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Arbeitsrecht
02.05.2024
Arbeitsrecht
BAG: Ruhegeldfähiges Monatsentgelt – Auslegung einer Gesamtzusage – Einführung zusätzlicher, nicht ruhegeldfähiger Zulagen

BAG, Urteil vom 30.1.2024 – 3 AZR 144/23

ECLI:DE:BAG:2024:300124.U.3AZR144.23.0

Volltext: BB-Online BBL2024-1075-1

 

Amtlicher Leitsatz

Grundsätzlich sind die Betriebs- und Tarifvertragsparteien nicht daran gehindert, (neue) Zulagen und Vergütungsbestandteile einzuführen, die nach der ursprünglichen Versorgungszusage nicht ruhegeldfähig sind. Eine ruhegeldrelevante Erhöhung der Tabellenvergütung über die tarifliche Dynamisierung hinaus ist eine vom Recht nicht geschützte Erwartung der Versorgungsanwärter.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über die Berücksichtigung tarifvertraglicher Leistungen bei der Bemessung des ruhegeldfähigen Einkommens des Klägers.

Der Kläger war bei der Beklagten bzw. deren Rechtsvorgängerinnen beschäftigt, die ihm eine Versorgung nach der Versorgungsordnung 1976 (VO 1976) zusagten. In der VO 1976 heißt es auszugsweise:

„WERKSPENSION

§ 6 Beginn der Leistungen

1.    Anspruch auf Werkspension haben Arbeitnehmer nach Vollendung des 65. Lebensjahres beim Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis zu E.

…      

§ 7 Ruhegeldfähiges Einkommen

1.    Für die Errechnung der Versorgungsleistungen ist die höchste Monatsvergütung (Anlage 1 zum jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag bzw. vertraglich vereinbarte Monatsvergütung) der dem Ausscheiden aus dem Arbeitsverhältnis vorhergehenden 3 Jahre zu berücksichtigen. Zum ruhegeldfähigen Einkommen gehören ferner Vorarbeiterzulagen, Zulagen nach § 33 Manteltarifvertrag, Schichtzuschläge, die ruhegeldfähigen Anteile der Zulage nach § 19 MTV und ein Zwölftel der 13. Monatsvergütung.

Schichtzuschläge werden berücksichtigt, sofern der Anspruch mindestens 10 Jahre bestanden hat und nicht früher als 3 Jahre vor Eintritt des Versorgungsfalls fortgefallen ist. Für die Berechnung sind die im Monatsdurchschnitt des letzten Schichtdienstjahres regelmäßig angefallenen Schichttage (Bruchteile von 0,5 und mehr werden aufgerundet) sowie die Höhe des zuletzt bezogenen Schichtzuschlags gemäß § 2 Vergütungstarifvertrag maßgebend.

2.    Tantiemen, Einmal- oder Sonderzahlungen zählen nur dann zum ruhegeldfähigen Einkommen, wenn sie ausdrücklich als ruhegeldfähig vertraglich zugesichert sind.

…      

§ 9 Gesamtversorgung

Durch die Versorgungsanordnung wird eine Gesamtversorgung geschaffen, die sich aus dem anzurechnenden Einkommen und der zusätzlichen Werkspension zusammensetzt. Die Höhe der von E zu leistenden Werkspension ist daher – mit Ausnahme evtl. zu gewährender Mindestwerkspensionen – in allen Fällen von der Höhe des anzurechnenden Einkommens abhängig.

Die Gesamtversorgung beträgt bei Leistungsbeginn nach zehn versorgungsberechtigenden Dienstjahren 45 v. H. des ruhegeldfähigen Einkommens. Der vorgenannte Prozentsatz steigt während eines Zeitraumes von zehn Jahren um zwei Punkte, und von da ab während eines weiteren Zeitraumes von zehn Jahren um einen Punkt für jedes Dienstjahr. Auf diese Weise wird nach 30 Dienstjahren der Höchstsatz der Gesamtversorgung von 75 v. H. des ruhegeldfähigen Einkommens erreicht.

