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Steuerrecht
26.03.2013
Steuerrecht
EuGH: Vorsteuerabzug für ästhetische Chirurgie

EuGH, Urteil vom 21.3.2013 - C-91/12, Skatteverket gegen PFC Clinic AB

Tenor

Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist wie folgt auszulegen:

-  Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, d. h. ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen, fallen unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen" oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Buchst. b bzw. Buchst. c dieser Vorschrift, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.

-  Die rein subjektive Vorstellung, die die Person, die sich einem ästhetischen Eingriff unterzieht, von diesem Eingriff hat, ist als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich.

-  Für die Beurteilung, ob Eingriffe wie die im Ausgangsverfahren unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen" oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen, ist es von Bedeutung, dass Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird.

-  Bei der Beurteilung, ob Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b oder c der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, sind sämtliche in diesem Abs. 1 Buchst. b und c hierfür aufgestellten Voraussetzungen sowie die sonstigen einschlägigen Vorschriften des Titels IX Kapitel 1 und 2 dieser Richtlinie, z. B. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und die Art. 131, 133 und 134 der Richtlinie, zu berücksichtigen.

Aus den Gründen

1

Das Vorabentscheidungsersuchen betrifft die Auslegung von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (ABl. L 347, S. 1, im Folgenden: Mehrwertsteuerrichtlinie).

2

Dieses Ersuchen ergeht im Rahmen eines Rechtsstreits zwischen dem in Schweden für die Erhebung der Mehrwertsteuer zuständigen Skatteverk und der PFC Clinic AB (im Folgenden: PFC) wegen der für den Besteuerungszeitraum Mai 2007 geschuldeten Mehrwertsteuer.

Rechtlicher Rahmen

Die Mehrwertsteuerrichtlinie

3

Die Mehrwertsteuerrichtlinie hat mit Wirkung ab 1. Januar 2007 die bisherige gemeinschaftliche Mehrwertsteuerregelung, insbesondere die Sechste Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern - Gemeinsames Mehrwertsteuersystem: einheitliche steuerpflichtige Bemessungsgrundlage (ABl. L 145, S. 1), aufgehoben und ersetzt.

4

Titel IX („Steuerbefreiungen") der Mehrwertsteuerrichtlinie enthält in seinem Kapitel 1 lediglich den Art. 131, der Folgendes bestimmt:

„Die Steuerbefreiungen der Kapitel 2 bis 9 werden unbeschadet sonstiger Gemeinschaftsvorschriften und unter den Bedingungen angewandt, die die Mitgliedstaaten zur Gewährleistung einer korrekten und einfachen Anwendung dieser Befreiungen und zur Verhinderung von Steuerhinterziehung, Steuerumgehung oder Missbrauch festlegen."

5

Titel IX Kapitel 2 („Steuerbefreiungen für bestimmte, dem Gemeinwohl dienende Tätigkeiten") umfasst die Art. 132 bis 134.

6

Art. 132 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt:

„Die Mitgliedstaaten befreien folgende Umsätze von der Steuer:

...

b) Krankenhausbehandlungen und ärztliche Heilbehandlungen sowie damit eng verbundene Umsätze, die von Einrichtungen des öffentlichen Rechts oder unter Bedingungen, welche mit den Bedingungen für diese Einrichtungen in sozialer Hinsicht vergleichbar sind, von Krankenanstalten, Zentren für ärztliche Heilbehandlung und Diagnostik und anderen ordnungsgemäß anerkannten Einrichtungen gleicher Art durchgeführt beziehungsweise bewirkt werden;

c) Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin, die im Rahmen der Ausübung der von dem betreffenden Mitgliedstaat definierten ärztlichen und arztähnlichen Berufe durchgeführt werden;

..."

7

Nach Art. 133 der Mehrwertsteuerrichtlinie können die Mitgliedstaaten im Einzelfall die Gewährung der Befreiung u. a. nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b für Einrichtungen, die keine Einrichtungen des öffentlichen Rechts sind, von der Erfüllung einer oder mehrerer der in Art. 133 genannten Bedingungen abhängig machen.

8

In Art. 134 der Mehrwertsteuerrichtlinie heißt es:

„In folgenden Fällen sind Lieferungen von Gegenständen und Dienstleistungen von der Steuerbefreiung des Artikels 132 Absatz 1 Buchstabe ... b ... ausgeschlossen:

a) sie sind für die Umsätze, für die die Steuerbefreiung gewährt wird, nicht unerlässlich;

b) sie sind im Wesentlichen dazu bestimmt, der Einrichtung zusätzliche Einnahmen durch Umsätze zu verschaffen, die in unmittelbarem Wettbewerb mit Umsätzen von der Mehrwertsteuer unterliegenden gewerblichen Unternehmen bewirkt werden."

