RIW 2007–2023: Blick zurück nach vorn
Danke an Leser und Autoren!
Mit der vorliegenden Ausgabe endet meine Tätigkeit als Redaktionsleiter der RIW. Diese Aufgabe geht ab dem nächsten Jahrgang auf Professor Dr. Christian Pelke über.
Während der zweiten Jahreshälfte 2006 war mir die Programmplanung für das Wirtschaftsrecht in der RIW übertragen worden. Mit der ersten Ausgabe 2007 erhielt ich dann die redaktionelle Gesamtverantwortung. Diese Verantwortung erwies sich in der Summe mehr als Vergnügen denn als Last.
2007–2023 ist ein langes Stück individueller Lebenszeit. Aber auch in allgemein-historischer Perspektive handelt es sich um eine Periode der Umwälzungen. Von heute aus betrachtet, haben sich viele alte Fixpunkte im Koordinatensystem verschoben. Im Jahr 2007 genoss Deutschland noch die Wiedervereinigungsdividende und war – so ein damals viel zitiertes Bonmot – “umzingelt von Freunden”. Global geöffnete Märkte kauften deutsche Qualitätsprodukte, die mit kostengünstiger Energie aus u. a. Russland hergestellt wurden, und internationale Finanzströme flossen immer ungehinderter in alle Richtungen. Die ersten RIW-Jahrgänge nach 2007 sind daher voll mit Beiträgen zu Regulierungen und Deregulierungen aus aller Welt, welche dieser globalen Offenheit einen Rechtsrahmen gaben.
Die große Finanzkrise von 2008, ausgelöst durch die Insolvenz der Lehman-Bank, ist der erste grobe Schönheitsfehler in diesem Bild. Anfang 2008, noch vor Lehman, tauchten in der RIW die Asset Backed Securities (ABS) auf, die danach die Krise wesentlich auslösen sollten (Linkert, RIW 2008, 104). Der Dodd-Frank Act, mit dem der US-Gesetzgeber auf die Krise reagierte, mauserte sich zu einem wiederkehrenden Sujet in der RIW (z. B. Müller, RIW 2012, 620). Nicht zuletzt auch aus den USA angestoßen, wurden die freien Kapitalmärkte verstärkt mit dem Thema der Steuerverschiebung/Steuerhinterziehung in Verbindung gebracht (z. B. Schulte, RIW 2012, 129).
Noch viel heftiger sind die wirtschaftlichen Auswirkungen, die durch machtpolitische Eingriffe hervorgerufen wurden. Es ist schon berührend, in RIW 2008, 781 den Beitrag von Klaiber zur Reform des syrischen Wirtschaftsrechts mit seinem hoffnungsfrohen Resümee zu lesen, wenn man rückblickend weiß, dass das Land heute ein Trümmerhaufen ist. Letztlich gehört in diese Kategorie gleichfalls – wenn auch mit weniger brutalen Folgen – der Brexit, der durch innenpolitische Intrigen befeuert wurde (s. dazu meine Glosse im Editorial RIW 2019/1–2. Der bisherige Höhepunkt diesbezüglich ist aber die weitgehende Reduktion der wirtschaftlichen Beziehungen zwischen der westlichen Staatengemeinschaft und Russland infolge des russischen Überfalls auf die Ukraine (dazu insb. RIW 2022/4 mit den Beiträgen von Wedde, Wiedmann/Will und Bernardi). Im Wege des Kollateralschadens beeinträchtigt das auch die wichtigen Wirtschaftsbeziehungen zu China, dessen “Neutralität” praktisch zu Gunsten Russlands ausgestaltet ist. Der wirtschaftlichen Entkoppelung von China und der Stärkung/Gewinnung anderer Partnerschaften dienten u. a. die Reisen des Bundeskanzlers in verschiedene Länder auf dem asiatischen und dem amerikanischen Kontinent (dazu z. B. die Editorials in RIW 2022/12 von Bremermann [Kanada], RIW 2023/3 von Sester [Brasilien], RIW 2023/6 von Parameswaran/Parameswaran [Indien] oder RIW 2023/7 von Schapowalow/Park [Südkorea]). Vor diesem Hintergrund um so erschreckender sind die Handelsschranken, die – scheinbar unaufhaltsam – ebenso im Verhältnis zu alten Freunden aufgerichtet worden sind, etwa zu Großbritannien (infolge des Brexit) oder zu den USA (dazu die Meldung “Handelsgespräche zwischen der EU und den USA geplatzt” v. 20. 10. 2023, unter: www.faz.net).
Freihandel und ungehinderte Finanztransfers stoßen inzwischen zunehmend auf Barrieren und heruntergelassene Gitter. Für die deutsche Wirtschaft, die vital auf den Weltmarkt angewiesen ist, wird das zu einer wachsenden Herausforderung. Diversifikation lautet das Schlagwort der Stunde; das setzt aber für die begleitende Rechtsberatung immer umfangreicheres Spezialwissen voraus. Diversifikation war auch die Idee, die bei der Einführung der neuen Rubrik “Länderreporte” im Jahrgang 2013 Pate stand: Erweiterung des Blickfelds durch regelmäßige, knapp gehaltene Information, u. a. aus Ländern, deren Recht eher selten Gegenstand in den großen Aufsätzen ist. Drei Autoren aus dem Jahrgang 2013 schreiben noch heute für die Rubrik: C. Klein (Frankreich), A. Steinmetz (Spanien) und M. Wörlein (Indien). Stilistisch inspiriert waren die Länderreporte von den pointierten Berichtsübersichten zum englischen Handels- und Wirtschaftsrecht, die K. Vorpeil schon seit Jahrzenten für die RIW regelmäßig verfasst.
Eine solche Rückschau auf die letzten 16 Jahre ist aber nicht bloß ein sentimentales Abschiedsritual, sondern schärft m.E. den Sinn für unser Schicksal der ständigen Weltveränderung. Insofern ist der Blick zurück immer auch eine gute Übung für den Blick nach vorn.
Abschließend gebührt mein persönlicher Dank all den interessierten Lesern, ohne die es keine RIW gäbe, sowie den wunderbaren Autoren, mit denen ich zusammenarbeiten durfte und von denen ich hier – dem knappen Platz geschuldet – viel zu wenige nennen konnte.
Dr. Roland Abele, Frankfurt a. M.