§ 10 Anzurechnendes Einkommen

1.    Zum anzurechnenden Einkommen zählen:

a)    Altersrenten sowie Renten wegen Berufs- oder Erwerbsunfähigkeit aus der gesetzlichen Rentenversicherung, wobei die Hälfte einer eventuellen Zurechnungszeit (§ 59 SGB VI) und Kinderzuschüsse unberücksichtigt bleiben

…      

§ 14 Anpassung der Werkspension

1.    Die bei Eintritt des Versorgungsfalls nach den Bestimmungen des § 9 (Gesamtversorgung) ermittelte Werkspension wird bei einer tarifvertraglich vereinbarten Änderung der Vergütungstabelle (Anlage 1 zum jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag) im gleichen Verhältnis und zum gleichen Zeitpunkt angepaßt. Maßgebend ist die prozentuale Vergütungsänderung in der früheren Vergütungsgruppe des Versorgungsberechtigten.“

Im anwendbaren Manteltarifvertrag idF vom 16. Oktober 1990 (MTV) heißt es auszugsweise:

 „§ 14

Eingruppierungsvoraussetzungen / Vergütung

…      

III.

Grundsätze der Vergütung

1.    Die Arbeitnehmer erhalten für die monatlich im Rahmen der regelmäßigen Arbeitszeit geleistete Arbeit die Tabellenvergütung nach der Vergütungstabelle des jeweils gültigen Vergütungstarifvertrages.

…      

§ 34  

Begriffsbestimmungen

…      

8.    Grundvergütung

Die Grundvergütung umfaßt

8.1     die Tabellenvergütung

8.2     eine evtl. Sozialzulage

8.3     eine evtl. Vorarbeiterzulage

8.4     evtl. Ausgleichszulagen nach § 33

…      

20.     Tabellenvergütung

Die Tabellenvergütung ergibt sich aus der Vergütungstabelle des jeweils gültigen Vergütungstarifvertrages.“

Auf das Arbeitsverhältnis fanden zudem die – zumeist jährlich – zwischen der Beklagten und der Gewerkschaft ÖTV bzw. ver.di vereinbarten Vergütungstarifverträge (VTV) Anwendung. In der Anlage 1 der VTV war stets tabellarisch die Vergütung unter der Überschrift „Tabellenvergütung“ in mehreren Gruppen und Stufen geregelt.

Im September 1999 schlossen die Beklagte und die Gewerkschaft ÖTV den Tarifvertrag „Tarifabschluss 1999“ (TV GIZ), in dem es auszugsweise heißt:

„Präambel

Die Änderungen der energiewirtschaftlichen Rahmenbedingungen durch Einführung des Wettbewerbs erfordern einen tiefgreifenden Anpassungsprozeß bei E, der ihre aktiven Arbeitnehmer vor erhebliche Herausforderungen stellt. Hervorzuheben sind eine verstärkte Kundenorientierung, die Optimierung der Geschäftsprozesse unter Einschluß der Aufbau- und Ablauforganisation, die unternehmensweit gleichzeitige Einführung neuer IV-Systeme, die Erschließung neuer Geschäftsfelder sowie die Ausschöpfung sämtlicher Kosteneinsparungspotentiale, um die Eigenständigkeit und Wettbewerbsfähigkeit der E und damit auch Arbeitsplätze in der Region zu sichern.

Unter Berücksichtigung dieser durch die aktive Belegschaft zu bewältigenden besonderen Aufgaben einerseits und der neben dem wettbewerbsbedingt hohen Kostendruck bestehenden gesetzlich bedingten Zusatzbelastungen der E insbesondere im Rahmen der Sozialversicherung und der betrieblichen Altersversorgung andererseits stellen die Tarifvertragsparteien angesichts der geringfügigen Verteilungsspielräume im diesjährigen Vergütungstarifabschluß die Einkommensverbesserung der aktiven Arbeitnehmer in den Mittelpunkt.

