BAG: Altersdiskriminierung wegen des Alters bei altersabhängiger Staffelung der Urlaubsdauer - § 26 TVöD
BUNDESARBEITSGERICHT Urteil vom 20.3.2012, 9 AZR 529/10
Leitsätze
1. Die Regelung in § 26 Abs 1 Satz 2 TVöD, wonach Beschäftigte nach der Vollendung ihres 40. Lebensjahres in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 30 Arbeitstage Urlaub haben, während der Urlaubsanspruch bis zur
Vollendung des 30. Lebensjahres nur 26 Arbeitstage und bis zur Vollendung des
40. Lebensjahres nur 29 Arbeitstage beträgt, beinhaltet eine unmittelbare,
nicht gerechtfertigte Diskriminierung wegen des Alters.
2. Der Verstoß der in § 26 Abs 1 Satz 2 TVöD angeordneten
Bemessung des Urlaubs nach Altersstufen gegen das Verbot der Diskriminierung
wegen des Alters kann für die Vergangenheit nur beseitigt werden, indem der
Urlaub der wegen ihres Alters diskriminierten Beschäftigten in der Art und Weise
"nach oben" angepasst wird, dass auch ihr Urlaubsanspruch in jedem
Kalenderjahr 30 Arbeitstage beträgt.
Tenor
1. Auf die Revision der Klägerin wird das Urteil des
Landesarbeitsgerichts Berlin-Brandenburg vom 24. März 2010 - 20 Sa 2058/09 -
aufgehoben.
2. Die Berufung des Beklagten gegen das Urteil des
Arbeitsgerichts Eberswalde vom 8. Juli 2009 - 3 Ca 140/09 - wird zurückgewiesen
und der Tenor dieses Urteils zur Klarstellung neu gefasst:
Es wird festgestellt, dass der Klägerin für die Jahre 2008
und 2009 jeweils ein weiterer Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht.
3. Der Beklagte hat auch die Kosten der Berufung und der
Revision zu tragen.
Tatbestand
Die Parteien streiten darüber, ob die Klägerin in den
Jahren 2008 und 2009 Anspruch auf jeweils 29 oder 30 Urlaubstage hatte.
Die am 27. Oktober 1971 geborene Klägerin ist seit dem
1. September 1988 bei dem beklagten Landkreis als Angestellte mit einer
regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit von 40 Stunden in der Fünftagewoche
beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet kraft beiderseitiger Tarifbindung
der Tarifvertrag für den öffentlichen Dienst vom 13. September 2005 in der
Fassung des Änderungstarifvertrags Nr. 2 vom 31. März 2008 (TVöD) Anwendung.
Dieser bestimmt ua.:
„§ 26
Erholungsurlaub
(1) Beschäftigte haben in jedem Kalenderjahr Anspruch
auf Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts (§ 21). Bei Verteilung der
wöchentlichen Arbeitszeit auf fünf Tage in der Kalenderwoche beträgt der
Urlaubsanspruch in jedem Kalenderjahr
bis zum vollendeten 30. Lebensjahr 26 Arbeitstage,
bis zum vollendeten 40. Lebensjahr 29 Arbeitstage und
nach dem vollendeten 40. Lebensjahr 30 Arbeitstage.
Maßgebend für die Berechnung der Urlaubsdauer ist das
Lebensjahr, das im Laufe des Kalenderjahres vollendet wird. Bei einer anderen
Verteilung der wöchentlichen Arbeitszeit als auf fünf Tage in der Woche erhöht
oder vermindert sich der Urlaubsanspruch entsprechend. Verbleibt bei der
Berechnung des Urlaubs ein Bruchteil, der mindestens einen halben Urlaubstag
ergibt, wird er auf einen vollen Urlaubstag aufgerundet; Bruchteile von weniger
als einem halben Urlaubstag bleiben unberücksichtigt. Der Erholungsurlaub muss
im laufenden Kalenderjahr gewährt und kann auch in Teilen genommen werden.
§ 27
Zusatzurlaub
(1) Beschäftigte, die ständig Wechselschichtarbeit nach
§ 7 Abs. 1 oder ständig Schichtarbeit nach § 7 Abs. 2 leisten und denen die
Zulage nach § 8 Abs. 5 Satz 1 oder Abs. 6 Satz 1 zusteht, erhalten
a) bei Wechselschichtarbeit für je zwei zusammenhängende
Monate und
b) bei Schichtarbeit für je vier zusammenhängende Monate
einen Arbeitstag Zusatzurlaub.
(2) Im Falle nicht ständiger Wechselschicht- oder
Schichtarbeit (z. B. ständige Vertreter) erhalten Beschäftigte des Bundes,
denen die Zulage nach § 8 Abs. 5 Satz 2 oder Abs. 6 Satz 2 zusteht, einen
Arbeitstag Zusatzurlaub für
a) je drei Monate im Jahr, in denen sie überwiegend
Wechselschichtarbeit geleistet haben, und
b) je fünf Monate im Jahr, in denen sie überwiegend
Schichtarbeit geleistet haben.
...
(4) Zusatzurlaub nach diesem Tarifvertrag und sonstigen
Bestimmungen mit Ausnahme von § 125 SGB IX wird nur bis zu insgesamt sechs
Arbeitstagen im Kalenderjahr gewährt. Erholungsurlaub und Zusatzurlaub
(Gesamturlaub) dürfen im Kalenderjahr zusammen 35 Arbeitstage nicht
überschreiten. Satz 2 ist für Zusatzurlaub nach den Absätzen 1 und 2 hierzu
nicht anzuwenden. Bei Beschäftigten, die das 50. Lebensjahr vollendet haben,
gilt abweichend von Satz 2 eine Höchstgrenze von 36 Arbeitstagen; § 26 Abs. 1
Satz 3 gilt entsprechend.
..."
