BAG: Mittelbare Diskriminierung wegen des Geschlechts – Erziehungsurlaub – umlagefähige Monate ohne Entgeltanspruch
BAG, Urteil vom 6.5.2025 – 3 AZR 65/24
ECLI:DE:BAG:2025:060525.U.3AZR65.24.0
Volltext: BB-Online BBL2025-2099-1
Orientierungssätze
1. Einer Kontrolle des Tarifvertrags am Maßstab spezialgesetzlicher Benachteiligungsverbote wie Art. 157 AEUV, Art. 3 Abs. 2, 3 GG oder § 7 Abs. 1 AGG steht die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie unabhängig von der Nähe der tarifvertraglichen Regelung zum Kernbereich von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht entgegen. Die bei Ungleichbehandlungen iSv. Art. 3 Abs. 1 GG ggf. zu beachtende Beschränkung auf eine reine Willkürkontrolle betrifft nicht die spezialgesetzlichen Benachteiligungsverbote (Rn. 17).
2. Nach der ständigen Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union rechtfertigt das beim Erziehungsurlaub kraft Gesetzes eintretende Ruhen des Arbeitsverhältnisses objektiv eine Anspruchsminderung bzw. einen Ausschluss. Wenn der Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Zahlung des Arbeitsentgelts befreit ist, weil das Arbeitsverhältnis ruht, ist er nicht gehalten, direkt oder indirekt zusätzliche Leistungen zu erbringen (Rn. 20).
3. Wenn Erziehungsmonate zulässigerweise bei der Berechnung der Höhe von Ansprüchen unberücksichtigt bleiben dürfen, dürfen sie auch von der Berücksichtigung für die Erfüllung einer Wartezeit zur Abgrenzung zweier unterschiedlicher Regelungssysteme ausgenommen werden. Ein Arbeitnehmer kann in diesem Fall nicht darauf vertrauen, während des Erziehungsurlaubs oder der Elternzeit ohne Entgeltansprüche Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung zu erwerben (Rn. 23).
4. In der Regel sind materiell-rechtliche Vorschriften einer Richtlinie der Europäischen Union so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, wenn aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine Wirkung für die Vergangenheit beizumessen ist. Bei der Vereinbarkeits-RL fehlen entsprechende Anhaltspunkte für einen Geltungsanspruch für Sachverhalte in der Vergangenheit. Art. 10 Abs. 2 der Vereinbarkeits-RL findet demnach in zeitlicher Hinsicht keine Anwendung auf Elternzeiten in den 90er Jahren (Rn. 29 f.).
▄ Leitsatz
Eine Wartezeitregelung für einen Besitzstandsbetrag der betrieblichen Altersversorgung, nach der nicht umlagefähige Ruhenszeiten ohne Entgeltanspruch auch wegen Erziehungsurlaubs oder Elternzeit nicht mitzählen, führt nicht zu einer unzulässigen mittelbaren Benachteiligung wegen des Geschlechts.
Sachverhalt
1 Die Parteien streiten über die Anerkennung von Erziehungszeiten für die Gewährung einer betrieblichen Besitzstandsrente.
2 Die Klägerin war zunächst mit Unterbrechungen von Oktober 1987 bis März 1990 bei der Rechtsvorgängerin der Beklagten, der Deutschen Bundespost, beschäftigt. Seit Ende Juni 1990 bestand zwischen den Parteien ein Arbeitsverhältnis, auf das kraft arbeitsvertraglicher Bezugnahme die Tarifverträge für die Arbeiter der Deutschen Bundespost Anwendung fanden. Dazu gehörte der Tarifvertrag über die Versorgung der Arbeitnehmer der Deutschen Bundespost (VersTV). Dieser verwies für die Versicherungsbedingungen auf die Satzung der Versorgungsanstalt der Deutschen Bundespost (VAP-Satzung).
