BFH: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei elektronischer Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift
BFH, Beschluss vom 15.5.2025 – VII B 107/24
ECLI:DE:BFH:2025:B.150525.VIIB107.24.0
Volltext BB-Online BBL2025-1365-4
Amtliche Leitsätze
1. NV: Bei der elektronischen Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift an den Bundesfinanzhof (BFH) obliegt es dem Absender, sein EDV-System derart zu gestalten, dass es zum Empfang einer Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 der Finanzgerichtsordnung (FGO) technisch im Stande ist.
2. NV: Ist das EDV-System des Absenders technisch nicht im Stande, die gesetzlich vorgesehene gerichtliche Eingangsbestätigung zu empfangen, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO nur dann in Betracht, wenn der Absender den ordnungsgemäßen Eingang der Beschwerdebegründung an den BFH auf andere Art und Weise (zum Beispiel durch einen Anruf auf der Geschäftsstelle) sichergestellt hat.
FGO § 52a Abs 5 S 2, FGO § 56
Sachverhalt
I. Mit Urteil vom 30.08.2024 - 4 K 87/22 gab das Finanzgericht Hamburg (FG) der Klage der Klägerin und Beschwerdegegnerin statt.
Gegen das ihm am 05.09.2024 zugestellte Urteil legte der Beklagte und Beschwerdeführer (Hauptzollamt ‑‑HZA‑‑) mit Schreiben vom 01.10.2024 Nichtzulassungsbeschwerde ein und stellte überdies die fristgerechte Einreichung einer Beschwerdebegründung mit einem gesonderten Schriftsatz in Aussicht.
Mit Schreiben vom 08.11.2024 teilte die Geschäftsstelle des beschließenden Senats dem HZA mit, dass die nach § 116 Abs. 3 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) vorgeschriebene Frist am 05.11.2024 abgelaufen sei und eine Begründung der Nichtzulassungsbeschwerde bisher nicht vorliege. Am selben Tag ging eine auf den 01.11.2024 datierende Beschwerdebegründung des HZA beim Bundesfinanzhof (BFH) über das besondere elektronische Behördenpostfach (beBPo) ein.
Auf entsprechenden gerichtlichen Hinweis stellte das HZA mit Schriftsatz vom 11.11.2024 einen Antrag auf Wiedereinsetzung. Zur Begründung führte es aus, dass aufgrund von technischen Störungen des für die Übermittlung genutzten beBPo die für den 01.11.2024 in Auftrag gegebene Übersendung nicht erfolgreich gewesen sei. Laut Auskunft der betreuenden Stelle der Generalzolldirektion habe sowohl am 01.11.2024 als auch am 04.11.2024 eine lokal begrenzte Funktionsstörung des beBPo vorgelegen, zu der jedoch keine Warnmeldung ergangen sei, da es sich nicht um eine bundesweite Störung gehandelt habe. Erst durch das gerichtliche Schreiben vom 08.11.2024 habe das HZA davon Kenntnis erlangt, dass die Beschwerdebegründung nicht vor dem Ablauf des 05.11.2024 an den BFH übermittelt worden sei. Die am 01.11.2024 nicht erfolgreiche Abwicklung über das beBPo sei weder dem Unterzeichner noch der Sachbearbeiterin bekannt gewesen.
Mit Schreiben vom 22.01.2025 ergänzte das HZA die Begründung seines Wiedereinsetzungsantrags dahingehend, dass aufgrund eines technischen Defekts für den 01.11.2024 keinerlei protokollierte Aufzeichnungen existierten. Protokollierte Aufzeichnungen existierten nicht einmal für solche Dokumente, die während der technischen Störung erfolgreich abgesandt worden seien. Eine Kontrolle der Eingangsbestätigung des elektronischen Dokuments gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO sei nicht erfolgt. Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen elektronischen Übertragung von Schriftstücken durch eine Eingangsbestätigung sei über das beBPo bereits technisch nicht möglich. Selbst bei ordnungsgemäßer Funktion des beBPo sei lediglich nachzuvollziehen, dass das entsprechende Dokument versandt worden sei. Das HZA treffe kein Verschulden am verspäteten Eingang der Beschwerdebegründung.
Zur Begründung seiner Beschwerde macht das HZA eine grundsätzliche Bedeutung der Rechtssache (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) sowie die Erforderlichkeit einer Entscheidung des BFH zur Sicherung einer einheitlichen Rechtsprechung (§ 115 Abs. 2 Nr. 2 Alternative 2 FGO) geltend.
