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Arbeitsrecht
02.08.2019
Arbeitsrecht
BAG: Günstigkeitsprinzip anwendbar für 24-Stunden-Dienste bzgl. der Vergütung

BAG, Urteil vom 17.4.20195 AZR 250/18

ECLI:DE:BAG:2019:170419.U.5AZR250.18.0

Volltext: BB-Online BBL2019-1843-5

Orientierungssätze

1. Wird in einem Tarifvertrag die „regelmäßige Arbeitszeit“ festgeschrieben, handelt es sich hierbei - sofern nicht ausdrücklich anderes bestimmt ist – üblicherweise um den zeitlichen

Umfang der vom Arbeit-nehmer zu leistenden Vollarbeit (Rn. 18).

2. Bei Anwendung des Günstigkeitsprinzips aus § 4 Abs. 3 TVG lässt sich objektiv nicht zweifelsfrei fest-stellen, ob bei der Arbeit im Rettungsdienst für dieselbe Vergütung eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden Vollarbeit oder eine Kombination aus 19,2 Stunden Vollarbeit und 20,8 Stunden Bereitschaftsdienst günstiger ist. Es verbleibt deshalb bei der zwingenden Geltung des Tarifvertrags (Rn. 32).

Sachverhalt

Die Parteien streiten über eine weitere Vergütung der von der Klägerin im Zeitraum Januar 2015 bis April 2016 geleisteten 24-Stunden-Dienste.

Die Klägerin, Mitglied der komba Gewerkschaft, ist seit dem 14. Juni 2010 bei der Beklagten, einer Gesellschaft des Landkreises Oder-Spree, bzw. deren Rechtsvorgänger beschäftigt, zuletzt als Rettungssanitäterin. Grundlage des Arbeitsverhältnisses ist der Arbeitsvertrag vom 30. April 2012, in dem es ua. heißt:

„2. Vertragsgrundlage

2.1     

Auf das Arbeitsverhältnis findet der für die Rettungsdienst im Landkreis Oder-Spree GmbH jeweils gültige Tarifvertrag Anwendung, soweit einzelvertraglich nichts anderes vereinbart ist. Für die Zeit ab 1.1.2012 ist dies der Tarifvertrag Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree vom 27. Juni 2012.

3. Vergütung

3.1     

Gem. den Eingruppierungs-/ und Überleitungsregelungen des Tarifvertrags Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree setzt sich das monatliche Bruttoentgelt rückwirkend zum 01.01.2012 wie folgt zusammen:

a.)     

Für die Tätigkeit als Rettungsassistentin ab dem 01.01.2012:

EG/Stufe 6/2

…       

a.)     

Für die Tätigkeit als Rettungssanitäterin ab dem 01.10.2012:

EG/Stufe 4/2

…       

4. Arbeitszeit

4.1     

Die regelmäßig vereinbarte Arbeitszeit beträgt 40,00 Stunden in der Woche.

4.2     

Beginn, Ende, Lage und Verteilung der täglichen Arbeitszeit sowie der Pausen werden durch Betriebsvereinbarungen und Dienstpläne im Einzelnen geregelt.“

Der von der Beklagten und der dbb tarifunion mit Wirkung zum 1. Januar 2012 geschlossene Tarifvertrag Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree (iF TV RD LOS), enthält auszugsweise folgende Regelungen:

 „Abschnitt II - Arbeitszeit

§ 8 - Regelmäßige Arbeitszeit

(1)     

Die regelmäßige Arbeitszeit beträgt durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich, 

…       

b)    

einschließlich der Pausenzeiten für die Beschäftigten im Einsatzdienst auf Rettungswagen, Krankentransportwagen und Notarzteinsatzfahrzeugen.

…       

Die regelmäßige Arbeitszeit kann auf fünf Tage, aus notwendigen betrieblichen Gründen auch auf sechs Tage verteilt werden.

(2)     

Die Summe aus Vollarbeits- und Arbeitsbereitschaftszeiten nach § 9 Abs. 3 darf durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Dabei darf der regelmäßige durchschnittliche Anteil der aktiven Arbeitszeitauslastung einen Anteil von 40 v.H. nicht überschreiten.

Protokollerklärung zu Abs. 2:           

Das durchschnittliche Verhältnis von Arbeitsbereitschaft und aktiver Arbeitszeitauslastung ist vom Arbeitgeber und Betriebsrat regelmäßig zu überwachen. Einer Betriebsvereinbarung nach Abs. 7 sind statistische Berechnungen eines 3-Monatszeitraumes über die durchschnittliche anfallende aktive Arbeitszeitauslastung zu Grunde zu legen.

