BFH: Unberechtigter Steuerausweis bei Kleinbetragsrechnungen eines Kleinunternehmers - Methoden zur Auslegung einer Rechtsnorm
BFH, Urteil vom 25.9.2013 - XI R 41/12
Leitsätze
Weist ein zum gesonderten Steuerausweis nicht berechtigter Kleinunternehmer in einer sog. "Kleinbetragsrechnung" das Entgelt und den darauf entfallenden Steuerbetrag für eine Lieferung oder sonstige Leistung in einer Summe sowie den anzuwendenden Steuersatz aus, schuldet er den sich aus einer Aufteilung des in einer Summe angegebenen Rechnungsbetrags in Entgelt und Steuerbetrag ergebenden Steuerbetrag jedenfalls dann gemäß § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG, wenn die Kleinbetragsrechnung alle in § 33 Satz 1 UStDV genannten Angaben enthält und deshalb vom Leistungsempfänger gemäß § 35 Abs. 1 UStDV für Zwecke des Vorsteuerabzugs verwendet werden kann.
Sachverhalt
I. Der Kläger und Revisionsbeklagte (Kläger) betreibt einen Handel mit Elektrogeräten und eine Reparaturwerkstatt. Er machte nach den tatsächlichen Feststellungen des Finanzgerichts (FG) seit dem Jahr 1999 von der sog. "Kleinunternehmerregelung" des § 19 des Umsatzsteuergesetzes (UStG) Gebrauch. In den Jahren 2004 und 2005 (Streitjahre) führte er Umsätze mit einer Bemessungsgrundlage in Höhe von 16.569 EUR (2004) bzw. 19.520 EUR (2005) aus.
Durch eine Kontrollmitteilung erhielt der Beklagte und Revisionskläger (das Finanzamt --FA--) Kenntnis davon, dass der Kläger in den Streitjahren über die von ihm erbrachten Reparaturleistungen mit Hilfe eines Quittungsblocks "Quittungen" ausgestellt hatte, in denen er in der Zeile "Gesamt EUR" einen Bruttobetrag eintrug. In der Zeile "+ % MwSt./EUR" ergänzte der Kläger handschriftlich "inkl. 16"; einen Steuerbetrag trug er dort allerdings nicht ein. Die Zeile "Netto EUR" blieb gänzlich unausgefüllt. Die Quittungen hatten danach folgendes Erscheinungsbild:
A.-Nr. XXX/XXX/XXXXX |
|
| |||
| ||||
|
| |||
|
| |||
| ||||
| ||||
| ||||
| ||||
Nach Durchführung einer Außenprüfung beim Kläger vertrat das FA die Auffassung, dass der Kläger in den Rechnungen, soweit es sich um Kleinbetragsrechnungen (§ 33 der Umsatzsteuer-Durchführungsverordnung --UStDV--) gehandelt habe, i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG unberechtigt Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen habe. Es setzte in den nach § 164 Abs. 2 der Abgabenordnung geänderten Umsatzsteuerbescheiden für 2004 und 2005 vom 16. Dezember 2009 insoweit Umsatzsteuer nach § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG fest.
Den Einspruch des Klägers, mit dem er unter Hinweis auf das Urteil des Hessischen FG vom 25. Juni 2009 6 K 565/09 (Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2009, 1789) vorbrachte, die bloße Angabe des Steuersatzes und des Bruttobetrags (Entgelt und Steuerbetrag in einer Summe) sei kein unberechtigter Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG, wies das FA durch Einspruchsentscheidung vom 13. Juli 2010 als unbegründet zurück. Es verwies zur Begründung auf Abschn. 190d Abs. 1 Satz 5 der Umsatzsteuer-Richtlinien (UStR; jetzt Abschn. 14c.2. Abs. 1 Satz 5 des Umsatzsteuer-Anwendungserlasses --UStAE--), wonach bei Kleinbetragsrechnungen (§ 33 UStDV) der angegebene Steuersatz die Wirkung des gesonderten Ausweises einer Steuer habe.