9

Art. 173 der Mehrwertsteuerrichtlinie bestimmt, soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, dass nur der Teil der Mehrwertsteuer abgezogen werden darf, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt. Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs wird gemäß den Art. 174 und 175 der Richtlinie für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.

Die schwedische Regelung

10

Nach Kapitel III § 4 des Mervärdeskattelag (Mehrwertsteuergesetz) 1994:200 (im Folgenden: ML) sind ärztliche Heilbehandlungen, zahnärztliche Behandlungen und soziale Betreuung von der Mehrwertsteuerpflicht ausgenommen.

11

Ärztliche Heilbehandlungen sind nach Kapitel III § 5 ML Maßnahmen zur medizinischen Vorsorge, Diagnose oder Behandlung von Krankheiten, körperlichen Mängeln und Verletzungen sowie zur Geburtshilfe, wenn diese Maßnahmen in einem Krankenhaus oder einer anderen öffentlichen oder privaten Einrichtung oder einer geschlossenen Anstalt ausgeführt werden oder wenn die Maßnahmen sonst von einer Person ausgeführt werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist.

Ausgangsverfahren und Vorlagefragen

12

PFC bietet medizinische Leistungen auf dem Gebiet der ästhetisch-plastischen Chirurgie und entsprechende Behandlungen an. Das Unternehmen erbrachte in dem im Ausgangsverfahren fraglichen Zeitraum Leistungen sowohl in Form von Schönheitsoperationen als auch in Form von plastischer Chirurgie sowie bestimmte Hautpflegeleistungen.

13

PFC führt Eingriffe wie Brustvergrößerung, Brustverkleinerung, Bruststraffung, Bauchformung, Fettabsaugung, Gesichtsstraffung, Stirnstraffung, Operationen an Augen, Ohren und Nase sowie andere Maßnahmen der plastischen Chirurgie durch. Außerdem nimmt das Unternehmen Behandlungen wie dauerhafte Haarentfernung und Hautverjüngung mittels intensiv gepulsten Lichts, Behandlungen von Zellulitis sowie Botox- und Restylane-Injektionen vor.

14

PFC beantragte die Erstattung der Vorsteuer für Mai 2007. Das Skatteverk lehnte sowohl die Erstattung als auch den Abzug der Vorsteuer mit der Begründung ab, dass Mehrwertsteuer nicht für Umsätze erstattet werden könne, die von der Mehrwertsteuer befreit seien, und dass auch ein Vorsteuerabzug nicht in Betracht komme, da es sich sowohl bei der ästhetischen als auch bei der plastischen Chirurgie um ärztliche Heilbehandlungen handele, die von der Mehrwertsteuer befreit seien.

15

PFC erhob gegen diesen Bescheid des Skatteverk Klage beim Länsrätt i Stockholms län (Verwaltungsgericht Stockholm), das der Klage mit der Begründung stattgab, dass die Dienstleistungen dieses Unternehmens auf dem Gebiet der ästhetisch-plastischen Chirurgie sowie die ästhetischen Behandlungen keine ärztlichen Heilbehandlungen seien.

16

Das Skatteverk legte gegen das Urteil des Länsrätt i Stockholms län Berufung beim Kammarrätt i Stockholm (Oberverwaltungsgericht Stockholm) ein, das der Berufung teilweise mit der Begründung stattgab, dass Leistungen, bei denen es sich um plastische Operationen und Behandlungen handele oder die aus psychischen Gründen durchgeführt würden, von der Mehrwertsteuer befreite Umsätze seien, wenn sie von Personen erbracht würden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen seien.

17

Das Skatteverk legte gegen das Urteil beim Högsta förvaltningsdomstol Rechtsmittel ein und machte geltend, dass die von PFC durchgeführten ästhetischen und plastischen Operationen und Behandlungen ärztliche Heilbehandlungen gemäß Kapitel III § 4 ML seien und PFC deshalb für im Rahmen dieser Tätigkeit durchgeführte Erwerbungen nicht zum Vorsteuerabzug berechtigt sei.

