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Steuerrecht
19.03.2009
Steuerrecht
: Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts

BFH, Urteil vom 3.12.2008 - II R 19/08

Vorinstanz: FG München vom 1.8.2007 - 4 K 4260/05 (EFG 2007, 1746)

LEITSÄTZE

1. Legt der Steuerpflichtige zum Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts das Gutachten eines Sachverständigen für Grundstücksbewertung vor und gelangt der Gutachter nach einer Wertermittlung sowohl im Sachwert- als auch im Ertragswertverfahren mit zutreffender Begründung dazu, dass das Grundstück ausschließlich im Ertragswertverfahren zu bewerten ist, handelt das FA rechtswidrig, wenn es den Grundstückswert ohne weitere Begründung auf den Mittelwert beider Werte feststellt.

2. Fehlt als letzter Schritt einer Grundstücksbewertung nach der WertV die Anpassung an die Marktverhältnisse gemäß § 7 Abs. 1 Satz 2 WertV, ist der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts (noch) nicht geführt. Die Preisbildung am Grundstücksmarkt richtet sich nicht nur nach den Ertragserwartungen der Nachfrager.

3. Beim Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts gemäß § 146 Abs. 7 BewG i.d.F. vor 2007 war auf die Wertverhältnisse vom Bewertungsstichtag abzustellen.

BewG vor 2007 § 138 Abs. 1 Satz 2, § 146 Abs. 2 und 7; WertV § 3 Abs. 3, § 7 Abs. 1 und 2

SACHVERHALT

I.

Die Kläger und Revisionskläger (Kläger) erbten am 31. Oktober 2003 je zur Hälfte den hälftigen Miteigentumsanteil ihrer Mutter an dem gewerblich genutzten und bebauten Grundstück in ... . Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) stellte mit Bescheid vom 20. Mai 2005 über die gesonderte und einheitliche Feststellung des Grundbesitzwerts auf den Todestag der Mutter diesen Wert auf 1 958 000 € fest, so dass auf den jeweils erworbenen 1/4-Anteil am Grundstück ein Teilbetrag von 489 500 € entfiel. Der Wert war gemäß § 146 Abs. 2 Sätze 1 und 2 des Bewertungsgesetzes in der zum Bewertungsstichtag geltenden Fassung (BewG) ermittelt.

Gegen den Bescheid legten die Kläger unter Vorlage des Privatgutachtens eines öffentlich bestellten und vereidigten Sachverständigen für Grundstücksbewertung Einspruch ein mit dem Begehren, den Grundstückswert niedriger --nämlich auf 1 180 000 € (1/4-Anteil 295 000 €)-- festzustellen. Der Gutachter hatte für das gesamte Grundstück einen Sachwert von 1 697 000 € und einen Ertragswert von 1 180 000 € ermittelt und die Ansicht vertreten, im Streitfall sei ausschließlich die Ertragswertmethode sachgerecht.

Das FA gab dem Begehren mit Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2005 lediglich teilweise statt, indem es den Grundstückswert auf 1 438 500 € minderte und damit den anteiligen Grundstückserwerb der Kläger nunmehr mit jeweils 359 625 € bewertete. Dabei handelte es sich um den Mittelwert aus den vom Gutachter bestimmten Sach- und Ertragswerten.

Die dagegen erhobene Klage blieb erfolglos. Das Finanzgericht (FG) war der Ansicht, ein niedrigerer gemeiner Wert des Grundstücks als durch die Einspruchsentscheidung festgestellt, sei nicht nachgewiesen. Es sei unter keinem Gesichtspunkt gerechtfertigt, den festgestellten Sachwert völlig unberücksichtigt zu lassen. Das Urteil ist in Entscheidungen der Finanzgerichte 2007, 1746 veröffentlicht.