Die Klage hatte Erfolg. Das FG vertrat die Auffassung, der Kläger schulde die vom FA festgesetzte Umsatzsteuer nicht gemäß § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG, weil er in seinen Rechnungen keine Umsatzsteuer gesondert ausgewiesen habe. Der Kläger habe keinen Geldbetrag genannt und als Steuerbetrag gekennzeichnet. Allein die Angabe des maßgeblichen Steuersatzes, mit dessen Hilfe der Leistungsempfänger den Steuerbetrag gemäß § 35 Abs. 1 UStDV selbst errechnen und als Vorsteuer abziehen könne, genüge hierfür nicht. Solle in derartigen Fällen ein Missbrauch verhindert werden, sei eine dahingehende ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich. Das Urteil des FG ist in EFG 2013, 1278 veröffentlicht.
Mit seiner Revision rügt das FA Verletzung materiellen Rechts (§ 14c Abs. 2 Satz 1 UStG). Beim Kleinunternehmer werde keine Umsatzsteuer erhoben und folgerichtig dürfe er in seinen Rechnungen keine zum Vorsteuerabzug berechtigende Umsatzsteuer ausweisen. Es reiche gemäß § 35 Abs. 1 UStDV für einen Vorsteuerabzug des Leistungsempfängers aus Kleinbetragsrechnungen i.S. des § 33 UStDV aus, dass der Leistende, hier der Kläger, das Entgelt und den Steuerbetrag in einer Summe angebe und der anzuwendende Steuersatz (hier: 16 %) aufgeführt sei. Die Leistungsempfänger müssten dann davon ausgehen, dass sie den Vorsteuerabzug vornehmen dürfen. Um dies zu verhindern, müsse auf die Kleinbetragsrechnungen des Klägers § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG Anwendung finden.
Das FA beantragt,
die Vorentscheidung aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Revision als unbegründet zurückzuweisen.
Er hält die Vorentscheidung für zutreffend und macht geltend, der Gesetzgeber habe den Kleinunternehmern in § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG nur den gesonderten Steuerausweis, aber nicht die Ausstellung von Kleinbetragsrechnungen untersagt. Auch die Finanzverwaltung gehe in Abschn. 14c.2. Abs. 1 Satz 5 UStAE davon aus, dass in Fällen der vorliegenden Art kein gesonderter Steuerausweis vorliege, sondern schreibe der Angabe des Steuersatzes lediglich "die Wirkung" des gesonderten Ausweises zu. Dies sei nicht geeignet, um die Voraussetzungen des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG zu begründen oder zu erweitern. Eine Auslegung der Vorschrift über ihren Wortlaut hinaus sei nicht möglich; wenn das UStG ein und denselben Ausdruck in § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG und § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG verwende, sei davon auszugehen, dass die Begriffe gleich zu verstehen seien.
Aus den Gründen
10 II. Die Revision ist begründet; sie führt zur Aufhebung der Vorentscheidung und zur Abweisung der Klage (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 1 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Entgegen der Auffassung des FG liegen die Voraussetzungen des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG im Streitfall vor.
11 1. Wer in einer Rechnung einen Steuerbetrag gesondert ausweist, obwohl er zum gesonderten Ausweis der Steuer nicht berechtigt ist (unberechtigter Steuerausweis), schuldet nach § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG den ausgewiesenen Betrag. Diese Vorschrift gilt auch für einen Kleinunternehmer i.S. des § 19 UStG, also für einen Unternehmer, der die Umsatzgrenzen des § 19 Abs. 1 Sätze 1 und 2 UStG nicht überschritten hat und deshalb gemäß § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG keine Umsatzsteuer zu entrichten braucht. Dies stellt § 19 Abs. 1 Satz 3 UStG --wonach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG (Nichterhebung der Umsatzsteuer) u.a. nicht für die nach § 14c Abs. 2 UStG geschuldete Steuer gilt-- ausdrücklich klar (vgl. Beschluss des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 9. März 2009 XI B 87/08, juris) und ergibt sich auch aus der Gesetzesbegründung zu § 14c Abs. 2 UStG (vgl. BRDrucks 630/03, 84). Ein Kleinunternehmer darf keine Umsatzsteuer gesondert ausweisen (§ 19 Abs. 1 Satz 4 UStG).