Mit Schreiben vom 5. November 2008 machte die Klägerin
gegenüber dem Beklagten einen jährlichen Gesamturlaub in Höhe von 30 Tagen für
das Jahr 2008 und die Zukunft nach dem TVöD geltend. Der Beklagte lehnte die
Gewährung von 30 Urlaubstagen vor der Vollendung des 40. Lebensjahres der
Klägerin unter Hinweis auf die Verbindlichkeit der Regelung des § 26 Abs. 1
TVöD mit Schreiben vom 28. November 2008 ab. Die Klägerin hat daraufhin mit
Schriftsatz vom 11. Februar 2009 die vorliegende Klage erhoben.
Sie hat die Ansicht vertreten, sie habe auch vor der
Vollendung ihres 40. Lebensjahres Anspruch auf jährlich 30 und nicht nur 29
Urlaubstage. Die an das Lebensalter anknüpfende Staffelung des tariflichen
Urlaubsanspruchs sei eine Diskriminierung wegen des Alters. Die in der Tarifregelung
enthaltene Ungleichbehandlung jüngerer Arbeitnehmer sei nicht durch § 10 AGG
gerechtfertigt. Im Übrigen würden die gesundheitlichen Wirkungen zusätzlichen
Urlaubs zur Vermeidung beispielsweise von Stresserscheinungen am Arbeitsplatz
auch in der medizinischen Literatur kontrovers diskutiert.
Die Klägerin hat zuletzt beantragt
festzustellen, dass ihr für die Jahre 2008 und 2009
jeweils ein Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht.
Der Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Diese
sei bereits unzulässig, da das gemäß § 256 Abs. 1 ZPO nötige
Feststellungsinteresse fehle. Schließlich sei die Klage auch unbegründet. Die
Altersstufenregelung des § 26 Abs. 1 TVöD sei durch einen sachlichen Grund nach
§ 10 AGG gerechtfertigt. Die Festlegung eines Mindestalters für die Gewährung
von 30 Urlaubstagen pro Kalenderjahr stelle eine besondere
Beschäftigungsbedingung zum Schutz älterer Beschäftigter bzw. eine
Mindestanforderung an das Alter für einen mit der Beschäftigung verbundenen
Vorteil dar, der zur Erreichung eines legitimen Ziels angemessen und
erforderlich sei. Ältere Arbeitnehmer seien mit zunehmendem Alter aufgrund
beruflicher Belastungen länger krank. Um diesen Umstand Rechnung zu tragen,
hätten die Tarifvertragsparteien mit der Regelung in § 26 Abs. 1 TVöD auf das
verstärkte Erholungsbedürfnis älterer Arbeitnehmer reagiert und deren
Leistungsfähigkeit stärken wollen. Der Aspekt des Gesundheitsschutzes älterer
Arbeitnehmer sei daher geeignet, die Ungleichbehandlung jüngerer Beschäftigter
zu rechtfertigen. Schließlich würde auch eine Diskriminierung keine Angleichung
„nach oben" zur Folge haben.
Das Arbeitsgericht hat der Klage stattgegeben. Auf die
Berufung des Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das erstinstanzliche Urteil
abgeändert und die Klage abgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht
zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin die Wiederherstellung der
stattgebenden Entscheidung des Arbeitsgerichts. Der Beklagte beantragt, die
Revision der Klägerin zurückzuweisen.
Entscheidungsgründe
8 A. Die
zulässige Revision ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Klage zu
Unrecht abgewiesen. Die Klage ist begründet. Die Klägerin hat Anspruch auf die
geltend gemachten Ersatzurlaubstage.
9 I. Das
Landesarbeitsgericht hat zu Recht angenommen, dass die Feststellungsklage
zulässig ist. Die Klägerin hat ein rechtliches Interesse daran, durch das
Gericht feststellen zu lassen, ob ihr für die Jahre 2008 und 2009 jeweils ein
Urlaubstag als Ersatzurlaub zusteht (§ 256 Abs. 1 ZPO). Der grundsätzliche
Vorrang der Leistungsklage steht der Zulässigkeit einer Klage, mit der ein
Arbeitnehmer den Umfang des ihm zustehenden Urlaubs gerichtlich festgestellt
haben will, nicht entgegen (vgl. BAG 12. April 2011 - 9 AZR 80/10 - Rn. 13 bis
15, EzA BUrlG § 7 Nr. 123).
10 II. Die
Klage ist begründet. Die Klägerin hat gegen den Beklagten für den ihr in den
Jahren 2008 und 2009 jeweils verweigerten 30. Urlaubstag gemäß § 280 Abs. 1, §
286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB Anspruch auf
jeweils einen Tag Ersatzurlaub. Die Urlaubsstaffelung des § 26 Abs. 1 Satz 2
TVöD verstößt gegen die §§ 1, 3 Abs. 1 AGG. Denn sie gewährt Beschäftigten, die
das 30., aber noch nicht das 40. Lebensjahr vollendet haben, einen um einen Tag
kürzeren Urlaub. Sie ist deshalb nach § 7 Abs. 1 und Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB
unwirksam. Dies hat zur Folge, dass die Klägerin auch vor der Vollendung ihres
40. Lebensjahres in jedem Kalenderjahr Anspruch auf 30 Urlaubstage hatte. Ihr
steht für die Jahre 2008 und 2009 jeweils noch ein Tag Ersatzurlaub zu, weil
der Beklagte ihr in diesen Jahren nur jeweils 29 Urlaubstage gewährte.
11 1. Nach §
26 Abs. 1 Satz 2 TVöD standen der am 27. Oktober 1971 geborenen Klägerin in den
Jahren 2008 und 2009 jeweils 29 Urlaubstage zu. Erst nach dem vollendeten 40. Lebensjahr
gewährt ihr diese Tarifregelung einen jährlichen Urlaubsanspruch von 30
Arbeitstagen. Diese an das Lebensalter anknüpfende Staffelung der Urlaubsdauer
verstößt gegen das Verbot der Altersdiskriminierung in § 7 Abs. 1 iVm. § 1 AGG.
Sie ist als sachlich nicht nach den §§ 8, 10 AGG gerechtfertigte unmittelbare
Benachteiligung wegen des Alters gemäß § 7 Abs. 2 AGG iVm. § 134 BGB unwirksam.
