereinbarung ohne Unklarheit ergibt, dass die Befristung auf dem WissZeitVG beruhen soll (vgl. BAG 15. Dezember 2021 – 7 AZR 453/20 – Rn. 15 mwN). Dies ist hier der Fall. In § 2 des Arbeitsvertrags ist niedergelegt, dass die Befristung „auf § 30 Absatz 1 Satz 1 TV-L i.V.m. § 2 Absatz 1 WissZeitVG“ beruht.

14        5. Die Befristung entspricht aber nicht den Anforderungen von § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG. Dabei kann zu Gunsten des beklagten Landes unterstellt werden, dass der Kläger als Lehrkraft für besondere Aufgaben zum wissenschaftlichen Personal iSv. § 1 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG zählt und deshalb der Anwendungsbereich von § 2 Abs. 1 WissZeitVG eröffnet ist (vgl. zum wissenschaftlichen Zuschnitt der von einer Lehrkraft für besondere Aufgaben auszuführenden Tätigkeit: BAG 25. April 2018 – 7 AZR 82/16 – Rn. 14 ff.; 28. September 2016 – 7 AZR 549/14 – Rn. 27; 20. April 2016 – 7 AZR 657/14 – Rn. 17). Denn das Landesarbeitsgericht hat zu Recht erkannt, dass die Befristung jedenfalls deshalb unwirksam ist, weil mit der im Vertrag vom 8. Juni 2017 zum 12. August 2019 vereinbarten Befristung die zulässige Höchstbefristungsdauer überschritten ist.

15        a) Nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG ist die Befristung von Arbeitsverträgen mit wissenschaftlichem Personal an staatlichen Hochschulen, das nicht promoviert ist, bis zu einer Dauer von sechs Jahren zulässig. Nach abgeschlossener Promotion, dh. in der sog. Postdoc-Phase, ist gemäß § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 1 WissZeitVG eine Befristung bis zu einer Dauer von sechs Jahren – im Bereich der Medizin bis zu einer Dauer von neun Jahren – möglich. Nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG verlängert sich die zulässige Befristungsdauer in der Postdoc-Phase in dem Umfang, in dem Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1 und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 zusammen weniger als sechs Jahre betragen haben. In § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG ist für die Befristungsmöglichkeiten in der Promotionsphase und in der Postdoc-Phase jeweils eine gesonderte Höchstbefristungsdauer für die jeweilige Qualifikationsphase festgelegt. Damit sind zwei – eigenständige – Rechtsgrundlagen für kalendermäßige Befristungen normiert (BAG 20. Mai 2020 – 7 AZR 72/19 – Rn. 20).

16        b) Die zulässige Befristungsdauer von sechs Jahren in der Postdoc-Phase ist mit dem letzten befristeten Arbeitsvertrag der Parteien überschritten.

17        aa) Auf die nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG zulässige Befristungsdauer sind nach § 2 Abs. 3 Satz 1 WissZeitVG alle befristeten Arbeitsverhältnisse mit mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit, die mit einer deutschen Hochschule oder einer Forschungseinrichtung iSv. § 5 WissZeitVG abgeschlossen wurden, anzurechnen. Nach § 2 Abs. 3 Satz 2 WissZeitVG werden auch befristete Arbeitsverhältnisse angerechnet, die nach anderen Rechtsvorschriften abgeschlossen werden.

