: Lohnsteuerberechnung für einen "sonstigen Bezug" nach dem Wechsel der Art der Steuerpflicht
BFH, Urteil vom 25.8.2009 - I R 33/08
Vorinstanz: FG Düsseldorf vom 4.3.2008 - 17 K 3874/07 H(L) (EFG 2008, 929)
LEITSATZ
Bei der Berechnung der Lohnsteuer für einen "sonstigen Bezug", der einem (ehemaligen) Arbeitnehmer nach einem Wechsel von der unbeschränkten in die beschränkte Steuerpflicht in diesem Kalenderjahr zufließt, ist der während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht gezahlte Arbeitslohn im "Jahresarbeitslohn" (§ 39d Abs. 3 Satz 4 i.V.m. § 39b Abs. 3 Satz 7 EStG 2002) zu berücksichtigen.
EStG 2002 § 2 Abs. 7 Satz 3, § 39b Abs. 3 Satz 7, § 39d Abs. 3 Satz 4
SACHVERHALT
I.
Streitig ist die Rechtmäßigkeit eines Lohnsteuer-Haftungsbescheides.
Die Klägerin und Revisionsklägerin (Klägerin), eine Tochtergesellschaft eines japanischen Unternehmens, beschäftigte Arbeitnehmer, die von der Muttergesellschaft nach Deutschland entsandt worden waren (sog. Expatriates). Zwischen der Klägerin als Arbeitgeberin und diesen Arbeitnehmern bestand eine Nettolohnvereinbarung, die die Übernahme etwa anfallender Steuernachforderungen durch die Klägerin einschloss. Die Arbeitnehmer erhielten neben ihren Gehaltszahlungen auch Bonuszahlungen. Im Jahr 2002 und im Jahr 2004 schied jeweils ein Arbeitnehmer aus und kehrte nach Japan zurück. Die auf die Tätigkeit in Deutschland im Rückkehrjahr entfallenden Bonuszahlungen wurden jeweils im Jahr der Ausreise nachgezahlt.
Bei der Berechnung der Lohnsteuer auf diese Zahlungen berücksichtigte die Klägerin den während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht in demselben Kalenderjahr in Deutschland bezogenen Arbeitslohn nicht. Der Beklagte und Revisionsbeklagte (das Finanzamt --FA--) vertrat hingegen die Ansicht, bei der Berechnung der Lohnsteuer auf die Bonuszahlungen sei der im jeweiligen Kalenderjahr während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht bezogene Arbeitslohn einzubeziehen, wobei aus Billigkeitsgründen die zuletzt für den jeweiligen Arbeitnehmer maßgebende Steuerklasse (Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht) zugrunde gelegt werden müsse. Das FA nahm die Klägerin auf dieser Grundlage mit einem Lohnsteuer-Haftungsbescheid in Anspruch, beschränkte die Haftung aber später auf den die Bonuszahlung 2004 betreffenden Lohnsteuerbetrag. Die Klage blieb erfolglos (Finanzgericht --FG-- Düsseldorf, Urteil vom 4. März 2008 17 K 3874/07 H(L), Entscheidungen der Finanzgerichte --EFG-- 2008, 929).
Mit der Revision macht die Klägerin die Verletzung materiellen Rechts geltend.
Die Klägerin beantragt, unter Aufhebung des angefochtenen Urteils den Lohnsteuer-Haftungsbescheid vom 2. Januar 2006, geändert durch Bescheid vom 22. März 2007, in der Gestalt der Einspruchsentscheidung vom 5. September 2007 aufzuheben.
Das FA beantragt, die Revision zurückzuweisen.
AUS DEN GRÜNDEN
II.
Die zulässige Revision ist unbegründet und wird zurückgewiesen (§ 126 Abs. 2 der Finanzgerichtsordnung --FGO--). Das FG hat zu Recht entschieden, dass der Haftungsbescheid, mit dem die Klägerin vom FA als Haftende auf der Grundlage des § 42d Abs. 1 Nr. 1 des Einkommensteuergesetzes 2002 (EStG 2002) in Anspruch genommen wird, rechtmäßig ist.
