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Steuerrecht
14.11.2012
Steuerrecht
BFH: Steuerfreiheit und Steuerbarkeit der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren

BFH, Urteil vom 11.10.2012 - V R 9/10

Leitsätze

1. Die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren, bei der ein Steuerpflichtiger aufgrund eigenen Ermessens über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren entscheidet und diese Entscheidung durch den Kauf und Verkauf der Wertpapiere vollzieht, ist eine einheitliche und im Inland steuerpflichtige Leistung (Anschluss an das EuGH-Urteil Deutsche Bank in UR 2012, 667, und insoweit Aufgabe des BFH-Urteils in BFHE 219, 257, BStBl II 2008, 993).  

2. Wird die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren an im Drittlandsgebiet ansässige Privatanleger erbracht, ist sie nach Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG am Empfängerort zu besteuern. Der Steuerpflichtige kann sich auf den Anwendungsvorrang des Unionsrechts gegenüber der richtlinienwidrigen Regelung in § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG berufen (Anschluss an das EuGH-Urteil Deutsche Bank in UR 2012, 667, und insoweit Bestätigung des BFH-Urteils in BFHE 219, 257, BStBl II 2008, 993).

Sachverhalt

Die Klägerin und Revisionsbeklagte (Klägerin), eine Bank, erbrachte im Streitjahr 2008 selbst sowie über Tochtergesellschaften, die nach § 2 Abs. 2 Nr. 2 des Umsatzsteuergesetzes 2005 (UStG) Teil ihres Unternehmens sind, Leistungen an Privatkunden (Anleger). Die Anleger beauftragten die Klägerin, Wertpapiere unter Berücksichtigung der vom Kunden ausgewählten Strategievariante nach eigenem Ermessen und ohne vorherige Einholung einer Weisung des Anlegers zu verwalten sowie alle Maßnahmen zu treffen, die bei der Verwaltung des Wertpapiervermögens zweckmäßig erscheinen. Die Klägerin war berechtigt, über die Vermögenswerte (Wertpapiere) im Namen und für Rechnung des Anlegers zu verfügen. Als Vergütung hatte der Anleger pro Jahr eine sog. Teilpauschalvergütung in Höhe von insgesamt 1,8 % des Werts des verwalteten Vermögens zu zahlen. Die Teilpauschalvergütung setzte sich aus einem Anteil für die Vermögensverwaltung in Höhe von 1,2 % des Werts des verwalteten Vermögens und einem Anteil für den An- und Verkauf von Wertpapieren in Höhe von 0,6 % des Vermögenswerts zusammen. Diese Vergütung umfasste auch die Konto- und Depotführung sowie die Ausgabeaufschläge für den Erwerb von Investmentanteilen einschließlich der Investmentanteile an Fonds, die durch Unternehmen der Klägerin verwaltet wurden. Jeweils zum Ende eines Kalendervierteljahres sowie zum Jahresende erhielt der Kunde einen Bericht über den Verlauf der Vermögensverwaltung. Der Kunde hatte das Recht, den Auftrag jederzeit mit sofortiger Wirkung zu beenden.

Bei Abgabe ihrer Umsatzsteuer-Voranmeldung für den Voranmeldungszeitraum Mai 2008 wies die Klägerin den Beklagten und Revisionskläger (Finanzamt --FA--) darauf hin, dass sie unter Berufung auf das Senatsurteil vom 11. Oktober 2007 V R 22/04 (BFHE 219, 257, BStBl II 2008, 993) davon ausgehe, dass ihre Leistungen bei der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren nach § 4 Nr. 8 Buchst. e UStG bei Leistungen an Anleger im Inland und im übrigen Gemeinschaftsgebiet steuerfrei und bei Leistungen an Anleger im Drittlandsgebiet als nach § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG nicht steuerbar seien. Das FA folgte dem nicht und erließ am 29. April 2009 einen Umsatzsteuervorauszahlungsbescheid für den Voranmeldungszeitraum Mai 2008, in dem es die Umsätze der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren für Privatkunden als steuerbar und steuerpflichtig behandelte.