12 a) Zweck des § 14c UStG als Gefährdungstatbestand ist es, Missbrauch durch Ausstellung von Rechnungen zu verhindern und der Gefährdung des Umsatzsteueraufkommens durch ein Ungleichgewicht von Steuer und Vorsteuerabzug zu begegnen (vgl. BFH-Urteil vom 17. Februar 2011 V R 39/09, BFHE 233, 94, BStBl II 2011, 734, Rz 23) sowie die unberechtigte Ausgabe von Abrechnungen mit gesondert ausgewiesener Steuer zu verhindern, die eine Gefährdung des Steueraufkommens dadurch herbeiführt, dass der Empfänger der Abrechnung in den Stand versetzt wird, unberechtigt einen Vorsteuerabzug vorzunehmen (vgl. bereits BFH-Urteile vom 8. Dezember 1988 V R 28/84, BFHE 155, 427, BStBl II 1989, 250, unter II.2.; vom 28. Januar 1993 V R 75/88, BFHE 171, 94, BStBl II 1993, 357, unter II.1.a; vom 24. September 1998 V R 18/98, BFH/NV 1999, 525). Derjenige, der mit einer Rechnung (§ 14 Abs. 4 UStG) oder einer anderen Urkunde das Umsatzsteueraufkommen gefährdet oder schädigt, muss hierfür einstehen (BFH-Urteil vom 7. April 2011 V R 44/09, BFHE 234, 430, BStBl II 2011, 954).
13 b) § 14c UStG beruhte in den Streitjahren unionsrechtlich auf Art. 21 Abs. 1 Buchst. d der Sechsten Richtlinie 77/388/EWG des Rates vom 17. Mai 1977 zur Harmonisierung der Rechtsvorschriften der Mitgliedstaaten über die Umsatzsteuern (Richtlinie 77/388/EWG; jetzt Art. 203 der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem), wonach jede Person, die die Mehrwertsteuer in einer Rechnung ausweist, die Mehrwertsteuer schuldet. Auch damit soll einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegengewirkt werden, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann (vgl. Urteile des Gerichtshofs der Europäischen Union vom 19. September 2000 C-454/98 --Schmeink & Cofreth und Strobel--, Slg. 2000, I-6973, BFH/NV Beilage 2001, 33, Rz 57 und 61; vom 6. November 2003 C-78/02 bis C-80/02 --Karageorgou u.a.--, Slg. 2003, I-13295, BFH/NV Beilage 2004, 48, Rz 50 und 53; vom 18. Juni 2009 C-566/07 --Stadeco BV--, Slg. 2009, I-5295, BFH/NV 2009, 1371, Rz 28; vom 31. Januar 2013 C-643/11 --LVK--, Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2013, 346, Höchstrichterliche Finanzrechtsprechung 2013, 361, m. Anm. Klenk; vom 11. April 2013 C-138/12 --Rusedespred OOD--, UR 2013, 432, Mehrwertsteuerrecht --MwStR-- 2013, 234, Rz 23 f.).
14 c) Führt ein Unternehmer eine Lieferung oder sonstige Leistung aus, ist er nach § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 2 Satz 1 UStG berechtigt, eine Rechnung auszustellen; in den Fällen des § 14 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 Satz 2 UStG ist er --von hier nicht vorliegenden Ausnahmen abgesehen-- sogar verpflichtet, innerhalb von sechs Monaten nach Ausführung der Leistung eine Rechnung auszustellen. Dies gilt auch für "Kleinunternehmer" i.S. des § 19 UStG; denn die Vorschrift des § 14 Abs. 2 UStG wird durch § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG nicht ausgeschlossen.
15 d) Nach § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG muss eine Rechnung u.a. den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag enthalten. Diese Vorschrift beruhte in den Streitjahren auf Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG, der bestimmte, dass eine Rechnung u.a. den zu zahlenden Steuerbetrag enthalten muss, außer bei einer Anwendung einer speziellen Regelung, bei der nach der Richtlinie 77/388/EWG eine solche Angabe ausgeschlossen wird.
16 e) Allerdings wird das Bundesministerium der Finanzen durch § 14 Abs. 6 UStG ermächtigt, durch Rechtsverordnung u.a. zu bestimmen, in welchen Fällen und unter welchen Voraussetzungen Rechnungen bestimmte Angaben nach § 14 Abs. 4 UStG nicht enthalten müssen (§ 14 Abs. 6 Nr. 3 UStG).
