BFH: Zum Vorsteuerabzug aus berichtigten Schlussrechnungen
BFH, Urteil vom 5.9.2019 – V R 38/17
ECLI:DE:BFH:2019:U.050919.VR38.17.0
Volltext BB-Online BBL2019-2965-4
Leitsätze
1. Eine Revision ist auch dann zulässig, wenn das FG der Klage zwar stattgibt, dem Klagebegehren aber nicht voll entspricht.
2. Bei einer Schlussrechnung ergibt sich der Vorsteuerabzug aus der ausgewiesenen Umsatzsteuer abzüglich der bereits in den Abschlagsrechnungen enthaltenen Umsatzsteuer.
3. Eine berichtigte Rechnung setzt ein Dokument voraus, das spezifisch und eindeutig auf die berichtigte Rechnung bezogen ist.
Sachverhalt
I.
Der Kläger und Revisionskläger (Kläger) bezog seit 2003 von der D-GmbH Bauleistungen für ein zu 57,135 % steuerpflichtig vermietetes Gebäude. Mit geändertem Umsatzsteuerbescheid vom 26.10.2010 setzte der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) die Umsatzsteuer im Anschluss an eine Betriebsprüfung auf 52.408,56 EUR fest.
Im November 2011 beantragte der Kläger die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2007 und reichte die Schlussrechnung der D-GmbH vom 28.12.2007 ein, die in der Buchführung bislang nicht enthalten gewesen war. Die D-GmbH rechnete darin wie folgt ab:
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Nach den Feststellungen des Finanzgerichts (FG) machte der Kläger die darin ausgewiesene Differenz zwischen ausgewiesener und geleisteter Umsatzsteuer in Höhe von 57,135 % (10.405,28 EUR) als Vorsteuer geltend.
In einer Mahnung vom 16.11.2010 legte die D-GmbH ebenfalls eine Netto-Bemessungsgrundlage von 674.812,20 EUR zugrunde, wies darin aber einen Umsatzsteuersatz von 16 % aus.
Mit Schreiben vom 13.03.2012 überreichte der Kläger eine weitere, vom FG als "berichtigte Schlussrechnung" bezeichnete, Rechnung der D-GmbH vom 29.02.2012. Einen Hinweis auf die Schlussrechnung vom 28.12.2007 enthielt die Rechnung vom 29.02.2012, mit der der Kläger eine Minderung der Umsatzsteuer 2007 von 52.408,56 EUR um 14.068,04 EUR auf 38.340,52 EUR begehrte, nur insoweit als auf beiden Rechnungen der Vermerk "Komm. 245" angebracht war. Die D-GmbH hatte in der Rechnung vom 29.02.2012 wie folgt abgerechnet:
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Mit Bescheid vom 21.06.2012 lehnte das FA die Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2007 ab. Der dagegen eingelegte Einspruch blieb ohne Erfolg.
Im Klageverfahren hatte der Kläger beantragt, die Umsatzsteuer 2007 von bisher 52.408,56 EUR um 14.068,04 EUR auf 38.340,52 EUR herabzusetzen. Der Antrag beruhte auf der anteiligen (57,135 %-igen) Geltendmachung der in der Rechnung vom 29.02.2012 ausgewiesenen Umsatzsteuer (123.274,32 EUR) abzüglich der in den Abschlagszahlungen ausgewiesenen Umsatzsteuern (98.651,86 EUR) in Höhe von 24.622,46 EUR (hiervon 57,135 % = 14.068,04 EUR).
Das FG gab der Klage mit seinem in Entscheidungen der Finanzgerichte (EFG) 2018, 413 veröffentlichten Urteil in vollem Umfang statt, erkannte im Tenor aber nur weitere Vorsteuern in Höhe von 1.665,40 EUR an. Das FG ging bei der Berechnung der weiteren anzuerkennenden Vorsteuern davon aus, dass diese sich aus der in dem Zahlbetrag von 18.256,19 EUR anteilig zu 57,135 % enthaltenen Umsatzsteuern (18.256,19 EUR x 19/119 = 2.914,85 EUR x 57,135 % = 1.665,40 EUR) ergäben.
Hiergegen wendet sich der Kläger mit der Revision, mit der er Verletzung materiellen Rechts geltend macht. Er rügt, dass das FG zwar in der Sache richtig entschieden, die Vorsteuern aber unzutreffend berechnet habe.
Der Kläger beantragt sinngemäß,
das FG-Urteil aufzuheben und unter Änderung des Umsatzsteuerbescheides 2007 vom 21.06.2012 und Aufhebung der Einspruchsentscheidung vom 02.02.2015 die Umsatzsteuer von 52.408,56 EUR um 14.068,04 EUR auf 38.340,52 EUR herabzusetzen.
Das FA beantragt,
die Revision zurückzuweisen und die Klage unter Aufhebung des FG-Urteils abzuweisen.