(3)     

Für die Berechnung des Durchschnitts der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit ist ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zu Grunde zu legen.

…       

(6)     

Aus dringenden betrieblichen Gründen können in einer Betriebsvereinbarung auf der Grundlage des § 7 Abs. 1, 2 ArbZG und des § 12 ArbZG abweichende Regelungen zugelassen werden.

(7)     

Die Beschäftigten sind im Rahmen begründeter betrieblicher Notwendigkeiten zur Leistung von Sonntags-, Feiertags-, Nacht-, Wechselschicht-, Schichtarbeit sowie - bei Teilzeitbeschäftigten aufgrund arbeitsvertraglicher Regelung oder mit ihrer Zustimmung - zur Arbeitsbereitschaft, Rufbereitschaft, Überstunden und Mehrarbeit verpflichtet.

…       

§ 9 - Sonderformen der Arbeit

…       

(3)     

Arbeitsbereitschaft ist die Zeit, in denen sich der Beschäftigte am Arbeitsplatz oder einer anderen vom Arbeitgeber bestimmten Stelle zur Verfügung halten muss, um im Bedarfsfall die Arbeit selbständig, ggf. auch auf Anordnung, aufzunehmen und in denen die Zeiten ohne Arbeitsleistung überwiegen.

…       

(6)     

Mehr- bzw. Minderarbeit sind die Arbeitsstunden, die der Beschäftigte per Dienstplan über bzw. unter der regelmäßigen wöchentlichen vereinbarten Arbeitszeit leistet. Die Mehrarbeit ist in geeigneter Form zu erfassen und grundsätzlich innerhalb des Ausgleichszeitraumes nach § 8 Abs. 2 mit Freizeit auszugleichen.

…       

(7)     

Überstunden sind die auf Anordnung des Arbeitgebers geleisteten Arbeitsstunden, die bei Beschäftigten über die im Rahmen der regelmäßigen wöchentlichen Arbeitszeit festgesetzten Arbeitsstunden hinausgehen und nicht bis zum Ende des Kalenderjahres ausgeglichen werden.

…       

§ 17 - Entgelt

(1)     

Der Beschäftigte erhält monatlich ein Tabellenentgelt. …

…       

(3)     

Bemessungszeitraum für das Tabellenentgelt … des Beschäftigten ist der Kalendermonat. Die Wertstellung der ständigen Entgeltbestandteile ist bis zum letzten Werktag des Monats auf ein vom Arbeitnehmer einzurichtendes europäisches Girokonto zu gewährleisten. Die Zahlung von Zulagen, Zuschlägen, etc. ist bis zum letzten Werktag des Folgemonats fällig.

 (4)     

Soweit tarifvertraglich nicht ausdrücklich etwas anderes geregelt ist, erhalten Teilzeitbeschäftigte das Tabellenentgelt (Abs. 1) und alle sonstigen Entgeltbestandteile in dem Umfang, der dem Anteil ihrer individuell vereinbarten durchschnittlichen Arbeitszeit an der regelmäßigen Arbeitszeit vergleichbarer Vollzeitbeschäftigter entspricht.“

Am 7. November 2012 schlossen die Beklagte und der in ihrem Betrieb errichtete Betriebsrat eine „Betriebsvereinbarung 04 zur Verlängerung der täglichen Arbeitszeit“ (iF BV 04), die in ihrer seit dem 1. Januar 2015 geltenden Fassung auszugsweise wie folgt lautet:

 „§ 1 Regelungsbedarf

Diese Betriebsvereinbarung soll die Grundlagen für einen reibungslosen Dienstablauf im durchgehenden Rettungsdienstbetrieb an allen Kalendertagen einschließlich Sonn- und Feiertagen, sowie eine unter diesen Rahmenbedingungen bestmögliche Erholung der Mitarbeiter/innen von den besonderen physischen und psychischen Belastungen des Rettungsdienstes sicherstellen. …

§ 2 Grundlagen

1)    

Auf Grundlage von § 8 Absätze 2 und 6 des Tarifvertrages Rettungsdienst Landkreis Oder-Spree vom 27. Juni 2012 (TV-RDLOS) ist für die Arbeitnehmer dieses Betriebs der Rechtsrahmen zur Vereinbarung abweichender Arbeitszeiten i.S.v. § 7 Arbeitszeitgesetz mit Wirkung auf den 01.01.2012 eröffnet.