Mit der Revision rügen die Kläger fehlerhafte Anwendung des § 146 Abs. 7 BewG. Das FG habe ohne eigene Sachkenntnis die Ausführungen des Privatgutachters zur Maßgeblichkeit des Ertragswertverfahrens übergangen und die Mittelwertmethode des FA gebilligt. Damit habe es seine Sachaufklärungspflicht und das Recht auf Gehör verletzt.

Die Kläger beantragen, unter Aufhebung der Vorentscheidung den Bescheid über die Feststellung des Grundbesitzwerts auf den 31. Oktober 2003 vom 20. Mai 2005 in Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 27. Oktober 2005 dahin zu ändern, dass der Grundbesitzwert auf 1 180 000 € (anteilig 295 000 €) festgestellt wird.

Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.

Es sei Sache des FG, Privatgutachten eigenständig zu prüfen. Dies habe das Gericht getan, ohne das Gutachten insgesamt als unschlüssig zurückzuweisen. Es habe lediglich die Beschränkung auf den Ertragswert missbilligt.

AUS DEN GRÜNDEN

II.

Die Revision ist begründet. Die Annahme des FG, das FA habe zu Recht den Grundstückswert auf den Mittelwert aus dem gutachterlich bestimmten Sachwert und Ertragswert festgestellt, ist durch keine rechtlichen oder tatsächlichen Erwägungen untermauert. Sie ist nicht das Ergebnis einer freien Beweiswürdigung des vorliegenden Privatgutachtens, sondern stellt eine bloße Rechtsbehauptung dar. Andererseits ist das beigebrachte Gutachten nicht geeignet, den von den Klägern für zutreffend gehaltenen niedrigeren gemeinen Wert des Grundstücks nachzuweisen. Um den Klägern zu ermöglichen, den Nachweis --etwa durch Nachbesserung des Gutachtens-- noch zu führen, wird die Vorentscheidung aufgehoben und die Sache an das FG zurückverwiesen (§ 126 Abs. 3 Satz 1 Nr. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--).

1. Gemäß § 146 Abs. 7 BewG ist für bebaute Grundstücke ein niedrigerer Grundstückswert festzustellen, wenn der Steuerpflichtige nachweist, dass der gemeine Wert des Grundstücks niedriger ist als der nach den Absätzen 2 bis 6 der Vorschrift ermittelte Wert. Der Nachweis kann u.a. durch Vorlage des Gutachtens eines Sachverständigen für die Bewertung von Grundstücken geführt werden. Ob das Gutachten den geforderten Nachweis erbringt, unterliegt der freien Beweiswürdigung des FA und ggf. der Gerichte (Urteil des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 10. November 2004 II R 69/01, BFHE 207, 352, BStBl II 2005, 259). Der Nachweis ist erbracht, wenn die Behörde und ggf. das Gericht dem Gutachten ohne Einschaltung bzw. Bestellung weiterer Sachverständiger folgen kann. Einem Sachverständigengutachten, das bei Fehlen bewertungsrechtlicher Sonderregelungen den Vorgaben der Wertermittlungsverordnung (WertV) vom 6. Dezember 1988 (BGBl I 1988, 2209) entspricht und plausibel ist, wird regelmäßig zu folgen sein.

