Der Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme – Basis-Verordnung reloaded?
In den fast zwei Jahren seit Vorstellung der “Vom Hof auf den Tisch”-Strategie für ein faires, gesundes und umweltfreundliches Lebensmittelsystem ist noch sehr wenig von der vielleicht zentralen Herausforderung für den Europäischen Gesetzgeber die Rede gewesen, bis Ende 2023 einen Entwurf für einen Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme vorzulegen. Das Ziel dieser ersten der 27 Maßnahmen der Strategie ist die Schaffung einer nächsten Basis-Verordnung zum Lebensmittelrecht, diesmal mit dem Fokus Nachhaltigkeit.
Im Weißbuch zur Lebensmittelsicherheit vom Januar 2000 waren die Vorstellungen der Kommission darüber, was Inhalt einer “allgemeinen Richtlinie zum Lebensmittelrecht” werden soll, allerdings sehr viel konkreter, als dies nun der Fall zu sein scheint. “Lebensmittelsicherheit als vorrangiges Ziel des Lebensmittelrechts der Gemeinschaft” sollte über die “Festlegung der allgemeinen Grundsätze des Lebensmittelrechts (insbesondere: wissenschaftliche Grundlage, Verantwortung von Erzeugern und Lieferanten, Rückverfolgbarkeit über die gesamte Lebensmittelherstellungskette, wirksame Kontrolle und Durchsetzung)” erreicht werden – und so ist es dann ja auch gekommen.
Auch die “Einrichtung einer unabhängigen Europäischen Lebensmittelbehörde” und “die Einführung umfassender Sicherheitsvorkehrungen für die gesamte Lebensmittelherstellungskette, einschließlich Futtermittel” und die “Einrichtung eines umfassenden Schnellwarnsystems für alle alarmierenden Situationen im Zusammenhang mit Futter- und Lebensmitteln, für die harmonisierte Anforderungen und Verfahren gelten” waren im Weißbuch bereits ausdrücklich vorgesehen, so dass es fast nicht mehr überraschte, dass die Verordnung (EG) Nr. 178/2002 (Basis-Verordnung) zur Festlegung der allgemeinen Grundsätze und Anforderungen des Lebensmittelrechts, zur Errichtung der Europäischen Behörde für Lebensmittelsicherheit und zur Festlegung von Verfahren zur Lebensmittelsicherheit bereits zwei Jahre später, am 28. Januar 2002 erlassen wurde.
Dass dies ungeachtet so grundlegender Herausforderungen wie der erstmaligen Verständigung auf eine europaweit einheitliche Definition für “Lebensmittel”, der Verständigung auf die Risikoanalyse als Grundlage allen Lebensmittelrechts, der Verankerung des Vorsorgeprinzips und der neuen Rückverfolgbarkeitsverpflichtung für alle Lebensmittelunternehmer gelungen ist, ist 20 Jahre danach immer noch erstaunlich und wohl nur mit der aus vielen Krisen erwachsenen Überzeugung zu erklären, dass “etwas passieren muss” – was dann in der Folge auch dafür gesorgt hat, dass alle 84 Maßnahmen des Weißbuchs zur Lebensmittelsicherheit entsprechend “abgearbeitet” worden sind.
In Bezug auf den Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme hat die Kommission in Form einer Folgenabschätzung in der Anfangsphase zwar bereits Handlungsoptionen (Nichtstun, freiwillige Ansätze, Überarbeitung bestehender Regelungen, neuer Rechtsrahmen) und mögliche Regelungsziele und -inhalte zur Diskussion gestellt, aber Vieles erscheint – zumindest von außen betrachtet – noch eher unklares Konzept als klare Vorstellung.
So heißt es in der “Vom Hof auf den Tisch”-Strategie, der Rechtsrahmen solle “den Wandel beschleunigen und erleichtern und sicherstellen, dass alle in der EU in Verkehr gebrachten Lebensmittel immer nachhaltiger werden. Weiter soll er kohärente politische Maßnahmen auf EU- und nationaler Ebene fördern, die Nachhaltigkeit in allen lebensmittelbezogenen Politikfeldern bewirken und die Resilienz der Lebensmittelsysteme stärken.” Und “nach einer breit angelegten Konsultation und einer Folgenabschätzung wird die Kommission gemeinsame Definitionen sowie allgemeine Grundsätze und Anforderungen für nachhaltige Lebensmittelsysteme und Lebensmittel erarbeiten. Innerhalb dieses Rahmens werden auch die Verantwortlichkeiten aller Akteure des Lebensmittelsystems behandelt. In Verbindung mit der Zertifizierung und Kennzeichnung der Nachhaltigkeitsleistung von Lebensmitteln und mit gezielten Anreizen bietet der Rahmen den Marktteilnehmern die Möglichkeit, von nachhaltigen Verfahren zu profitieren und die Nachhaltigkeitsstandards schrittweise anzuheben, sodass diese für alle Lebensmittel, die in der EU in Verkehr gebracht werden, zur Norm werden.”