3 Die VAP-Satzung enthielt ua. folgende Regelungen:
„§ 24
Aufwendungen für die Pflichtversicherung
(1) Der Arbeitgeber hat eine monatliche Umlage in Höhe des nach § 75 der Satzung der VAP festgesetzten Satzes zu zahlen. …
…
(6) Das für die Bemessung der Umlage maßgebende Arbeitsentgelt ist, soweit nachstehend nichts anderes bestimmt ist, der steuerpflichtige Arbeitslohn. …
…
(7) Werden im Falle von Krankheit Vergütung oder Lohn vom Arbeitgeber weitergezahlt, sind Umlagen zur Pflichtversicherung zu entrichten. Solange der Arbeitnehmer Anspruch auf Krankengeldzuschuß (§ 35 TV Ang, § 20 TV Arb) oder Krankenbeihilfe (§ 35a TV Ang) hat, sind Umlagen in der Höhe weiterzuentrichten, wie sie zu entrichten wären, wenn er wie seither gegen Entgelt arbeiten würde. Umlagen sind auch für die Zeiten des Mutterschutzes (§§ 3 und 6 MuSchG) in der nach Satz 2 vorgeschriebenen Höhe zu entrichten.
…
(9) Die Umlagen sind Monatsbeträge; sie sind spätestens bis zum Ende des folgenden Monats an die Anstalt zu entrichten. Umlagemonat ist ein Kalendermonat, für den Umlage für laufendes Arbeitsentgelt entrichtet ist. …
…
§ 34
Anspruch auf Versorgungsrente und Versicherungsrente
(1) Tritt bei dem Versicherten, der die Wartezeit (§ 35) erfüllt hat, der Versicherungsfall (§ 36) ein und ist er in diesem Zeitpunkt
a) pflichtversichert, hat er Anspruch auf Versorgungsrente für Versicherte …
…
§ 35
Wartezeit
(1) Die Wartezeit ist nach einer Versicherungszeit von mindestens fünf Jahren erfüllt. Versicherungszeit sind Umlagemonate und die Zeit der freiwilligen Versicherung.“
4 Die Beklagte führte im Rahmen der Pflichtversicherung die Umlagen zum Arbeitsentgelt der Klägerin an die Versorgungsanstalt ab, nicht jedoch für die Zeiten ihres Erziehungsurlaubs in der Zeit vom 26. Februar 1992 bis zum 26. November 1996.
5 Im Zusammenhang mit der Privatisierung der damaligen Deutschen Bundespost wurde die betriebliche Altersversorgung der Beklagten durch neue Regelungen abgelöst. Durch Tarifvertrag vom 29. Oktober 1996 wurde zum 1. Januar 1997 der Tarifvertrag über die Betriebliche Altersversorgung der Beklagten (Betriebsrente Post) eingeführt (TV BRP). Mit Tarifvertrag vom 28. Februar 1997 wurde der bisherige VersTV mit Ablauf des 30. April 1997 außer Kraft gesetzt. Zum 1. Mai 1997 trat der Tarifvertrag zur Regelung des Besitzstandes aus der bisherigen VAP-Zusatzversorgung in Kraft (TV BZV 1997). Er enthielt ua. folgende Regelungen:
„§ 1 Persönlicher Geltungsbereich
Der Tarifvertrag gilt für Arbeitnehmer, die am 30.04.1997 in einem Arbeitsverhältnis zur Deutschen Post AG gestanden haben, welches nach dem Versorgungstarifvertrag der Deutschen Bundespost (VTV) versicherungspflichtig in der VAP war, und am 01.05.1997 noch in einem Arbeitsverhältnis stehen.
§ 2 Gegenstand der Regelung
(1) Der Tarifvertrag über die Betriebliche Altersversorgung der Deutschen Post AG (Betriebsrente Post) wird unter Berücksichtigung der Modifikationen in § 4 dieses Tarifvertrages angewendet. Die sich daraus ergebende Betriebsrente Post wird bei Vorliegen der Voraussetzungen durch eine Besitzstandswahrungskomponente, die den nach dem bis zum 30.04.1997 geltenden VTV erworbenen Besitzstand abbildet, ergänzt.
…
(4) Die Besitzstandswahrungskomponente errechnet sich durch Multiplikation von individuellem Besitzstandsfaktor und Bezugsgröße. Sie wird nur gewährt, wenn der Arbeitnehmer am Tag vor Inkrafttreten dieses Tarifvertrags die Wartezeit nach § 35 der VAP-Satzung in der am 30.04.1997 geltenden Fassung erfüllt hat.
