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Steuerrecht
26.08.2010
Steuerrecht
BFH: Betreten einer Wohnung durch ermittelnde Finanzbeamte

 BFH, Beschluss vom 3.5.2010 - VIII B 71/09

Tatbestand

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I. Die Kläger und Beschwerdeführer (Kläger) sind Diplom-Ingenieure und Architekten. Als Eheleute werden sie zusammen zur Einkommensteuer veranlagt.

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Für die Jahre 2000 bis 2004 gaben sie an, keine Betriebseinnahmen aus der freiberuflichen Architektentätigkeit erlöst zu haben und erklärten --teilweise neben Einkünften des Klägers aus nichtselbständiger Tätigkeit und aus der Beteiligung an einem Webdesign-Unternehmen-- diesbezügliche Verluste u.a. wegen eines häuslichen Arbeitszimmers. Der Beklagte und Beschwerdegegner (das Finanzamt --FA--) berücksichtigte diese Verluste zunächst in den Einkommensteuerbescheiden für die Jahre 2001 bis 2003, die jedoch insoweit vorläufig ergingen mit der Begründung, dass "zur Zeit die Gewinnerzielungsabsicht nicht abschließend beurteilt werden" könne. Im Zuge des Veranlagungsverfahrens zur Einkommensteuer 2004 prüfte das FA, ob die Kläger die Tätigkeit als freiberufliche Architekten überhaupt (noch) ausübten. Es beauftragte deshalb zwei seiner Ermittlungsbeamten, tatsächliche Feststellungen zu treffen, u.a. auch dazu, ob das geltend gemachte Arbeitszimmer dem Grunde nach steuerlich anerkannt werden könne.

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Im Streit ist, ob in diesem Zusammenhang das Betreten der Wohnung der Kläger durch die Beamten im Dezember 2006 rechtmäßig war. Nach erfolglosem Einspruch beantragten die Kläger im finanzgerichtlichen Klageverfahren die Feststellung der Rechtswidrigkeit der "Anordnung der Gewährung und Duldung des Betretens der Wohnung der Kläger" und eines Verwertungsverbots hinsichtlich der aus dem Betreten der Wohnung gewonnenen Erkenntnisse. Hilfsweise begehrten sie die isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung wegen Verletzung des rechtlichen Gehörs.

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Das Finanzgericht (FG) wies die Klage ab. Die Besichtigung von privaten Räumen des Steuerpflichtigen sei ein schlichtes Verwaltungshandeln (Realakt), das allein der Vorbereitung einer sich anschließenden Verwaltungsentscheidung diene und darüber hinaus nicht mit Zwangsmitteln durchsetzbar sei. Nach Abschluss dieser Ermittlungsmaßnahme komme allein eine Feststellungsklage nach § 41 Abs. 1 der Finanzgerichtsordnung (FGO) in Betracht, die hier wegen fehlenden Rechtsschutzbedürfnisses unzulässig sei. Aber auch die Annahme einer selbständig durchsetzbaren Androhungs- und Duldungsverfügung (Verwaltungsakt) führe nicht zum Klageerfolg, weil es an dem für eine Fortsetzungsfeststellungsklage nach § 100 Abs. 1 Satz 4 FGO erforderlichen berechtigten Feststellungsinteresse fehle. Da der Raum, dem die Ermittlung galt, seit dem Veranlagungszeitraum 2005 (steuerlich) nicht mehr geltend gemacht werde, bestehe hinsichtlich des Betretens der Wohnung kein konkreter Anlass für eine Wiederholungsgefahr. Ungeachtet des Ergebnisses der Ortsbesichtigung seien die von den Klägern angefochtenen Einkommensteuerfestsetzungen rechtmäßig, wie in dem die Einkommensteuer betreffenden anderen Urteil vom selben Tage entschieden.