Zur Beseitigung dieser Diskriminierung ist eine Anpassung auf 30 Urlaubstage
erforderlich.
12 2.
Zutreffend haben die Vorinstanzen die Regelung in § 26 Abs. 1 TVöD am AGG
gemessen. Nach § 2 Abs. 1 Nr. 2 AGG gelten die Diskriminierungsverbote der §§
1, 7 AGG auch für die in kollektivrechtlichen Vereinbarungen geregelten
Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen. Unter solchen Bedingungen sind alle
Umstände zu verstehen, aufgrund derer und unter denen die Arbeitsleistung zu
erbringen ist (vgl. BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 54, BAGE 132,
210). Zu den Beschäftigungs- und Arbeitsbedingungen gehört damit auch der Urlaub.
Der Umstand, dass die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD gemäß § 39 Abs. 1
Satz 2 Buchst. b TVöD bereits am 1. Januar 2006 und somit schon vor dem AGG vom
14. August 2006 in Kraft getreten ist, steht dem nicht entgegen. Die für die
Jahre 2008 und 2009 geltend gemachte Benachteiligung durch § 26 Abs. 1 Satz 2
TVöD ist erst nach Inkrafttreten des AGG am 18. August 2006 eingetreten. Da §
33 Abs. 1 AGG insoweit keine Übergangsregelung enthält, findet dieses Gesetz
auch dann Anwendung, wenn die Benachteiligung auf einem vor Inkrafttreten des
AGG abgeschlossenen Tarifvertrag beruht. Es kommt allein auf den Zeitpunkt der
Benachteiligungshandlung an (BAG 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn. 33,
BAGE 129, 72).
13 3. Die
Urlaubsstaffelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD enthält eine auf dem Merkmal des
Alters beruhende Ungleichbehandlung der Beschäftigten, die das 30. bzw. das 40.
Lebensjahr nicht vollendet haben. Das ist eine unmittelbare Benachteiligung
jüngerer Arbeitnehmer wegen des Alters iSv. § 3 Abs. 1 AGG.
14 a) Nach §
3 Abs. 1 Satz 1 AGG liegt eine unmittelbare Benachteiligung vor, wenn eine
Person wegen eines in § 1 AGG genannten Grundes eine weniger günstige
Behandlung erfährt, als eine andere Person in einer vergleichbaren Situation
erfährt, erfahren hat oder erfahren würde. Beim Alter handelt es sich um einen
in § 1 AGG genannten Grund, wobei unter Alter das Lebensalter zu verstehen ist.
Dies folgt aus dem gesetzlichen Wortlaut und auch aus der Gesetzesbegründung
(BT-Drucks. 16/1780 S. 31; BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 49, BAGE
132, 210; 22. Januar 2009 - 8 AZR 906/07 - Rn. 36, BAGE 129, 181). Der für eine
unmittelbare Benachteiligung erforderliche Kausalzusammenhang ist bereits dann
gegeben, wenn die Benachteiligung an einen oder mehrere in § 1 AGG genannte
Gründe anknüpft oder dadurch motiviert ist (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 32; BAG
13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 50, aaO).
15 b) Diese
Voraussetzung ist erfüllt. § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD sieht für Beschäftigte bei
einer Fünftagewoche in jedem Kalenderjahr einen Urlaubsanspruch bis zum
vollendeten 30. Lebensjahr in Höhe von 26 Arbeitstagen, bis zum vollendeten 40.
Lebensjahr in Höhe von 29 Arbeitstagen und erst nach dem vollendeten 40.
Lebensjahr in Höhe von 30 Arbeitstagen vor. Die Höhe des Urlaubsanspruchs nach
§ 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD knüpft damit in allen Stufen unmittelbar an das
Lebensalter der Beschäftigten an. Danach haben Beschäftigte wie die Klägerin,
die zwar das 30. Lebensjahr, aber noch nicht das 40. Lebensjahr vollendet haben,
in jedem Jahr nur Anspruch auf 29 statt auf 30 Urlaubstage. Sie werden ebenso
wie die unter 30-Jährigen im Vergleich zu den Beschäftigten, die das 40.
Lebensjahr vollendet haben, hinsichtlich der Höhe des Urlaubsanspruchs wegen
ihres geringeren Alters ungünstiger behandelt.
16 4. Diese
Ungleichbehandlung ist nicht gerechtfertigt.
17 a) Bei
ihr handelt es sich nicht um eine nach § 8 AGG zulässige unterschiedliche
Behandlung wegen beruflicher Anforderungen. Die Urlaubsstaffel des § 26 Abs. 1
Satz 2 TVöD knüpft nicht an die Art der auszuübenden Tätigkeit oder die
Bedingungen ihrer Ausübung an. Sie stellt nicht auf die Art der auszuübenden
Tätigkeit ab und beansprucht damit Geltung für alle dem TVöD unterfallenden
Beschäftigten.
18 b)
Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts ist die Ungleichbehandlung
auch nicht nach § 10 AGG sachlich gerechtfertigt (so ebenfalls die herrschende
Meinung in der Literatur, vgl. Linck/Schütz FS Leinemann, S. 181 f.; Fieberg in
Fürst GKÖD Bd. IV Stand Januar 2012 E § 26 TVöD Rn. 22; AGG/Voigt 3. Aufl. § 10
Rn. 33; Meinel/Heyn/Herms AGG 2. Aufl. § 10 Rn. 42b; Adomeit/Mohr AGG 2. Aufl.
