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Arbeitsrecht
05.06.2025
Arbeitsrecht
BAG: Sozialplanabfindung – Fälligkeit – Verzugszinsen

BAG, Urteil vom 28.1.2025 – 1 AZR 73/24

ECLI:DE:BAG:2025:280125.U.1AZR73.24.0

Volltext: BB-Online BBL2025-1395-3

Leitsatz

Abfindungsansprüche aus einem durch Spruch einer Einigungsstelle beschlossenen Sozialplan, der erfolglos gerichtlich angefochten wurde, werden zu dem im Sozialplan bestimmten Zeitpunkt und nicht erst mit Rechtskraft der Entscheidung in dem Beschlussverfahren über die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs fällig.

 

Sachverhalt

Die Parteien streiten zuletzt noch über Verzugszinsen auf eine gezahlte Sozialplanabfindung.

Die Klägerin war bei der Beklagten als Arbeitnehmerin in einem Callcenter beschäftigt. Mit Schreiben vom 27. Dezember 2018 kündigte die Beklagte das Arbeitsverhältnis ordentlich zum 31. Juli 2019. Die Klägerin erhob keine Kündigungsschutzklage.

Im Mai 2019 beschloss eine von der Beklagten und ihrem Betriebsrat errichtete Einigungsstelle einen Sozialplan, nach dem der Klägerin ein Abfindungsanspruch zustand. Nach Nr. 5 des Sozialplans entstehen diese Ansprüche – sofern keine Kündigungsschutzklage erhoben wird – mit seinem Abschluss und werden mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig. Die Arbeitgeberin focht den Einigungsstellenspruch wegen Überdotierung des Sozialplans an. Arbeitsgericht und Landesarbeitsgericht wiesen den auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichteten Antrag der Arbeitgeberin ab. Nachdem das Bundesarbeitsgericht die Nichtzulassungsbeschwerde der Arbeitgeberin mit Beschluss vom 27. April 2021 zurückgewiesen hatte, zahlte sie an die Klägerin am 20. Mai 2021 eine Abfindung iHv. 45.797,93 Euro brutto.

Die Klägerin hat mit ihrer der Beklagten am 13. September 2019 zugestellten Klage zuletzt noch Verzugszinsen auf diesen Betrag für den Zeitraum vom 1. August 2019 bis zum 20. Mai 2021 begehrt.

Die Klägerin hat zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an sie Verzugszinsen iHv. 3.401,54 Euro zu zahlen.

Die Beklagte hat beantragt, die Klage abzuweisen. Sie hat die Auffassung vertreten, der Anspruch der Klägerin auf eine Abfindung nach dem Sozialplan sei erst mit Rechtskraft der Entscheidung im Beschlussverfahren über die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs fällig geworden. Jedenfalls habe sie sich nicht schuldhaft im Verzug befunden, weil bis zum rechtskräftigen Abschluss des Beschlussverfahrens unklar gewesen sei, ob eine rechtliche Grundlage für die Zahlung einer Abfindung bestand.

Das Arbeitsgericht hat die – zunächst auf Zahlung einer Sozialplanabfindung iHv. 62.236,48 Euro nebst Verzugszinsen gerichtete – Klage abgewiesen, nachdem die Parteien den Rechtsstreit in Höhe der von der Beklagten gezahlten Abfindung teilweise übereinstimmend für erledigt erklärt hatten. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer hinsichtlich der Verzugszinsen vom Senat zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin dieses Begehren weiter.

Aus den Gründen

8          Die Revision der Klägerin ist begründet. Ihre Klage hat in dem zuletzt noch streitgegenständlichen Umfang Erfolg.

 

9          I. Die Klage ist zulässig. Der Antrag ist als bezifferter Leistungsantrag hinreichend bestimmt iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Die Klägerin begehrt Verzugszinsen für die Zeit vom 1. August 2019 bis zum 20. Mai 2021 auf den von der Beklagten gezahlten Abfindungsbetrag iHv. 45.797,93 Euro. Damit hat die Klägerin – wie erforderlich – dargelegt, aus welchem Betrag und für welchen Zeitraum sie Verzugszinsen beansprucht (zu den Anforderungen vgl. BAG 24. Februar 2021 – 10 AZR 43/19 – Rn. 15; 29. August 2018 – 7 AZR 206/17 – Rn. 20).

