Braucht es ein Corona-Steuerhilfegesetz III?
Die Maßnahmen der Exekutive im Zuge der Corona-Krise haben sehr schnell zu massiven wirtschaftlichen Nachteilen geführt. Die zeitweise Schließung von Betrieben, Geschäften und sonstigen Einrichtungen sowie die Einschränkung der Freizügigkeit haben unmittelbare finanzielle Folgen verursacht. Hinzu kamen die Einstellung von Betreuungsangeboten sowie die zeitweise Schließung von Schulen, die sich mittelbar ausgewirkt haben, da die Eltern ihrer bisherigen Tätigkeit nicht mehr oder nur in geringerem Umfang nachgehen konnten. In aller Eile ist zunächst das Bundesfinanzministerium durch zahlreiche Verwaltungsanweisungen tätig geworden. Schnell wurde ein FAQ “Corona” eingerichtet, das seither stets regelmäßig aktualisiert wird und aktuell (23.2.2021) auf 36 Druckseiten eine Vielzahl von häufig gestellten Fragen beantwortet. Zu den ersten Maßnahmen gehörten u. a. zinsfreie Stundungen und vollstreckungsrechtliche Erleichterungen. Weiterhin wurden die Fristen zur Abgabe von Steuererklärungen großzügig im Verwaltungswege verlängert.
Das Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 19.6.2020 (BGBl. I 2020, 1385 ff. – Corona-Steuerhilfegesetz I) brachte neben der Umsatzsteuerermäßigung für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen, die vom 30.6.2020 bis zum 1.7.2021 gilt und nicht die Abgabe von Getränken umfasst, vor allem Änderungen im Einkommensteuergesetz mit sich, mit denen Arbeitnehmer entlastet werden sollten. Durch das Zweite Gesetz zur Umsetzung steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise vom 29.6.2020 (BGBl. I 2020, 1512 ff.) wurden insbesondere Sondervorschriften zur Anpassung von Vorauszahlungen für den Veranlagungszeitraum 2019 sowie zum vorläufigen Verlustrücktrag für 2020, Bestimmungen zur Mindestbesteuerung nach § 10d EStG sowie zur Abschreibung im Einkommensteuergesetz eingeführt. Im Umsatzsteuerrecht erfolgte eine temporäre Herabsetzung des regulären Steuersatzes von 19 % auf 16 % und des ermäßigten Steuersatzes von 7 % auf 5 % bis zum 31.12.2020. Bei dieser Gelegenheit wurde darüber hinaus – offenbar im Zusammenhang mit der drohenden Verjährung bei Cum-Ex-Sachverhalten – das Verhältnis zur strafrechtlichen Einziehung nach § 375a AO neu geregelt.
Nun hat der Bundestag am 12.2.2021 den Entwurf eines Dritten Gesetzes steuerlicher Hilfsmaßnahmen zur Bewältigung der Corona-Krise (BT-Drs. 19/26544 vom 9.2.2021) beraten. Der Finanzausschuss hat den Entwurf am 24.2.2021 beschlossen. Die Gewährung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes i. H. v. 7 % für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen mit Ausnahme der Abgabe von Getränken soll bis zum 31.12.2022 verlängert werden. Für jedes im Jahr 2021 kindergeldberechtigte Kind wird ein Kinderbonus von € 150,00 gewährt. Darüber hinaus ist vorgesehen, den steuerlichen Verlustrücktrag für die Jahre 2020 und 2021 nochmals zu erweitern und auf € 10 Mio. (bei Einzelveranlagung) bzw. € 20 Mio. (bei Zusammenveranlagung) anzuheben.