A.    Tarifvertrag über Garantierte Individuelle Zulage

…      

§ 2     Begriff der Garantierten Individuellen Zulage

 (1)     Die Garantierte Individuelle Zulage setzt sich zusammen aus

–       dem Grundbetrag sowie

–       dem Aufstockungsbetrag.

(2)     Der Grundbetrag entspricht in der Höhe den von E aufgrund der bis zum Inkrafttreten dieses Tarifvertrages geltenden Betriebsvereinbarung über Zuschüsse zu Sozialversicherungsbeiträgen monatlich gezahlten Beträgen:

a)    Für Vollzeitbeschäftigte gilt ein Grundbetrag von 250,00 DM.

…      

(3)     Der Aufstockungsbetrag entspricht 1,3 % der 13,5fachen Tabellenvergütung des Mitarbeiters, dividiert durch 12.

…      

§ 3     Altersversorgung

Die Garantierte Individuelle Zulage ist nicht ruhegeldfähig und wird daher weder in die Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens noch in die Anpassung des ruhegeldfähigen Einkommens bzw. der laufenden Versorgungsleistungen im Rahmen der bei E geltenden Versorgungswerke der betrieblichen Altersversorgung einbezogen.“

Im September 2010 schlossen die Beklagte und die Gewerkschaft ver.di den Tarifvertrag „Tariflicher Aufstockungsbetrag und Beschäftigungssicherung sowie Änderung des Tarifvertrages über Garantierte Individuelle Zulage“ (TV TAB). Darin heißt es ua.:

„Präambel

Die Verstärkung des Wettbewerbs stellt M im Vergleich zu seinen Mitbewerbern auf den Märkten aufgrund der vorhandenen Kostenstruktur trotz in der Vergangenheit erfolgter Maßnahmen vor sehr große Herausforderungen, die der aktiven Belegschaft besondere Anstrengungen abfordern. Hinzu kommt, dass die Tarifvertragsparteien auf die Beschäftigungssicherung der aktiven Belegschaft einen besonderen Schwerpunkt legen.

Unter Berücksichtigung dieser durch die aktive Belegschaft zu bewältigenden Aufgaben einerseits und der neben dem wettbewerbsbedingt hohen Kostendruck bestehenden Zusatzbelastungen aufgrund der betrieblichen Altersversorgung andererseits stellen die Tarifvertragsparteien angesichts der eingeschränkten Verteilungsspielräume im diesjährigen Vergütungstarifabschluss die Einkommensverbesserung sowie die Beschäftigungssicherung der aktiven Arbeitnehmer in den Mittelpunkt.

Vor diesem Hintergrund vereinbaren die Parteien den vorliegenden Tarifvertrag.

…      

§ 2     Begriff des Tariflichen Aufstockungsbetrages

1.    Die Arbeitnehmer erhalten monatlich ab dem 01.07.2010 einen ‚Tariflichen Aufstockungsbetrag‘ dessen Höhe sich aus einer Anlage zu dem jeweils geltenden Vergütungstarifvertrag ergibt.

…      

§ 3     Altersversorgung

Der Tarifliche Aufstockungsbetrag ist nicht ruhegeldfähig im Sinne der Versorgungsordnungen 1976 und 1998. Er wird daher nicht in die Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens der vorgenannten Versorgungsordnungen einbezogen. Er hat daher auch keine Auswirkung auf die Anpassung der laufenden Versorgungsbezüge der Versorgungsordnung 1976.“

In den Jahren 1990 bis 2022 entwickelten sich die Tabellenvergütung, die sog. Garantierte Individuelle Zulage und der sog. Tarifliche Aufstockungsbetrag prozentual wie folgt:

 

 

Vergütungstarifvertrag Nr.