Der hiergegen eingelegte Einspruch hatte keinen Erfolg. Demgegenüber gab das Finanzgericht (FG) der Klage mit den in "Entscheidungen der Finanzgerichte" 2010, 1364 veröffentlichten Gründen statt, da die Leistungen der Klägerin bei der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren nicht steuerpflichtig seien. Hiergegen richtet sich die Revision des FA, für die es die Verletzung materiellen Rechts und das Schreiben des Bundesministeriums der Finanzen (BMF) vom 9. Dezember 2008 (BStBl I 2008, 1086) anführt.

Der Senat hat mit Beschluss vom 28. Oktober 2010 V R 9/10 (BFHE 231, 360, BStBl II 2011, 306) das Revisionsverfahren ausgesetzt und dem Gerichtshof der Europäischen Union (EuGH) folgende Fragen zur Vorabentscheidung vorgelegt:

"1. Ist die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Portfolioverwaltung), bei der ein Steuerpflichtiger gegen Entgelt aufgrund eigenen Ermessens über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren entscheidet und diese Entscheidung durch den Kauf und Verkauf der Wertpapiere vollzieht,

- nur als Verwaltung von Sondervermögen für mehrere Anleger gemeinsam nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. g der Richtlinie 2006/112/EG oder auch

- als individuelle Portfolioverwaltung für einzelne Anleger nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG (Umsatz, der sich auf Wertpapiere bezieht, oder als Vermittlung eines derartigen Umsatzes) steuerfrei?

2. Welche Bedeutung kommt bei der Bestimmung von Hauptleistung und Nebenleistung dem Kriterium, dass die Nebenleistung für die Kundschaft keinen eigenen Zweck, sondern das Mittel darstellt, um die Hauptleistung des Leistungserbringers unter optimalen Bedingungen in Anspruch zu nehmen, im Verhältnis zur gesonderten Berechnung der Nebenleistung und der Erbringbarkeit der Nebenleistung durch Dritte zu?

3. Erfasst Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG nur die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g der Richtlinie 2006/112/EG genannten Leistungen oder auch die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren (Portfolioverwaltung), selbst wenn dieser Umsatz nicht der zuletzt genannten Bestimmung unterliegt?"

Der EuGH hat in seinem Urteil vom 19. Juli 2012 C-44/11, Deutsche Bank (Umsatzsteuer-Rundschau --UR-- 2012, 667) diese Fragen wie folgt beantwortet:

"1. Eine Leistung der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende, d. h. eine entgeltliche Tätigkeit, bei der ein Steuerpflichtiger aufgrund eigenen Ermessens über den Kauf und Verkauf von Wertpapieren entscheidet und diese Entscheidung durch den Kauf und Verkauf der Wertpapiere vollzieht, besteht aus zwei Elementen, die so eng miteinander verbunden sind, dass sie objektiv eine einzige wirtschaftliche Leistung bilden.

2. Art. 135 Abs. 1 Buchst. f bzw. g der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem ist dahin auszulegen, dass eine Vermögensverwaltung mit Wertpapieren wie die im Ausgangsverfahren in Rede stehende nicht gemäß dieser Bestimmung von der Mehrwertsteuer befreit ist.

3. Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112 ist dahin auszulegen, dass er nicht nur die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g dieser Richtlinie genannten Leistungen umfasst, sondern auch die Leistungen der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren."

Das FA sieht sich in seiner Rechtsauffassung bestätigt. Lediglich im Hinblick auf die dritte Vorlagefrage sei weiterhin klärungsbedürftig, welche Folgen sich für das deutsche Recht ergeben. Eine unmittelbare Anwendung des Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG des Rates vom 28. November 2006 über das gemeinsame Mehrwertsteuersystem (Richtlinie 2006/112/EG) gegenüber § 3a UStG komme im Hinblick auf das BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 1086 nicht in Betracht.