17 In Ausübung dieser Befugnis ist in § 33 Satz 1 Nr. 4 UStDV in der in den Streitjahren geltenden Fassung für steuerpflichtige Lieferungen oder sonstige Leistungen u.a. bestimmt, dass eine Rechnung, deren Gesamtbetrag 100 EUR (jetzt: 150 EUR) nicht übersteigt, mindestens das Entgelt und den darauf entfallenden Steuerbetrag in einer Summe sowie den anzuwendenden Steuersatz enthalten muss. Gleichzeitig wurde in § 15 Abs. 5 Nr. 1 UStG i.V.m. § 35 Abs. 1 UStDV bestimmt, dass bei Rechnungen i.S. des § 33 UStDV der Unternehmer (Leistungsempfänger) den Vorsteuerabzug in Anspruch nehmen darf, wenn er den Rechnungsbetrag in Entgelt und Steuerbetrag aufteilt.
18 Unionsrechtliche Ermächtigung zum Erlass von § 14 Abs. 6 Nr. 3 i.V.m. § 33 Satz 1 Nr. 4 UStDV war in den Streitjahren Art. 22 Abs. 9 Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG i.d.F. der Richtlinie 2001/115/EG des Rates vom 20. Dezember 2001 zur Änderung der Richtlinie 77/388/EWG mit dem Ziel der Vereinfachung, Modernisierung und Harmonisierung der mehrwertsteuerlichen Anforderungen an die Rechnungsstellung, der bestimmte:
19 "d) ... die Mitgliedstaaten (können) bei Rechnungen für in ihrem Hoheitsgebiet bewirkte Lieferungen von Gegenständen oder Dienstleistungen vorsehen, dass diese Rechnungen in folgenden Fällen bestimmte Angaben nach Absatz 3 Buchstabe b) nicht enthalten müssen,
- wenn der Rechnungsbetrag geringfügig ist
- ...
Diese Rechnungen müssen auf jeden Fall die folgenden Angaben enthalten:
- das Ausstellungsdatum,
- die Identifizierung des Steuerpflichtigen,
- die Identifizierung der Art der gelieferten Gegenstände oder der erbrachten Dienstleistungen,
- den zu zahlenden Steuerbetrag oder die Angaben zu dessen Berechnung."
20 2. Nach diesen Grundsätzen liegen die Voraussetzungen des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG --entgegen der Annahme des FG-- vor. Denn unter Berücksichtigung von § 33 Satz 1 Nr. 4 und § 35 Abs. 1 UStDV sowie des Zwecks der Vorschrift ist § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG dahingehend auszulegen, dass bei Kleinbetragsrechnungen die Angabe des Entgelts und des darauf entfallenden Steuerbetrags in einer Summe sowie des anzuwendenden Steuersatzes als gesonderter Ausweis eines Steuerbetrags i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG anzusehen ist (gl.A. Birkenfeld in Birkenfeld/Wäger, Umsatzsteuer-Handbuch, § 168 Rz 622 und § 165 Rz 211; Kraeusel in Reiß/Kraeusel/Langer, UStG § 14 Rz 267; Stadie in Rau/Dürrwächter, Umsatzsteuergesetz, § 14c Rz 94; Hundt-Eßwein in Offerhaus/Söhn/Lange, § 14c UStG Rz 37; Abschn. 190d Abs. 1 Satz 5 UStR; Abschn. 14c.2. Abs. 1 Satz 5 UStAE; in diese Richtung deutend auch Wagner in Sölch/Ringleb, Umsatzsteuer, § 14c Rz 157; ebenso Stadie, UStG, 2. Aufl., § 14c Rz 29 zu § 14c Abs. 1; a.A. Bunjes/Korn, UStG, 11. Aufl., § 14c Rz 6; Scharpenberg in Hartmann/Metzenmacher, Umsatzsteuergesetz, § 14c Rz 74; Korn, MwStR 2013, 493).
21 a) Dem FG ist zunächst im Ausgangspunkt darin beizupflichten, dass der Wortlaut des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG verlangt, dass der Unternehmer einen Steuerbetrag gesondert ausweist, und dass § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG dafür spricht, darunter grundsätzlich den auf das Entgelt entfallenden Steuerbetrag zu verstehen. Auch hat das FG zutreffend erkannt, dass die von ihm vertretene Auslegung dazu führt, dass die Gefahr besteht, dass Leistungsempfänger aus Kleinbetragsrechnungen wegen § 35 Abs. 1 UStDV einen Vorsteuerabzug vornehmen, dem keine Umsatzsteuerschuld des Leistenden gegenübersteht.