18

Nach Ansicht des vorlegenden Gerichts dienten die durchgeführten Eingriffe in einigen Fällen der Behandlung von Patienten, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines körperlichen Mangels eine ästhetische Operation durchgeführt werden musste. In anderen Fällen seien die Eingriffe eher allein auf Wunsch des Patienten durchgeführt worden, um sein Aussehen zu verändern oder zu verbessern. Diese verschiedenen Maßnahmen seien unabhängig von ihrem Zweck aus medizinischer Sicht vergleichbare Leistungen, die vom gleichen Personal durchgeführt werden könnten.

19

Der Högsta förvaltningsdomstol wirft die Frage auf, wie im Rahmen von Leistungen medizinischer Art in Form von chirurgischen Maßnahmen und verschiedenen Behandlungen der im Ausgangsverfahren fraglichen Art die Ausdrücke „ärztliche Heilbehandlungen" und „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" zu verstehen sind. Das Gericht fragt sich insbesondere, ob diese Ausdrücke so zu verstehen sind, dass sie alle Arten chirurgischer Maßnahmen oder anderer ästhetischer Behandlungen umfassen, die von Ärzten oder anderen Personen, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen sind, durchgeführt werden, oder ob der mit den fraglichen Eingriffen verfolgte Zweck von maßgeblicher Bedeutung ist.

20

Unter diesen Umständen hat der Högsta förvaltningsdomstol das Verfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

1. Ist Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie so auszulegen, dass die dort aufgeführten Befreiungen von der Mehrwertsteuer Leistungen erfassen, die, wie im vorliegenden Rechtsstreit,

-  ästhetische Operationen,

-  ästhetische Behandlungen

darstellen?

2. Ist die Beurteilung davon abhängig, ob die Operation oder Behandlung zu dem Zweck durchgeführt wird, Krankheiten, körperlichen Mängeln oder Verletzungen vorzubeugen oder diese zu behandeln?

3. Ist, wenn dem Zweck Bedeutung beizumessen ist, die Vorstellung des Patienten vom Zweck der Behandlung zu berücksichtigen?

4. Ist es für diese Beurteilung von Bedeutung, ob die Maßnahme von einer Person durchgeführt wird, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder ob der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person festgelegt wird?

Zu den Vorlagefragen

21

Mit diesen Fragen, die zusammen zu behandeln sind, möchte das vorlegende Gericht wissen, ob Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie dahin auszulegen ist, dass Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, d. h. ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen, von der Mehrwertsteuer befreit sind.

22

Mit seiner zweiten Frage möchte das vorlegende Gericht insbesondere wissen, ob ein etwaiger vorbeugender oder therapeutischer Zweck derartiger Leistungen für die Beantwortung der ersten Frage, ob diese Leistungen von der Mehrwertsteuer befreit sind, eine Rolle spielt. Falls dies bejaht wird, möchte das vorlegende Gericht mit seiner dritten Frage wissen, ob für die Beurteilung, ob ein solcher Zweck gegeben ist, die subjektive Vorstellung der Leistungsempfänger von diesen Leistungen zu berücksichtigen ist. Mit der vierten Frage soll geklärt werden, ob es für die Beurteilung des Ausgangsrechtsstreits von Bedeutung ist, dass die fraglichen Leistungen von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist.

23

Die Begriffe, mit denen die in Art. 132 der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Steuerbefreiungen bezeichnet sind, sind eng auszulegen, weil diese Steuerbefreiungen Ausnahmen von dem Grundsatz darstellen, dass jede Dienstleistung, die ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt erbringt, der Mehrwertsteuer unterliegt. Die Auslegung dieser Begriffe muss jedoch mit den Zielen in Einklang stehen, die mit den Befreiungen verfolgt werden, und den Erfordernissen der steuerlichen Neutralität entsprechen. Daher entspricht es nicht dem Sinn dieser Regel einer engen Auslegung, wenn die zur Umschreibung der in Art. 132 genannten Befreiungen verwendeten Begriffe so ausgelegt werden, dass sie den Befreiungen ihre Wirkung nehmen (vgl. u. a. Urteil vom 10. Juni 2010, Future Health Technologies, C‑86/09, Slg. 2010, I‑5215, Randnr. 30 und die dort angeführte Rechtsprechung).

