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Steuerrecht
13.12.2013
Steuerrecht
FG Niedersachsen: Unberechtigter Steuerausweis in Gutschriften

FG Niedersachsen, Urteil vom 9.10.2013 - 5 K 319/12


Leitsatz


Sofern Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen wird, fallen auch Gutschriften gegenüber Nichtunternehmern oder über nicht ausgeführte Leistungen unter § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG.


§ 14 Abs 2 S 2 UStG, § 14c Abs 2 S 2 UStG


Sachverhalt


Streitig ist die Steuerschuld für den unberechtigten Ausweis von Umsatzsteuer in Gutschriften.


Der Kläger meldete zum 01.02.2008 bei der Gemeinde H. ein Gewerbe „Abbau und Entsorgung von nicht mehr benötigten Messeständen" an. Im Fragebogen zur steuerlichen Erfassung benannte der Kläger sein Gewerbe mit „An- und Verkauf von Metall und Maschinen".


Für die Voranmeldungszeiträume Januar bis April 2009 gab der Kläger Umsatzsteuer-Voranmeldungen über 0,-- € ab. Umsatzsteuererklärungen für 2008 und 2009 wurden nicht eingereicht. Am 06.10.2009 meldete der Kläger sein Gewerbe bei der Gemeinde ab.


Für den Streitzeitraum erklärte der Kläger nur Einkünfte aus nichtselbständiger Tätigkeit. Er war und ist bis heute in Vollzeit bei einer Spedition tätig. Nebenberuflich arbeitete er als Türsteher einer Diskothek.


Das Finanzamt erhielt Kontrollmaterial, aus dem hervorging, dass 2008 und 2009 unter dem Namen des Klägers in erheblichem Umfang Ablieferungen von Schrott und (Alt-)Metallen bei vier Recyclingunternehmen getätigt wurden. In den Abrechnungen (Gutschriften) der Recyclingunternehmen mit dem Kläger wurde stets Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen.


Der Beklagte führte daraufhin für die Voranmeldungszeiträume Januar bis April 2009 eine Umsatzsteuer-Sonderprüfung durch und ermittelte daneben gemäß § 88 AO den Sachverhalt für 2008. Dabei kam er zu der Erkenntnis, dass der Kläger nicht selbst als Unternehmer tätig gewesen sei, sondern als Strohmann (sog. „Schreiber") fungiert habe. Der Kläger habe Dritten seinen Namen und sein Gewerbe für deren Ablieferungen zur Verfügung gestellt. Der Kläger habe Gutschriften für Schrottlieferungen unterschrieben, den Kaufpreis incl. Umsatzsteuer entgegengenommen und das Geld an namentlich nicht bekannte Hintermänner weitergeleitet. Vor den Lieferungen des Schrotts sei der Kläger jeweils von den Hintermännern telefonisch kontaktiert und z.B. zur Fa. M. bestellt worden, wo er von deren Mitarbeitern bereits erwartet worden sei.


Dies alles räumte der Kläger ein. Als Hintermann bzw. Kontaktmann habe sich ihm gegenüber ein Türke aus Hamburg unter dem Namen B. vorgestellt. Diesen habe er in der Diskothek kennengelernt. Der Türke habe ihm erklärt, er würde ihm etwas verkaufen und zum selben Preis weiterverkaufen. Dies ginge „plus minus null" auf. Deshalb habe der Kläger „irgendwas" unterschrieben und pro Unterschrift ein sog. Handgeld von 100 € erhalten.


Aufgrund der oben genannten Feststellungen gelangte das Finanzamt zu der Auffassung, dass der Kläger die in den Gutschriften unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer als Gutschriftempfänger nach § 14c Abs. 2 UStG schulde. Es erließ daher am 21.04.2010 Bescheide über die Festsetzung der Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Januar 2009 bis April 2009 und am 22.04.2010 einen Bescheid für 2008 über Umsatzsteuer.