§ 10 Rn. 105; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144; Hock/Kramer/Schwerdtle
ZTR 2006, 622, 623 mwN; Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 478; vgl. ferner bereits
zu § 48 BAT: Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156). § 10
Satz 1 AGG lässt eine unterschiedliche Behandlung wegen des Alters ungeachtet
der Regelung des § 8 AGG zu, wenn sie objektiv und angemessen und durch ein
legitimes Ziel gerechtfertigt ist. Zudem müssen die Mittel zur Erreichung
dieses Ziels nach § 10 Satz 2 AGG angemessen und erforderlich sein. Entgegen
der Ansicht des Beklagten ist die an das Lebensalter anknüpfende
Differenzierung in § 26 Abs. 1 TVöD nicht sachlich gerechtfertigt, weil sie
einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung trägt und
deren Gesundheit schützen will. Dabei kann dahinstehen, ob und gegebenenfalls
unter welchen Voraussetzungen das Ziel des Gesundheitsschutzes eine unterschiedliche
Behandlung rechtfertigen würde. Die Tarifvorschrift verfolgt dieses Ziel schon
nicht.
19 aa) Die
Tarifvertragsparteien haben das mit der in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD geregelten
Urlaubsstaffelung verfolgte Ziel nicht ausdrücklich genannt. Nennt eine
Regelung oder Maßnahme kein Ziel, müssen zumindest aus dem Kontext abgeleitete
Anhaltspunkte die Feststellung des hinter der Regelung oder der Maßnahme
stehenden Ziels ermöglichen, um die Legitimität des Ziels sowie die
Angemessenheit und die Erforderlichkeit der zu seiner Erreichung eingesetzten
Mittel gerichtlich überprüfen zu können. Dabei können nach der Rechtsprechung
des Gerichtshofs der Europäischen Union die sozialpolitischen Ziele als legitim
angesehen werden, die im allgemeinen Interesse stehen. Derjenige, der eine
Ungleichbehandlung vornimmt, muss den nationalen Gerichten in geeigneter Weise
die Möglichkeit zur Prüfung einräumen, ob mit der Ungleichbehandlung ein Ziel
angestrebt wird, das die Ungleichbehandlung unter Beachtung der Ziele der Richtlinie
2000/78/EG rechtfertigt (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England] Rn. 45 ff., Slg. 2009,
I-1569; BAG 26. Mai 2009 - 1 AZR 198/08 - Rn. 36 ff., BAGE 131, 61).
Denn das nationale Gericht hat zu prüfen, ob die Regelung oder Maßnahme ein
rechtmäßiges Ziel iSd. Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 1 der Richtlinie 2000/78/EG
verfolgt. Gleiches gilt für die Frage, ob die Tarifvertragsparteien als
Normgeber angesichts des vorhandenen Wertungsspielraums davon ausgehen durften,
dass die gewählten Mittel zur Erreichung dieses Ziels angemessen und
erforderlich waren (vgl. EuGH 5. März 2009 - C-388/07 - [Age Concern England]
Rn. 49 ff., aaO; vgl. auch BAG 13. Oktober 2009 - 9 AZR 722/08 - Rn. 57, BAGE
132, 210).
20 bb) Die
Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD dient nicht dem Schutz älterer
Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG. Diese gesetzliche Regelung
konkretisiert das legitime Ziel, nämlich ua. die Sicherstellung des Schutzes
älterer Beschäftigter, wobei dieser Schutz auch die Festlegung besonderer Arbeitsbedingungen
einschließen kann. Aus einer tariflichen Urlaubsstaffelung, die - wie die in §
26 Abs. 1 Satz 2 TVöD - den Beschäftigten bereits nach Vollendung des 30.
Lebensjahres drei weitere Urlaubstage und dann nach Vollendung des 40.
Lebensjahres letztmals einen zusätzlichen Urlaubstag gewährt, lässt sich nicht
ableiten, dass die Tarifvertragsparteien einem gesteigerten Erholungsbedürfnis
älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollten und das Ziel verfolgten, den
Schutz älterer Beschäftigter iSd. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG sicherzustellen. Wenn
sich auch eine genaue Schwelle für die Zuordnung zu den älteren Arbeitnehmern
weder dieser Regelung selbst noch Art. 6 Abs. 1 Unterabs. 2 Buchst. a der
Richtlinie 2000/78/EG entnehmen lässt, so ist diese freilich an der Zielsetzung
(vgl. zu dieser Däubler/Bertzbach/Brors 2. Aufl. § 10 Rn. 42) auszurichten.
Einen arbeitsmarktpolitischen Zweck verfolgt zB § 417 Abs. 1 SGB III, wonach
Arbeitnehmerinnen und Arbeitnehmer, die das 50. Lebensjahr vollendet haben und
ihre Arbeitslosigkeit durch Aufnahme einer versicherungspflichtigen
Beschäftigung beenden oder vermeiden, unter den in der Vorschrift genannten
Voraussetzungen Anspruch auf Leistungen der Entgeltsicherung haben. Diese
Regelung der Entgeltsicherung bezweckt, die Arbeitslosigkeit älterer
Arbeitnehmer abzubauen und ihren Anteil an der erwerbstätigen Bevölkerung zu
erhöhen (vgl. BT-Drucks. 17/1945 S. 17). Im Vergleich zu der in § 417 Abs. 1
SGB III genannten Altersgruppe setzt sich die durch die Urlaubsstaffel in § 26 Abs.
1 Satz 2 TVöD begünstigte Beschäftigtengruppe, der ein Urlaubsanspruch von
jährlich 30 Arbeitstagen eingeräumt wird, nicht ausnahmslos aus älteren
Beschäftigten zusammen. Vielmehr gehören ihr alle Beschäftigten ab Vollendung
des 40. Lebensjahres an. Der Senat hat bereits entschieden, dass ein
Arbeitnehmer jedenfalls ab Vollendung des 31. Lebensjahres offensichtlich kein
älterer Beschäftigter iSv. § 10 Satz 3 Nr. 1 AGG ist (BAG 13. Oktober 2009 - 9
AZR 722/08 - Rn. 55, BAGE 132, 210).
21 cc) Ein
legitimes Ziel iSd. § 10 AGG ergibt sich entgegen der Annahme des
Landesarbeitsgerichts auch nicht aus § 10 Satz 3 Nr. 2 AGG. Danach kann eine
zulässige unterschiedliche Behandlung wegen des Alters auch die Festlegung von
Mindestanforderungen an das Alter für bestimmte mit der Beschäftigung
verbundene Vorteile einschließen. Diese Regelung bestimmt selbst kein legitimes
Ziel, sondern beschreibt nur ein mögliches Mittel, mit der ein auf andere Weise
zu legitimierendes Ziel gerechtfertigt werden kann (vgl. ErfK/Schlachter 12.