…
§ 4 Modifikationen zur Betriebsrente Post
…
(2) Als anrechenbarer Beschäftigungsmonat wird für die Zeit vor dem 01.05.1997 jeder Kalendermonat anerkannt, der für den Arbeitnehmer als Umlagemonat nach der VAP-Satzung anerkannt worden ist, sowie Zeiten der Pflichtversicherung (gem. § 95c VAP-Satzung nach der am 30.04.1997 geltenden Fassung).
(3) Für Arbeitnehmer, die am 01.05.1997 die Wartezeit nach § 35 der VAP-Satzung in der am 30.04.1997 geltenden Fassung nicht erfüllt haben, werden die vor dem 01.05.1997 erworbenen anrechenbaren Beschäftigungsmonate gem. Absatz 2 mit dem Faktor 1,4 gewichtet berücksichtigt.“
6 Die Besitzstandswahrungskomponente des TV BZV vom 28. Februar 1997 wurde später durch Tarifvertrag mit Wirkung zum 1. Januar 2002 modifiziert und ist seitdem als sog. Besitzstandsbetrag ausgestaltet. Die hierzu gehörigen Regelungen des TV BZV idF vom 1. Januar 2016 (TV BZV 2016) lauten ua. wie folgt:
„§ 2
Gegenstand der Regelung
(1) Der Tarifvertrag über die betriebliche Altersversorgung der Deutsche Post AG (TV bAV Post, Nr. 179) wird unter Berücksichtigung der Modifikationen in § 6 dieses Tarifvertrages angewendet. Die sich daraus ergebende Leistung wird bei Vorliegen der Voraussetzungen durch einen Besitzstandsbetrag B (31.12.2002 Besitzstand) der den nach dem bis zum 31.12.2001 geltenden Regelungen dieses Tarifvertrages erworbenen Besitzstand abbildet, der mit dem am Ende des Kalendermonats, der dem Eintritt des Leistungsfalls vorangeht, maßgebenden Dynamisierungsfaktor multipliziert wird, ergänzt. Das Wahlrecht nach § 4 TV Nr. 179 bezieht sich nicht auf den Besitzstandsbetrag B (31.12.2002 Besitzstand), dieser kann nur als Rente bezogen werden.
Der Besitzstandsbetrag wird nur gewährt, wenn am 31.12.2001 eine Anwartschaft auf Besitzstandswahrungskomponente bestand.
…
§ 6
Modifikation zur betrieblichen Altersversorgung (TV bAV Post, Nr. 179)
(1) Abweichend vom Tarifvertrag zur betrieblichen Altersversorgung der Deutsche Post AG (TV bAV Post, Nr. 179) wird für Arbeitnehmer, die diesem Tarifvertrag unterliegen, für die anrechenbare Beschäftigungszeit auch die Zeit vor dem 01.05.1997 berücksichtigt.
…
(2) Als anrechenbarer Beschäftigungsmonat wird für die Zeit vor dem 01.05.1997 jeder Kalendermonat anerkannt, der für den Arbeitnehmer als Umlagemonat nach der VAP-Satzung anerkannt worden ist, sowie Zeiten der Pflichtversicherung (gem. § 95c VAP-Satzung nach der am 30.04.1997 geltenden Fassung).
…
(3) Für Arbeitnehmer, die am 01.05.1997 die Wartezeit nach § 35 der VAP-Satzung in der am 30.04.1997 geltenden Fassung nicht erfüllt haben, werden die vor dem 01.05.1997 erworbenen anrechenbaren Beschäftigungsmonate gem. Absatz 2 mit dem Faktor 1,4 gewichtet berücksichtigt.“
7 Die Beklagte lehnte es ab, die Zeiten für die Kindererziehung vom 26. Februar 1992 bis zum 26. November 1996 als Zeiten zur Erfüllung der Wartezeit für die Besitzstandskomponente bzw. den Besitzstandsbetrag nach § 2 TV BZV zu berücksichtigen.
8 Die Klägerin hat geltend gemacht, ihre Erziehungszeiten seien bei der Wartezeit iSd. § 35 der VAP-Satzung für die Besitzstandsrente anzurechnen. Die Nichtberücksichtigung bedeute eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts, da hauptsächlich Frauen Erziehungszeiten in Anspruch genommen hätten und eine Rechtfertigung für die Nichtberücksichtigung nicht gegeben sei. Der Ausschluss der Elternzeiten führe zum Untergang des Anspruchs. Auch § 4 Abs. 1 Satz 3 TV BRP, der bei der Erfüllung der Wartezeit die Elternzeit bis zu einer Dauer von drei Jahren berücksichtige, spreche für die Anerkennung von Erziehungszeiten als Wartezeit.