Im Einspruchsverfahren konnte nachgewiesen werden, dass bei Abrechnungen mit drei der vier Recyclingunternehmen keine Gefährdung des Steueraufkommens mehr bestand, nachdem die Vorsteuern von diesen (drei) Recyclingunternehmen zurückgefordert werden konnten. Dementsprechend änderte der Beklagte im Einspruchsbescheid vom 25.10.2012 die Steuerfestsetzung nach § 14c Abs. 2 UStG insoweit zugunsten des Klägers ab, als die Umsatzsteuer für 2008 von 264.083,04 € auf 225.938,16 € herabgesetzt wurde. Die Umsatzsteuer für 2009 wurde im Einspruchsbescheid in Höhe von 84.256,98 € festgesetzt, d. h., die bisher als Umsatzsteuer-Vorauszahlungen für Januar bis April festgesetzte Umsatzsteuer von insgesamt 100.309,24 € wurde im Rahmen der Jahresfestsetzung für 2009 auf 84.256,98 € vermindert.


Streitig sind noch die Abrechnungen betreffend die Fa. M., wo eine Rückforderung der Vorsteuern scheiterte.


Der Kläger trägt vor, auch diese Abrechnungen erfüllten nicht den Tatbestand des § 14c Abs. 2 UStG. Nach übereinstimmender Kommentarmeinung sei die Anwendung von § 14c Abs. 2 UStG auf Gutschriften zumindest eingeschränkt. Ob die Erteilung einer Gutschrift an einen Nichtunternehmer zu dessen Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG führe, sei danach fraglich. Der Wortlaut dieser Vorschrift lasse eine Anwendung auf Gutschriften nur zu, soweit die Beteiligten vorher dieses Abrechnungsverfahren vereinbart und auch Kenntnis vom Widerrufsrecht gehabt hätten. Jedenfalls bei geschäftsunerfahrenen Nichtunternehmern dürfe man dies nicht voraussetzen. Aus dem Protokoll der Vernehmung des Klägers durch das Finanzamt für Fahndung und Strafsachen Lüneburg vom 25.09.2009 ergebe sich, dass dieser als Nichtunternehmer erkennbar keine Kenntnis von der Wirkung und Bedeutung seiner Unterschriften gehabt habe.


In den Fällen des unberechtigten Steuerausweises setze die Inanspruchnahme des Empfängers einer Gutschrift zudem voraus, dass dieser an der Erstellung der Gutschrift unter Einbeziehung der Grundsätze der Stellvertretung mitgewirkt habe. Dies könne angesichts der unstreitigen Unwissenheit des Klägers nicht angenommen werden.


Ausdrücklich verweist der Kläger schließlich auf die Rechtsauffassung von Stadie (z. B. in Rau/Dürrwächter, UStG, § 14c Rz. 100), wonach Gutschriften gegenüber Nichtunternehmern oder über nicht ausgeführte Leistungen nicht unter § 14 Abs. 2 Satz 2 UStG fallen und damit gerade nicht als Rechnungen anzusehen seien. § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG sei nicht einschlägig, weil dieser eine Abrechnung „wie ein leistender Unternehmer" voraussetze.


Der Kläger beantragt,


den Umsatzsteuerbescheid 2008 vom 22. April 2010 und den dazu ergangenen Einspruchsbescheid vom 25. Oktober 2012 sowie den Umsatzsteuerbescheid 2009 vom 25. Oktober 2012 aufzuheben.


Der Beklagte beantragt,


die Klage abzuweisen.


Er trägt vor, es sei nicht einleuchtend, dass die Gutschrifterteilung an einen Nichtunternehmer nicht zu dessen Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG führen solle. Eine Gefährdung des Steueraufkommens bestehe hier wie in allen übrigen Fällen. Diese Auslegung entspreche auch dem Gesetzeszweck, der auf die Sicherung des Steueraufkommens gerichtet sei. Der Rechtsprechung lasse sich nicht entnehmen, dass die Kenntnis des Widerrufsrechts o. ä. Relevanz für die Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG zukommen könne.


Im Schrifttum werde die Auffassung bestätigt, dass die Gutschrifterteilung an einen Nichtunternehmer zu dessen Steuerschuld nach § 14c Abs. 2 UStG führe (Widmann in      Plückebaum/Malitzky, UStG, § 14c Rz 14, 15, 19 und 20 sowie Leplow, Praxis Steuerstrafrecht - PStR - 2010, 38 ff.).