Aufl. § 10 AGG Rn. 6), sofern es erforderlich und angemessen iSd. § 10 Satz 2
AGG ist.
22 dd) Die
Tarifvertragsparteien verfolgen entgegen der Auffassung des Beklagten nicht das
Ziel des Gesundheitsschutzes älterer Arbeitnehmer.
23 (1) Das
mit der Urlaubsstaffelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD verfolgte Ziel lässt sich
nicht mit ausreichender Deutlichkeit aus dem Wortlaut des § 26 TVöD entnehmen.
§ 26 TVöD normiert ausweislich seiner Überschrift den Erholungsurlaub. Nach §
26 Abs. 1 Satz 1 TVöD haben Beschäftigte in jedem Kalenderjahr Anspruch auf
Erholungsurlaub unter Fortzahlung des Entgelts. § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD legt
die Dauer dieses Erholungsurlaubs fest. Der Begriff des Erholungsurlaubs wird
dabei nicht näher definiert und ist dem BUrlG entlehnt, auf das § 26 Abs. 2
TVöD im Übrigen verweist. Der Erholungsurlaub nach dem BUrlG soll nach der
Gesetzesbegründung dem sozialpolitischen Anliegen der Erhaltung und
Wiederauffrischung der Arbeitskraft der Arbeitnehmer dienen (vgl. den
schriftlichen Bericht des Bundestagsausschusses für Arbeit, BT-Drucks. IV/785;
Begründung des von der Fraktion der CDU/CSU eingebrachten Entwurfs eines
Bundesurlaubsgesetzes, BT-Drucks. IV/207). Durch den Erholungsurlaub wird dem
Arbeitnehmer die Möglichkeit gesichert, für eine bestimmte Dauer im Jahr, die
ihm eingeräumte Freizeit zur selbstbestimmten Erholung zu nutzen (st. Rspr.,
vgl. BAG 20. Juni 2000 - 9 AZR 405/99 - zu II 2 b bb 1 der Gründe, BAGE 95,
104; 8. März 1984 - 6 AZR 600/82 - zu II 5 b der Gründe, BAGE 45, 184; ebenso
st. Rspr. des EuGH zum Jahresurlaub nach Art. 7 Abs. 1 der Richtlinie
2003/88/EG, EuGH 22. No-vember 2011 - C-214/10 - [KHS] Rn. 31, AP Richtlinie
2003/88/EG Nr. 6 = EzA EG-Vertrag 1999 Richtlinie 2003/88 Nr. 7; 20. Januar
2009 - C-350/06 und C-520/06 - [Schultz-Hoff] Rn. 25, Slg. 2009, I-179). Wenn
eine Tarifregelung die Urlaubsdauer nach dem Lebensalter staffelt, liegt die
Annahme nahe, die Tarifvertragsparteien hätten einem mit zunehmendem Alter
gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollen.
Die Regelung in § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD rechtfertigt eine solche Annahme
freilich nicht, sondern schließt sie aus.
24 (2) Das
folgt bereits aus dem Inhalt der Regelung. Die Tarifvorschrift räumt den
Beschäftigten schon ab dem 30. Lebensjahr drei weitere Urlaubstage ein. Dafür,
dass die Tarifvertragsparteien von einem so deutlich gesteigertem
Erholungsbedürfnis bereits nach der Vollendung des 30. Lebensjahres ausgegangen
sind, fehlt jeder Anhaltspunkt. Gegen eine solche Annahme spricht auch, dass
die Tarifvertragsparteien den Beschäftigten nach der Vollendung des 40.
Lebensjahres letztmals nur einen weiteren Urlaubstag gewährt und davon
abgesehen haben, ein gesteigertes Erholungsbedürfnis des Beschäftigten in der
Zeit bis zum Erreichen des gesetzlich festgelegten Alters für den Bezug der
Regelaltersrente (§ 33 Abs. 1 Buchst. a TVöD) zu berücksichtigen. Hätten die
Tarifvertragsparteien ein gesteigertes Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter
vor Augen gehabt, hätten sie nicht einem 30-Jährigen einen gegenüber einem
29-jährigen Beschäftigten um drei Tage längeren Urlaub gewährt, nach der
Vollendung des 40. Lebensjahres des Beschäftigten eine wesentlich geringere
Steigerung des Erholungsbedürfnisses angenommen und für die Zeit danach bis zum
Erreichen des gesetzlich festgelegten Alters für den Bezug der Regelaltersrente
ein zunehmendes Erholungsbedürfnis des Beschäftigten überhaupt nicht mehr
berücksichtigt (vgl. Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 478). Auch das Schrifttum
nimmt ganz überwiegend an, dass eine tarifliche Urlaubsstaffelung nicht schon
auf die Vollendung des 30. bzw. des 40. Lebensjahres abstellen darf, wenn sie
einem gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen
will (vgl. Fieberg in Fürst GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22; Tempelmann/Stenslik
DStR 2011, 1183, 1186; Richter Benachteiligung wegen des Alters im Erwerbsleben
S. 170; Meinel/Heyn/Herms § 10 Rn. 42b; AGG/Voigt § 10 Rn. 33; Hey AGG § 10 Rn.
28; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144; Hock/Kramer/Schwerdle ZTR 2006,
622, 623; Linck/Schütz FS Leinemann S. 181 f.; Senne Auswirkungen des
europäischen Verbots der Altersdiskriminierung auf das deutsche Arbeitsrecht S.
269; Bertelsmann ZESAR 2005, 242, 246). Selbst wenn die Erholungsbedürftigkeit
von Arbeitnehmern mit zunehmendem Lebensalter steigen sollte (zweifelnd
Däubler/Bertzbach/Brors § 10 Rn. 50; aA Waltermann NZA 2005, 1265, 1269), hätte
es mit dem Schutz älterer Arbeitnehmer nichts zu tun, bereits mit dem 30.
