BAG: Nichtzulassungsbeschwerde – Einlegung vor Zustellung des Berufungsurteils
BAG, Beschluss vom 16.5.2025 – 6 AZN 757/24
ECLI:DE:BAG:2025:160525.B.6AZN757.24.0
Volltext: BB-Online BBL2025-1461-2
Leitsatz
Eine Nichtzulassungsbeschwerde kann wirksam erst nach Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils des Landesarbeitsgerichts eingelegt und begründet werden.
Aus den Gründen
1 Die Nichtzulassungsbeschwerde hat keinen Erfolg. Sie ist unzulässig.
2 I. Die Unzulässigkeit der Beschwerde ergibt sich schon daraus, dass sie am 10. Dezember 2024 und damit vor der am 10. März 2025 erfolgten Zustellung des in vollständiger Form abgefassten Urteils des Landesarbeitsgerichts eingelegt worden ist. Anders als § 66 Abs. 1 Satz 2, § 74 Abs. 1 Satz 2 ArbGG stellt § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG nach seinem Wortlaut allein auf die Zustellung des anzufechtenden Urteils ab. Auch können jedenfalls eine Grundsatz-, Divergenz- oder Gehörsrüge nur in Kenntnis der schriftlichen Urteilsgründe den Anforderungen des § 72a Abs. 3 Satz 2 ArbGG genügend begründet werden (vgl. zu den Bedenken ausführlich BAG 8. Juni 2010 – 6 AZN 163/10 – Rn. 3 ff. mwN). Zudem ergibt sich aus dem Umstand, dass bei fehlender Zulassung der Revision im Fall einer verspäteten Absetzung des Berufungsurteils allein die sofortige Beschwerde gemäß § 72b ArbGG statthaft ist (vgl. § 72b Abs. 1 Satz 2 ArbGG; BAG 24. Februar 2015 – 5 AZN 1007/14 – Rn. 3 mwN), dass der Gesetzgeber davon ausgeht, dass die Nichtzulassungsbeschwerde erst in Betracht kommt, dh. wirksam eingelegt und begründet werden kann, wenn ein „Urteil mit Gründen“ vorliegt (BR-Drs. 663/04 S. 50).
3 Die am 2. Mai 2025 eingegangene Beschwerdebegründung ist zwar als erneute Einlegung der Nichtzulassungsbeschwerde zu werten (GK-ArbGG/Ahrendt § 72a Stand 1. September 2024 Rn. 129). Sie ist jedoch erst nach Ablauf der einmonatigen Einlegungsfrist des § 72a Abs. 2 Satz 1 ArbGG eingegangen und könnte deshalb nicht zur Zulässigkeit der Beschwerde führen.
4 II. Unabhängig davon bleibt die von der Beschwerde erhobene Divergenzrüge (§ 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG) auch in der Sache erfolglos.
5 1. Zur ordnungsgemäßen Begründung einer Divergenzbeschwerde gehört, dass der Beschwerdeführer einen abstrakten Rechtssatz aus der anzufechtenden Entscheidung sowie einen hiervon abweichenden abstrakten Rechtssatz aus einer Entscheidung des Bundesarbeitsgerichts oder eines anderen der in § 72 Abs. 2 Nr. 2 ArbGG genannten Gerichte anführt und darlegt, dass das anzufechtende Urteil auf dieser Abweichung beruht. Nach § 72a Abs. 3 Satz 2 Nr. 2 ArbGG müssen diese Voraussetzungen in der Begründung der Beschwerde dargelegt und die Entscheidung, von der das Urteil abweicht, bezeichnet werden (BAG 23. November 2017 – 5 AZN 713/17 – Rn. 3 mwN).
6 Bezieht sich die Divergenzbeschwerde auf die Aufstellung eines scheinbar fallbezogenen abstrakten Rechtssatzes, ist zur ordnungsgemäßen Darlegung der Divergenz in der Regel erforderlich, dass konkret und im Einzelfall begründet wird, warum das Landesarbeitsgericht von dem betreffenden Rechtssatz ausgegangen sein muss. Der Beschwerdeführer muss die Gesichtspunkte und Schlussregeln für die Ableitung des behaupteten abstrakten Rechtssatzes („Deduktion“) aus den fallbezogenen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts darlegen. Die schlichte Gegenüberstellung der fallbezogenen Ausführungen eines Gerichts und des vom Beschwerdeführer daraus abgelesenen abstrakten Rechtssatzes ist daher regelmäßig nicht ausreichend (BAG 12. Januar 2021 – 2 AZN 724/20 – Rn. 2; 6. Dezember 2006 – 4 AZN 529/06 – Rn. 9).
7 2. So liegt es hier. Die Beschwerde zitiert zwar unter 1 a und b auf Seite 3 ff. der Beschwerdebegründung auszugsweise die angefochtene sowie die angezogenen Entscheidungen, zeigt aber den für die Ableitung eines abstrakten Rechtssatzes aus den fallbezogenen Ausführungen des Landesarbeitsgerichts sowie den Ausführungen des Bundesarbeitsgerichts erforderlichen Deduktionsvorgang nicht ansatzweise auf. Dass das Landesarbeitsgericht einen abstrakten Rechtssatz ausdrücklich aufgestellt hat, behauptet die Beschwerde ebenfalls nicht. Im Ergebnis wirft die Beschwerde dem Landesarbeitsgericht die Verkennung des Gesetzeswortlauts und der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (ua. unter 1 b auf Seite 6 der Beschwerdebegründung) und damit bloße Rechtsanwendungsfehler vor, die eine Revisionszulassung nicht rechtfertigen.
8 III. Von einer weiteren Begründung wird gemäß § 72a Abs. 5 Satz 5 Alt. 1 ArbGG abgesehen, da sie nicht geeignet wäre, zur Klärung der Voraussetzungen beizutragen, unter denen eine Revision zuzulassen ist. Weitergehende Ausführungen sind weder von Verfassungs wegen noch aus konventionsrechtlichen Gründen geboten (vgl. BVerfG 30. Juni 2014 – 2 BvR 792/11 – Rn. 19, 25; 8. Dezember 2010 – 1 BvR 1382/10 – Rn. 12 ff.).