Zu berücksichtigen sei auch, dass dem Kläger aufgrund der „Handgelder" und der außergewöhnlichen Umstände klar gewesen sein müsste, dass er an illegalen Handlungen teilnahm. Wenn ihm schon nicht das Widerrufsrecht als solches bekannt gewesen sei, so sei es ihm zumindest zuzumuten gewesen, die Sach- und Rechtslage zu prüfen bzw. bei einem Steuerberater oder dem Finanzamt Auskünfte einzuholen. Dies habe der Kläger aber nicht getan. Vielmehr sei Zweck der Aktionen gewesen, anderen unrechtmäßig einen Vorsteuerabzug zu verschaffen. Hierfür sei die Nichtausübung des Widerrufsrechts unerlässliche Voraussetzung gewesen. Aus dem Geschehensablauf (telefonische Kontaktaufnahme, Treffen bei der Fa. M. etc.) gehe auch hervor, dass die Abrechnung mittels Gutschrift vorher vereinbart worden sei.


Aus den Gründen


Die Klage ist unbegründet.


1. Der Beklagte hat zu Recht entschieden, dass der Kläger die Umsatzsteuer aus den streitigen Gutschriften nach § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG i. V. m. § 13 Abs. 1 Nr. 4 UStG schuldet.


Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist, schuldet den ausgewiesenen Betrag (§ 14c Abs. 2 Satz 1 UStG). Das Gleiche gilt, wenn jemand wie ein leistender Unternehmer abrechnet und einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er nicht Unternehmer ist oder eine Lieferung oder sonstige Leistung nicht ausführt (§ 14c Abs. 2 Satz 2 UStG). § 14c Abs. 2 UStG "beruht" auf Art. 203 MwStSystRL. Nach dieser Bestimmung schuldet "jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist", diese Steuer.


a) Zweck der Regelungen in § 14c Abs. 2 UStG sowie in Art. 203 MwStSystRL ist es, Missbräuche durch Ausstellung von Rechnungen mit offenem Steuerausweis zu verhindern (vgl. zu § 14 Abs. 3 UStG a. F. bzw. Art. 21 Nr. 1 Buchst. c der Richtlinie 77/388/EWG: BFH-Urteile vom 30. Januar 2003 V R 98/01, BStBl II 2003, 498; vom 30. März 2006 V R 46/03, BFH/NV 2006, 1365; Urteil des EuGH vom 19. September 2000 C-454/98, Schmeink & Cofreth/Manfred Strobel, BFH/NV Beilage 2001, 33). Dementsprechend ist die Vorschrift als Gefährdungstatbestand ausgestaltet. Derjenige, der mit einer Rechnung das Umsatzsteueraufkommen gefährdet oder schädigt, muss hierfür einstehen. Auf ein vorwerfbares Verhalten kommt es nicht an. Der gesetzliche Tatbestand verlangt weder, dass der Aussteller der Rechnung deren missbräuchliche Verwendung durch den Rechnungsempfänger kennt, noch ist eine dahin gehende Absicht erforderlich (ständige Rechtsprechung, vgl. z. B. BFH-Urteile vom 30. Januar 2003 V R 98/01, BStBl II 2003, 498; vom 7. April 2011 V R 44/09, BStBl II 2011, 954).


b) Die in einer Rechnung als Aussteller bezeichnete Person kann allerdings nur dann in Anspruch genommen werden, wenn sie in irgendeiner Weise an der Erstellung der Urkunde mitgewirkt hat oder wenn ihr die Ausstellung zuzurechnen ist (BFH-Urteil vom 7. April 2011 V R 44/09, BStBl II 2011, 954). Für Rechnungen sind die für Rechtsgeschäfte geltenden Regelungen entsprechend anwendbar. Aussteller einer Rechnung ist daher  - entgegen der Auffassung der Klägerin - nicht nur, wer die betreffende Rechnung eigenhändig erstellt hat. Vielmehr sind insoweit die zum Recht der Stellvertretung entwickelten Grundsätze zur Anscheins- oder Duldungsvollmacht zu beachten (BFH-Urteil vom 7. April 2011 V R 44/09, BStBl II 2011, 954 m. w. N.).