Das FA beantragt,

das Urteil des FG aufzuheben und die Klage abzuweisen.

Die Klägerin beantragt,

die Revision kostenpflichtig zurückzuweisen.

Es sei offen, in welchen Fällen die bankmäßige Vermögensverwaltung nicht als einheitliche Leistung anzusehen sei. Mehrere Leistungen könnten z.B. vorliegen, wenn ausdrücklich ein gesonderter Preis vereinbart werde. Im Hinblick auf den Leistungsort komme der unmittelbaren Anwendung der Richtlinie Vorrang zu.

Im Revisionsverfahren erging am 29. Juni 2010 der Umsatzsteuerjahresbescheid 2008, der durch Bescheid vom 27. Juli 2010 gemäß § 164 der Abgabenordnung geändert wurde.

Aus den Gründen

17        II. Die Revision des FA ist begründet, da das Urteil des FG bereits aus verfahrensrechtlichen Gründen aufzuheben ist. Das FG hat über die Rechtmäßigkeit des Umsatzsteuervorauszahlungsbescheides für den Voranmeldungszeitraum Mai 2008 entschieden. An die Stelle dieses Bescheides trat während des Revisionsverfahrens gemäß § 68 Satz 1, § 121 Satz 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) der Umsatzsteuerjahresbescheid 2008 (vgl. z.B. Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 19. Mai 2005 V R 31/03, BFHE 210, 167, BStBl II 2005, 671). Damit liegt dem FG-Urteil ein nicht mehr existierender Bescheid zugrunde mit der Folge, dass auch das FG-Urteil keinen Bestand mehr haben kann (vgl. z.B. BFH-Urteil vom 6. Dezember 2007 V R 61/05, BFHE 221, 55, BStBl II 2008, 695).

18        Die nicht spruchreife Sache wird zur erneuten Verhandlung und Entscheidung an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Nr. 2 FGO). Die im Inland erbrachten Leistungen der Klägerin sind nicht steuerfrei, während die Leistungen, die die Klägerin an im Drittlandsgebiet ansässige Privatanleger erbrachte, nicht steuerbar sind. Zum Umfang dieser Leistungen sind weitere Feststellungen zu treffen.

19        1. Die Klägerin kann für die im Inland erbrachten Leistungen bei der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren keine Steuerfreiheit in Anspruch nehmen.

20        a) Steuerfrei sind nach § 4 Nr. 8 Buchst. e UStG "die Umsätze im Geschäft mit Wertpapieren und die Vermittlung dieser Umsätze, ausgenommen die Verwahrung und die Verwaltung von Wertpapieren". Die Vorschrift beruht unionsrechtlich auf Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG, der für "Umsätze - einschließlich der Vermittlung, jedoch nicht der Verwahrung und der Verwaltung -, die sich auf Aktien, Anteile an Gesellschaften und Vereinigungen, Schuldverschreibungen oder sonstige Wertpapiere beziehen, mit Ausnahme von Warenpapieren und der in Artikel 15 Absatz 2 genannten Rechte und Wertpapiere" gilt.

21        b) Nach dem im Streitfall ergangenen EuGH-Urteil Deutsche Bank in UR 2012, 667 steht fest, dass die durch die Klägerin erbrachten Leistungen als einheitliche Leistung anzusehen sind. Der EuGH hat insoweit die in dem BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 1086 vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Nicht entscheidungserheblich sind daher die Überlegungen der Klägerin zu abweichenden Sachverhaltsgestaltungen in anderen Fällen.

22        Nach dem EuGH-Urteil Deutsche Bank in UR 2012, 667 steht weiter fest, dass die im Inland erbrachten Leistungen bei der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren nicht nach Art. 135 Abs. 1 Buchst. f der Richtlinie 2006/112/EG und damit auch nicht nach § 4 Nr. 8 Buchst. e UStG steuerfrei, sondern steuerpflichtig sind. Der EuGH hat auch insoweit die in dem BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 1086 vertretene Rechtsauffassung bestätigt. Der Senat hält daher insoweit an seinem Urteil in BFHE 219, 257, BStBl II 2008, 993 nicht fest.

