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Arbeitsrecht
23.04.2015
Arbeitsrecht
BAG: Ordentliche Kündigung wegen häufiger Kurzerkrankungen - Krankheitsanfälligkeit - Unterlassen eines betrieblichen Eingliederungsmanagements (bEM)

Das BAG hat mit Urteil vom 20.11.2014 — 2 AZR 755/13 — wie folgt entschieden: 1. Die Verpflichtung des Arbeitgebers nach § 84 Abs. 2 SGB IX gegenüber Beschäftigten, die innerhalb eines Jahres länger als sechs Wochen ununterbrochen oder wiederholt arbeitsunfähig erkranken, ein bEM durchzuführen, besteht unabhängig von der Art und den Ursachen der Erkrankung. Auch wenn krankheitsbedingte Fehlzeiten auf unterschiedlichen Grundleiden beruhen, kann sich aus ihnen - zumal wenn sie auf eine generelle Krankheitsanfälligkeit des Arbeitnehmers hindeuten - eine Gefährdung des Arbeitsverhältnisses ergeben, der das bEM entgegenwirken soll.

2. Den Arbeitgeber trifft hinsichtlich der Durchführung eines bEM die Initiativlast. Um ihr nachzukommen, muss er den Arbeitnehmer auf die Ziele des bEM sowie die Art und den Umfang der dabei zu erhebenden Daten hinweisen. Zu diesen Zielen rechnet die Klärung, wie die Arbeitsunfähigkeit möglichst überwunden, erneuter Arbeitsunfähigkeit vorgebeugt und wie das Arbeitsverhältnis erhalten werden kann. Dem Arbeitnehmer muss verdeutlicht werden, dass es um die Grundlagen seiner Weiterbeschäftigung geht und dazu ein ergebnisoffenes Verfahren durchgeführt werden soll, in das auch er Vorschläge einbringen kann. Daneben ist ein Hinweis zur Datenerhebung und Datenverwendung erforderlich, der klarstellt, dass nur solche Daten erhoben werden, deren Kenntnis erforderlich ist, um ein zielführendes, der Gesundung und Gesunderhaltung des Betroffenen dienendes bEM durchführen zu können.

3. Die Inanspruchnahme des Sachverstands eines Betriebsarztes kann der Klärung dienen, ob vom Arbeitsplatz Gefahren für die Gesundheit des Arbeitnehmers ausgehen und künftig durch geeignete Maßnahmen vermieden werden können (§ 3 Abs. 1 Satz 2 ASiG). Die betriebsärztliche Begutachtung steht aber für sich genommen der Durchführung eines bEM nicht gleich.

4. § 84 Abs. 2 SGB IX konkretisiert den Verhältnismäßigkeitsgrundsatz. Hat der Arbeitgeber die Durchführung eines bEM unterlassen, muss er deshalb umfassend darlegen und beweisen, warum es in keinem Fall dazu hätte beitragen können, neuerlichen Krankheitszeiten vorzubeugen und das Arbeitsverhältnis zu erhalten. Dabei obliegt es ihm nicht nur, die objektive Nutzlosigkeit arbeitsplatzbezogener Maßnahmen iSv. § 1 Abs. 2 Satz 2 KSchG aufzuzeigen. Vielmehr hat er schon nach § 1 Abs. 2 Satz 1 KSchG auf im Kündigungszeitpunkt bestehende außerbetriebliche Therapiemöglichkeiten Bedacht zu nehmen. Dem Ziel, solche Möglichkeiten zu erkennen, dient wiederum das bEM.

5. Denkbares Ergebnis des bEM kann es sein, den Arbeitnehmer auf eine Maßnahme der Rehabilitation zu verweisen. Der Arbeitgeber muss deshalb, wenn er ein gebotenes bEM unterlassen hat, dartun, dass auch durch die gesetzlich vorgesehenen Hilfen oder Leistungen der Rehabilitationsträger künftige Fehlzeiten nicht in relevantem Umfang hätten vermieden werden können.

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