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Ein tief greifender Grundrechtseingriff, der ausnahmsweise auch ohne ersichtliche Positionsverbesserung ein berechtigtes Feststellungsinteresse der Kläger begründen könnte, sei nicht ersichtlich, da das Betreten und kurzzeitige Verweilen der Beamten in den Wohnräumen der Kläger nach deren eigenem Vortrag im Einvernehmen mit der Klägerin erfolgt sei und objektive Anhaltspunkte für eine Bedrohungssituation nicht vorgelegen hätten.

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Von einer Wiedergabe des Tatbestandes im Übrigen sieht der Senat ab (§ 116 Abs. 5 Satz 2 FGO).

Entscheidungsgründe

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I. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor.

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1. Soweit die Kläger Einwendungen gegen die materielle Richtigkeit des angefochtenen Urteils geltend machen, führen diese --auch soweit sie die Sachverhalts- oder Beweiswürdigung des FG betreffen-- grundsätzlich nicht zur Zulassung der Revision (ständige Rechtsprechung, vgl. z.B. Beschlüsse des Bundesfinanzhofs --BFH-- vom 28. April 2003 VIII B 260/02, BFH/NV 2003, 1336; vom 23. Juni 2003 IX B 119/02, BFH/NV 2003, 1289).

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Ausnahmsweise besteht ein Allgemeininteresse an der Aufhebung eines Urteils dann, wenn eine Entscheidung an einem schwer wiegenden Rechtsfehler im Sinne einer objektiv willkürlichen Entscheidung leidet, der geeignet ist, das Vertrauen in die Rechtsprechung zu beschädigen (vgl. Gräber/Ruban, Finanzgerichtsordnung, 6. Aufl., § 115 Rz 68, m.w.N.). Ein derartiger Ausnahmefall liegt hier ersichtlich nicht vor. Das FG hat die Klage in verfahrensrechtlicher und materiell-rechtlicher Hinsicht umfassend geprüft und gewürdigt, ohne dass ihm dabei ein schwer wiegender Rechtsfehler unterlaufen wäre.

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2. Die Revision ist nicht wegen grundsätzlicher Bedeutung (§ 115 Abs. 2 Nr. 1 FGO) der von den Klägern aufgeworfenen verfahrensrechtlichen Fragen zuzulassen

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a) Ob ein Einspruch zur Feststellung der Rechtswidrigkeit eines Verwaltungsaktes zulässig ist, wäre in einem Revisionsverfahren nicht klärungsfähig, weil das FG in der angefochtenen Entscheidung maßgeblich darauf abgestellt hat, dass es sich bei dem umstrittenen Vorgehen des FA (Betreten der Wohnung der Kläger) gerade nicht um einen Verwaltungsakt, sondern um einen Realakt handelte. Von dieser möglichen und vom Senat für zutreffend befundenen Rechtsauffassung ausgehend, ist ein Einspruch gegen den Realakt nicht statthaft (s. § 347 der Abgabenordnung).

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Folgerichtig hat das FG erkannt, dass die Rechtswidrigkeit schlichten Verwaltungshandelns nicht im Wege der Fortsetzungsfeststellungsklage (§ 100 Abs. 1 Satz 4 FGO) zu erreichen ist, sondern insoweit hier allein die Feststellungsklage nach § 41 Abs. 1 FGO in Betracht kam, der aber aus den Gründen des angefochtenen Urteils nicht zu entsprechen war.

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b) Keine grundsätzliche Bedeutung kommt auch der Frage zu, ob im Streitfall eine isolierte Anfechtung der (den Einspruch mangels Statthaftigkeit als unzulässig verwerfenden) Einspruchsentscheidung wegen behaupteter Verletzung des rechtlichen Gehörs durch das FA (versagte Übersendung eines Ermittlungsberichts) zulässig ist. Die Frage wäre in einem Revisionsverfahren jedenfalls nicht entscheidungserheblich und damit nicht klärungsfähig, weil die vom FA getroffene Einspruchsentscheidung offenkundig rechtmäßig war, wie dies aus der zutreffenden Einordnung des Verwaltungshandelns als Realakt durch das FG folgt.