2)    

Eine Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf über 8 Stunden erfolgt auf Grund von regelmäßig und in erheblichem Umfang anfallender Arbeitsbereitschaft nach § 9 Abs. 3 des TV-RDLOS. Dabei darf der regelmäßige durchschnittliche Anteil der aktiven Arbeitszeitauslastung einen Anteil von 40 v.H. nicht überschreiten.

3)    

Die Summe aus Vollarbeits- und Arbeitsbereitschaftszeiten darf durchschnittlich 48 Stunden wöchentlich nicht überschreiten. Der Ausgleichszeitraum ist das Kalenderjahr.

4)    

Die Mitarbeiter/innen der Rettungsdienst GmbH haben mehrheitlich bekundet, dass sie die Durchführung eines 12-Stunden-Dienstsystems als wesentlich belastender empfinden, als eine vom 24-Stunden-Dienst geprägte Variante innerhalb der vom Arbeitszeitgesetz ermöglichten Verlängerung der regelmäßigen Arbeitszeit auf durchschnittlich 48 Stunden pro Woche.

§ 4 Beteiligung der Mitarbeiter/innen

…       

2)    

Die Verlängerung der täglichen Arbeitszeit auf über 12 Stunden, wird erst durch die persönliche, schriftliche Zustimmung des Mitarbeiters / der Mitarbeiterin wirksam. Die Zustimmung kann jederzeit oder ohne Angabe von Gründen mit einer Kündigungsfrist von 6 Monaten widerrufen werden.

…       

§ 5 Dienstzeiten

1.    

Es werden folgende Dienste mit ihren Anfangs- und Endzeiten vereinbart: 

…       

2.    

Die zeitliche Lage der Pausen bestimmt der Mitarbeiter / die Mitarbeiterin je nach Einsatzgeschehen im Rahmen der gesetzlichen Vorgaben nach § 4 ArbZG selbst.

3.    

Vergütungsrechtlich wird ein 12-Stunden-Dienst mit 10 Stunden Arbeitszeit und 2 Stunden Verlängerung auf Grund erheblich und regelmäßig anfallender Arbeitsbereitschaftszeiten bewertet. Ein 24-Stunden-Dienst wird mit 20 Stunden Arbeitszeit und 4 Stunden Verlängerung auf Grund erheblich und regelmäßig anfallender Arbeitsbereitschaftszeiten bewertet. Zur Berechnung der durchschnittlichen Höchstgrenze von 48 Wochenstunden und eventuell anfallender Zeitzuschläge (§ 10 TV-RDLOS) werden die 12 bzw. 24 Stunden eines Dienstes in vollem Umfang herangezogen. Die Dienste auf Krankentransportwagen (KTW) werden wie Vollarbeitszeit geleistet.“

Der nunmehr als § 5 Nr. 3 aufgenommene Text befand sich in den vorherigen Fassungen der BV 04 als „Anmerkung“ am Ende von § 5.

Unter dem 27. September 2012 stimmte die Klägerin der Leistung von 24-Stunden-Diensten auf einem dafür vorgesehenen Formular zu. 

Am 8. Juli 2016 schlossen die Beklagte und der dbb beamtenbund und tarifunion den „2. Tarifvertrag zur Änderung des Tarifvertrags Rettungsdienst im Landkreis Oder-Spree GmbH vom 01.06.2012“ (ÄndTV Nr. 2 TV RD LOS), der rückwirkend zum 1. Januar 2016 in Kraft getreten ist. Dabei wurden § 8 Abs. 2 TV RD LOS um einen Satz 3 nebst Protokollerklärung hierzu und § 8 Abs. 6 TV RD LOS um eine „Niederschriftserklärung“ ergänzt wie folgt:

„Wenn in die Arbeitszeit regelmäßig und in erheblichem Umfang Arbeitsbereitschaft fällt, kann unter den Voraussetzungen einer

-        

Prüfung alternativer Arbeitszeitmodelle unter Einbeziehung des Betriebsarztes und

-       

ggf. daraus resultierender Maßnahmen zur Gewährleistung des Gesundheitsschutzes

im Rahmen des § 7 Abs. 1 Nr. 1 und Nr. 4, Abs. 2 Nr. 3 ArbZG die tägliche Arbeitszeit im Sinne des Arbeitszeitgesetzes abweichend von den §§ 3, 5 und Abs. 1 und 2 und § 6 Abs. 2 ArbZG durch eine Betriebsvereinbarung über acht Stunden hinaus auf bis zu 24 Stunden verlängert werden.