a) Dazu muss das Gutachten zunächst auf den zutreffenden Bewertungsstichtag abstellen. Dies ist vorliegend der Tag der Steuerentstehung (§ 9 des Erbschaftsteuer- und Schenkungsteuergesetzes) als Besteuerungszeitpunkt i.S. des § 138 Abs. 1 Satz 2 BewG. Maßgebend sind sowohl die tatsächlichen Verhältnisse zu diesem Stichtag als auch die Wertverhältnisse. Letzterem steht § 138 Abs. 1 Satz 2 BewG nicht entgegen, wonach bezüglich der Wertverhältnisse auf den 1. Januar 1996 abzustellen ist. Dies ist jedoch in den nachfolgenden Vorschriften der §§ 140 ff. BewG bei der Bewertung der einzelnen wirtschaftlichen Einheiten nur zum Teil umgesetzt worden. So stellt der hier maßgebliche § 146 BewG in seinem Kernbereich --nämlich in der Anknüpfung an den Durchschnitt der in den letzten drei Jahren vor dem Besteuerungszeitpunkt erzielten Jahresmieten-- gerade nicht auf den 1. Januar 1996 ab (vgl. Halaczinsky in Rössler/Troll, Bewertungsgesetz, Kommentar, Stand Oktober 2007, § 138 Rz 18). Ist aber bereits der nach § 146 Abs. 2 BewG ermittelte Grundstückswert nicht an den Wertverhältnissen vom 1. Januar 1996 ausgerichtet, verfälschte es den vorzunehmenden Wertvergleich, dies im Rahmen des Abs. 7 der Vorschrift zu tun (vgl. auch R 177 Abs. 1 Satz 1 der Erbschaftsteuer-Richtlinien 2003, a.A. Christoffel in Gürsching/ Stenger, Bewertungsrecht, Stand August 2008, § 146 BewG Rz 365).

b) Auch das angewandte Wertermittlungsverfahren muss für das zu bewertende Grundstück geeignet sein. Nach § 7 Abs. 1 Satz 1 WertV sind zur Ermittlung des Verkehrswerts das Vergleichswertverfahren, das Ertragswertverfahren, das Sachwertverfahren oder mehrere dieser Verfahren heranzuziehen. Das dabei gewonnene Ergebnis ist gemäß Satz 2 der Vorschrift unter Berücksichtigung der Lage auf dem Grundstücksmarkt zu überprüfen und ggf. an diese anzupassen. So hat der Senat für das Ertragswertverfahren wiederholt darauf hingewiesen, dass die Renditeerwartungen potentieller Kaufinteressenten nicht das allein Bestimmende für den Wert eines Grundstücks sind. Vielmehr muss hinzukommen, dass die Grundstückseigentümer auch bereit sind, ihre Grundstücke zu einem diesen Erwartungen entsprechenden Preis zu verkaufen (BFH-Urteile vom 20. Oktober 2004 II R 34/02, BFHE 207, 345, BStBl II 2005, 256, unter II.3.b sowie vom 5. Dezember 2007 II R 70/05, BFH/NV 2008, 757, unter II.2.c bb).

Die Bewertungsverfahren sind gemäß § 7 Abs. 2 WertV nach der Art des Gegenstandes der Wertermittlung unter Berücksichtigung der im gewöhnlichen Geschäftsverkehr bestehenden Gepflogenheiten und der sonstigen Umstände des Einzelfalls zu wählen; die Wahl ist zu begründen. Werden mehrere Verfahren herangezogen, ist gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 WertV der Verkehrswert aus den Ergebnissen der angewendeten Verfahren unter Würdigung ihrer Aussagefähigkeit zu bemessen.

Hat der Sachverständige zunächst sowohl einen Ertragswert als auch einen Sachwert ermittelt, dann aber den Verkehrswert des Grundstücks unter Angabe der dafür maßgeblichen Gründe ausschließlich nach dem Ertragswert bemessen, können die Behörde und ggf. auch die Gerichte zwar diese Gründe überprüfen und dabei auch zu dem Ergebnis kommen, dass eine Verbindung beider Bewertungsverfahren gemäß § 7 Abs. 1 Satz 3 WertV vorzuziehen ist; sie müssen dies aber in Auseinandersetzung mit der Auffassung des Sachverständigen ihrerseits begründen und können nicht einfach den Mittelwert der im Ertragswert- und im Sachwertverfahren gefundenen Werte als Verkehrswert ansehen. Es ist nicht sachgerecht, den Verkehrswert schematisch durch Mittelung von Ertragswert und Sachwert zu bestimmen (so Simon/ Kleiber, Schätzung und Ermittlung von Grundstückswerten, 7. Aufl. 1996, Rz 1.141). Da die Vorentscheidung auf dieser schematischen Mittelung beruht, war sie aufzuheben.

