Globale Mindeststeuer auf dem Prüfstand
Globale Mindeststeuer eher kein Durchbruch
An das OECD/G20-Projekt zur Bekämpfung der internationalen Steuervermeidung (BEPS) sind große Erwartungen geknüpft. Immerhin 141 Länder unterzeichneten eine entsprechende Vereinbarung im November 2021. Nach den zwei Säulen der Reform sollen in der Säule 1 Unternehmensgewinne künftig anteilig in den Ländern versteuert werden, in denen Unternehmen ihre Produkte und Dienstleistungen absetzen, den sog. Marktländern. Die Säule 2 führt eine weltweite Mindestgewinnbesteuerung von 15 % ein. Am 20.12.2021 wurde die Modellgesetzgebung vorgelegt. Die EU-Kommission unterbreitete am 22.12.2021 einen Richtlinienvorschlag, der im Halbjahr 2022 beschlossen werden soll. Diese Aktivitäten führten dazu, dass einige beteiligte Regierungen bereits den Durchbruch im Kampf gegen Steuervermeidung und schädlichen Steuerwettbewerb sehen. Selbstverständlich ist die Zustimmung von 141 Staaten eine historische Dimension. Ist das Projekt deswegen problemlos umsetzbar? Es scheint wohl nicht der Fall zu sein.
Die Säule 1 soll im ersten Schritt nur multinationale Unternehmen treffen, die einen Umsatz von mehr als 20 Mrd. Euro erzielen, mit Ausnahme der Unternehmen des Finanzsektors und der Rohstoffförderung. Betroffen sind aber nur Gewinne, die 10 Prozent des Umsatzes überschreiten, der sog. Residualgewinn. Hiervon werden nur 25 Prozent den Marktländern zur Besteuerung zugewiesen. Zu diesem Zweck soll ein multilateraler Steuervertrag geschlossen werden. Grundlage zur Gewinnermittlung soll der handelsrechtliche, konsolidierte Jahresabschluss sein. Über Umsatzkennziffern wird dieser den einzelnen Marktländern zugeordnet. Die Aufteilung des Gewinns nach dem Fremdvergleichsgrundsatz wird aber deswegen nicht obsolet. Durch diese beiden Systeme soll es aber nicht zu einer Doppelbesteuerung kommen. Der Anspruch auf Zuweisung der Besteuerung setzt einen Umsatz von mindestens 1 Mio. Euro im Marktland voraus. Bei kleineren Ländern mit einem Bruttoinlandsprodukt unter 40 Mrd. Euro sinkt die Grenze auf 250 000 Euro. Nach ersten Untersuchungen unter Verwendung der sog. ORBIS-Daten träfe diese Mindeststeuer weltweit nur 88 Unternehmen. Davon haben sieben Unternehmen ihren Sitz in Deutschland. Die Residualgewinne dieser Unternehmen betragen lediglich 4,3 Mrd. Euro. Sinkt im Weiteren die Grenze des Umsatzes von 20 Mrd. Euro auf 10 Mrd. Euro, so steigt die Zahl der weltweit betroffenen Unternehmen auf 365 – 39 davon mit Sitz in Deutschland. Während sich die Anzahl der Unternehmen fast vervierfacht, steigt der Residualgewinn lediglich auf 551 Mrd. Euro, also 68 Prozent.
Diese zwei Säulen führen zu substantiellen Änderungen im internationalen Steuersystem. Für die Säule 2 ist die weltweite Einigung auf eine gemeinsame Bemessungsgrundlage notwendig. Ob das gelingt? Der Richtlinienentwurf der EU-Kommission vom 22.12.2021 strebt diese gemeinsame Bemessungsgrundlage für die Europäische Union an, – aber außerhalb der EU? Dass sich sowohl auf Seiten der Finanzverwaltungen und der Steuerpflichtigen die Komplexität des Internationalen Steuerrechts erhöht, dürfte außer Frage stehen. Die Wirkungen der Säule 1 werden zunächst sehr überschaubar sein. Deutschland wird wohl eher nicht zu den Gewinnern gehören. Die Säule 2 wird die Steuerquote der Unternehmen erhöhen. Davon werden auch die Unternehmen betroffen sein, die bisher keinerlei Gewinnverlagerungen betreiben. Liegt der effektive Steuersatz unter 15 Prozent, sind die Unternehmen in jedem Falle betroffen. Ob dies zur Wettbewerbsfähigkeit beiträgt, darf bezweifelt werden. Der Steuerwettbewerb zwischen den Ländern könnte durch die vorgesehenen Carve-Outs, die es ermöglichen, für die Ansiedlung von Produktionsstätten und Beschäftigung eine günstigere Besteuerung anzubieten als die 15 Prozent Mindeststeuer, doch weitergehen. Eine weitere ungewünschte Nebenfolge könnte die Verhinderung des Einsatzes von steuerlichen Instrumenten zur Konjunkturstimulierung, wie z. B. “beschleunigte steuerliche Abschreibungen”, sein. Deutschland muss klären, wie die Vielzahl der Regelungen (Lizenzschranke, Zinsschranke, Hinzurechnungsbesteuerung), die eine Gewinnverlagerung aus Deutschland heraus verhindern sollen, in diesem Kontext weiter Anwendung finden soll. In der EU könnte das Einstimmigkeitsprinzip zur Zementierung der erstmaligen Festlegungen führen, wodurch die Flexibilität der Steuerpolitik Schaden nehmen könnte. Damit einher geht die Aufgabe der Länder mit der Unternehmensbesteuerung, z. B. Konjunkturpolitik zu betreiben. Was passiert zudem, wenn sich die EU auf die Mindeststeuer einigt und die übrige Welt nicht folgt? Es könnte erforderlich sein, die Säule 2 erst dann zu verabschieden, wenn weltweit Einigung erzielt wurde.
Das OECD/G20-Projekt ist anerkennenswert. Auch die angestrebten Ziele sind mehr als nachvollziehbar. Im Hinblick auf die noch zu beantwortenden Fragen und die (zunächst) begrenzte Wirkung der Säule 1 ist es allerdings ein Experiment mit ungewissem Ausgang. Nach Durchbruch sieht es noch nicht aus!
Prof. Dr. iur. Michael Stahlschmidt lehrt an der FHDW Paderborn Steuerrecht, Rechnungswesen und Controlling und ist Ressortleiter des Ressorts Steuerrecht des Betriebs-Berater und Schriftleiter Der Steuerberater.