Lebensjahr eine erste Verlängerung des Urlaubsanspruchs um drei Tage und die
zweite und zugleich letzte Verlängerung um einen weiteren Urlaubstag bereits
mit Vollendung des 40. Lebensjahres vorzusehen (so auch Fieberg in Fürst GKÖD
Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22; Adomeit/Mohr § 10 Rn. 105; so bereits zu § 48 BAT:
Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156). Es fehlt in beiden
Stufen an dem erkennbaren Schutz Älterer. Die Verlängerung des Urlaubsanspruchs
bereits mit dem vollendeten 30. Lebensjahr lässt sich kaum mit der Erhaltung
der Leistungsfähigkeit Älterer begründen. Auch mit der Vollendung des 40.
Lebensjahres hat ein Beschäftigter regelmäßig allenfalls die Mitte seines
Erwerbsalters erreicht (vgl. auch Lüderitz Altersdiskriminierung durch
Altersgrenzen S. 156). Hätten die Tarifvertragsparteien gemäß der Ansicht des
Beklagten ein gesteigertes Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter
berücksichtigen wollen, hätten sich die gewählten Altersgrenzen nicht an dem
mit dem Alter zunehmenden Erholungsbedürfnis orientiert und wären willkürlich.
25 (3)
Gerade dieser Umstand bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien mit der
Regelung in § 26 TVöD weder den Schutz der Gesundheit bezweckten noch einem
gesteigerten Erholungsbedürfnis älterer Beschäftigter Rechnung tragen wollten.
Hätten sie diese Ziele verfolgt, hätte es nahe gelegen, gerade für die älteren
Beschäftigten, zB die Gruppe der über 50- oder über 60-jährigen Beschäftigten,
die Dauer des Erholungsurlaubs zu verlängern. Bei dieser Personengruppe ist ein
altersbedingt gesteigertes Erholungsbedürfnis eher nachvollziehbar. Ein solches
Schutzbedürfnis für die über 50-Jährigen haben die Tarifvertragsparteien aber
nur hinsichtlich der Beschränkung der Höchstdauer des Gesamturlaubs bei
besonders belastenden Arbeiten (Schicht- und Wechselschicht) gesehen. Das folgt
aus § 27 Abs. 4 Satz 4 TVöD. Danach erhöht sich ab diesem Lebensalter die
maximal erreichbare Gesamturlaubsdauer von jährlich 35 auf 36 Arbeitstage.
26 (4) Die
Tarifgeschichte bestätigt, dass die Tarifvertragsparteien mit der Urlaubsstaffel
nicht einem mit dem Lebensalter steigenden Erholungsbedürfnis Rechnung tragen
wollten. Bereits seit dem Inkrafttreten des BAT wurde die Urlaubsdauer an das
Lebensalter geknüpft (§ 48 Abs. 1 BAT). Sie steigerte sich auch nach dem
vollendeten 30. Lebensjahr und nach dem vollendeten 40. Lebensjahr. Innerhalb
der Lebensaltersstufen verlängerte sich die Urlaubsdauer teilweise nach
Vergütungsgruppen. Je höher der Angestellte eingruppiert war, je länger war
sein Urlaubsanspruch. Dies zeigt, dass nicht der Erholungszweck maßgebend für
die Urlaubsdauer sein sollte. Der Urlaub wurde vielmehr als Quasi-Gegenleistung
für die Arbeitsleistung geregelt. Nur so lässt sich die normierte Abhängigkeit
der Urlaubsdauer von der Vergütungsgruppe erklären. Es kann deshalb nicht angenommen
werden, die Tarifvertragsparteien hätten bei Angestellten in höheren
Vergütungsgruppen ein gesteigertes Erholungsbedürfnis ausgleichen wollen. Die
Differenzierung resultiert vielmehr aus der überkommenen Auffassung, der Urlaub
werde „verdient".
27 5. Die
Diskriminierung der Klägerin kann nur durch die Verpflichtung des Beklagten
beseitigt werden, der Klägerin für die Jahre 2008 und 2009 jeweils einen
Ersatzurlaubstag zu gewähren. Zwar folgt aus § 7 Abs. 2 AGG nur, dass die
diskriminierende Regelung unwirksam ist. Auch wird vom Senat nicht verkannt,
dass es sich bei § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD um ein Stufensystem handelt, sodass
grundsätzlich keine Stufe als die von den Tarifvertragsparteien als „übliche"
Urlaubsdauer gewollte angesehen werden kann. Jedoch kann die Beseitigung der
Diskriminierung vorliegend nur durch eine Anpassung „nach oben" erfolgen.
28 a)
Grundsätzlich ist es Aufgabe der Tarifvertragsparteien, eine
benachteiligungsfreie Regelung zu treffen, wofür ihnen verschiedene
Möglichkeiten zu Verfügung stehen. Doch scheidet eine Aussetzung des
Rechtsstreits unter Fristsetzung zur Lückenschließung durch die
Tarifvertragsparteien selbst von vornherein aus (aM Fieberg in Fürst GKÖD Bd.
IV E § 26 TVöD Rn. 23). Nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union sind für den Fall, dass gesetzliche oder tarifvertragliche
Regelungen eine mit der Richtlinie unvereinbare Diskriminierung vorsehen, die
nationalen Gerichte gehalten, die Diskriminierung auf jede denkbare Weise und
insbesondere dadurch auszuschließen, dass sie die Regelung für die nicht
benachteiligte Gruppe auch auf die benachteiligte Gruppe anwenden, ohne die
Beseitigung der Diskriminierung durch den Gesetzgeber, die
Tarifvertragsparteien oder in anderer Weise abzuwarten (vgl. so bereits zur
Richtlinie 76/207/EWG: EuGH 20. März 2003 - C-187/00 - [Kutz-Bauer] Rn. 75,
Slg. 2003, I-2741). Auch nach Art. 9 Abs. 3 GG in Verbindung mit dem
Verhältnismäßigkeitsgrundsatz wäre eine Aussetzung grundsätzlich allenfalls zur
Beseitigung einer Diskriminierung für die Zukunft geboten (vgl. BAG 10.