Ungeachtet dessen, dass derzeit völlig unabsehbar ist, wann die Gastronomie (außer für Außer-Haus-Lieferungen) wieder geöffnet sein wird, ist die Anwendung des ermäßigten Umsatzsteuersatzes für Restaurant- und Verpflegungsdienstleistungen über den 21.6.2021 hinaus bis zum 31.12.2022 keine echte staatliche Hilfe. Solange ohnehin nur Außer-Haus-Lieferungen stattfinden, beträgt der Steuersatz nur 7 %. Zudem ist zu beobachten, dass die Preise in der Gastronomie weitgehend unverändert sind. Der Verbraucher zahlt also für das mitzunehmende oder zu liefernde Schnitzel weiterhin € 11,90. Davon führt der leistende Unternehmer allerdings pandemieunabhängig nur € 0,78 Umsatzsteuer ab, da es sich um eine Lebensmittellieferung handelt. Die Differenz zwischen der kalkulatorischen Umsatzsteuer von € 1,90 aus der vorpandemischen Zeit sowie Verzehr an Ort und Stelle und der abgeführten Umsatzsteuer i. H. v. € 0,78 bei Außer-Haus-Lieferung trägt der Gastronomiekunde. Und selbst dann, wenn die Gastronomie wieder für den Vor-Ort-Verzehr öffnet, wird sich daraus kaum eine Änderung der Preise ergeben. Letztendlich kommt es wiederum nur zu einer weiteren Verkomplizierung des Steuerrechts, insbesondere, wenn Speisen und Getränke zu einem Gesamtpreis angeboten werden, z. B. ein Tiramisu mit einem Espresso für € 5,00. Hier drängt sich geradezu der spätere Streit mit dem Betriebsprüfer auf, welcher Teilbetrag auf das Tiramisu und welcher Teilbetrag auf den Espresso entfällt. Das Corona-Steuerhilfegesetz III könnte beim unbefangenen Leser den Eindruck erwecken, als handele es sich um eine umfassende Kodifikation von steuerlichen Neuregelungen. Tatsächlich aber finden sich wichtige Änderungen steuerlicher Art auch im Gesetz zur Verlängerung der Aussetzung der Insolvenzantragspflicht und des Anfechtungsschutzes für pandemiebedingte Stundungen sowie zur Verlängerung der Steuererklärungsfrist in beratenen Fällen und der zinsfreien Karenzzeit für den Veranlagungszeitraum 2019 vom 15.2.2021 (BGBl. I 2021, 237 ff.). Auch dort wird die Abgabenordnung geändert, indem die Abgabefristen für Steuererklärungen verlängert werden und gleichzeitig der Zinslauf für den Besteuerungszeitraum 2019 erst am 1.5.2022 beginnt (Art. 97 § 36 EGAO). Ein nicht beratener Bürger wird diese Normen nicht ohne weiteres finden. Das Einführungsgesetz zur Abgabenordnung ist überhaupt eine wahre Fundgrube für unverständliche Regelungen. Dort heißt es in Art. 97 § 33 Abs. 1 EGAO: “§ 102 Abs. 4 Satz 3 und die §§ 138d bis 138k AO in der am 1. Januar 2020 geltenden Fassung sind ab dem 1. Juli 2020 in allen Fällen anzuwenden, in denen das nach § 138f Abs. 2 AO in der am 1. Januar 2020 geltenden Fassung maßgebliche Ereignis nach dem 30. Juni 2020 eingetreten ist.”
Ebenso wie es für den Geschäftsleiter einer haftungsbeschränkten Gesellschaft kaum möglich ist, rechtssicher zu ermitteln, ob er einen Insolvenzantrag stellen muss, droht im Steuerrecht eine weitere Zersplitterung. Das statistische Bundesamt meldete am 11.2.2021, dass im November 2020 26 % weniger Unternehmensinsolvenzen gemeldet wurden als im November 2019. Ganz vorne bei den Insolvenzen lagen Unternehmen der Wirtschaftsbereiche Handel und Gastgewerbe. Diese Entwicklung kann nicht mit punktuellen, kleinteiligen und schwer auffindbaren Sonderregelungen steuerlicher Art gelöst werden. Es braucht vielmehr eine flächendeckende Marktbereinigung. Dafür ist das Insolvenzverfahren das geeignete und erforderliche Mittel. Wir brauchen weder ein Corona-Steuerhilfegesetz III noch die weitere Aussetzung der Insolvenzantragspflicht. Beides gefährdet den Vertragspartner und trägt damit zur weiteren Destabilisierung des Wirtschaftssystems bei.
Prof. Dr. Jens M. Schmittmann, RA/FAHaGesR/FAInsR/FAStR/StB, lehrt an der FOM Hochschule für Oekonomie und Management Essen Allgemeine Betriebswirtschaftslehre, Wirtschafts- und Steuerrecht und ist Chefredakteur der Zeitschriften Betriebs-Berater und Der Steuerberater.