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c) Dass eine isolierte Aufhebung der Einspruchsentscheidung nicht im Rahmen einer Feststellungsklage (§ 41 Abs. 1 FGO) möglich ist, ergibt sich unmittelbar aus dem Gesetz (§ 41 Abs. 2 FGO, Subsidiarität der Feststellungsklage). Der Streitfall ist ersichtlich kein Ausnahmefall nach § 41 Abs. 2 Satz 2 FGO.

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3. Eine Zulassung der Revision wegen Divergenz (§ 115 Abs. 2 Nr. 2  2. Alternative FGO) scheidet aus. Insoweit fehlt es bereits an einer schlüssigen Darlegung der Voraussetzungen i.S. von § 116 Abs. 3 Satz 3 FGO, weil in den Ausführungen der Kläger keine divergierenden abstrakten Rechtssätze gegenübergestellt sind, aus denen sich eine Abweichung des angefochtenen Urteils in einer entscheidungserheblichen Rechtsfrage von der Rechtsprechung des BFH (oder anderer Gerichte) ergäbe. Im Übrigen rügen die Kläger Divergenz nur im Zusammenhang mit einer Hilfserwägung im angefochtenen Urteil, so dass eine Zulassung der Revision wegen fehlender Entscheidungserheblichkeit selbst dann nicht zu erfolgen hätte, wenn insoweit tatsächlich eine Divergenz zu verzeichnen wäre (Gräber/Ruban, a.a.O., § 115 Rz 60, m.w.N.).

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4. Das Urteil leidet nicht unter den geltend gemachten Verfahrensmängeln (§ 115 Abs. 2 Nr. 3 FGO).

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a) Das FG hat nicht zu Unrecht durch Prozessurteil statt durch Sachurteil entschieden. Bei der Prüfung des Feststellungsinteresses kam es darauf an, ob nach dem Vortrag der Kläger eine tiefgreifende Grundrechtsverletzung in Betracht kam. Dies hat das FG aus revisionsrechtlich nicht zu beanstanden Gründen verneint.

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b) Das rechtliche Gehör (§ 119 Nr. 3 FGO) ist nicht dadurch verletzt, dass das FG eine Überraschungsentscheidung erlassen hätte. Der Anspruch auf rechtliches Gehör umfasst in erster Linie das Recht der Verfahrensbeteiligten, sich vor Erlass einer Entscheidung zu den entscheidungserheblichen Tatsachen und --gegebenenfalls-- Beweisergebnissen zu äußern, sowie in rechtlicher Hinsicht alles vorzutragen, was sie für wesentlich halten (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Dem entspricht die Pflicht des Gerichts, Anträge und Ausführungen der Prozessbeteiligten zur Kenntnis zu nehmen und in Erwägung zu ziehen. Grundsätzlich ist davon auszugehen, dass das Gericht das von ihm entgegengenommene Vorbringen der Beteiligten auch tatsächlich zur Kenntnis genommen hat.