November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 28, NZA 2012, 161). Vorliegend geht es
jedoch um die Beseitigung einer Diskriminierung in der Vergangenheit.
29 b) Die
Benachteiligung der Klägerin kann nicht auf andere Weise für die Jahre 2008 und
2009 ausgeschlossen werden. Ein Rückgriff auf den noch unterhalb der
Eingangstufe des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD liegenden gesetzlichen Mindesturlaub
gemäß den §§ 1, 3 BUrlG in Höhe von 20 Arbeitstagen bei einer Fünftagewoche ist
hierzu nicht geeignet (aM Wulfers/Hecht ZTR 2007, 475, 483;
Breier/Dassau/Kiefer/Lang/Langenbrinck TVöD Stand Februar 2012, § 26 Rn.
163.5). Der von den §§ 1, 7 AGG bzw. Art. 6 der Richtlinie 2000/78/EG verfolgte
Zweck, Benachteiligungen zu verhindern oder zu beseitigen, würde nicht
erreicht. Da diskriminierende Maßnahmen oder Vereinbarungen nicht hingenommen
und ihre Fortwirkung nicht akzeptiert werden darf (vgl. ErfK/Schlachter § 7 AGG
Rn. 5), ist auch nicht auf die Eingangsstufe des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD mit 26
Urlaubstagen abzustellen. Hätte die Klägerin nur Anspruch auf die erste Stufe
der Urlaubsstaffel, fehlte es an einer Sanktion, die einen tatsächlichen und
wirksamen Rechtsschutz gewährt und abschreckende Wirkung hat (vgl. zu diesem
Aspekt: BAG 10. November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 18 ff., NZA 2012, 161).
30 c)
Hingegen ist eine Anpassung „nach oben" zur Beseitigung einer
Altersdiskriminierung im Einklang mit der Rechtsprechung des Gerichtshofs der
Europäischen Union gerechtfertigt, wenn auf andere Weise die Diskriminierung
nicht behoben werden kann, weil der Arbeitgeber den Begünstigten für die
Vergangenheit die Leistung nicht mehr entziehen kann (vgl. ausführlich: BAG 10.
November 2011 - 6 AZR 148/09 - Rn. 20 ff., NZA 2012, 161). Dies ist vorliegend
der Fall. Der den begünstigten Beschäftigten in den Jahren 2008 und 2009
gewährte Urlaub von jährlich 30 Arbeitstagen kann nicht rückwirkend auf 29 oder
26 Arbeitstage begrenzt werden. Die als Urlaub bereits gewährte Freizeit ist
nicht kondizierbar.
31 d)
Schließlich steht der Anpassung „nach oben" auch nicht § 15 Abs. 3 AGG
entgegen. Danach ist der Arbeitgeber bei der Anwendung kollektivrechtlicher
Vereinbarungen nur dann zur Entschädigung verpflichtet, wenn er vorsätzlich
oder grob fährlässig handelt. Diese Bestimmung bezieht sich allein auf die
immaterielle Entschädigung nach § 15 Abs. 2 AGG (vgl. BAG 10. November 2011 - 6
AZR 148/09 - Rn. 38, NZA 2012, 161; ErfK/Schlachter § 15 AGG Rn. 13) und
verhält sich nicht zur Beseitigung einer Diskriminierung durch eine den
Diskriminierungsverboten genügende Regelung.
32 e) Der
Beklagte kann auch keinen Vertrauensschutz in Anspruch nehmen. In den Jahren
2008 und 2009 galt bereits das am 18. August 2006 in Kraft getretene AGG.
Dieses nimmt Dauerschuldverhältnisse und damit auch Arbeitsverhältnisse ebenso
wenig wie Tarifverträge aus, die vor dem Inkrafttreten des AGG bereits
abgeschlossen waren. Übergangsvorschriften oder Vertrauensschutzregelungen sind
insoweit in § 33 AGG nicht vorgesehen. Gemäß § 1 AGG ist ua. Ziel dieses
Gesetzes, Benachteiligungen aus Gründen des Alters nicht nur zu verhindern,
sondern auch zu beseitigen. Die damit einhergehende unechte Rückwirkung ist
zulässig. Der zeitliche Geltungsbereich wird je nach Lage der Verhältnisse im
Einzelfall nur durch den Grundsatz des Vertrauensschutzes beschränkt (vgl. so
bereits zu § 81 Abs. 2 SGB IX aF: BAG 16. Dezember 2008 - 9 AZR 985/07 - Rn.
