: Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei behaupteter rechtzeitiger Absendung des fristgebundenen Schriftsatzes
FG München, Urteil vom 8.5.2009 - 10 K 1697/08
Leitsatz
Für die Gewährung von Wiedereinsetzung in den vorigen Stand bei behaupteter rechtzeitiger Absendung des Schriftstücks ist sowohl die Abgabe detaillierter eidesstattlicher Versicherungen der mit der Anfertigung und Absendung des Schriftsatzes unmittelbar befassten Personen als auch die Vorlage von Auszügen aus dem Fristenkontrollbuch und dem Postausgangsbuch erforderlich. Eine eidesstattliche Versicherung allein reicht für die Glaubhaftmachung selbst dann nicht aus, wenn der Bevollmächtigte darlegt, er selbst habe den fristwahrenden Schriftsatz zur Post gegeben.
Gesetze: AO § 355 Abs. 1 AO § 110 Abs. 1 S. 1 AO § 110 Abs. 1 S. 2 AO § 110 Abs. 2 S. 2
Verfahrensstand: Diese Entscheidung ist rechtskräftig
Tatbestand
I. Der Kläger (Kl.) ist polnischer Staatsangehöriger. Er ist der Vater von M (geb. ... 1988), K (geb. ... 1989), Z (geb. ... 1991) und K (geb. ... 2003). Die Kinder leben bei ihrer Mutter in Polen.
Am 22.09.2006 schloss der Kl einen ab 1.10.2006 beginnenden Mietvertrag über eine Schlafstelle in einem Arbeiterwohnheim. Am 9.10.2006 meldete der Kl ein Gewerbe im Bereich Trockenbau, Fliesen- und Parkettleger sowie Reinigungen an. Mit Formblattschreiben vom 9.1.2007 beantragte der Kl für seine vier Kinder Kindergeld. In dem vom Kl vorgelegten Formular E 411 bestätigt die polnische Stelle, dass die Ehefrau des Kl von 1.9.2006 bis 31.3.2007 polnische Familienleistungen bezog.
Mit Bescheid vom 11.4.2007 lehnte die FK den Kindergeldantrag des Kl ab. Mit Schreiben vom 17.12.2007 bat der anwaltliche Vertreter des Kl um Sachstandsmitteilung hinsichtlich des von ihm mit Schreiben vom 9.5.2007 eingelegten Einspruchs. Die FK teilte daraufhin mit Schreiben vom 27.12.2007/3.1.2008 mit, dass ihr weder ein Einspruch noch ein Schreiben vom 9.5.2007 vorliege. Auf telefonische Nachfrage übersandte die FK dem Kl am 27.2.2008 das Schreiben vom 27.12.2007 - dessen Zugang der Klägervertreter nicht feststellen konnte - per Telefax. Mit Schreiben vom 28.2.2008 legte der Klägervertreter Einspruch ein und beantragte Wiedereinsetzung in den vorigen Stand. Er legte eine eidesstattliche Versicherung vom 27.2.2008 bei, wonach er am 9.5.2007 ein Einspruchsschreiben verfasst habe und dieses gemeinsam mit einem entsprechenden Schreiben in einer anderen Sache an die beklagte Familienkasse (- FK -) zur Post gegeben habe. Das Schreiben der FK vom 27.12.2007/3.1.2008 habe er nicht erhalten.
Mit Einspruchsentscheidung vom 3.4.2008 wies die FK den Einspruch wegen Versäumung der Einspruchsfrist als unzulässig ab.