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Der Anspruch auf rechtliches Gehör ist nach ständiger Rechtsprechung des BFH dann durch eine Überraschungsentscheidung verletzt, wenn das Gericht ohne vorherigen Hinweis seine Entscheidung auf einen rechtlichen oder tatsächlichen Gesichtspunkt stützt, der weder im Besteuerungsverfahren noch im gerichtlichen Verfahren zur Sprache gekommen ist und mit dem auch ein gewissenhafter und kundiger Prozessbeteiligter selbst unter Berücksichtigung der Vielzahl vertretbarer Rechtsauffassungen nach dem bisherigen Verlauf des Verfahrens nicht zu rechnen brauchte (BFH-Beschluss vom 7. Dezember 2005 I B 90/05, BFH/NV 2006, 601, m.w.N.; BFH-Beschluss vom 2. Oktober 2007 IX B 24/07, BFH/NV 2008, 92). Nach diesen Grundsätzen war das angefochtene Urteil nicht geeignet, die Kläger zu überraschen. Dass das Gericht bei seiner Entscheidung das Feststellungsinteresse, das Rechtsschutzbedürfnis für eine isolierte Anfechtung der Einspruchsentscheidung und den Rechtscharakter des streitbefangenen Verwaltungshandelns prüfen würde, lag auf der Hand und musste deshalb den Klägern bzw. ihrem fachkundigen Vertreter klar sein. Insbesondere angesichts der Einspruchsentscheidung des FA mussten die Kläger auch mit der Möglichkeit einer ihnen nachteiligen Entscheidung aus verfahrensrechtlichen Gründen rechnen und von sich aus alle insoweit vertretbaren Gesichtspunkte in Betracht ziehen (Gräber/Ruban, a.a.O., § 119 Rz 10a, m.w.N.). Ein Urteil ist nicht deshalb Überraschungsentscheidung, weil es nicht den Erwartungen und Hoffnungen eines Beteiligten entspricht.

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Aufgrund ihres eigenen schriftlichen Vortrags kann es für die Kläger auch nicht überraschend gewesen sein, dass das Gericht sich im angefochtenen Urteil mit der Frage auseinandergesetzt hat und auseinandersetzen musste, ob im Verhalten des FA ein tief greifender Grundrechtseingriff lag, auch wenn dieser Punkt nach Angaben der Kläger in der mündlichen Verhandlung nicht erörtert worden ist. Im Übrigen hatten es die Kläger in der Hand, bei Bedarf die Frage zum Gegenstand der mündlichen Verhandlung zu machen.

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c) Soweit die Kläger bemängeln, dass das Gericht weitere Sachverhaltsermittlungen und insbesondere Zeugenvernehmungen unterlassen habe, sind sie mit dieser Rüge im Beschwerdeverfahren ausgeschlossen. Derjenige Beteiligte, der in der mündlichen Verhandlung keine Beweisanträge stellt und die aus seiner Sicht mangelnde Sachaufklärung durch das Gericht in der mündlichen Verhandlung nicht rügt, übt einen sog. Rügeverzicht (§ 155 FGO i.V.m. § 295 der Zivilprozessordnung) aus und kann sich nach ständiger Rechtsprechung nicht auf die Verletzung der Aufklärungspflicht berufen (s. etwa Beschluss des beschließenden Senats vom 6. September 2006 VIII B 187/05, BFH/NV 2007, 74; Gräber/Stapperfend, a.a.O., § 76 Rz 33, m.w.N.).

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5. Dem Verfahrensantrag, das Beschwerdeverfahren bis zur Entscheidung des Senats in dem Parallelverfahren VIII B 72/09 wegen Nichtzulassung der Revision (Einkommensteuer 2001 bis 2003) auszusetzen, war nicht zu entsprechen. Eine Aussetzung des Verfahrens kommt schon deshalb nicht in Betracht, weil beide Verfahren beim selben Senat desselben Gerichts anhängig sind (s. BFH-Beschluss vom 17. August 1995 XI B 123, 125/94, BFH/NV 1996, 219). Darüber hinaus ist nicht ersichtlich, dass die Entscheidung des Rechtsstreits i.S. von § 74 FGO "von dem Bestehen oder Nichtbestehen eines Rechtsverhältnisses abhängt, das den Gegenstand" jenes anderen anhängigen Rechtsstreits (VIII B 72/09) bildet. Es bleibt deshalb unerheblich, dass die Kläger auch im Verfahren VIII B 72/09 einen Aussetzungsantrag gestellt und diesen in widersprüchlicher Weise mit der Anhängigkeit des vorliegenden Rechtsstreits (VIII B 71/09) begründet haben.

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