Vergütungserhöhung Anlage 1

GIZ     

TAB     

1990   

Nr. 15

0,00 %

        

        

1991   

Nr. 16

6,30 %

        

        

1992   

Nr. 17

5,20 %

        

        

1993   

Nr. 18

2,50 %

        

        

1994   

Nr. 19

2,00 %

        

        

1995   

Nr. 20

3,80 %

        

        

1996   

Nr. 21

1,85 %

        

        

1997   

Nr. 22

1,50 %

        

        

1998   

Nr. 23

2,30 %

        

        

1999   

weiterhin Anwendung VTV Nr. 23

0,00 %

gestaffelt lt. Tabelle

        

2001   

Nr. 24

0,00 %

2,40 %

        

0,00 %

2,00 %

        

2002 – 2003

Nr. 25

0,00 %

2,50 %

        

2004 – 2008

Nr. 26

0,00 %

0,00 %

        

2009   

Nr. 27

0,00 %

3,00 %

        

2010   

Nr. 28

0,95 %

2,70 %

1,75 %

2011   

Nr. 29

2,30 %

3,60 %

4,90 %

2013   

Nr. 30

1,10 %

2,95 %

4,80 %

2014/2015

Nr. 31

0,00 %

1,00 %

1,00 %

0,00 %

1,00 %

1,00 %

2018 – 2020

Nr. 32

0,50 %

3,00 %

5,50 %

0,50 %

1,50 %

2,50 %

0,50 %

1,50 %

2,50 %

2021/2022

Nr. 33

1,00 %

1,80 %

2,60 %

0,70 %

1,60 %

2,50 %

 

Der Kläger hat geltend gemacht, die „Garantierte Individuelle Zulage“ und der „Tarifliche Aufstockungsbetrag“ seien für die Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens nach § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1976 als Teil der „Monatsvergütung“ zu berücksichtigen. Diese für nicht ruhegeldfähig zu betrachten, greife unter Verstoß gegen das Günstigkeitsprinzip unzulässig in seine Versorgungsansprüche ein. Die Nichtberücksichtigung der Zulage und des Aufstockungsbetrags führe aufgrund deren überproportionalen Zuwachses zu einer Verkehrung der Systematik der VO 1976.

Der Kläger hat beantragt

festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, bei der Berechnung seiner Ansprüche aus der Versorgungsordnung 1976 neben der jeweils gültigen Tabellenvergütung auch die „Garantierte Individuelle Zulage“ und den „Tariflichen Aufstockungsbetrag“ in der jeweils geltenden Höhe zugrunde zu legen.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und der Klage größtenteils stattgegeben. Mit der Revision beantragt die Beklagte, das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben und die Berufung des Klägers gegen das Urteil des Arbeitsgerichts zurückzuweisen. Der Kläger begehrt mit seiner Revision das Urteil des Landesarbeitsgerichts aufzuheben, soweit die Klage abgewiesen wurde, und dieser insgesamt stattzugeben.

 

Aus den Gründen

11        Die Revision der Beklagten ist erfolgreich, die des Klägers ist unbegründet. Das Berufungsgericht hat der Klage zu Unrecht überwiegend stattgegeben. Die Klage ist zulässig, aber insgesamt unbegründet.

 

12        I. Die Klage ist als Elementenfeststellungsklage zulässig. Eine Feststellungsklage muss sich nicht notwendig auf ein Rechtsverhältnis insgesamt erstrecken. Sie kann sich auf einzelne Beziehungen oder Folgen aus einem Rechtsverhältnis, auf bestimmte Ansprüche oder Verpflichtungen oder auch auf den Umfang einer Leistungspflicht beschränken (BAG 20. Juni 2023 – 3 AZR 221/22 – Rn. 13).

 

13        Der Kläger will die Berücksichtigung der individuellen Zulage nach dem TV GIZ und des Aufstockungsbetrags nach dem TV TAB neben der sog. Tabellenvergütung für die Berechnung seines ruhegeldfähigen Einkommens festgestellt wissen. Er bezeichnet mit „jeweils geltender Höhe“ der beiden Vergütungsbestandteile im Antrag hinreichend bestimmt die Höhe des maßgeblichen ruhegeldfähigen Einkommens iSv. § 7 Nr. 1 VO 1976. Der Antrag betrifft als Rechtsverhältnis den Umfang der Zahlungspflicht der Beklagten. Da hierüber zwischen den Parteien Streit besteht, hat der Kläger ein berechtigtes Interesse an alsbaldiger gerichtlicher Feststellung.