Das FA ist nach wie vor der Auffassung, dass die Schlussrechnung vom 28.12.2007 nicht bereits im Jahr 2007 vorgelegen habe, sondern erst später erstellt worden sei und deshalb nicht im Streitjahr zum Vorsteuerabzug berechtige.
Auch aus der Rechnung vom 29.02.2012 ergebe sich kein Anspruch auf Vorsteuer für den Kläger, denn es liege keine Rechnungsberichtigung mit Rückwirkung vor, sondern eine Abrechnung nach Änderung der Bemessungsgrundlage. Die Berichtigung des Vorsteuerabzugs sei daher nach § 17 Abs. 1 Sätze 2 und 7 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) für den Besteuerungszeitraum vorzunehmen, in dem die Änderung der Bemessungsgrundlage eingetreten sei. Das sei jedenfalls nicht das Streitjahr gewesen.
Aus den Gründen
II.
14 Die zulässige (hierzu 1.) Revision des Klägers ist begründet. Sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Zurückverweisung an das FG (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).
15 Das FG hat zu Unrecht einen Anspruch des Klägers aus der Rechnung vom 29.02.2012 angenommen, weil diese --im Gegensatz zur Auffassung des FG-- keine Rückwirkung entfaltet (hierzu 2.). Das FG ist zudem unzutreffend davon ausgegangen, dass sich bei einer Schlussrechnung der anzuerkennende Vorsteuerbetrag aus dem im Nachforderungsbetrag enthaltenen Steuerbetrag ergibt (hierzu 3.). Das FG hat schließlich unzutreffend entschieden, dass ein Vorsteuerabzug aus Rechnungen mit einem unzutreffend hohen Steuersatz auch hinsichtlich des erhöhten Teiles besteht (hierzu 4.).
16 1. Die Revision des Klägers ist zulässig, weil der Kläger durch das FG-Urteil formell beschwert ist. Voraussetzung für die Zulässigkeit einer Revision ist u.a., dass der Revisionskläger durch die von ihm angefochtene Entscheidung formell beschwert ist. Die formelle Beschwer ist gegeben, soweit das FG dem Klagebegehren nicht voll entsprochen hat (z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19.02.2019 - X R 42/16, BFH/NV 2019, 586). Das ist vorliegend der Fall, denn das FG hat der Klage in den Gründen zwar vollumfänglich stattgegeben, die Umsatzsteuer 2007 aber nicht, wie vom Kläger beantragt, um 14.068,04 EUR, sondern nur um 1.665,40 EUR herabgesetzt.
17 2. Die Revision ist aus anderen als den geltend gemachten Gründen begründet, weil das FG zu Unrecht davon ausgegangen ist, dass die Rechnung vom 29.02.2012 eine Berichtigung der Rechnung vom 28.12.2007 darstellt und deshalb im Jahr 2007 zum Vorsteuerabzug führt.
18 Zwar können nach der Rechtsprechung des Gerichtshofs der Europäischen Union (EuGH), der sich der BFH angeschlossen hat, Rechnungen, die fehlende oder fehlerhafte Angaben aufweisen, mit Rückwirkung auf den Zeitpunkt der erstmaligen Rechnungserteilung berichtigt werden (EuGH-Urteil Senatex vom 15.09.2016 - C-518/14, EU:C:2016:691; BFH-Urteile vom 01.03.2018 - V R 18/17, BFHE 261, 18; vom 20.10.2016 - V R 26/15, BFHE 255, 348). Das setzt aber nach Art. 219 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem vom 28.11.2006 (MwStSystRL) voraus, dass die berichtigte Rechnung spezifisch und eindeutig auf diese bezogen ist. Dem entspricht die Regelung in § 14 Abs. 6 Nr. 5 UStG i.V.m. § 31 Abs. 5 Satz 2 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung (UStDV), wonach die fehlenden oder unzutreffenden Angaben durch ein Dokument, das spezifisch und eindeutig auf die berichtigte Rechnung bezogen ist, übermittelt werden müssen (vgl. auch BFH-Urteil vom 12.10.2016 - XI R 43/14, BFHE 255, 474, Rz 24). An einem spezifischen und eindeutigen Bezug auf die Rechnung vom 28.12.2007 fehlt es vorliegend. Der einzige Hinweis in der Rechnung vom 29.2.2012 auf die Rechnung vom 28.12.2007 ist der Vermerk "Komm. 245", der sich auch auf der Rechnung vom 28.12.2007 befindet. Das aber ist weder spezifisch noch eindeutig.
19 3. Bei einer Schlussrechnung ergibt sich der Vorsteuerabzug aber vielmehr aus der ausgewiesenen Umsatzsteuer abzüglich der bereits in den Abschlagsrechnungen enthaltenen Umsatzsteuer, wobei ggf. ein nur anteilig anzuerkennender Anteil (hier 57,135 %) zu berücksichtigen ist. Das FG hat, wie der Kläger zutreffend rügt, des Weiteren unzutreffend entschieden, dass sich der Vorsteuerabzug aus einer Schlussrechnung aus der in dem Zahlbetrag von 18.256,19 EUR anteilig zu 57,135 % enthaltenen Umsatzsteuer (18.256,19 EUR x 19/119 = 2.914,85 EUR x 57,135 % = 1.665,40 EUR) ergibt.