 

10        II. Die Klage ist begründet. Der Zinsanspruch ergibt sich aus § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 2 BGB.

 

11        1. Die Beklagte war mit der Zahlung der Abfindung iHv. 45.797,93 Euro ab dem 1. August 2019 im Verzug.

 

12        a) Der Klägerin stand nach dem auf einem Spruch der Einigungsstelle beruhenden Sozialplan ein Anspruch auf Zahlung einer Abfindung iHv. 45.797,93 Euro zu. Dieser Anspruch war mit Ablauf des 31. Juli 2019 fällig.

 

13        aa) Nach Nr. 5 des Sozialplans werden Sozialplanabfindungen „mit“ der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses fällig, sofern keine Kündigungsschutzklage erhoben wird. Die Klägerin ist – ohne Klageerhebung – mit Ablauf des 31. Juli 2019 aus dem Arbeitsverhältnis ausgeschieden, sodass ihr Abfindungsanspruch zu diesem Zeitpunkt fällig wurde.

 

14        bb) Der Fälligkeit des Abfindungsanspruchs steht nicht entgegen, dass die Beklagte den Spruch der Einigungsstelle gerichtlich angefochten hat.

 

15        (1) Mit der – rechtskräftigen – antragsabweisenden Entscheidung des Landesarbeitsgerichts im Beschlussverfahren steht mit präjudizieller Wirkung für die von ihm erfassten Arbeitnehmer und damit auch für die Klägerin fest, dass der Sozialplan wirksam ist (vgl. BAG 17. Februar 1992 – 10 AZR 448/91 – zu II 2 b der Gründe, BAGE 69, 367). Die Abweisung des auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Einigungsstellenspruchs gerichteten Antrags der Beklagten als unbegründet enthält zugleich die positive Feststellung des kontradiktorischen Gegenteils (vgl. BAG 23. August 2016 – 1 ABR 43/14 – Rn. 26).

 

16        (2) Entgegen der Annahme des Landesarbeitsgerichts kommt einer solchen Entscheidung keine rechtsgestaltende Wirkung zu. Wird der Spruch einer Einigungsstelle, mit dem ein Sozialplan aufgestellt wurde, von einer der Betriebsparteien nach § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG gerichtlich angefochten, hat eine daraufhin ergehende Entscheidung über die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs lediglich feststellende Wirkung. Entsprechend ist der Antrag auf die Feststellung der Unwirksamkeit des Spruchs und nicht auf seine Aufhebung zu richten (vgl. BAG 14. Februar 2023 – 1 ABR 28/21 – Rn. 15, BAGE 180, 170; 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn. 12 mwN). Die gerichtliche Überprüfung ist dabei grundsätzlich auf eine Rechtskontrolle beschränkt. Auch soweit das Gericht – unter den Voraussetzungen von § 76 Abs. 5 Satz 4 BetrVG – eine Ermessensüberprüfung vornimmt, beurteilt es nur, ob die Einigungsstelle die ihr gezogenen Ermessensgrenzen eingehalten hat. Anders als die Beklagte meint, nimmt das Gericht dabei keine Leistungsbestimmung nach § 315 Abs. 3 BGB vor. Gegenstand der gerichtlichen Überprüfung ist – wie bei der Inhaltskontrolle von Betriebsvereinbarungen – lediglich die Wirksamkeit der kollektiven Regelung (vgl. BAG 24. August 2004 – 1 ABR 23/03 – zu B III 2 b der Gründe mwN, BAGE 111, 335).

 

17        b) Nach § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB bedurfte es für den Eintritt des Verzugs keiner Mahnung.

 

18        aa) Allerdings war eine Mahnung nicht schon deshalb entbehrlich, weil der Fälligkeitszeitpunkt nach dem Kalender bestimmt gewesen wäre.