An Anspruch mangelt es also nicht und auch das Vorbild Basis-Verordnung scheint immer wieder durch, aber wie genau und mit welchen Mitteln die formulierten Ziele erreicht werden sollen, erscheint noch weitgehend offen. Nachhaltigkeitsziele und -grundsätze werden ebenso formuliert werden, wie Verantwortlichkeiten und die Grundsätze einer “Nachhaltigkeitsanalyse”, wenn man sich an der Basis-Verordnung orientiert. Auch für Lebensmittel aus Drittländern werden die Nachhaltigkeitsanforderungen gelten müssen, wenn man es ernst meint, und Transparenz soll über eine Nachhaltigkeitskennzeichnung geschaffen werden. Aber wie genau “Push-Bestimmungen” mit Mindestanforderungen und “Pull-Bestimmungen” aussehen, wie das Zusammenspiel von “Drücken” und “Ziehen”, müssen und können, genau aussehen soll, ist unklar.
Orientierungspunkte werden natürlich bereits existierende Definitionen zur Nachhaltigkeit wie die der FAO sein, und grundsätzliche Nachhaltigkeitsanforderungen und Verantwortlichkeiten werden irgendwie für alle gelten müssen, während gerade auch über eine Nachhaltigkeitskennzeichnung dann Unterschiede sichtbar werden sollen. Aber wie genau und mit welchen Rechtsfolgen, um bei den Parallelen zur Basis-Verordnung zu bleiben, Grundätze wie eine “Nachhaltigkeitsanalyse” und “Nachhaltigkeitsbewertung” nicht zuletzt auch für die Bewertung der Nachhaltigkeit nicht nur von Lebensmitteln, sondern auch und vor allem aller relevanten le-
Denn auch wenn der Gerichtshof der Europäischen Union immer einmal wieder daran erinnern muss, dass es keine Regelung ohne wissenschaftliche Risikobewertung und -analyse geben darf, so haben sich doch die Artikel 6 und 7 als Herzstück der Basis-Verordnung und zentrale Instrumente zur Gewährleistung einer verlässlichen Lebensmittelgesetzgebung bewährt. Entsprechendes muss im neuen Rechtsrahmen für nachhaltige Lebensmittelsysteme gelingen. Noch ist allerdings die Bedeutung solcher Regelungen zur Gewährleistung der “Nachhaltigkeit” bestehender und zukünftiger Lebensmittelgesetzgebung nicht Diskussionsgegenstand gewesen.
Meint die Kommission es ernst mit ihren selbst formulierten Zielen für mehr “Nachhaltigkeit”, dann müssen die Vorgaben für alle Lebensmittelunternehmen nachvollziehbar und leistbar sein, sie in ihrer wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit ebenso nachhaltig fordern und fördern können, wie auch zur Erreichung aller weiteren Nachhaltigkeitsziele geeignet sein. Lebensmittelsicherheit bleibt als Grundsatz und Maxime unangetastet – das ist allgemeine Überzeugung. Nicht wenige Diskussionen und Ereignisse der jüngeren Vergangenheit haben aber die Kritik an zum Teil als unverhältnismäßig und nicht mehr zu rechtfertigenden Sicherheitsmaximen immer lauter werden lassen. Deshalb gilt es auch, die Anforderungen an “nachhaltige” und “sichere” Lebensmittel so in Übereinstimmung zu bringen, dass es nicht zu den Zielkonflikten kommt.
Und zu guter Letzt: Nicht nur aber auch weil die Kommission die Bedeutung einzelner Lebensmittel für die Gesundheit der Konsumenten als Nachhaltigkeitsaspekt begreift, soll, ohne dass eine wie auch immer geartete ernährungswissenschaftliche Bewertung hier auch nur ansatzweise bewertet werden soll, doch bereits im Hinblick auf deren Volatilität einerseits und voraussichtlichen Unmöglichkeit einer einheitlich-zutreffenden Bewertung über alle individuellen Ernährungsweisen und -bedürfnisse hinaus andererseits, hier für ausgeschlossen erachtet werden, dass Nachhaltigkeit in der Form Voraussetzung von Verkehrsfähigkeit werden kann, wie dies Sicherheit ist.
Dazu erscheinen auch die Konzepte Sicherheit und Nachhaltigkeit zu verschieden, denn unsichere Lebensmittel sollen nicht sein, mehr oder minder nachhaltige Lebensmittel müssen schon im Hinblick auf die sehr unterschiedlichen sozialen, ökonomischen und umweltbezogenen Nachhaltigkeitsziele möglich sein. Alles andere scheint, vor allem auch im Interesse einer nachhaltig abwechslungsreichen und ausgewogenen Ernährung mit den unterschiedlichsten Lebensmitteln aus den unterschiedlichsten Regionen und Provenienzen nicht nur der Europäischen Union, ausgeschlossen.
Die Kommission wird auf diese und alle anderen Herausforderungen und Fragen eine Antwort finden müssen. Die neue Nachhaltigkeits-Basis-Verordnung wird alle
Rechtsanwalt Peter Loosen, Brüssel