2. Die Sache ist nicht spruchreif. Das von den Klägern vorgelegte Gutachten genügt den Anforderungen an den Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts nicht.

a) Soweit der Sachverständige den Verkehrswert anhand des Ertragswerts ermittelt hat, hat er dies allerdings zutreffend begründet. So ist richtig, dass bebaute Grundstücke für Produktions- und Dienstleistungszwecke regelmäßig im Ertragswertverfahren sachgerecht bewertet sind (Simon/Kleiber, a.a.O., Rz 1.133 und 1.134). Es fehlt aber die Berücksichtigung der Lage auf dem Grundstücksmarkt wie § 7 Abs. 1 Satz 2 WertV sie für alle Bewertungsverfahren vorsieht (vgl. zur Angleichung des Ertragswerts an den Verkehrswert Simon/Kleiber, a.a.O., Rz 4.17). Unter "Lage auf dem Grundstücksmarkt" ist dabei gemäß § 3 Abs. 3 WertV die Gesamtheit der am Wertermittlungsstichtag (Besteuerungszeitpunkt) für die Preisbildung von Grundstücken im gewöhnlichen Geschäftsverkehr für Angebot und Nachfrage maßgebenden Umstände zu verstehen. Hervorzuheben ist, dass danach die Maßgeblichkeit der Umstände nicht nur aus der Sicht der Nachfrager und deren Ertragserwartungen, sondern auch aus der Sicht der Anbieter zu beurteilen ist. Dieser letzte Schritt jeder Grundstücksbewertung --und zwar auch nach der WertV-- ist im Streitfall unterblieben.

b) Zum Liegenschaftszinssatz, der bislang mit 6 v.H. als Hilfswert gemäß Nr. 3.5.4 Abs. 2 Satz 4 der Wertermittlungs-Richtlinien 2002 vom 20. Dezember 2002 (Bundesanzeiger Nr. 238a) angesetzt worden ist, fehlt die Angabe, ob ein veröffentlichter Liegenschaftszinssatz nicht vorhanden oder ein marktüblicher Liegenschaftszinssatz nicht feststellbar gewesen ist. Weiter ist erklärungsbedürftig, weshalb bei den Bewirtschaftungskosten an die oberste Grenze des "entsprechend heutigen Mietverträgen" Üblichen gegangen worden ist.

c) Schließlich ist auch der Abschlag vom Bodenwert wegen der Bebauung des Grundstücks nicht ausreichend begründet. Ein derartiger Abschlag ist nur möglich, wenn er sich objektivierbar und grundstücksbezogen begründen lässt, und zwar nicht nur dem Grunde nach, sondern auch hinsichtlich der Höhe. Er wird etwa dann in Betracht kommen, wenn sich die bau(planungs)rechtlichen Vorgaben für das Grundstück wegen der vorhandenen Bebauung nicht voll ausnutzen lassen oder im Bewertungszeitpunkt die nach außen hervorgetretene Absicht bestand, zur Wiedererlangung der Entscheidungsfreiheit über die Art der Bebauung bauliche Veränderungen --z.B. einen Abbruch-- vorzunehmen.

3. Die Sache ist an das FG zurückzuverweisen, um den Klägern die Gelegenheit zu geben, das Gutachten in den zu II.2. genannten Punkten nachzubessern. Dazu kann ihnen das FG eine angemessene Frist setzen. Sollte die Nachbesserung zu II.2.a unterbleiben, wäre der Nachweis eines niedrigeren gemeinen Werts nicht geführt. Sollte die Nachbesserung zu II.2.c misslingen, wäre der vorgenommene Abschlag zu streichen. Bezüglich der Bewirtschaftungskosten wäre ggf. an die untere Grenze des Üblichen zu gehen.

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