 

19        (1) Nach § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB bedarf es für den Eintritt des Verzugs keiner Mahnung, wenn für die Leistung eine Zeit nach dem Kalender bestimmt ist. Dafür ist es nicht ausreichend, wenn die Fälligkeitsregelung einen zukünftigen, noch nicht feststehenden Zeitpunkt enthält (vgl. BGH 12. November 2015 – I ZR 167/14 – Rn. 140; 20. Mai 1985 – VII ZR 324/83 – zu II 2 der Gründe). Die bloße Bestimmbarkeit genügt den Anforderungen des § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB nicht (vgl. MüKoBGB/Ernst 9. Aufl. § 286 Rn. 73).

 

20        (2) Aus Nr. 5 des Sozialplans ergibt sich keine nach dem Kalender bestimmte Leistungszeit. Dort ist nur geregelt, dass die Ansprüche auf Abfindungen „mit der rechtlichen Beendigung des Arbeitsverhältnisses“ fällig werden. Damit ist die Fälligkeit nicht nach einem konkreten Datum bestimmt, sondern vom individuellen Beendigungszeitpunkt abhängig.

 

21        bb) Eine Mahnung war aber nach § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB nicht erforderlich.

 

22        (1) Nach dieser Norm bedarf es keiner Mahnung, wenn der Leistung ein Ereignis vorauszugehen hat und eine angemessene Zeit für die Leistung in der Weise bestimmt ist, dass sie sich von dem Ereignis an nach dem Kalender berechnen lässt. Ein typischer Fall eines solchen Ereignisses ist die Kündigung (vgl. BT-Drs. 14/6040 S. 145 unter Verweis auf § 284 Abs. 2 Satz 2 BGB aF).

 

23        (2) Im Streitfall ging der Fälligkeit der Sozialplanabfindung die Kündigung der Beklagten vom 27. Dezember 2018 zum 31. Juli 2019 voraus. Dadurch stand der Zeitpunkt fest, zu dem das Arbeitsverhältnis der Klägerin enden würde, sodass die Zahlungszeit nach dem Kalender bestimmbar war. Die – ordentliche – Kündigungsfrist bot der Beklagten zudem eine angemessene Zeitspanne zur Leistung iSv. § 286 Abs. 2 Nr. 2 BGB.

 

24        c) Der Eintritt des Schuldnerverzugs war nicht nach § 286 Abs. 4 BGB ausgeschlossen.

 

25        aa) Nach § 286 Abs. 4 BGB kommt der Schuldner nicht in Verzug, solange die Leistung aufgrund eines Umstands unterbleibt, den er nicht zu vertreten hat. Der Schuldner hat nach § 276 Abs. 1 Satz 1 BGB Vorsatz und Fahrlässigkeit zu vertreten, wenn eine strengere oder mildere Haftung weder bestimmt noch aus dem sonstigen Inhalt des Schuldverhältnisses zu entnehmen ist. Der Gesetzgeber hat das fehlende Verschulden als Einwand ausgestaltet, für den der Schuldner darlegungs- und beweispflichtig ist. Er ist gehalten, im Einzelnen darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die geschuldete Leistung zum Fälligkeitszeitpunkt unterblieben ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft. Dabei muss das Verschulden einheitlich für alle Verzugsfolgen – auch für den Verzugszins – festgestellt werden (BAG 24. Juni 2021 – 5 AZR 385/20 – Rn. 18 mwN, BAGE 175, 182).

 

26        bb) Die Beklagte hat keine Umstände dargelegt, die einen Ausschluss des Schuldnerverzugs zu begründen vermöchten. Sie hat insoweit lediglich gemeint, während des gerichtlichen Beschlussverfahrens über die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs habe „Unsicherheit über die Grundlage der Leistungen“ bestanden. Damit hat sie nur einen – unbeachtlichen – Rechtsirrtum geltend gemacht, der sie nicht entlastet.