Protokollerklärung zu Satz 3:

Vergütungsrechtlich wird ein 12-Stunden-Dienst mit 10 Stunden Arbeitszeit und 2 Stunden Verlängerung auf Grund erheblich und regelmäßig anfallender Arbeitsbereitschaftszeiten bewertet. Ein 24-Stunden-Dienst wird mit 20 Stunden Arbeitszeit und 4 Stunden Verlängerung auf Grund erheblich und regelmäßig anfallender Bereitschaftszeiten bewertet. Zur Berechnung der durchschnittlichen 48 Wochenstunden und evtl. anfallender Zeitzuschläge werden die 12- bzw. 24 Stunden eines Dienstes in vollem Umfang herangezogen. Die Dienste auf Krankentransportwagen werden in Vollarbeit geleistet. Damit wird jede Stunde eines 12- oder 24-Stunden-Dienstes mit einem Zeitanteil von 83,33 Prozent bewertet.

Es wird klargestellt, dass bereits der TV RD LOS vom 1. Juni 2012 bis zum 31. Dezember 2015 in § 8 Abs. 6 eine Öffnungsklausel insbesondere auch zum Abschluss der Betriebsvereinbarung 04 zur Verlängerung der täglichen Arbeitszeit enthält und enthalten sollte und dass diese Betriebsvereinbarung mit Billigung der dbb tarifunion abgeschlossen und vollzogen wurde. …“

Im Streitzeitraum Januar 2015 bis April 2016 leistete die Klägerin 108 24-Stunden-Dienste. Sie erhielt das Tabellenentgelt nach EG 4 Stufe 3 TV RD LOS, das zuletzt ab Januar 2016 2.210,58 Euro brutto betrug, sowie Vergütung für etwaige Überstunden und in § 10 TV RD LOS vorgesehene Zuschläge für Überstunden, Nacht-, Samstags-, Sonntags- und Feiertagsarbeit. Dabei wertete die Beklagte die von der Klägerin geleisteten 24-Stunden-Dienste wie 20 Vollarbeitsstunden.

Mit Schreiben vom 18. Juni 2015, das die Beklagte am 30. Juni 2015 erhielt, wandte sich die Klägerin dagegen, dass „trotz wöchentlich geleisteter zwei 24-Stunden-Dienste lediglich 40 Stunden vergütet“ werden und verlangte erfolglos rückwirkend Vergütung für acht weitere Stunden wöchentlich.

Mit der am 17. Mai 2016 anhängig gemachten und der Beklagten am 20. Mai 2016 zugestellten Klage hat die Klägerin Vergütung für jeweils vier weitere Stunden aus 108 im Streitzeitraum geleisteter 24-Stunden-Dienste geltend gemacht und dafür erstinstanzlich zuletzt 12,71 Euro brutto je Stunde angesetzt. Sie hat gemeint, die von ihr geschuldete wöchentliche Arbeitszeit betrage (nur) 40 Stunden. Weil auch Bereitschaft Arbeit sei und entsprechend entlohnt werden müsse, habe sie Anspruch auf Vergütung weiterer acht Stunden pro 48-Stunden-Woche. Die Beklagte sei nicht berechtigt, von diesen Diensten nur 40 Stunden als vergütungspflichtig zu werten, die BV 04 sei wegen Verstoßes gegen § 77 Abs. 3 BetrVG unwirksam.

Die Klägerin hat erstinstanzlich - nach Teilklagerücknahme - zuletzt beantragt,

die Beklagte zu verurteilen, an die Klägerin 5.490,72 Euro brutto nebst Zinsen iHv. fünf Prozentpunkten über dem Basiszinssatz seit Rechtshängigkeit zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und im Wesentlichen gemeint, sie sei durch Tarifvertrag und Betriebsvereinbarung zur entsprechenden Faktorisierung der 24-Stunden-Dienste berechtigt.

Das Arbeitsgericht hat der Klage iHv. 4.153,30 Euro brutto nebst Zinsen stattgegeben und sie im Übrigen abgewiesen. Auf die Berufung der Beklagten hat das Landesarbeitsgericht das Ersturteil teilweise abgeändert und die Klage insgesamt abgewiesen. Die auf die Zahlung weiterer 984,82 Euro brutto nebst Rechtshängigkeitszinsen beschränkte Anschlussberufung der Klägerin hat es zurückgewiesen. Mit der vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision verfolgt die Klägerin ihr Klagebegehren iHv. 5.138,12 Euro brutto nebst Zinsen weiter. Die Beklagte beantragt die Zurückweisung der Revision.