9 Die Klägerin hat beantragt
festzustellen, dass die Beklagte verpflichtet ist, ihre Erziehungszeiten vom 26. Februar 1992 bis zum 26. November 1996 als Wartezeit bei der Berechnung der Besitzstandsrente nach TV BZV anzuerkennen.
10 Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt.
11 Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Das Landesarbeitsgericht hat die Berufung der Klägerin zurückgewiesen. Mit ihrer Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren weiter.
Aus den Gründen
12 Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat ihre Berufung zu Recht zurückgewiesen. Die Klage ist zulässig, aber unbegründet.
13 I. Die Klage ist zulässig, insbesondere hinreichend bestimmt, § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO. Sie ist dahin auszulegen, dass die Klägerin eine Berücksichtigung ihrer Elternzeitmonate insoweit begehrt, wie der Anspruch auf den Besitzstandsbetrag nach § 2 Abs. 1 TV BZV 2016 iVm. § 2 Abs. 4 TV BZV 1997 voraussetzt, dass sie am 30. April 1997 die Wartezeit gemäß § 35 Abs. 1 der VAP-Satzung erfüllte. Dagegen macht sie nicht geltend, die Monate ihres Erziehungsurlaubs müssten auch für die Berechnung der Höhe der Besitzstandsrente berücksichtigt werden.
14 II. Die Klage ist unbegründet. Die Klägerin hat keinen Anspruch gegen die Beklagte auf Berücksichtigung ihrer Elternzeitmonate ohne Beschäftigung und ohne Entgelt für die Wartezeit gemäß § 2 Abs. 1 TV BZV 2016, § 2 Abs. 1 und Abs. 4 TV BZV 1997 iVm. § 35 Abs. 1 der VAP-Satzung. Sie wird hierdurch nicht unzulässig wegen ihres Geschlechts benachteiligt. § 4 Abs. 1 Satz 3 TV BRP, wonach für die Betriebsrente Post Zeiten des gesetzlichen Erziehungsurlaubs bis zu einer Dauer von drei Jahren berücksichtigt werden, führt nicht zu einer Erfüllung der Wartezeit für den Besitzstandsbetrag, da sich die Bestimmung nicht hierauf bezieht.
15 1. Nach § 2 Abs. 1 TV BZV 2016 wird der Besitzstandsbetrag nur gewährt, wenn am 31. Dezember 2001 eine Anwartschaft auf Besitzstandswahrungskomponente bestand. Dies setzte gemäß § 2 Abs. 1 und Abs. 4 TV BZV 1997 voraus, dass bis zum 30. April 1997 die Wartezeit nach § 35 der VAP-Satzung erfüllt war. Die Wartezeit ist gemäß § 35 Abs. 1 der VAP-Satzung nach einer Versicherungszeit von mindestens fünf Jahren erfüllt, wobei Versicherungszeit nur Umlagemonate und die Zeit einer freiwilligen Versicherung sind. Die Zeit des Erziehungsurlaubs der Klägerin vom 26. Februar 1992 bis zum 26. November 1996 zählt danach nicht mit zur Erfüllung der Wartezeit für den Besitzstandsbetrag.
16 2. Diese Wartezeitregelung für den Besitzstandsbetrag, nach der nicht umlagefähige Monate nicht mitzählen, führt nicht zu einer unzulässigen mittelbaren Benachteiligung der Klägerin wegen des Geschlechts. Sie verstößt weder gegen den Grundsatz des gleichen Entgelts für Männer und Frauen bei gleicher oder gleichwertiger Arbeit nach Art. 157 AEUV noch gegen das Differenzierungsverbot des Art. 3 Abs. 2 und 3 GG. Es kann daher dahinstehen, welche Rechtsfolgen sich andernfalls aus einem Verstoß ergäben.