 

14        II. Die Klage ist unbegründet. Die sog. Garantierte Individuelle Zulage nach dem TV GIZ und der Tarifliche Aufstockungsbetrag nach dem TV TAB sind für die Berechnung der Werkspension gemäß § 9 Abs. 2 VO 1976 iVm. § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1976 nicht zu berücksichtigen.

 

15        1. § 7 Nr. 1 Abs. 1 VO 1976 ist abweichend vom Berufungsgericht dahin auszulegen, dass die individuelle Zulage und der Aufstockungsbetrag neben der Tabellenvergütung keine Berücksichtigung als ruhegeldfähiges Einkommen für die Berechnung der Werkspension finden.

 

16        a) Wie das Berufungsgericht festgestellt hat, handelt es sich bei der VO 1976 um eine Gesamtzusage. Sie unterliegt den Auslegungsgrundsätzen Allgemeiner Geschäftsbedingungen, deren Anwendung voll revisibel ist (vgl. BAG 9. Mai 2023 – 3 AZR 174/22 – Rn. 30). Allgemeine Geschäftsbedingungen sind nach ihrem objektiven Inhalt und typischen Sinn einheitlich so auszulegen, wie sie von rechtsunkundigen, verständigen und redlichen Vertragspartnern unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise verstanden werden, wobei nicht die Verständnismöglichkeiten des konkreten, sondern die des durchschnittlichen Vertragspartners zugrunde zu legen sind. Ansatzpunkt für die nicht am Willen der jeweiligen Vertragspartner zu orientierende Auslegung Allgemeiner Geschäftsbedingungen ist in erster Linie der Vertragswortlaut. Ist dieser nicht eindeutig, kommt es für die Auslegung entscheidend darauf an, wie der Vertragstext aus Sicht der typischerweise an Geschäften dieser Art beteiligten Verkehrskreise zu verstehen ist, wobei der Vertragswille verständiger und redlicher Vertragspartner beachtet werden muss. Soweit auch der mit dem Vertrag verfolgte Zweck einzubeziehen ist, kann das nur in Bezug auf typische und von redlichen Geschäftspartnern verfolgte Ziele gelten (st. Rspr., BAG 10. Oktober 2023 – 3 AZR 250/22 – Rn. 14 mwN).

 

17        b) Nach diesen Grundsätzen kann die Auslegung des Berufungsgerichts, die individuelle Zulage und der Aufstockungsbetrag zählten als Teil der Monatsvergütung iSv. § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1976 zum ruhegeldfähigen Einkommen, keinen Bestand haben. Mit den Begriffen „ruhegeldfähiges Einkommen“ und „Monatsvergütung“ stellt die VO 1976 gerade nicht auf das gesamte monatliche Arbeitsentgelt iSv. § 611a Abs. 2 BGB ab. Vielmehr enthalten § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und § 7 Nr. 2 VO 1976 detaillierte und abschließende Sonderregeln zur Bemessung des ruhegeldfähigen Einkommens sowie Ausnahmen für einzelne Vergütungsbestandteile. Es fehlen damit jegliche Anhaltspunkte dafür, dass der Verordnungsgeber auf das gesamte vertraglich geschuldete Arbeitsentgelt abstellen wollte. Damit sind auch nicht etwa die Bestimmungen des MTV über die sog. Grundvergütung zur Bestimmung der in der VO 1976 benannten Monatsvergütung heranzuziehen und die individuelle Zulage oder der Aufstockungsbetrag deshalb zu berücksichtigen. Zudem unterscheidet selbst § 34 MTV in Nr. 8.1 – 8.4 sowie Nr. 20 zwischen der Tabellenvergütung und anderen Gehaltsbestandteilen.

 

18        c) § 7 Nr. 1 VO 1976 ist vielmehr dahin auszulegen, dass die individuelle Zulage und der Aufstockungsbetrag neben der Tabellenvergütung keine Berücksichtigung finden.

 

19        aa) Bereits der Wortlaut des § 7 Nr. 1 Abs. 1 VO 1976 lässt kein anderes Verständnis zu.