20 4. Ob dem Kläger aus der Rechnung der D-GmbH vom 28.12.2007, die nach den den Senat gemäß § 118 Abs. 2 FGO bindenden Feststellungen bereits im Jahr 2007 vorgelegen hat, im Streitjahr 2007 ein Vorsteueranspruch zusteht, kann der Senat auf der Grundlage der Feststellungen des FG nicht entscheiden.
21 a) Das Recht auf Vorsteuerabzug entsteht gemäß Art. 63 und 167 MwStSystRL, wenn der Anspruch auf die abziehbare Steuer entsteht (z.B. EuGH-Urteil Klub vom 22.03.2012 - C-153/11, EU:C:2012:163, Rz 36). Steuertatbestand und Steueranspruch treten nach Art. 63 MwStSystRL zu dem Zeitpunkt ein, zu dem die Lieferung von Gegenständen bewirkt oder die Dienstleistung erbracht wird. Dem entspricht die Regelung in § 13 Abs. 1 Nr. 1 Buchst. a UStG. Das ist bei Bau- oder Montagedienstleistungen gewöhnlich der Zeitpunkt der physischen Fertigstellung der Arbeiten (EuGH-Urteil Budimex vom 02.05.2019 - C-224/18, EU:C:2019:347, Rz 23, 27). Bei Bau- oder Montagedienstleistungen, bei denen --wie hier durch die Bezugnahme auf die Vergabe- und Vertragsordnung für Bauleistungen-- die Abnahme der Arbeiten im Vertrag vereinbart wurde, gehört die Abnahme zur Leistung, die deshalb erst mit der Abnahme erbracht ist (EuGH-Urteil Budimex, EU:C:2019:347, Rz 35).
22 b) Da das FG zum Zeitpunkt der Abnahme keine Feststellungen getroffen hat, wird es diese in seiner erneuten Entscheidung nachholen müssen. Dabei wird es Folgendes zu beachten haben:
23 Sollte die Abnahme im Streitjahr 2007 erfolgt sein, ergäbe sich bei Vorliegen der weiteren Voraussetzungen ein Vorsteueranspruch in Höhe der in der Rechnung vom 28.12.2007 ausgewiesenen 19 %, obwohl dieser Steuersatz gemäß § 12 Abs. 1 UStG i.d.F. durch Art. 4 Nr. 1 des Haushaltsbegleitgesetzes 2006 vom 29.06.2006 (BGBl I 2006, 1402) erst für nach dem 31.12.2006 ausgeführte Lieferungen und Leistungen gilt.
24 Das folgt aber nicht daraus, wie das FG zu Unrecht entschieden hat, dass in einer Rechnung überhöht ausgewiesene Umsatzsteuer zu einem Vorsteueranspruch in der ausgewiesenen Höhe führt. Denn § 15 Abs. 1 UStG lässt i.d.F. durch Art. 5 Nr. 19 a aa des Steueränderungsgesetzes 2003 (StÄndG 2003) vom 15.12.2003 (BGBl I 2003, 2645) nur den Abzug der geschuldeten Steuer zu. Hierzu gehört aber nicht eine unberechtigt ausgewiesene Steuer (z.B. BFH-Urteil vom 02.04.1998 - V R 34/97, BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695, zu § 14 Abs. 3 UStG a.F.; BFH-Urteile vom 11.04.2002 - V R 26/01, BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317, und vom 01.02.2001 - V R 23/00, BFHE 194, 493, BStBl II 2003, 673, zu § 14 Abs. 2 UStG a.F.). Das galt im Übrigen im Wege richtlinienkonformer Auslegung auch schon vor Inkrafttreten des StÄndG 2003 (z.B. BFH-Urteile in BFHE 185, 536, BStBl II 1998, 695; in BFHE 198, 238, BStBl II 2004, 317, und in BFHE 194, 493, BStBl II 2003, 673).
25 Der Steuersatz von 19 % folgt daraus, dass Änderungen des Steuersatzes gemäß § 27 Abs. 1 Satz 2 UStG auch bereits mit Vereinnahmung einer Anzahlung vor Ausführung der Leistung entstandene Steuer erfassen, wenn die Leistung nach Inkrafttreten der Änderung ausgeführt wird. D.h. eine auf Grund einer Vereinnahmung vor dem 01.01.2007 zunächst in Höhe von 16 % entstandene Steuer ist gemäß § 27 Abs. 1 Satz 3 UStG in dem Voranmeldungszeitraum, in dem die Leistung ausgeführt wird (bei Abnahme in 2007 also 2007), auf den Steuersatz von 19 % zu berichtigen, sofern dieser nach dem 31.12.2006 liegt.
26 5. Die Kostenentscheidung beruht auf § 143 Abs. 2 FGO.