17 a) Die durch Art. 9 Abs. 3 GG geschützte Tarifautonomie steht einer Kontrolle des Tarifvertrags am Maßstab spezialgesetzlicher Benachteiligungsverbote wie Art. 157 AEUV, Art. 3 Abs. 2, 3 GG oder § 7 Abs. 1 AGG unabhängig von der Nähe der tarifvertraglichen Regelung zum Kernbereich von Arbeits- und Wirtschaftsbedingungen nicht entgegen. Die bei Ungleichbehandlungen iSv. Art. 3 Abs. 1 GG ggf. zu beachtende Beschränkung auf eine reine Willkürkontrolle betrifft nicht die spezialgesetzlichen Benachteiligungsverbote (vgl. BVerfG 11. Dezember 2024 – 1 BvR 1109/21, 1 BvR 1422/23 – Rn. 161, 172).
18 b) Sowohl Art. 157 AEUV als auch Art. 3 Abs. 2 und 3 GG erfassen mittelbare Diskriminierungen, die geschlechtsneutral formuliert und deshalb auf Frauen und Männer gleichermaßen anzuwenden sind, jedoch tatsächlich mehr Frauen als Männer nachteilig betreffen können. Zugesagte Betriebsrenten sind auf dem Arbeitsverhältnis beruhendes Entgelt. Das Verbot der diskriminierenden Ungleichbehandlung von männlichen und weiblichen Arbeitnehmern gilt nicht nur für staatliche Stellen, sondern erstreckt sich auch auf Tarifverträge, die abhängige Erwerbstätigkeit kollektiv regeln (BAG 20. April 2010 – 3 AZR 370/08 – Rn. 27 mwN, BAGE 134, 71). Zwar hat die Klägerin nicht behauptet und ist auch nicht offenkundig, dass vom Ausschluss nicht umlagefähiger Beschäftigungsmonate von der Wartezeit für die Besitzstandsrente überwiegend Erziehungszeiten und damit Frauen erfasst werden. Selbst dies unterstellt, wäre eine mittelbare Benachteiligung wegen des Geschlechts aber gerechtfertigt.
19 c) Mittelbare Benachteiligungen aufgrund des Geschlechts sind sowohl nach Art. 157 AEUV als auch nach Art. 3 Abs. 2 und 3 GG zulässig, wenn die streitige Maßnahme durch objektive Faktoren gerechtfertigt ist, die nichts mit der Diskriminierung aufgrund des Geschlechts zu tun haben, und der vom Arbeitgeber für die Ungleichbehandlung angeführte Grund einem wirklichen Bedürfnis des Unternehmens entspricht und für die Erreichung dieses Ziels geeignet und erforderlich ist (BAG 20. April 2010 – 3 AZR 370/08 – Rn. 28, BAGE 134, 71). Diese Bedingungen erfüllt die hier streitige Wartezeitregelung.
20 aa) Es entspricht ständiger Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts und des Gerichtshofs der Europäischen Union, dass das beim Erziehungsurlaub kraft Gesetzes eintretende Ruhen des Arbeitsverhältnisses objektiv eine Anspruchsminderung bzw. einen Ausschluss rechtfertigt. Ist der Arbeitgeber von der Verpflichtung zur Zahlung des Arbeitsentgelts befreit, weil das Arbeitsverhältnis ruht, ist er auch nicht gehalten, direkt oder indirekt zusätzliche Leistungen zu erbringen. Der Unterschied zwischen einem ruhenden und einem nicht ruhenden Arbeitsverhältnis ist so gewichtig, dass er eine unterschiedliche Behandlung nicht nur beim eigentlichen Arbeitsentgelt, sondern auch bei der Gewährung zusätzlicher Leistungen zum Arbeitsentgelt rechtfertigt (BAG 20. April 2010 – 3 AZR 370/08 – Rn. 30 mwN, BAGE 134, 71).
21 bb) So wie das Arbeitsverhältnis im Ganzen ruht, darf der Arbeitgeber seine Aufwendungen für zusätzliche Entgeltleistungen ebenfalls „ruhen“ lassen. Dies belegt auch der Vergleich mit der Teilzeitarbeit. Arbeitnehmer, die Teilzeitarbeit leisten, können nicht die gleiche Vergütung verlangen wie Vollzeitbeschäftigte (vgl. BAG 20. Juni 2023 – 3 AZR 221/22 – BAGE 181, 236). Würden Zeiten des Erziehungsurlaubs in vollem Umfang für die betriebliche Altersversorgung leistungssteigernd berücksichtigt, würden Arbeitnehmer gleichheitswidrig benachteiligt, die zwar nur Teilzeitarbeit leisten, diese aber tatsächlich erbringen. Das Verhältnis von Leistung und Gegenleistung für tatsächlich erbrachte Dienste würde in nicht zu rechtfertigender Weise erschüttert (BAG 20. April 2010 – 3 AZR 370/08 – Rn. 31, BAGE 134, 71).