18        bb) Der Kläger war nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts nach Abschluss seiner Promotion in der Zeit vom 1. April 2008 bis zum 31. März 2011 auf der Grundlage zweier befristeter Arbeitsverträge in Vollzeit als wissenschaftlicher Mitarbeiter an der Universität F beschäftigt. In der Zeit vom 13. Mai 2014 bis zum 12. August 2019 war er dann bei dem beklagten Land als Lehrkraft für besondere Aufgaben an der Universität Koblenz-Landau auf der Grundlage von drei befristeten Arbeitsverträgen – zum Teil in Vollzeit, zum Teil in Teilzeit mit 50 % der regelmäßigen Arbeitszeit – tätig. Damit stand er in der Postdoc-Phase für eine Gesamtzeit von acht Jahren (1. April 2008 bis zum 31. März 2011 sowie 13. Mai 2014 bis zum 12. Mai 2019) und 90 Tagen (13. Mai 2019 bis 12. August 2019) in auf die Höchstbefristungsdauer anzurechnenden Arbeitsverhältnissen. Seine Arbeitszeit betrug in dieser Zeit durchgehend mehr als ein Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit. Folgerichtig stellt das beklagte Land mit seiner Revision die Überschreitung der sechsjährigen Höchstbefristungsdauer um den Zeitraum von zwei Jahren und 90 Tagen auch nicht in Frage.

19        c) Die nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG zulässige Befristungsdauer von sechs Jahren hat sich entgegen der Auffassung des beklagten Landes nicht wegen eingesparter Promotionszeiten verlängert. Das hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt.

20        aa) Die Promotionszeit des Klägers dauerte länger als sechs Jahre.

21        (1) Das WissZeitVG enthält keine ausdrücklichen Bestimmungen über die Zeitpunkte des Beginns der Promotion (dazu BAG 23. März 2016 – 7 AZR 70/14 -Rn. 47, BAGE 154, 375) und deren Abschlusses (dazu BAG 18. Mai 2016 – 7 AZR 712/14 – Rn. 31). Maßgeblich hierfür sind daher grundsätzlich das Landesrecht und das Satzungsrecht der Universität (vgl. BAG 18. Mai 2016 – 7 AZR 712/14 – aaO mwN). Legen Landesrecht oder universitäres Satzungsrecht den Beginn der Promotion nicht fest, kann hierfür die Vereinbarung eines Promotionsthemas von Bedeutung sein, da grundsätzlich anzunehmen ist, dass sich der Betreffende seitdem tatsächlich mit der Promotion befasst hat (vgl. BAG 23. März 2016 – 7 AZR 70/14 – aaO).

22        (2) Nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts wurde der Kläger von der Universität F mit Bescheid vom 6. Mai 1998 als Doktorand der Philosophie angenommen; am 15. Dezember 2004 endete die Promotionszeit mit der erfolgreichen Verteidigung der Dissertation und der Verleihung des Doktorgrades. Über diese Daten erteilte die Universität F dem Kläger unter dem 7. August 2019 eine Bescheinigung zur Vorlage beim Arbeitgeber. Damit dauerte die Promotionszeit des Klägers nach den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts „etwas mehr als sechs Jahre und sieben Monate“. Das beklagte Land, das selbst von einer längeren als einer sechsjährigen Promotionszeit des Klägers ausgeht, hat insoweit keine Verfahrensrügen erhoben. Daher ist es unschädlich, dass die angefochtene Entscheidung sich nicht dazu verhält, unter Anwendung welcher Vorgaben einer Promotionsordnung bzw. des Landeshochschulrechts das Landesarbeitsgericht die von ihm angenommene Dauer der Promotionszeit ermittelt hat. Im Übrigen sind weder Anhaltspunkte für eine kürzere Dauer der Promotionszeit ersichtlich noch wird eine solche von der Revision angenommen.

23        bb) Beträgt die Promotionszeit – wie hier – nicht weniger als sechs Jahre, verlängert sich die nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG zulässige Befristungsdauer von sechs Jahren in der Postdoc-Phase nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG nicht. Entgegen der Ansicht des beklagten Landes ist die Verlängerungsregelung in § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG nicht dahin zu verstehen, dass Zeiten, in denen der Arbeitnehmer während der Promotionszeit in Beschäftigungsverhältnissen an einer Hochschule mit nicht mehr als einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit bzw. in Beschäftigungsverhältnissen, die nicht der wissenschaftlichen Qualifizierung gedient haben, stand, nicht in die Promotionszeit einzurechnen sind. Vielmehr ist bei der Ermittlung des die Postdoc-Phase verlängernden Befristungszeitraums die gesamte Promotionszeit unabhängig davon zu berücksichtigen, ob sie innerhalb oder außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG zurückgelegt wurde, ob sie im Inland oder im Ausland absolviert wurde oder ob sie vor oder nach Abschluss eines Studiums lag (vgl. BAG 21. August 2019 – 7 AZR 563/17 – Rn. 31; 23. März 2016 – 7 AZR 70/14 – Rn. 45, BAGE 154, 375; BT-Drs. 16/3438 S. 12).