24

Was die Leistungen medizinischer Art angeht, ergibt sich in Analogie zur Rechtsprechung zur Richtlinie 77/388, dass die Buchst. b und c des Art. 132 Abs. 1 der Mehrwertsteuerrichtlinie, deren Anwendungsbereiche unterschiedlich sind, eine abschließende Regelung der Steuerbefreiungen für Leistungen der Heilbehandlung im engeren Sinne bezwecken (vgl. Urteil Future Health Technologies, Randnrn. 26, 27 und 36 sowie die dort angeführte Rechtsprechung). Art. 132 Abs. 1 Buchst. b dieser Richtlinie bezieht sich nämlich auf Leistungen, die in Krankenhäusern erbracht werden, während sich Art. 132 Abs. 1 Buchst. c auf diejenigen Heilbehandlungen bezieht, die außerhalb von Krankenhäusern, sei es in den Praxisräumen des Behandelnden, in der Wohnung des Patienten oder an einem anderen Ort, erbracht werden (vgl. in diesem Sinne Urteile vom 10. September 2002, Kügler, C‑141/00, Slg. 2002, I‑6833, Randnr. 36, sowie Future Health Technologies, Randnr. 36).

25

Sowohl der Begriff „ärztliche Heilbehandlung" in Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie als auch der Begriff „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" in Art. 132 Abs. 1 Buchst. c dieser Richtlinie erfassen daher Leistungen, die zur Diagnose, Behandlung und, so weit wie möglich, Heilung von Krankheiten oder Gesundheitsstörungen dienen (vgl. Urteil Future Health Technologies, Randnrn. 37 und 38).

26

Zwar müssen die „ärztlichen Heilbehandlungen" und die „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" einem therapeutischen Zweck dienen, doch folgt daraus nicht zwangsläufig, dass die therapeutische Zweckbestimmtheit einer Leistung in einem besonders engen Sinne zu verstehen ist (vgl. Urteil Future Health Technologies, Randnr. 40 und die dort angeführte Rechtsprechung).

27

Gemäß der Rechtsprechung des Gerichtshofs können Leistungen medizinischer Art, die zum Schutz einschließlich der Aufrechterhaltung oder Wiederherstellung der menschlichen Gesundheit erbracht werden, daher unter die Steuerbefreiungsregelung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen (vgl. Urteil Future Health Technologies, Randnrn. 41 und 42 sowie die dort angeführte Rechtsprechung).

28

Daraus folgt, dass der Zweck von Leistungen wie der im Ausgangsverfahren in Rede stehenden im Rahmen der Steuerbefreiung des Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie für die Beurteilung, ob diese Leistungen von der Mehrwertsteuer befreit sind, von Bedeutung ist. Diese Steuerbefreiung gilt nämlich für Leistungen, die dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen (vgl. in diesem Sinne auch Urteil Future Health Technologies, Randnr. 43).

29

Somit können Leistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, soweit sie dazu dienen, Personen zu behandeln oder zu heilen, bei denen aufgrund einer Krankheit, Verletzung oder eines angeborenen körperlichen Mangels ein Eingriff ästhetischer Natur erforderlich ist, unter die Begriffe „ärztliche Heilbehandlungen" oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b oder Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen. Wenn der Eingriff jedoch zu rein kosmetischen Zwecken erfolgt, fällt er nicht unter diese Begriffe.

30

Das Skatteverk ist jedoch der Ansicht, die Feststellung des Zwecks der betreffenden Operation oder Behandlung sei sowohl für die Dienstleister als auch für die Steuerbehörden äußerst schwierig und könnte zu „erheblichen Anwendungs- und Abgrenzungsproblemen" führen.

31

In Situationen wie der des Ausgangsverfahrens ist es tatsächlich möglich, dass ein und derselbe Steuerpflichtige sowohl steuerbefreite Tätigkeiten nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b oder c der Mehrwertsteuerrichtlinie als auch mehrwertsteuerpflichtige Tätigkeiten ausübt.

32

Eine derartige Situation ist jedoch in der Richtlinie ausdrücklich vorgesehen und in den Art. 173 ff. geregelt. Art. 173 der Richtlinie bestimmt, soweit Gegenstände und Dienstleistungen von einem Steuerpflichtigen sowohl für Umsätze verwendet werden, für die ein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, als auch für Umsätze, für die kein Recht auf Vorsteuerabzug besteht, dass nur der Teil der Mehrwertsteuer abgezogen werden darf, der auf den Betrag der erstgenannten Umsätze entfällt. Der Pro-rata-Satz des Vorsteuerabzugs wird gemäß den Art. 174 und 175 der Mehrwertsteuerrichtlinie für die Gesamtheit der vom Steuerpflichtigen bewirkten Umsätze festgelegt.