 

20        (1) Die VO 1976 definiert in § 7 das ruhegeldfähige Einkommen abschließend mit einer Unterscheidung zwischen der sog. Monatsvergütung in § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1976 und sonstigen Zulagen und Zuschlägen in den folgenden Regelungen des § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 und Nr. 2 VO 1976. Auf dieses „ruhegeldfähige Einkommen“ gründet § 9 Abs. 2 VO 1976 die Berechnung des Versorgungsanspruchs. Die in der VO 1976 benannte Monatsvergütung bezieht sich zwar grundsätzlich auf die monatliche Zahlungsweise und den monatlichen Abrechnungszeitraum (vgl. BAG 9. Mai 2023 – 3 AZR 174/22 – Rn. 31; 25. Januar 2022 – 3 AZR 406/21 – Rn. 38; 8. Dezember 2020 – 3 AZR 437/18 – Rn. 41). § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1976 stellt mit dem Begriff der „Monatsvergütung“ und dem unmittelbar folgenden Klammerzusatz aber gerade nicht auf eine Gesamtvergütung, sondern auf die sog. Tabellenvergütung bzw. das sog. Tabellenentgelt der Anlage 1 des VTV ab. In den folgenden Sätzen und Absätzen wird dabei zwischen unterschiedlichen – auch monatlichen – berücksichtigungsfähigen Vergütungsbestandteilen unterschieden.

 

21        (2) Die Definition der Monatsvergütung im Klammerzusatz des § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1976 erfasst mit der ausdrücklichen Bezugnahme auf die Anlage 1 des jeweils gültigen VTV die Tabellenvergütung in der Anlage 1 und keine weiteren monatlichen Vergütungsbestandteile (vgl. BAG 19. Juli 2016 – 3 AZR 141/15 – Rn. 18; zu Tätigkeitsbeispielen in Tarifverträgen 30. März 2022 – 10 AZR 194/20 – Rn. 29), soweit sie nicht ausdrücklich in den folgenden Sätzen und Absätzen benannt sind. Der Klammerzusatz folgt direkt auf den Begriff der „Monatsvergütung“ und definiert ihn damit abschließend.

 

22        (3) Die VO 1976 stellt in § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 ausdrücklich auf die „höchste Monatsvergütung“ der letzten drei Jahre vor dem Ausscheiden ab. Mit höchster Monatsvergütung meint § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1976 nicht die in einem bestimmten Monat verdiente höchste Gesamtvergütung, sondern – durch den Klammerzusatz definiert – das höchste monatliche Tabellenentgelt eines Versorgungsberechtigten in den letzten drei Jahren vor dem Ausscheiden.

 

23        bb) Dieses Verständnis wird durch § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2, Nr. 2 VO 1976 bestätigt. Nr. 1 enthält in den Abs. 1 Satz 1 folgenden Sätzen detaillierte Regelungen zu unterschiedlichen Zulagen oder Zuschlägen, der 13. Monatsvergütung sowie Tantiemen, Einmal- und Sonderzahlungen. Diese „gehören ferner“, also darüber hinaus, nur unter besonderen Umständen zum ruhegeldfähigen Einkommen. Die Bestimmungen regeln damit abschließend die Einkommensbestandteile, die „ferner“ – also neben dem Tabellenentgelt – zum ruhegeldfähigen Einkommen „gehören“. Nr. 1 Abs. 1 Satz 2 nennt dabei monatliche und jährliche Zahlungen in einem Atemzug, bezieht lediglich die ruhegeldfähigen Anteile der Zulage nach § 19 MTV mit ein und definiert in Nr. 1 Abs. 2 Schichtzuschläge nur unter bestimmten Voraussetzungen als berücksichtigungsfähig.