22 b) Zu Unrecht ist das FG allerdings davon ausgegangen, bei dieser Ausgangslage sei eine "über den Wortlaut hinausgehende" Auslegung des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG nicht möglich und zur Vermeidung von Missbräuchen in Fällen der vorliegenden Art sei eine dahingehende ausdrückliche gesetzliche Regelung erforderlich. Das FG hat insoweit seine Wortlautauslegung nicht hinreichend anhand anderer anerkannter Auslegungsmethoden überprüft.
23 Bei der Auslegung einer Norm ist zu berücksichtigen, dass die Wortlautauslegung nur eine von mehreren anerkannten Auslegungsmethoden ist (vgl. BFH-Urteil vom 21. Oktober 2010 IV R 23/08, BFHE 231, 544, BStBl II 2011, 277). Maßgebend für die Interpretation eines Gesetzes ist der in ihm zum Ausdruck kommende objektivierte Wille des Gesetzgebers (vgl. z.B. Beschluss des Bundesverfassungsgerichts vom 9. November 1988 1 BvR 243/86, BVerfGE 79, 106, unter B.II.1., m.w.N.). Der Feststellung dieses objektivierten Willens dienen nicht nur die Auslegung aus dem Wortlaut der Norm (grammatikalische Auslegung), sondern auch die Auslegung aus dem Zusammenhang (systematische Auslegung; vgl. dazu BFH-Urteil vom 9. April 2008 II R 39/06, BFH/NV 2008, 1529, m.w.N.), aus dem die Vorschrift prägenden Regelungszweck (teleologische Auslegung, vgl. BFH-Urteil vom 22. Mai 2003 IX R 23/01, BFH/NV 2003, 1551, m.w.N.) sowie aus den Gesetzesmaterialien und der Entstehungsgeschichte (historische Auslegung; vgl. dazu BFH-Urteil vom 18. April 2012 X R 5/10, BFHE 237, 106, BFH/NV 2012, 1358, Rz 27). Zur Erfassung des Inhalts einer Norm darf sich der Richter verschiedener Auslegungsmethoden gleichzeitig und nebeneinander bedienen (z.B. BFH-Urteil vom 1. Dezember 1998 VII R 21/97, BFHE 187, 177, BFH/NV 1999, 565, m.w.N.).
24 c) Systematische und teleologische Auslegung sprechen vorliegend eindeutig dafür, dass bei Kleinbetragsrechnungen die Angabe des Entgelts und des darauf entfallenden Steuerbetrags in einer Summe sowie des anzuwendenden Steuersatzes wegen § 33 Satz 1 Nr. 4, § 35 Abs. 1 UStDV einen gesonderten Ausweis eines Steuerbetrags i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG darstellt, auch wenn in diesen Rechnungen kein Steuerbetrag gesondert ausgewiesen wurde. Da --entgegen der Auffassung des FG-- die Wortlautgrenze durch eine solche Auslegung nicht überschritten ist, ist ihr deshalb der Vorzug zu geben.
25 aa) Zunächst spricht die systematische Auslegung dafür, die vom Kläger gemachten Angaben als --wegen § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG unberechtigten-- Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG anzusehen. § 14 Abs. 6 Nr. 3 UStG i.V.m. § 33 Satz 1 Nr. 4 UStDV sind nämlich Spezialvorschriften zu § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG, die dessen Regelung insoweit verdrängen. § 14 Abs. 6 Nr. 3 UStG i.V.m. § 33 Satz 1 Nr. 4 UStDV setzt aus Vereinfachungsgründen bei Kleinbetragsrechnungen die Angaben zur Berechnung des Steuerbetrags dem zu zahlenden Steuerbetrag gleich und geht insoweit dem vom FG herangezogenen § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG vor.