1. Die Revision ist zulässig. Das FG hat die Revision in den Gründen seiner Entscheidung ausdrücklich unter Hinweis auf § 115 Abs. 2 Nr. 2 FGO zugelassen. Diese Zulassung eröffnet den Weg in das Revisionsverfahren, auch wenn der Tenor des FG-Urteils einen entsprechenden Ausspruch nicht enthält und auch die Rechtsmittelbelehrung des Urteils ("Die Nichtzulassung der Revision kann durch Beschwerde angefochten werden. ...") einer Belehrung bei einem Urteil ohne Revisionszulassung entspricht (s. insoweit Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 107; Lange in Hübschmann/Hepp/Spitaler, AO/FGO, § 115 FGO Rz 280; Seer in Tipke/Kruse, AO/FGO, § 115 FGO Rz 124; Beermann in Beermann/Gosch, AO/FGO, § 115 FGO Rz 46, 49, je m.w.N.).
2. Der Haftungsbescheid ist rechtmäßig; die Klägerin hat die Lohnsteuer unzutreffend ermittelt. Bei der Berechnung der Lohnsteuer für einen sonstigen Bezug, der einem (ehemaligen) Arbeitnehmer nach einem Wechsel von der unbeschränkten in die beschränkte Steuerpflicht in diesem Kalenderjahr zufließt, ist der während der Zeit der unbeschränkten Steuerpflicht gezahlte Arbeitslohn im "Jahresarbeitslohn" zu berücksichtigen.
a) Durch die Aufgabe des inländischen Wohnsitzes nach der Beendigung des Arbeitsverhältnisses mit der Klägerin endete die unbeschränkte Steuerpflicht des Arbeitnehmers. Die Nachzahlung des Bonusbetrages führte zur beschränkten Steuerpflicht dieses Arbeitnehmers i.S. des § 1 Abs. 4 i.V.m. § 49 Abs. 1 Nr. 4 Buchst. a EStG 2002. Die Klägerin hatte für diesen "sonstigen Bezug" (i.S. des § 38a Abs. 1 Satz 3 EStG 2002) einen Lohnsteuerabzug nach Maßgabe des § 39d EStG 2002 vorzunehmen. Dies ist zwischen den Beteiligten nicht im Streit.
b) § 39d Abs. 3 Satz 4 EStG 2002 verweist für den Lohnsteuerabzug "im Übrigen" --also soweit (wie im Streitfall) § 39d EStG 2002 keine Sonderregelungen enthält-- auf den Lohnsteuerabzug nach (u.a.) § 39b Abs. 2 ff. EStG 2002, damit auf den Lohnsteuerabzug für unbeschränkt steuerpflichtige Arbeitnehmer. Daraus folgt, dass der Arbeitgeber den Lohnsteuerabzug anhand der auf der Bescheinigung des § 39d Abs. 1 Satz 3 EStG 2002 eingetragenen Besteuerungsmerkmale nach denselben Grundsätzen vorzunehmen hat wie bei einem unbeschränkt steuerpflichtigen Arbeitnehmer anhand der Lohnsteuerkarte (z.B. Blümich/Thürmer, § 39d EStG Rz 50 und § 39b EStG Rz 14).