23        2. Der Senat kann nicht abschließend in der Sache entscheiden, da das FG keine Feststellungen zum Umfang der Leistungen getroffen hat, die die Klägerin gegenüber im Drittlandsgebiet ansässigen Anlegern erbracht hat. Dies ist entscheidungserheblich, da sich die Klägerin aufgrund des Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG gegenüber § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG zukommenden Anwendungsvorrangs bei der Bestimmung des Leistungsorts auf die für sie günstigere Regelung des Unionsrechts berufen kann.

24        a) Erbringt der Unternehmer Leistungen i.S. von § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG an Nichtunternehmer mit Wohnsitz oder Sitz im Drittlandsgebiet i.S. von § 3a Abs. 3 Satz 3 UStG, ist die Leistung im Inland nicht steuerbar.

25        Nach § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG gilt dies allerdings nur "für die sonstigen Leistungen der in § 4 Nr. 8 Buchstabe a bis h und Nr. 10 bezeichneten Art sowie die Verwaltung von Krediten und Kreditsicherheiten". § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG dient der Umsetzung von Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG. Diese Bestimmung erfasst "Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze, einschließlich Rückversicherungsumsätze, ausgenommen die Vermietung von Schließfächern".

26        b) Nach dem EuGH-Urteil Deutsche Bank in UR 2012, 667 erstreckt sich Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG nicht nur auf die in Art. 135 Abs. 1 Buchst. a bis g dieser Richtlinie genannten Leistungen, sondern auch auf die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren. Der EuGH hat insoweit die in dem BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 1086 vertretene Rechtsauffassung zurückgewiesen.

27        c) Ist Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG auch auf die Vermögensverwaltung mit Wertpapieren anzuwenden, steht zugleich fest, dass § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG gegen das Unionsrecht verstößt. Eine richtlinienkonforme Auslegung von § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG entsprechend Art. 56 Abs. 1 Buchst. e der Richtlinie 2006/112/EG ist aufgrund der insoweit zu beachtenden Wortlautgrenze nicht möglich. § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG nimmt ausdrücklich auf § 4 Nr. 8 Buchst. a bis h und Nr. 10 UStG Bezug und schließt damit andere Bank-, Finanz- und Versicherungsumsätze, bei denen es sich wie z.B. bei der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren auch nicht um die Verwaltung von Krediten und Kreditsicherheiten handelt, von seinem Anwendungsbereich ausdrücklich aus.

28        Die Klägerin ist berechtigt, sich auf das für sie günstigere Unionsrecht zu berufen. Insoweit ist an dem Senatsurteil in BFHE 219, 257, BStBl II 2008, 993, mit dem der BFH bereits entschieden hat, dass § 3a Abs. 4 Nr. 6 Buchst. a UStG das Unionsrecht nicht zutreffend umsetzt, entgegen dem BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 1086 weiterhin festzuhalten. Umstände, die gegen die Geltendmachung eines Anwendungsvorrangs sprechen könnten, sind nicht ersichtlich und werden auch nicht vom FA vorgetragen, das insoweit nur geltend macht, an das BMF-Schreiben in BStBl I 2008, 1086 gebunden zu sein. Diesem BMF-Schreiben kommt aber als lediglich norminterpretierender Verwaltungsanweisung im finanzgerichtlichen Verfahren keine Bindungswirkung zu (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. BFH-Urteil vom 10. November 2011 V R 34/10, BFH/NV 2012, 803, m.w.N.).

29        d) Zum Umfang der Vermögensverwaltung mit Wertpapieren an im Drittlandsgebiet ansässige Privatanleger i.S. von § 3a Abs. 3 Satz 3 UStG, die aufgrund des von der Klägerin geltend gemachten Anwendungsvorrangs im Inland nicht steuerbar ist, sind im zweiten Rechtsgang weitere Feststellungen zu treffen.

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