 

24        Nach § 7 Nr. 2 VO 1976 zählen „weitere“ Tantiemen, Einmal- und Sonderzahlungen nur dann zum Einkommen, wenn sie „ausdrücklich als ruhegeldfähig vertraglich zugesichert sind“. In § 14 Nr. 1 VO 1976 ist die Anlage 1 zum jeweils gültigen Vergütungstarifvertrag, nach der sich gemäß § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 1 VO 1976 die zu berücksichtigende „Monatsvergütung“ bemisst, wenn es keine vertraglich vereinbarte Monatsvergütung gibt, noch einmal klar als die „Vergütungstabelle“ bezeichnet.

 

25        cc) Der Zweck der Regelung in § 7 Nr. 1 und 2 VO 1976 besteht für rechtsunkundige, verständige und redliche Vertragspartner unter Abwägung der Interessen der normalerweise beteiligten Verkehrskreise darin, so detailliert und klar wie möglich – auch für die Zukunft – berücksichtigungsfähige Gehaltsbestandteile abschließend für die Berechnung des ruhegeldfähigen Einkommens zur Bemessung der Werkspension zu bestimmen. Daran hat insbesondere der zusagende Arbeitgeber ein Interesse. Aber auch für die berechtigten Arbeitnehmer ist dieser Zweck interessengerecht. Die Vergütung nach der Vergütungstabelle entwickelt sich idR dynamisch entsprechend den Tarifverhandlungen und nach der tariflichen Eingruppierung der Versorgungsberechtigten. Wenn ein Arbeitnehmer höherzustufen oder höherzugruppieren ist, erhöht sich entsprechend das maßgebliche ruhegeldfähige Einkommen. Die Tabellenvergütung bildet den Kernvergütungsbestandteil, der das ruhegeldfähige Einkommen, die Monatsvergütung und damit auch das Versorgungsniveau kennzeichnet. Auf diesen Betrag kann sich der Versorgungsberechtigte als prägenden Versorgungsteil im Ruhestand einstellen und verlassen. Zudem bedient sich die Beklagte in § 7 Nr. 2 VO 1976 einer Öffnungsklausel mit besonderen Anforderungen für noch nicht näher bestimmte Zulagen bzw. Gehaltsbestandteile: Sie müssen ausdrücklich als ruhegeldfähig zugesagt sein. Daraus folgt erkennbar, dass Gehaltsbestandteile, die nicht in § 7 Nr. 1 Abs. 1 VO 1976 erwähnt sind, nur dann Berücksichtigung für das Ruhegeld finden sollen, wenn sie ausdrücklich als ruhegeldfähig zugesichert sind.

 

26        dd) Danach zählen die individuelle Zulage und der Aufstockungsbetrag nicht zur Monatsvergütung und damit auch nicht zum ruhegeldfähigen Einkommen iSv. § 7 Nr. 1 Abs. 1 VO 1976. Zwischen den Parteien ist nicht umstritten, dass die Zulage und der Aufstockungsbetrag nicht zum Tabellenentgelt gehören, keine Zulage iSd. § 7 Nr. 1 Abs. 1 Satz 2, Abs. 2 VO 1976 darstellen und auch nicht nach § 7 Nr. 2 VO 1976 ausdrücklich als ruhegeldfähig zugesagt worden sind – im Gegenteil: TV GIZ und TV TAB schließen die Ruhegeldfähigkeit ausdrücklich aus. Dabei ist es unerheblich, dass sich die individuelle Zulage und der Aufstockungsbetrag ihrerseits nach der Tabellenvergütung bemessen. Sie werden hierdurch nicht Teil der Tabellenvergütung. Ebenso ist es nach § 7 Nr. 1 VO 1976 irrelevant, wie die sog. GIZ und der TAB auf den Lohnzetteln der Arbeitnehmer ausgewiesen wurden.