c) § 39b Abs. 3 Satz 7 (für 2004: Satz 8) EStG 2002 sieht vor, dass die Lohnsteuer auf einen sonstigen Bezug --vereinfacht dargestellt-- dem Differenzbetrag zwischen der dem voraussichtlichen Jahresarbeitslohn (laufender Arbeitslohn zzgl. bereits gezahlter sonstiger Bezüge) entsprechenden Jahreslohnsteuer einerseits und der dem der voraussichtlichen (Gesamt-) Jahresarbeitslohn (einschließlich des jetzt zu besteuernden sonstigen Bezuges) entsprechenden Jahreslohnsteuer andererseits entspricht (s. allgemein auch R 39b.6 Abs. 2 der Lohnsteuer-Richtlinien --LStR-- 2008). Diese Vergleichsberechnung ist erforderlich, da in dem Monat des Zuflusses von sonstigen Bezügen die Grundlage der Berechnung der Lohnsteuer --dass der im Lohnzahlungszeitraum zugeflossene Arbeitslohn in gleicher Höhe auch in den übrigen gleichlangen Lohnzahlungszeiträumen desselben Kalenderjahres zufließen wird (§ 38a Abs. 3 Satz 1 EStG 2002)-- nicht zutrifft (s. z.B. Eisgruber in Kirchhof, EStG, 8. Aufl., § 39b Rz 11). Gegen diese Berechnungsmethode wird in der Situation der beschränkten Steuerpflicht eingewendet, dass der voraussichtliche Jahresarbeitslohn auf der Grundlage einer Prognoseentscheidung zu treffen sei, die infolge der Abgeltungswirkung der Lohnsteuer bei einer späteren Änderung der Verhältnisse nicht mehr im Wege einer Veranlagung ausgeglichen werden könne (s. insbesondere Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, EStG, § 39d Rz D 3; Becht in Herrmann/Heuer/Raupach, EStG/KStG, § 39d EStG Rz 9). Dieser Einwand ist indes nicht durchschlagend, wenn --wie im Streitfall-- in der retrospektiven Haftungssituation bei der Bemessung des "Jahresarbeitslohns" nur der tatsächlich erzielte laufende Arbeitslohn eingerechnet wird (s. insoweit auch R 39b.6 Abs. 3 Satz 6 LStR 2008).
d) Jahresarbeitslohn im Sinne dieser Vergleichsberechnung ist der Arbeitslohn, den der Arbeitnehmer (bei diesem Arbeitgeber) im Kalenderjahr bezieht (§ 38a Abs. 1 Satz 1 EStG 2002; s. auch Blümich/Thürmer, § 38a EStG Rz 23 f.; Eisgruber in Kirchhof, a.a.O., § 38a Rz 2). Eine weiter gehende Differenzierung nach der Art der im Bezugszeitraum bestehenden Steuerpflicht --bei einem Wechsel der Art der persönlichen Steuerpflicht innerhalb eines Kalenderjahres-- lässt sich dem Gesetzeswortlaut nicht entnehmen.
aa) § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG 2002 sieht für den Fall, dass im Laufe eines Kalenderjahrs sowohl die Voraussetzungen unbeschränkter als auch beschränkter Steuerpflicht erfüllt sind, vor, dass die während der beschränkten Einkommensteuerpflicht erzielten inländischen Einkünfte in eine Veranlagung zur unbeschränkten Steuerpflicht einzubeziehen sind (Änderung der früheren --eine Aufteilung befürwortenden-- Rechtslage durch das Jahressteuergesetz 1996 vom 11. Oktober 1995, BGBl. I 1995, 1250, BStBl. I 1995, 438 --ab Veranlagungszeitraum 1996-- mit einer geänderten Gesetzesformulierung durch das Jahressteuergesetz 1997 vom 20. Dezember 1996, BGBl. I 1996, 2049, BStBl. I 1996, 1523). Damit wird insbesondere die Abgeltungswirkung des § 50 Abs. 5 Satz 1 EStG 2002 bei einem Quellensteuerabzug für die der beschränkten Steuerpflicht unterliegenden Einkünfte ausgeschlossen (BTDrucks 13/5952, S. 44), ebenso der Umstand, dass der sich auf ein Kalenderjahr als Veranlagungszeitraum beziehende Grundfreibetrag der Einkommensteuertabelle (§ 32a Abs. 1 Satz 2 Nr. 1 EStG 2002) ungekürzt auf eine unterjährige Dauer der unbeschränkten Steuerpflicht Anwendung findet.