24        (1) Das ergibt sich bereits aus dem Gesetzeswortlaut. Danach sind bei der Ermittlung des die Postdoc-Phase verlängernden Zeitraums die Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1 und Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1 – mithin „alle“ Promotionszeiten – zu berücksichtigen. Der Normwortlaut enthält keinen Anhaltspunkt dafür, dass Promotionszeiten, in denen Beschäftigungsverhältnisse bestanden, die bestimmte Voraussetzungen nicht erfüllen, bei der Ermittlung einer etwaigen Unterschreitung des Sechs-Jahres-Zeitraums unberücksichtigt bleiben sollen. Zwar vermögen weder Arbeitsverträge mit bis zu einem Viertel der regelmäßigen Arbeitszeit nach § 2 Abs. 1 WissZeitVG befristet zu werden (ausf. BAG 20. Januar 2021 – 7 AZR 193/20 – Rn. 23, BAGE 173, 315) noch solche, die nicht qualifikationsförderlich sind (ausf. – zu § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG vom 17. März 2016 – BAG 2. Februar 2022 – 7 AZR 573/20 – Rn. 35 ff.), weshalb der Wortlaut von § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG auch ein Verständnis dahin zuließe, derartige Arbeitsverhältnisse – soweit sie in die Promotionsphase fallen – nicht als „Zeiten einer befristeten Beschäftigung nach Satz 1“ anzusehen. Es handelte sich dann aber um „Promotionszeiten ohne Beschäftigung nach Satz 1“ iSv. § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG und als solche wären sie gleichfalls verlängerungsuntauglich.

25        (2) Der verlautbarte Regelungswille stützt dieses Verständnis. Ausweislich der Gesetzesbegründung (BT-Drs. 16/3438 S. 12) soll § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG eine zügige Promotionsphase honorieren,

„gleichgültig, ob sie innerhalb oder außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses nach Absatz 1 Satz 1 in Verbindung mit Absatz 3 Satz 1 absolviert wurde. Wer innerhalb oder außerhalb eines solchen Beschäftigungsverhältnisses schneller als in sechs Jahren zum Abschluss einer Promotion gelangt, der kann die eingesparte Zeit in der Postdocphase entsprechend anhängen.

…      

§ 2 Abs. 1 Satz 2 zweiter Halbsatz will ein zügiges Promovieren honorieren. Die Regelung erweitert deshalb den nach der Promotion zur Verfügung stehenden Befristungsrahmen um die entsprechenden Zeiten, wenn für die Promotion weniger als sechs Jahre benötigt werden. Zielsetzung der Regelung ist demgegenüber nicht, den ‚Nichtverbrauch‘ von befristeten Beschäftigungsmöglichkeiten vor Abschluss der Promotion zu honorieren. Dementsprechend kann es auch hier nicht darauf ankommen, ob die Promotion im Rahmen eines Beschäftigungsverhältnisses oder außerhalb eines solchen, ob sie im Inland oder im Ausland absolviert wurde.“

26        Vor dem Hintergrund dieser gesetzgeberischen Grundentscheidung ist das vom beklagten Land vertretene Normverständnis ausgeschlossen.