 

27        ee) Unerheblich ist, ob bei der Gesamtzusage im Jahr 1976 mit hinreichender Sicherheit absehbar war, dass die sog. Tabellenvergütung auch künftig in der Anlage 1 geregelt werden würde. Denn tatsächlich änderte sich daran nichts. Die Tabellenvergütung bestimmte sich vom Zeitpunkt der Erteilung der Gesamtzusage bis zuletzt nach der Anlage 1 des VTV. Soweit der VTV Nr. 32 auch in den Anlagen 2 und 3 eine Tabellenvergütung vorsah, wurde dadurch die VO 1976 nicht lückenhaft, da diese Anlagen nur Folgezeiträume der Anlage 1 abbildeten und damit die Systematik des VTV und seiner Anlage nicht aufhoben. Bereits der VTV Nr. 33 kannte wieder nur eine „Anlage 1“ und bezeichnete die folgenden Zeiträume in seinem § 2 als „Anlage 1 (Teil A)“ und als „Anlage 1 (Teil B)“.

 

28        2. § 7 VO 1976 ist auch durch die Einführung der individuellen Zulage und des Aufstockungsbetrags nicht lückenhaft geworden. Die in Bezug genommene Anlage 1 des VTV besteht als sog. Tabellenvergütung im VTV fort.

 

29        3. Die Beklagte hat entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts nicht gegen eine sich aus § 241 Abs. 2 BGB ergebende Leistungstreuepflicht verstoßen, weil sie als Partei der die individuelle Zulage und den Aufstockungsbetrag einführenden Tarifverträge die Interessen der Versorgungsanwartschaftsberechtigten nicht angemessen berücksichtigt hätte. Wie der Senat bereits mehrfach entschieden hat, sind die Betriebs- und Tarifvertragsparteien grundsätzlich nicht gehindert, nach der ursprünglichen Zusage nicht ruhegeldfähige Zulagen als (neue) Vergütungsbestandteile einzuführen (vgl. BAG 25. Januar 2022 – 3 AZR 345/21 -; 19. Juli 2011 – 3 AZR 383/09 -; 27. März 2007 – 3 AZR 60/06 -).

 

30        a) Soweit das Berufungsgericht darauf abstellt, der Fall liege hier anders, weil es eine „deutliche Fehlentwicklung“ im Vergleich zwischen dem unstreitig versorgungsfähigen Einkommen gemäß der jeweiligen Vergütungstabelle und der Entwicklung der neu eingeführten Gehaltskomponenten gebe, bedarf es keiner Entscheidung, ob dies die von ihm angenommene Rechtsfolge zu tragen vermöchte. Entgegen der Auffassung des Landesarbeitsgerichts liegt keine „Aushöhlung“ der Entwicklung des Tabellenentgelts zugunsten der neu eingeführten Gehaltskomponenten vor. Bis zuletzt standen die individuelle Zulage und der Aufstockungsbetrag vielmehr in einem mit insgesamt etwa 20 vH deutlich geringeren Verhältnis zur Tabellenvergütung. Ihre prozentual höhere Fortschreibung seit ihrer Einführung sowie ihre Aufstockung treten damit hinter der Bedeutung und der Entwicklung des Tabellengehalts zurück. Letzteres wurde auch nicht etwa eingefroren, sondern stieg selbst prozentual weiter an.

 

31        b) Eine weitergehende Erhöhung der Tabellenvergütung war allenfalls eine rechtlich nicht geschützte Erwartung der Versorgungsanwärter. Eine Verpflichtung der Beklagten, die Anwartschaften auf eine betriebliche Altersversorgung über eine bestimmte, fortschreitende Mindesterhöhung der Tabellenentgelte zu dynamisieren, bestand weder nach der erteilten Versorgungszusage noch aus einem anderen Rechtsgrund. Entsprechend liegt auch kein Eingriff in eine bereits erdiente Dynamik der Ruhegeldzusage vor (zum aus den Grundsätzen des Vertrauensschutzes und der Verhältnismäßigkeit abgeleiteten dreistufigen Prüfungsschema des Senats bei Eingriffen in Versorgungszusagen vgl. zuletzt BAG 20. Juni 2023 – 3 AZR 231/22 – Rn. 32). Die endgehaltsbezogene Zusage blieb vielmehr ebenso unangetastet wie die Anknüpfung an den variablen Berechnungsfaktor „Monatsvergütung“ iSv. Tabellenentgelt.

 

32        III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 91 Abs. 1, § 97 Abs. 1 ZPO.

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