Hiergegen richtet sich die fristgerecht eingereichte Klage. Zu deren Begründung wird im Wesentlichen Folgendes geltend gemacht: Die fristgerechte Einspruchseinlegung sei durch die vorgelegte eidesstattliche Versicherung ausreichend glaubhaft gemacht. Der Klägervertreter habe noch am 8.5.2007 eine telefonische Klärung mit der FK gesucht und wegen Erfolglosigkeit dieses Versuchs am 9.5.2007 Einspruch eingelegt. Zudem ergebe sich aus dem zur weiteren Klagebegründung vorgelegten Auszug aus dem vom Klägervertreter geführten Bürokalender, dass der Klägervertreter die Einspruchsfrist am 9.5.2007 eingetragen und diese Fristnotiz nach Erledigung ausgestrichen habe. Ein Postausgangsbuch führe der Klägervertreter nicht. Dies sei nach Rückfrage im Kollegenkreis auch nicht üblich und könne insbesondere von zivilrechtlich orientierten Rechtsanwälten auch nicht gefordert werden. Der Ablehnungsbescheid sei offensichtlich rechtswidrig. Der Kl habe eine Gewerbeanmeldung und Meldebescheinigungen eingereicht. Er zahle in Deutschland Steuern, sei unbeschränkt einkommensteuerpflichtig und habe daher Anspruch auf Kindergeld.
Der Kl beantragt,
den Bescheid der Familienkasse ... vom 11.4.2007 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 3.4.2008 aufzuheben und dem Kläger Kindergeld in Höhe von jeweils 154,00 EUR für seine drei Kinder zu gewähren,
hilfsweise,
die Revision zuzulassen.
Die FK beantragt,
die Klage abzuweisen.
Zur Begründung verweist sie im Wesentlichen darauf, dass eine Wiedereinsetzung ausscheide, da eine eidesstattliche Versicherung zur Glaubhaftmachung des Wiedereinsetzungsgrundes nicht ausreiche. Ferner sei die Frist des § 110 Abs. 2 AO abgelaufen.
Wegen des weiteren Vorbringens der Beteiligten wird auf die Schriftsätze des Kl vom ... sowie der FK vom ... Bezug genommen.
Der Senat hat den Rechtsstreit mit Beschluss vom 07.05.2009 dem Einzelrichter zur Entscheidung übertragen (§ 6 FGO). Mit Einverständnis der Beteiligten entscheidet das Gericht ohne mündliche Verhandlung (§ 90 Abs. 2 FGO).
II. Die Klage ist unbegründet.
1. Der Bescheid vom 11.04.2007 hat infolge Versäumung der Einspruchsfrist Bestandskraft erlangt.
a) Gemäß § 355 Abs. 1 AO ist der Einspruch innerhalb eines Monats nach Bekanntgabe des Verwaltungsakts einzulegen. Im vorliegenden Fall gilt der Ablehnungsbescheid vom 11.04.2007 gemäß § 122 Abs. 2 Nr. 1 AO als am 16.04.2007 bekannt gegeben. Die einmonatige Einspruchsfrist endete nach § 108 Abs. 1 AO i.V.m. §§ 187 Abs. 1, 188 Abs. 2 BGB mit Ablauf des 16.5.2007. Da ein Einspruchseingang bei der FK nach Aktenlage erst am 29.2.2008 feststellbar ist, wurde die Einspruchsfrist versäumt.
b) Zu Recht hat die FK eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO) nicht gewährt.
Wiedereinsetzung ist zu gewähren, wenn jemand ohne Verschulden an der Einhaltung der gesetzlichen Frist gehindert war (§ 110 Abs. 1 S. 1 AO). Dies setzt in formeller Hinsicht voraus, dass innerhalb einer Frist von einem Monat nach Wegfall des Hindernisses die versäumte Rechtshandlung nachgeholt und diejenigen Tatsachen vorgetragen und im Verfahren über den Antrag glaubhaft gemacht werden, aus denen sich die schuldlose Verhinderung ergeben soll. Die Tatsachen, die eine Wiedereinsetzung rechtfertigen können, sind innerhalb dieser Frist vollständig, substantiiert und in sich schlüssig darzulegen (Beschluss des BFH vom 24.1.2005 - III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312). Hiernach schließt jedes Verschulden - also auch einfache Fahrlässigkeit - die Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus. Der Vertretene muss sich ein Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen (§ 110 Abs. 1 S. 2 AO).