33

Hinsichtlich der dritten Frage, ob die subjektive Vorstellung, die Leistungsempfänger wie die im Ausgangsverfahren von diesen Leistungen haben, für die Beurteilung des Zwecks eines bestimmten Eingriffs von Belang ist, ergibt sich aus der Rechtsprechung, dass gesundheitliche Probleme, die nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie unter die von der Mehrwertsteuer befreiten Eingriffe fallen, psychologischer Art sein können (vgl. in diesem Sinne u. a. Urteile vom 6. November 2003, Dornier, C‑45/01, Slg. 2003, I‑12911, Randnr. 50, und vom 27. April 2006, Solleveld und van den Hout-van Eijnsbergen, C‑443/04 und C‑444/04, Slg. 2006, I‑3617, Randnrn. 16 und 24).

34

Die rein subjektive Vorstellung, die die Person, die sich einem ästhetischen Eingriff unterzieht, von diesem Eingriff hat, ist als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich.

35

Da es hierbei um die Beurteilung einer medizinischen Frage geht, muss sie auf medizinischen Feststellungen beruhen, die von dem entsprechenden Fachpersonal getroffen worden sind.

36

Daraus folgt für die vierte Frage, dass es für die Beurteilung, ob Eingriffe wie die im Ausgangsverfahren unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen" oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen, von Bedeutung ist, dass Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird.

37

Um die Vorlagefragen vollständig zu beantworten, ist darauf hinzuweisen, dass bei der Beurteilung, ob Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b oder c der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, sämtliche in diesem Abs. 1 Buchst. b und c hierfür aufgestellten Voraussetzungen sowie die sonstigen einschlägigen Vorschriften des Titels IX Kapitel 1 und 2 dieser Richtlinie zu berücksichtigen sind (vgl. entsprechend insbesondere Urteil vom 10. Juni 2010, CopyGene, C‑262/08, Slg. 2010, I‑5053, Randnr. 37), und es ist nicht allein darauf abzustellen, ob diese Dienstleistungen unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen" oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bzw. Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen.

38

Insbesondere sind im Fall der nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b der Mehrwertsteuerrichtlinie vorgesehenen Steuerbefreiung gegebenenfalls neben dem vollständigen Wortlaut dieser Vorschrift die Art. 131, 133 und 134 dieser Richtlinie zu berücksichtigen.

39

Nach alledem ist auf die Vorlagefragen zu antworten, dass Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und c der Mehrwertsteuerrichtlinie wie folgt auszulegen ist:

-  Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden, d. h. ästhetische Operationen und ästhetische Behandlungen, fallen unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen" oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Buchst. b bzw. Buchst. c dieser Vorschrift, wenn diese Leistungen dazu dienen, Krankheiten oder Gesundheitsstörungen zu diagnostizieren, zu behandeln oder zu heilen oder die Gesundheit zu schützen, aufrechtzuerhalten oder wiederherzustellen.

-  Die rein subjektive Vorstellung, die die Person, die sich einem ästhetischen Eingriff unterzieht, von diesem Eingriff hat, ist als solche für die Beurteilung, ob der Eingriff einem therapeutischen Zweck dient, nicht maßgeblich.

-  Für die Beurteilung, ob Eingriffe wie die im Ausgangsverfahren unter den Begriff „ärztliche Heilbehandlungen" oder „Heilbehandlungen im Bereich der Humanmedizin" im Sinne von Art. 132 Abs. 1 Buchst. b bzw. Art. 132 Abs. 1 Buchst. c der Mehrwertsteuerrichtlinie fallen, ist es von Bedeutung, dass Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehenden von einer Person erbracht werden, die zur Ausübung eines Heilberufs zugelassen ist, oder dass der Zweck des Eingriffs von einer solchen Person bestimmt wird.

-  Bei der Beurteilung, ob Dienstleistungen wie die im Ausgangsverfahren fraglichen nach Art. 132 Abs. 1 Buchst. b oder c der Mehrwertsteuerrichtlinie von der Mehrwertsteuer befreit sind, sind sämtliche in diesem Abs. 1 Buchst. b und c hierfür aufgestellten Voraussetzungen sowie die sonstigen einschlägigen Vorschriften des Titels IX Kapitel 1 und 2 dieser Richtlinie, z. B. Art. 132 Abs. 1 Buchst. b und die Art. 131, 133 und 134 der Richtlinie, zu berücksichtigen.

Kosten

40

Für die Parteien des Ausgangsverfahrens ist das Verfahren ein Zwischenstreit in dem bei dem vorlegenden Gericht anhängigen Rechtsstreit; die Kostenentscheidung ist daher Sache dieses Gerichts. Die Auslagen anderer Beteiligter für die Abgabe von Erklärungen vor dem Gerichtshof sind nicht erstattungsfähig.

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