27        (3) Es ist auch nicht aus teleologischen Gründen geboten. Mit § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG soll eine zügige Promotionsphase honoriert (BT-Drs. 16/3438 S. 12) und zudem sichergestellt werden, dass der zeitliche Rahmen von auf § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG gestützten Befristungen einerseits nicht überschritten, andererseits aber auch ausgeschöpft werden kann (BT-Drs. 16/3438 S. 12). Das erfordert nicht, den Zeitraum der Promotionsphase um Zeiten zu kürzen, die aufgrund ihres geringen Beschäftigungsvolumens oder sonstigen inhaltlichen Ausgestaltung nicht eigens eine wissenschaftliche Qualifizierung ermöglichen, denn § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG intendiert gerade nicht, einen „Nichtverbrauch“ von befristeten Beschäftigungsmöglichkeiten vor Abschluss der Promotion zu honorieren (ausdr. BT-Drs. 16/3438 S. 12). In § 2 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WissZeitVG ist für die Befristungsmöglichkeiten in der Promotionsphase und in der Postdoc-Phase jeweils eine gesonderte Höchstbefristungsdauer für die jeweilige Qualifikationsphase festgelegt. Damit sind zwei – eigenständige – Rechtsgrundlagen für kalendermäßige Befristungen normiert (BAG 20. Mai 2020 – 7 AZR 72/19 – Rn. 20). Allein der Umstand, dass Promotionszeiten nicht zur Befristung iSd. § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG genutzt wurden, verlängert entgegen der Ansicht des beklagten Landes die Postdoc-Phase nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG gerade nicht. Entscheidend für die Verlängerung der Postdoc-Phase ist die Dauer der Promotionsphase, nicht – soweit während des Promotionsvorhabens Beschäftigungsverhältnisse bestehen – deren Eignung zur wissenschaftlichen Qualifizierung. Die Auseinandersetzung mit einem Promotionsthema dient auch dann der wissenschaftlichen Qualifizierung, wenn daneben anderweitige Beschäftigungsverhältnisse bestehen. Die Anrechnungsregelung stellt vielmehr im Interesse einer zügigen Qualifizierung des wissenschaftlichen Nachwuchses die außerhalb eines Beschäftigungsverhältnisses iSv. § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG zurückgelegten Promotionszeiten den im Anstellungsverhältnis erbrachten Qualifizierungszeiten gleich (ErfK/Müller-Glöge 22. Aufl. WissZeitVG § 2 Rn. 5).

28        (4) Nichts anderes folgt aus der vom beklagten Land angeführten Anrechnungsregelung des § 2 Abs. 3 Satz 1 WissZeitVG. Die Vorschrift betrifft die Anrechnung von Zeiten auf die jeweilige Höchstbefristungsdauer (vgl. ausf. zB BAG 27. September 2017 – 7 AZR 629/15 – Rn. 30), nicht hingegen die Frage der Verlängerung der Postdoc-Phase durch eingesparte Promotionszeiten. Die Anrechnung der Beschäftigungszeiten des Klägers in der Promotionsphase auf die Höchstbefristungsdauer nach § 2 Abs. 1 Satz 1 WissZeitVG steht im Streitfall aber nicht zur Debatte. Sie ist für die vorliegend zu prüfende und getrennt zu betrachtende Einhaltung der Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase nach § 2 Abs. 1 Satz 2 WissZeitVG auch nicht von Bedeutung. Das beklagte Land verkennt mit seiner Argumentation, dass § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG gerade nicht bezweckt, den „Nichtverbrauch“ von befristeten Beschäftigungsmöglichkeiten vor Abschluss der Promotion zu honorieren (BT-Drs. 16/3438 S. 12).

29        cc) Auf die genaue zeitliche und inhaltliche Ausgestaltung der vom Kläger in seiner Promotionszeit eingegangenen Beschäftigungsverhältnisse kommt es daher nicht an. Angesichts der Dauer seiner Promotionszeit von mehr als sechs Jahren hat sich die Höchstbefristungsdauer in der Postdoc-Phase nicht nach § 2 Abs. 1 Satz 2 Halbs. 2 WissZeitVG verlängert.

30        II. Das beklagte Land hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

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