Wird ein Wiedereinsetzungsantrag auf die Behauptung der fristgerechten Absendung eines beim Adressaten nicht eingegangenen Schriftsatzes gestützt, sind zum einen genaue Angaben dazu erforderlich, wann (an welchem Tag und zu welcher Uhrzeit), in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten oder Abgabe in einer bestimmten Postfiliale) und von welcher Person der Schriftsatz zur Post gegeben worden ist. Ferner ist die Organisation der Fristenkontrolle nach Art und Umfang darzulegen. Schließlich sind diese Angaben durch geeignete Beweismittel glaubhaft zu machen (§ 110 Abs. 2 S. 2 AO). Dazu ist sowohl die Abgabe detaillierter eidesstattlicher Versicherungen der mit der Anfertigung und Absendung des Schriftsatzes unmittelbar befassten Personen als auch die Vorlage von Auszügen aus dem Fristenkontrollbuch und dem Postausgangsbuch erforderlich. Eine eidesstattliche Versicherung allein reicht für die Glaubhaftmachung selbst dann nicht aus, wenn der Bevollmächtigte darlegt, er selbst habe das fristwahrende Schriftstück zur Post gegeben (vgl. etwa BFH-Beschlüsse vom 23.10.2002 - IX R 24/01, BFH/NV 2003, 198; vom 24.1.2005 - III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312; vom 9.2.2005 - X R 11/04, BFH/NV 2005, 1115; vom 3.8.2005 - IX B 26/05, BFH/NV 2006, 307; vom 6.11.2006 - VII B 188/06, BFH/NV 2007, 268; vom 14.8.2006 - VI B 54/06, BFH/NV 2006, 2282; und vom 9.7.2008 - XI S 1/08, XI S 2/08, BFH/NV 2008, 1693). Einschränkungen dieser Anforderungen, die sich aus dem jeweiligen Tätigkeitsschwerpunkt des als Vertreter bestellten Rechtsanwalts ergeben, sind aus der genannten BFH-Rechtsprechung nicht ersichtlich. Das erkennende Gericht hält eine solche Einschränkung im vorliegenden Fall jedenfalls schon deshalb für nicht erforderlich, weil der Klägervertreter selbst vorgetragen hat, dass er mehrere derartige Fälle betreut und Erfahrungen in vielen ähnlich gelagerten Fällen gesammelt hat.
Im vorliegenden Fall hat der Klägervertreter bereits nicht vollständig, substantiiert und genau angegeben, wann (zu welcher Uhrzeit) und in welcher Weise (Einwurf in einen bestimmten Postbriefkasten oder Abgabe in einer bestimmten Postfiliale) der Schriftsatz zur Post gegeben worden ist.
Auch wurde die Organisation der Fristenkontrolle nach Art und Umfang nicht im Einzelnen dargelegt. Darüber hinaus wurden die Angaben auch nicht durch geeignete Beweismittel glaubhaft gemacht. Weder wurde eine entsprechend detaillierte eidesstattliche Versicherung abgegeben noch wurden Auszüge aus einem Postausgangsbuch vorgelegt. Vielmehr hat der Klägervertreter dargelegt, dass er kein Postausgangsbuch führe. Unter diesen Umständen hält das Gericht die Eintragung in einen einfachen Terminkalender nicht für ausreichend, die rechtzeitige Absendung des Einspruchsschreibens glaubhaft zu machen. Insbesondere kann eine solche Eintragung - bei fehlender Möglichkeit der Gegenprüfung in einem Postausgangsbuch - jederzeit auch erst nachträglich vorgenommen werden (vgl. zur Detailgenauigkeit der Nachweisanforderungen etwa BFH-Beschluss vom 24.1.2005 - III R 43/03, BFH/NV 2005, 1312). Schließlich spricht gegen die Glaubhaftigkeit der Einlassung des Klägervertreters auch, dass sich für das angeblich am 8.5.2007 mit der FK geführte Telefonat ebenfalls kein Hinweis aus den Akten ergibt.
Da die rechtzeitige Absendung des Einspruchsschreibens nicht glaubhaft gemacht wurde und sich der Kl das Verschulden seines Vertreters zurechnen lassen muss, scheidet eine Wiedereinsetzung in den vorigen Stand aus.
Ist ein Verwaltungsakt bestandskräftig, ist die Klage schon aus diesem Grund ohne weitere Sachprüfung als unbegründet abzuweisen (BFH, 20.9.1989 - X R 8/86, BFHE 158, 205, BStBl. II 1990, 177).