bb) Diese Orientierung an Kalenderjahreswerten (Jahreslohnsteuertabelle) ist ein Grundprinzip der Lohnsteuerbemessung (s. § 38a Abs. 3 Satz 1 EStG 2002), dem seit der Einführung des § 2 Abs. 7 Satz 3 EStG (seit 1996) auch im Bereich der veranlagten Einkommensteuer entsprochen wird. Es gilt der Grundsatz, dass die Jahreslohnsteuer des Arbeitnehmers mit einer veranlagten Einkommensteuer dieses Steuerpflichtigen, wenn er ausschließlich Einkünfte aus nichtselbständiger Arbeit erzielt, übereinstimmen soll (§ 38a Abs. 2 EStG 2002). Mit Blick darauf fehlt die Berechtigung für eine Einschränkung des kalenderjahresbezogenen Wortlauts. Daher ist bei der Ermittlung des Jahresarbeitslohns zur Berechnung der auf den sonstigen Bezug entfallenden Lohnsteuer der bisher erzielte Arbeitslohn auch insoweit einzubeziehen, als er auf einen Zeitraum entfällt, der vor einem Wechsel der Art der Steuerpflicht liegt (so auch Niedersächsisches FG, Urteil vom 29. September 2005 11 K 396/04, juris; Trzaskalik in Kirchhof/Söhn/Mellinghoff, a.a.O., § 39b Rz D 4; Hartz/Meeßen/ Wolf, ABC-Führer Lohnsteuer, "Sonstige Bezüge" Rz 29; a.A. Stache in Bordewin/Brandt, EStG, § 39b Rz 173, bzw. in Horowski/Altehoefer, Kommentar zum Lohnsteuerrecht, § 39b EStG Rz 229). Ein solches Ergebnis folgt auch für die Umkehrsituation --den Wechsel von der beschränkten zur unbeschränkten Einkommensteuerpflicht-- aus dem insoweit nicht eingeschränkten Wortlaut des dann unmittelbar anzuwendenden § 39b Abs. 3 EStG 2002. In die Ermittlung des Jahresarbeitslohns zur Berechnung der Lohnsteuer auf einen im Zeitraum der unbeschränkten Steuerpflicht zugeflossenen sonstigen Bezug ist ein auf den vorherigen Zeitraum beschränkter Steuerpflicht entfallender Arbeitslohn einzubeziehen.
cc) Aus dem Senatsurteil vom 17. Dezember 2003 I R 75/03 (BFHE 204, 481, BStBl. II 2005, 96, BB 2004, 701) folgt nichts anderes: Indem § 32b Abs. 1 Nr. 2 EStG 2002 die "ausländischen Einkünfte" auch bei einem Wechsel der Art der Steuerpflicht im Veranlagungszeitraum dem Progressionsvorbehalt unterwirft, sind zur Ermittlung dieser Einkünfte (§ 2 Abs. 2 EStG 2002) Werbungskosten unabhängig von der Ermittlung der inländischen Einkünfte (und einem etwa dort berücksichtigten kalenderjahresbezogenen Arbeitnehmer-Pauschbetrag des § 9a Satz 1 Nr. 1 EStG 2002) anzusetzen, mögen die Einkünfte auch der Sache nach zur selben Einkunftsart gehören. Eine solche im Gesetzeswortlaut angewiesene Trennung der Einkünfteermittlung ergibt sich für den Begriff des Jahresarbeitslohns in § 39b Abs. 3 EStG 2002 nicht.
3. Der Senat teilt die von der Klägerin --unter Hinweis auf eine im Vergleich zur (reinen) Einkommensteuerveranlagung des Arbeitnehmers höhere Lohnsteuerbelastung bei der Nettolohnvereinbarung vorgebrachten-- verfassungsrechtlichen Bedenken nicht. Das Lohnsteuerverfahren muss als Massenverfahren möglichst praktikabel ausgestaltet sein; dies gilt im besonderen Maße für die im Gesetz nicht klar geregelte und als Ausnahmefall zum Regelfall der Bruttolohnvereinbarung (s. insoweit Urteil des Bundesfinanzhofs vom 8. November 1985 VI R 238/80, BFHE 145, 198, BStBl. II 1986, 186, BB 1986, 647) anzusehende und darüber hinaus vom Arbeitgeber und Arbeitnehmer ausdrücklich zu treffende Nettolohnvereinbarung (s. insoweit R 39b.9 LStR 2008). Außerdem begründet der Umstand der Übernahme von Lohnabzugsbeträgen durch den Arbeitgeber weder die Möglichkeit, als Vergleichspaar im Rahmen der Prüfung des Art. 3 Abs. 1 des Grundgesetzes auf den Arbeitgeber bei einer Bruttolohnvereinbarung zu verweisen (dieser trägt die Lohnsteuer nicht) noch auf den vertraglichen Nachteil des Arbeitnehmers (als Schuldner der Lohnsteuer).