26 Unternehmer, die zur Ausstellung von Rechnungen und zum gesonderten Steuerausweis berechtigt sind, dürfen bei Kleinbetragsrechnungen sowohl unionsrechtlich als auch nach nationalem Recht aus Vereinfachungsgründen von § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG, Art. 22 Abs. 3 Buchst. b der Richtlinie 77/388/EWG abweichen, ohne dass dem Leistungsempfänger der Vorsteuerabzug verloren geht; denn gemäß § 15 Abs. 5 Nr. 1 UStG i.V.m. § 35 Abs. 1 UStDV darf der Unternehmer, der die Leistung empfangen hat, den Rechnungsbetrag in Entgelt und Steuerbetrag aufteilen. § 33 Satz 1 Nr. 4 UStDV verlagert mithin durch den Verzicht auf den gesonderten Ausweis von Entgelt und Steuerbetrag lediglich die Aufteilung auf den Leistungsempfänger (Wagner in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 14 Rz 426); Entgelt und Steuerbetrag sind jedoch --durch die Angabe von Bruttobetrag und Steuersatz-- in der Rechnung --für den Leistungsempfänger zulässigerweise aufteilbar-- enthalten.
27 Deshalb greift auch der Einwand des Hessischen FG (in EFG 2009, 1789, unter 1.a dd), der Kleinunternehmer könne bei anderer Beurteilung keine Kleinbetragsrechnungen erteilen, nicht durch: Entbindet § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG den Kleinunternehmer von dem Recht (und der Pflicht) zum gesonderten Steuerausweis, gilt dies auch für die an die Stelle des § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 8 UStG tretenden Vereinfachungsregelungen (hier: § 33 Satz 1 Nr. 4 UStDV), so dass der Kleinunternehmer statt auf einen gesonderten Steuerausweis auf die Angabe des anzuwendenden Steuersatzes verzichten (darf und) muss. Eine Notwendigkeit, auf den Quittungen einen Steuersatz (hier: 16 %) handschriftlich zu ergänzen, bestand deshalb für den Kläger nicht.
28 bb) Nur diese Auslegung entspricht dem Zweck der Vorschrift, einer Gefährdung des Steueraufkommens entgegenzuwirken, die sich aus dem Recht auf Vorsteuerabzug ergeben kann. Die unberechtigte Angabe der in § 33 Satz 1 Nr. 4 UStDV genannten Daten in einer Rechnung gefährdet wegen § 35 Abs. 1 UStDV in gleicher Weise wie ein unberechtigter gesonderter Steuerausweis das Steueraufkommen, weil einem vom Leistungsempfänger geltend gemachten Vorsteuerabzug aus der Kleinbetragsrechnung keine Steuerschuld des Leistenden gegenübersteht. Der vom Leistungsempfänger gemäß § 35 Abs. 1 UStDV errechnete Steuerbetrag wird nach § 19 Abs. 1 Satz 1 UStG vom Leistenden nicht erhoben, ohne dass dies erkennbar wäre. Der in § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG angeordnete Ausschluss der Kleinunternehmer von der Berechtigung zum gesonderten Steuerausweis liefe folglich teilweise leer, wenn seine Verletzung nicht durch § 14c Abs. 2 UStG bewehrt wäre (vgl. dazu auch BFH-Beschluss vom 26. Januar 1978 V B 15/77, BFHE 124, 264, BStBl II 1978, 394, zu § 14 Abs. 3, § 19 Abs. 1 Satz 2 UStG a.F.).
29 3. Die Sache ist spruchreif.
30 Die vom Kläger ausgestellten Quittungen enthalten alle für eine Kleinbetragsrechnung gemäß § 33 Satz 1 UStDV, Art. 22 Abs. 9 Buchst. d der Richtlinie 77/388/EWG erforderlichen Angaben: Sie enthalten den Rechnungsaussteller, das Ausstellungsdatum und eine Leistungsbeschreibung. Die Angabe des Leistungsempfängers ist --abweichend von § 14 Abs. 4 Satz 1 Nr. 1 UStG-- bei Kleinbetragsrechnungen nach § 33 Satz 1 Nr. 1 UStDV nicht erforderlich (Wagner in Sölch/Ringleb, a.a.O., § 14 Rz 421). Die Angabe des Entgelts und der gesonderte Ausweis eines Steuerbetrags sind --wie dargelegt-- durch die vom Kläger vorgenommene Angabe des Bruttobetrags und des Steuersatzes erfolgt. Da der Kläger indes gemäß § 19 Abs. 1 Satz 4 UStG zum gesonderten Steuerausweis nicht berechtigt ist, liegt darin ein unberechtigter Steuerausweis i.S. des § 14c Abs. 2 Satz 1 UStG.