 

27        (1) Der Ausschluss des Schuldnerverzugs wegen Rechtsirrtums kommt nur in Betracht, wenn der Irrtum unverschuldet ist. Die Annahme eines solchen Falls ist an strenge Voraussetzungen geknüpft. Grundsätzlich erfordert der Geltungsanspruch des Rechts, dass der Schuldner das Risiko eines Rechtsirrtums selbst trägt und nicht dem Gläubiger aufbürden kann. Der Schuldner muss die Rechtslage genau prüfen, soweit erforderlich Rechtsrat einholen und die höchstrichterliche Rechtsprechung sorgfältig beachten. Fahrlässig handelt, wer sich erkennbar in einem Grenzbereich des rechtlich Zulässigen bewegt, indem er eine von der eigenen Einschätzung abweichende Beurteilung der rechtlichen Zulässigkeit des fraglichen Verhaltens in Betracht ziehen muss (vgl. BGH 15. Juli 2014 – XI ZR 418/13 – Rn. 14 f. mwN). Eine Ausnahme von diesem Grundsatz gilt nur dann, wenn die Rechtslage besonders zweifelhaft und schwierig ist und sich eine einheitliche Rechtsprechung noch nicht gebildet hat. Das Risiko einer gänzlich ungeklärten Rechtslage fällt dem Schuldner nicht zur Last. Ein normales Prozessrisiko entlastet ihn dagegen nicht (BAG 30. Januar 2024 – 1 AZR 74/23 – Rn. 25, BAGE 182, 365; 12. September 2022 – 6 AZR 261/21 – Rn. 32 mwN, BAGE 179, 35).

 

28        (2) In Anwendung dieser Maßstäbe unterlag die Beklagte keinem unverschuldeten Rechtsirrtum. Sie hat nicht dargelegt, dass die Rechtslage in Bezug auf die Wirksamkeit des Einigungsstellenspruchs besonders zweifelhaft und schwierig gewesen wäre. Für die Überprüfung eines – auf einem Einigungsstellenspruch beruhenden – Sozialplans wegen Überdotierung existiert vielmehr eine ständige Rechtsprechung (vgl. nur BAG 7. Mai 2019 – 1 ABR 54/17 – Rn. 16 ff.; 22. Januar 2013 – 1 ABR 85/11 – Rn. 14 ff.; 24. August 2004 – 1 ABR 23/03 – zu B III 2 der Gründe, BAGE 111, 335). Die Unsicherheit bei der Beurteilung, ob – wie von der Beklagten angenommen – im konkreten Fall eine Überdotierung gegeben war, begründet lediglich ein normales Prozessrisiko. Dieses fällt der Beklagten zur Last.

 

29        2. Die Verzugszinsen stehen der Klägerin ab dem 1. August 2019 zu. Der Anspruch nach § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 1 Satz 1 iVm. Abs. 2 Nr. 2 BGB entsteht ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit (§ 187 Abs. 1 BGB; vgl. BAG 21. August 2024 – 10 AZR 500/20 – Rn. 23; 19. Mai 2021 – 5 AZR 420/20 – Rn. 38 mwN). Folglich befand sich die Beklagte ab dem 1. August 2019 im Schuldnerverzug. Dieser endete mit der Zahlung im Lauf des 20. Mai 2021.

 

30        3. Die Klägerin kann die Verzugszinsen auch in der geltend gemachten Höhe verlangen. Sie hat die Zinsen zutreffend auf der Grundlage der Bruttoforderung iHv. 45.797,93 Euro berechnet (vgl. dazu BAG 7. März 2001 – GS 1/00 – zu III der Gründe, BAGE 97, 150).

 

31        4. Der Anspruch der Klägerin ist nicht verfallen. Selbst wenn die von der Beklagten angeführte tarifvertragliche Ausschlussfrist von sechs Monaten nach § 31 des genannten Manteltarifvertrags für das Arbeitsverhältnis der Parteien gelten oder auf dieses Anwendung finden sollte, hätte die Klägerin die Frist durch Zustellung ihrer Zahlungsklage an die Beklagte im September 2019 gewahrt.

 

32        III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1 Satz 1, § 91a Abs. 1 Satz 1, § 92 Abs. 1 Satz 1 ZPO.

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