22 cc) Etwas anderes ergibt sich nicht aus dem Umstand, dass es vorliegend nicht um das Versagen von Leistungssteigerungen für die Zeiten von Erziehungsurlaub, sondern um die Erfüllung der Wartezeit für die Begründung eines Anspruchs auf den Besitzstandsbetrag geht. Die Beklagte kann sich auch insoweit zur Rechtfertigung ihrer Leistungsgestaltung auf ein wirkliches Bedürfnis berufen.
23 (1) Da Erziehungsmonate zulässigerweise bei der Berechnung der Höhe von Ansprüchen unberücksichtigt bleiben dürfen, dürfen sie auch von der Berücksichtigung für die Erfüllung einer Wartezeit zur Abgrenzung zweier unterschiedlicher Regelungssysteme ausgenommen werden. Mangels Umlagefähigkeit der Erziehungsmonate konnte die Klägerin nicht darauf vertrauen, während ihres Erziehungsurlaubs Ansprüche auf betriebliche Altersversorgung zu erwerben. Sie hätte solche auch nicht während anderer Ruhenszeiten erdient.
24 (2) Die Unterschiede zwischen einem ruhenden und einem nicht ruhenden Arbeitsverhältnis rechtfertigen auch die Anknüpfung im Rahmen einer Stichtagsregelung (vgl. BAG 20. April 2010 – 3 AZR 370/08 – Rn. 30 f., BAGE 134, 71). In Systemen der betrieblichen Altersversorgung ist es – jedenfalls bei umlagebasierten Systemen, die an vergütungspflichtige Zeiten anknüpfen – zulässig, Monate ohne Entgelt – und damit auch Zeiten des ruhenden Arbeitsverhältnisses wegen Erziehungs- oder Elternzeiten – von der Berücksichtigung auszunehmen. Das gilt auch bei einem Systemwechsel, wenn die vorher erdienten Zeiten weiterhin Berücksichtigung finden oder sogar – wie hier – höher gewertet werden.
25 (3) Die Wartezeitregelung für den Besitzstandsbetrag ist auch geeignet und erforderlich. Sie knüpft zulässig an die gegen Entgelt geleistete Arbeit an. Für die Erreichung des Ziels, den Besitzstandsbetrag an die Erfüllung der Wartezeit durch umlagefähige Monate zum Stichtag 30. April 1997 zu knüpfen, ist die Regelung geeignet und erforderlich. Sie schließt auch nicht etwa die zuvor erbrachten Beschäftigungsmonate mangels Erfüllens der Wartezeit von einer Berücksichtigung aus, sondern übernimmt sie in das neue System mit dem Faktor 1,4.
26 (4) Dass gemäß § 24 Abs. 7 der VAP-Satzung bestimmte Zeiten, in denen ebenfalls keine Arbeitsleistung erfolgt (Mutterschutzfristen oder Zeiten mit Krankengeldzuschuss), gleichwohl für die Berechnung der Wartezeit berücksichtigt werden, steht der Rechtfertigung der Herausnahme von Erziehungszeiten nicht entgegen, da es sich bei jenen um entgeltpflichtige Zeiten, wenn auch zT aufgrund von Lohnersatzleistungen, handelt (vgl. zum Mutterschaftsurlaub EuGH 6. März 2014 – C-595/12 – [Napoli] Rn. 26 ff.).
27 3. Sekundäres Unionsrecht fordert kein abweichendes Ergebnis. Es bedarf keiner Entscheidung, ob Art. 10 Abs. 2 der Richtlinie (EU) 2019/1158 (Vereinbarkeits-RL) die Berücksichtigung von Erziehungszeiten, die nicht entgeltpflichtig sind, bei der Erfüllung einer Wartezeit zur Erlangung von Ansprüchen auf betriebliche Altersversorgung verlangt. Die Bestimmung ist jedenfalls zeitlich nicht auf den vorliegenden Sachverhalt anwendbar.