Aus den Gründen
7 II. Die Beschwerde ist unzulässig.
8 1. Die Beschwerdebegründung des HZA ist nicht innerhalb der gesetzlichen Frist beim BFH eingegangen.
9 Gemäß § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO ist die Nichtzulassungsbeschwerde innerhalb von zwei Monaten nach der Zustellung des vollständigen Urteils zu begründen. Nachdem das FG-Urteil dem HZA am 05.09.2024 zugestellt worden war, lief die Beschwerdebegründungsfrist am Dienstag, dem 05.11.2024 ab. Innerhalb dieser Frist hat das HZA jedoch keine Begründung eingereicht. Die Beschwerdebegründung ging erst am 08.11.2024 in der von § 52d Satz 1 i.V.m. § 52a Abs. 1 FGO vorgeschriebenen elektronischen Form (per beBPo) beim BFH ein.
10 2. Dem HZA kann keine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand gemäß § 56 FGO gewährt werden.
11 a) Einem Verfahrensbeteiligten, der ohne Verschulden verhindert war, eine gesetzliche Frist einzuhalten, ist gemäß § 56 Abs. 1 FGO auf Antrag Wiedereinsetzung in den vorigen Stand zu gewähren. Der Antrag ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 1 FGO binnen zwei Wochen nach Wegfall des Hindernisses zu stellen; bei Versäumung der Frist zur Begründung der Revision oder der Nichtzulassungsbeschwerde beträgt die Frist einen Monat. Innerhalb der Antragsfrist ist gemäß § 56 Abs. 2 Satz 3 FGO die versäumte Rechtshandlung nachzuholen. Ob der Beteiligte die Frist schuldlos versäumt hat, richtet sich nach den Umständen des Einzelfalls und den persönlichen Verhältnissen des Beteiligten. Nach der ständigen Rechtsprechung des BFH schließt jedes Verschulden ‑‑auch einfache Fahrlässigkeit‑‑ die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus (z.B. BFH-Beschluss vom 30.05.2022 - II R 8/21, Rz 7; Senatsbeschluss vom 13.12.2023 - VII B 188/22, Rz 12). Bei der Beurteilung, ob eine Behörde sich die Versäumung einer gesetzlichen Frist als schuldhaft anrechnen lassen muss, gelten grundsätzlich die gleichen Maßstäbe, wie sie die Rechtsprechung für das Verschulden von Angehörigen der rechts- und steuerberatenden Berufe entwickelt hat; das bedeutet auch, dass das Verschulden eines gesetzlichen Vertreters oder Bevollmächtigten dem eigenen Verschulden des HZA gleichsteht (BFH-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, BFHE 280, 408, Rz 13, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 13.12.2023 - VII B 188/22, Rz 12).
12 Im Hinblick auf die erforderliche elektronische Übermittlung einer Rechtsmittelbegründungsschrift hat der BFH aus diesen Vorgaben abgeleitet, dass die Sorgfaltspflichten im Zusammenhang mit der Übermittlung von fristgebundenen Schriftsätzen im Wege des elektronischen Rechtsverkehrs denen bei Übersendung von Schriftsätzen per Telefax entsprechen (BFH-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, BFHE 280, 408, Rz 16, m.w.N.; Senatsbeschluss vom 13.12.2023 - VII B 188/22, Rz 13). Die Überprüfung einer ordnungsgemäßen Übermittlung erfordert dabei zunächst eine sorgfältige Ausgangskontrolle dahingehend, ob der fristwahrende Schriftsatz tatsächlich an den bestimmungsgemäßen Empfänger versandt worden ist oder zumindest sichere Vorsorge dafür getroffen wurde, dass er tatsächlich hinausgeht (vgl. BFH-Beschluss vom 20.12.2006 - I B 70/06, BFH/NV 2007, 929, unter 2.b bb der Gründe; vgl. auch Beschluss des Bundesgerichtshofs ‑‑BGH‑‑ vom 11.02.2025 - VIII ZB 65/23, Rz 18 und Söhn in Hübschmann/Hepp/Spitaler ‑‑HHSp‑‑, § 110 AO Rz 432, m.w.N.).