38, BAGE 129, 72). Dies setzt jedoch in jedem Fall das Vorliegen eines
schutzwürdigen Vertrauens voraus, das vorliegend nicht gegeben ist, selbst wenn
man die Grundsätze zum Vertrauensschutz bei unechter Rückwirkung von Gesetzen
anwendet. Nach der Rechtsprechung des Bundesverfassungsgerichts ist der
Grundsatz des Vertrauensschutzes nur dann verletzt, wenn die vom Gesetzgeber
angeordnete unechte Rückwirkung zur Erreichung des Gesetzeszwecks nicht
geeignet oder erforderlich ist oder wenn die Bestandsinteressen der Betroffenen
die Veränderungsgründe des Gesetzgebers überwiegen (vgl. BVerfG 10. August 2006
- 2 BvR 563/05 - Rn. 14, BVerfGK 9, 28). Zum einen dient das AGG der Umsetzung
von EU-Richtlinien zum Schutz vor Diskriminierung im Bereich Beschäftigung und
Beruf und enthält insoweit insbesondere im Bereich der Altersdiskriminierung
unionsrechtlich verankerte notwendige und bedeutende Regelungen. Zum anderen
wäre ein Vertrauen in den Fortbestand der angewandten tarifvertraglichen
Regelungen nicht schutzwürdig. Denn die Richtlinie 2000/78/EG wurde schon im
Jahr 2000 erlassen und stellt in Art. 16 Buchst. b ausdrücklich klar, dass die
Diskriminierungsverbote auch auf tarifvertragliche Bestimmungen Anwendung
finden. Nach Art. 18 der Richtlinie 2000/78/EG war diese zudem spätestens zum
2. Dezember 2006 in nationales Recht umzusetzen. Der Beklagte musste ebenso wie
die Tarifvertragsparteien damit rechnen, dass tarifvertragliche Regelungen auch
am Verbot der Altersdiskriminierung gemessen werden. Deshalb konnte der
Beklagte nicht darauf vertrauen, dass auch nach Inkrafttreten des AGG die
Urlaubsstaffelregelung des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD zulässig war, zumal in der
Gesetzesbegründung zum AGG die Anknüpfung an das bloße Lebensalter als
Mindestgrenze für mit der Beschäftigung verbundener Vorteile nicht unkritisch
gesehen wurde (vgl. BT-Drucks. 16/1780 S. 36) und im Schrifttum nicht nur
vereinzelt die Unwirksamkeit des § 26 Abs. 1 Satz 2 TVöD wegen Verstoßes gegen
das Verbot der Altersdiskriminierung angenommen wurde (vgl. Fieberg in Fürst
GKÖD Bd. IV E § 26 TVöD Rn. 22 mwN; Kamanabrou NZA Beilage 3/2006, 138, 144;
Hock/Kramer/Schwerdtle ZTR 2006, 622, 623 mwN; so bereits zu § 48 Abs. 1 BAT:
Lüderitz Altersdiskriminierung durch Altersgrenzen S. 156).
33 6. Die
Klägerin hat Anspruch auf Ersatzurlaub gemäß § 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und
Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB. Die Resturlaubsansprüche für die
Jahre 2008 und 2009 waren mangels Vorliegens eines Übertragungsgrundes nach §
26 Abs. 1 Satz 6 TVöD iVm. § 7 Abs. 3 Satz 1 BUrlG zum 31. Dezember des
jeweiligen Jahres verfallen. Diesen Untergang hat der Beklagte zu vertreten,
weil er sich mit der Gewährung des Urlaubs in Verzug befand.
34 a) Die
tatbestandlichen Voraussetzungen eines Schadensersatzanspruchs aus Verzug gemäß
§ 280 Abs. 1, § 286 Abs. 1 und Abs. 2 Nr. 3, § 287 Satz 2, § 249 Abs. 1 BGB
liegen vor. Die Klägerin hatte in den Jahren 2008 und 2009 Anspruch auf jeweils
30 Urlaubstage. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts
wandelt sich der Urlaubsanspruch in einen Schadensersatzanspruch um, der auf
Gewährung von Ersatzurlaub als Naturalrestitution gerichtet ist, wenn der
Arbeitgeber den rechtzeitig verlangten Urlaub nicht gewährt und der Urlaub
aufgrund seiner Befristung verfällt (BAG 11. April 2006 - 9 AZR 523/05 - Rn.
24, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7 Nr. 116).
35 b) Die
Klägerin machte mit Schreiben vom 5. November 2008 unter der Überschrift
„Geltendmachung von Urlaubsansprüchen" Urlaub in Höhe von 30 Tagen nach dem
TVöD geltend und bat zudem, den Urlaubsanspruch auch für die Zukunft
entsprechend anzupassen. Dahingestellt bleiben kann, ob dies schon ein
konkretes Verlangen beinhaltet hat, den Urlaub in den Jahren 2008 und 2009 zu
gewähren. Nach der Rechtsprechung des Senats ist hierfür zumindest
erforderlich, dass der Arbeitgeber nach den Grundsätzen des § 133 BGB davon
ausgehen muss, der Arbeitnehmer wünsche ab einem bestimmten Zeitpunkt
Erholungsurlaub (vgl. BAG 17. November 2009 - 9 AZR 745/08 - Rn. 45; 11. April
2006 - 9 AZR 523/05 - Rn. 28, AP BUrlG § 7 Übertragung Nr. 28 = EzA BUrlG § 7
Nr. 116). Maßgebend ist, dass der Beklagte mit Schreiben vom 28. November 2008
erklärt hat, er lehne den Antrag auf Verlängerung des Urlaubs „auf 30 Tage vor
Erreichen des 41. Lebensjahres" ab, weil der Klägerin nach dem für ihn
verbindlichen § 26 Abs. 1 TVöD derzeit nur 29 Urlaubstage zustünden. Aus
objektiver Empfängersicht lag darin eine ernsthafte und endgültige
Erfüllungsverweigerung des Beklagten als Schuldner des Urlaubsanspruchs, die
gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Mahnung der Klägerin entbehrlich machte (vgl.
BAG 31. Januar 1991 - 8 AZR 462/89 - zu II der Gründe). Denn der Beklagte gab
mit diesem Schreiben vor Ablauf des Urlaubsjahres 2008 klar zu erkennen, dass
er nicht bereit sei, im laufenden Jahr mehr als 29 Tage Urlaub zu gewähren.
Hinsichtlich des weiteren Urlaubstags für das Jahr 2009 folgt der Verzug des
Beklagten zudem daraus, dass er jedenfalls mit dem Antrag auf Klageabweisung
vom 24. April 2009 und somit vor Ablauf des Urlaubsjahres 2009 zu erkennen
gegeben hat, den weiteren Urlaubstag auch im Jahr 2009 nicht gewähren zu wollen.
Darin lag ebenso seine ernsthafte und endgültige Erfüllungsverweigerung als
Schuldner des Urlaubsanspruchs, die gemäß § 286 Abs. 2 Nr. 3 BGB eine Mahnung
der Klägerin ebenfalls entbehrlich machte (vgl. BAG 17. Mai 2011 - 9 AZR 197/10
- Rn. 14, EzA TVG § 4 Metallindustrie Nr. 138; 31. Januar 1991 - 8 AZR 462/89 -
zu II der Gründe).
36 B. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 97 Abs. 1 ZPO.