28 a) Nach Art. 10 Abs. 2 der Vereinbarkeits-RL sorgen die Mitgliedstaaten dafür, dass die Arbeitnehmer nach Ablauf eines Urlaubs gemäß Art. 4, 5 und 6 Anspruch darauf haben, an ihren früheren oder einen gleichwertigen Arbeitsplatz unter Bedingungen zurückzukehren, die für sie nicht weniger günstig sind, und in den Genuss aller Verbesserungen der Arbeitsbedingungen zu kommen, auf die sie Anspruch gehabt hätten, wenn sie den Urlaub nicht genommen hätten.
29 b) Materiell-rechtliche Vorschriften einer Richtlinie sind in der Regel so auszulegen, dass sie für vor ihrem Inkrafttreten entstandene Sachverhalte nur gelten, wenn aus ihrem Wortlaut, ihrer Zielsetzung oder ihrem Aufbau eindeutig hervorgeht, dass ihnen eine Wirkung für die Vergangenheit beizumessen ist (EuGH 25. Februar 2021 – C-129/20 – [Caisse pour l’avenir des enfants] Rn. 31). Der Gerichtshof der Europäischen Union hat deshalb die Vorgängerrichtlinie der Vereinbarkeits-RL nicht auf in der Vergangenheit abgeschlossene Elternzeiten angewandt (EuGH 25. Februar 2021 – C-129/20 – [Caisse pour l’avenir des enfants] aaO). Bei der Vereinbarkeits-RL fehlen ebenso entsprechende Anhaltspunkte für einen Geltungsanspruch für Sachverhalte in der Vergangenheit.
30 c) Art. 10 Abs. 2 der Vereinbarkeits-RL findet demnach in zeitlicher Hinsicht keine Anwendung auf die Elternzeiten der Klägerin. Die Richtlinienbestimmung gilt erst seit dem 2. August 2019 und war nach ihrem Art. 20 Abs. 1 bis zum 2. August 2022 umzusetzen. Sie knüpft als materiell-rechtliche Regelung an die Bedingungen bei der Rückkehr aus dem Elternurlaub an. Dieser Zeitpunkt muss mangels anderer Anhaltspunkte in der Richtlinie nach ihrem Inkrafttreten liegen. Ihre Elternurlaube hatte die Klägerin dagegen bereits in den 90er Jahren genommen.
31 4. Die hier streitige Wartezeitregelung ist nicht gemäß § 7 Abs. 2 AGG unwirksam. Der Prüfungsmaßstab nach §§ 7, 3, 1 AGG entspricht demjenigen von Art. 157 AEUV und Art. 3 Abs. 2 und 3 GG (vgl. BAG 20. April 2010 – 3 AZR 370/08 – Rn. 51, BAGE 134, 71).
32 5. Auch § 15 Abs. 2 Satz 6 BEEG, wonach der Anspruch auf Erziehungsurlaub nicht durch Vertrag ausgeschlossen oder beschränkt werden kann, verbietet keine – tarifvertragliche oder satzungsrechtliche – Regelung, nach welcher die Zeiten des ruhenden Arbeitsverhältnisses für eine zusätzliche tarifliche Leistung nicht berücksichtigt werden. Knüpfen die Tarifvertragsparteien oder der Satzungsgeber an die Rechtsfolge des Erziehungsurlaubs, nämlich das Ruhen des Arbeitsverhältnisses, an und bestimmen sie, dass in diesem Fall keine Besitzstandsrente erworben werden kann, geht diese Regelung nicht über das hinaus, was sich für das Ruhen anderer Vergütungsbestandteile ohnehin aus den gesetzlichen Vorschriften ergibt (vgl. BAG 20. April 2010 – 3 AZR 370/08 – Rn. 49 mwN, BAGE 134, 71).
33 6. Der von der Klägerin angeregten Vorlage an den Gerichtshof der Europäischen Union nach Art. 267 Abs. 3 AEUV bedurfte es nicht. Die Nichtberücksichtigung von Erziehungsurlaubszeiten kann nach der ständigen Rechtsprechung auch des Gerichtshofs durch objektive Gründe gerechtfertigt sein, die nichts mit einer Diskriminierung aufgrund des (weiblichen) Geschlechts zu tun haben (vgl. BAG 20. April 2010 – 3 AZR 370/08 – Rn. 53 mwN, BAGE 134, 71). So liegt der Fall auch hier.
34 III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 Abs. 1 ZPO.