13 Neben der Ausgangskontrolle erfordert die Überprüfung die Kontrolle, ob die Bestätigung des Eingangs des elektronischen Dokuments bei Gericht gemäß § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO erteilt wurde (vgl. Senatsbeschluss vom 13.12.2023 - VII B 188/22, Rz 13; BFH-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, BFHE 280, 408, Rz 16, mit Verweis auf Beschluss des Bundesarbeitsgerichts vom 07.08.2019 - 5 AZB 16/19, BAGE 167, 221; BGH-Beschlüsse vom 11.05.2021 - VIII ZB 9/20, Rz 22 und vom 11.02.2025 - VIII ZB 65/23, Rz 19). Unterlässt der Absender diese Überprüfung, kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht (BFH-Beschluss vom 24.05.2023 - XI R 34/21, BFHE 280, 408, Rz 17; Senatsbeschluss vom 13.12.2023 - VII B 188/22, Rz 13; vgl. auch Fu in Schwarz/Pahlke/Keß, FGO, § 52a Rz 68; Adam in Gosch, FGO § 52a Rz 36; Trossen in HHSp, § 52a FGO Rz 127, m.w.N.).
14 b) Nach diesen Grundsätzen scheidet im Streitfall eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Das HZA, dem das Verhalten des Unterzeichners des Schriftsatzes vom 01.11.2024 als Bevollmächtigtem zuzurechnen ist, war nicht ohne Verschulden im Sinne des § 56 Abs. 1 FGO gehindert, die Beschwerdebegründungsfrist einzuhalten.
15 Dabei kann dahinstehen, ob das HZA Art, Umfang und Folgen der technischen Störung des beBPo hinreichend vollständig, substantiiert und in sich schlüssig vorgetragen hat. Denn selbst wenn eine technische Störung des beBPo einen Versand der Beschwerdebegründung am 01.11.2024 und am 04.11.2024 gänzlich verhindert haben sollte, käme unter Zugrundelegung der Schilderungen des HZA eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand vorliegend nicht in Betracht.
16 Denn das HZA hat bereits nicht dargelegt, dass bei dem erfolglosen Versand am 01.11.2024 überhaupt eine Ausgangskontrolle dahingehend stattgefunden hat, ob die Beschwerdebegründung tatsächlich an den BFH versandt worden ist. Vielmehr hat das HZA nach seinen Darlegungen mangels Warnhinweises des beBPo bei Absendung von einer Ausgangskontrolle abgesehen. Allerdings befreit das bloße Ausbleiben eines Warnhinweises im Rahmen des Absendevorgangs nicht von einer sorgfältigen Ausgangskontrolle.
17 Bei einer ordnungsgemäßen Ausgangskontrolle wäre dem für die Versendung verantwortlichen Sachbearbeiter noch am 01.11.2024, mithin vor Ablauf der Begründungsfrist am 05.11.2024, aufgefallen, dass das EDV-System des HZA keine protokollierten Aufzeichnungen über die Versendung der Beschwerdebegründung am 01.11.2024 erstellt hatte. Es wäre daher ohne weiteres möglich gewesen, die Beschwerdebegründung, jedenfalls durch Ersatzeinreichung nach § 52d Satz 3 FGO zum Beispiel per Telefax (vgl. BFH-Beschluss vom 16.01.2025 - VIII B 110/23, Rz 3), vor dem Ablauf der Begründungsfrist des § 116 Abs. 3 Satz 1 FGO beim BFH einzureichen.
18 Zudem hat das HZA dargelegt, dass es den ordnungsgemäßen Eingang der Beschwerdebegründung an den BFH (zum Beispiel durch einen Anruf auf der Geschäftsstelle des Senats) ebenfalls nicht kontrolliert hat. Auch aufgrund des Unterlassens einer ordnungsgemäßen Eingangskontrolle kommt eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand nicht in Betracht.
19 Der Vortrag des HZA, beim Versand über das beBPo sei die Überprüfung einer ordnungsgemäßen elektronischen Übertragung von Schriftstücken durch eine Eingangsbestätigung im Sinne von § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO technisch nicht möglich, ist ebenfalls nicht geeignet, ein Verschulden des HZA auszuschließen. Denn es obliegt dem HZA, sein EDV-System technisch derart zu gestalten, dass es zum Empfang der ‑‑gesetzlich vorgesehenen‑‑ Eingangsbestätigung im Stande ist. Andernfalls könnte das HZA durch die technische Gestaltung des EDV-Systems den vom Gesetzgeber in § 52a Abs. 5 Satz 2 FGO vorgesehenen Sorgfaltsmaßstab bei der Übermittlung elektronischer Dokumente selbst bestimmen.
20 3. Die Kostenentscheidung beruht auf § 135 Abs. 2 FGO.