In Übereinstimmung mit diesen Grundsätzen schuldet daher nach der Rechtsprechung des BFH derjenige, der die offen ausgewiesene Umsatzsteuer nach § 14 Abs. 3 UStG a. F. bzw. § 14c Abs. 2 UStG, - ohne Unternehmer zu sein und Lieferungen oder sonstige Leistungen auszuführen - einem Dritten mit seiner Unterschrift und seinem Stempelaufdruck versehene Blankogeschäftsbriefbögen überlässt (BFH-Urteil vom 7. April 2011 V R 44/09, BStBl II 2011, 954).


c) Für Gutschriften kann im Ergebnis nichts anderes gelten. Die im Schrifttum vertretene Auffassung, wonach Gutschriften gegenüber Nichtunternehmern oder über nicht ausgeführte Leistungen nicht unter § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG fallen (Stadie, UStG, 2. Auflage 2012, § 14 c Rz. 21; ders. in Rau/Dürrwächter, UStG, § 14c Rz. 100; Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, UStG, § 14c Rz. 87), überzeugt den Senat nicht.


Zwar verlangt § 14c Abs. 2 UStG eine Abrechnung „wie ein leistender Unternehmer". Der Wortlaut der Vorschrift steht der Anwendung auf Gutschriften gegenüber Nichtunternehmern aber jedenfalls dann nicht entgegen, wenn die Beteiligten zuvor dieses Abrechnungsverfahren vereinbart haben (Wagner in Sölch/Ringleb, UStG, § 14c Rz. 153). Wer zulässt, dass ein Dritter Scheingutschriften an ihn ausstellt, die abstrakt die Gefahr begründen, dass der Aussteller den Vorsteuerabzug hieraus geltend macht, wird sich der Inanspruchnahme durch § 14c Abs. 2 UStG nicht entziehen können (Bunjes/Korn, UStG, 11. Auflage, § 14c Rz 5).


d) Der Senat geht - wie der Beklagte - davon aus, dass im Streitfall eine Abrechnung mittels Gutschrift vereinbart war. Auch wenn dem Kläger sicherlich nicht die Einzelheiten des Abrechnungsverfahren mittels Gutschrift bekannt waren, so war ihm doch aufgrund des kollusiven Zusammenwirkens mit dem türkischen Hintermann bzw. Kontaktmann klar und bewusst, dass sein Name, sein Gewerbe sowie seine (regelmäßige) Anwesenheit bei den Abrechnungen benötigt wurden, um anderen (hier der Fa. M.) einen unrechtmäßigen steuerlichen Vorteil (Vorsteuerabzug) zu verschaffen. Anderenfalls hätte auch keine Notwendigkeit zur Zahlung der „Handgelder" bestanden. Der Kläger hat nicht nur geduldet, dass auf seinen Namen abgerechnet wird, sondern hieran sogar aktiv mitgewirkt, z. B. durch das persönliche Erscheinen bei der Fa. M., die Entgegennahme und das Weitergeben des Entgelts sowie das (regelmäßige) Unterschreiben der Gutschriften. Der Vorsteuerausweis mittels Gutschrift war gerade der Zweck der „Ablieferungen", die über einen längeren Zeitraum kontinuierlich stattfanden.


Dem Kläger war unter Berücksichtigung der Parallelwertung in der Laiensphäre auch bekannt und bewusst, dass ein Widerruf der erteilten Abrechnungen auch Auswirkungen auf den Vorsteuerabzug der Fa. M. gehabt hätte.


Im Ergebnis fallen daher auch die gegenüber dem Kläger als Nichtunternehmer erteilten Gutschriften unter § 14c Abs. 2 Satz 2 UStG mit der Folge, dass dieser die in den Abrechnungen unberechtigt ausgewiesene Umsatzsteuer schuldet.


2. Die Kostenentscheidung folgt aus § 135 Abs. 1 FGO.


3. Die Revision wird gemäß § 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO zugelassen.

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