Aus den Gründen

14        Die Revision der Klägerin ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat zu Recht der Berufung der Beklagten gegen das der Klage teilweise stattgebende Urteil des Arbeitsgerichts entsprochen und die Anschlussberufung der Klägerin zurückgewiesen. Die Klage ist unbegründet.

15        I. Die Klägerin hat für die im Streitzeitraum geleisteten 24-Stunden-Dienste keinen Anspruch auf die geltend gemachte weitere Vergütung.

16        1. Eine solche könnte sie nach § 611 Abs. 1, § 611a Abs. 2 BGB nur beanspruchen, wenn mit dem der Klägerin gezahlten Tabellenentgelt nach § 17 Abs. 1 TV RD LOS nur eine Arbeitsleistung im zeitlichen Umfang von 40 Wochenstunden, nicht aber auch - bei einer Kombination aus Vollarbeit und Bereitschaft - eine solche von 48 Wochenstunden entgolten wäre. Das ist indes nicht der Fall. 

17        a) Nach § 8 Abs. 1 TV RD LOS beträgt die regelmäßige Arbeitszeit durchschnittlich 40 Stunden wöchentlich, wobei zur Ermittlung des Durchschnitts gemäß § 8 Abs. 3 TV RD LOS ein Zeitraum von bis zu einem Jahr zugrunde zu legen ist.

18        aa) Mit dem Begriff der „regelmäßigen Arbeitszeit“ definieren die Tarifvertragsparteien - sofern sie nicht ausdrücklich anderes festschreiben - üblicherweise den zeitlichen Umfang der vom Arbeitnehmer zu leistenden Vollarbeit (vgl. BAG 17. Januar 2019 - 6 AZR 17/18 - Rn. 17). Dies bestätigt die Einordnung von Bereitschaft als „Sonderform der Arbeit“ in § 9 Abs. 3 TV RD LOS und der in § 8 Abs. 2 TV RD LOS eröffnete weitere Zeitrahmen für eine Kombination aus Vollarbeit und Bereitschaft.

19        bb) Dass sie während eines 24-Stunden-Dienstes über 20 Stunden und damit wöchentlich mehr als 40 Stunden Vollarbeit geleistet hätte, hat die Klägerin nicht behauptet.

20        b) Daneben sieht § 8 Abs. 2 TV RD LOS ein weiteres, aus Vollarbeit und Bereitschaft bestehendes „Arbeitszeitmodell“ vor, das den zeitlichen Umfang der für das monatliche Tabellenentgelt nach § 17 Abs. 1 TV RD LOS geschuldeten Arbeitsleistung bestimmt. Die diesbezüglich vom Landesarbeitsgericht vorgenommene Tarifauslegung lässt Rechtsfehler nicht erkennen.

21        aa) Im Ansatz zutreffend nimmt die Klägerin an, nicht nur Vollarbeit, sondern auch Arbeitsbereitschaft und Bereitschaftsdienst seien vergütungspflichtige Arbeit iSd. § 611 Abs. 1 BGB (st. Rspr., vgl. zB BAG 19. November 2014 - 5 AZR 1101/12 - Rn. 16 mwN, BAGE 150, 82; 11. Oktober 2017 - 5 AZR 591/16 - Rn. 13). Doch kann für diese Sonderformen der Arbeit eine gesonderte Vergütungsregelung getroffen und ein geringeres Entgelt als für Vollarbeit vorgesehen werden kann (st. Rspr., BAG 20. April 2011 - 5 AZR 200/10 - Rn. 32, BAGE 137, 366).

22        bb) Von dieser Möglichkeit haben die Tarifvertragsparteien in § 8 Abs. 2 TV RD LOS Gebrauch gemacht, indem sie für dasselbe Tabellenentgelt neben der ausschließlichen Vollarbeit unter Ausdehnung der durchschnittlichen Arbeitszeit auf bis zu 48 Stunden wöchentlich eine Kombination aus Vollarbeit und Bereitschaft zulassen (Satz 1) und das dabei mögliche Verhältnis von Vollarbeit und Bereitschaft festlegen (Satz 2). Für Beschäftigte, die in diesem „Arbeitszeitmodell“, das auch im Tarifrecht des öffentlichen Dienstes vorgesehenen ist (§ 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d TVöD-AT, § 9 Abs. 1 Satz 2 Buchst. d TV-L), arbeiten, wird die derart verlängerte Arbeitszeit gleichsam zur regelmäßigen Arbeitszeit (vgl. - zu § 12 DRK-Reformtarifvertrag - BAG 26. Juni 2013 - 5 AZR 231/12 - Rn. 12).

23        cc) Mit § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS, wonach der regelmäßige durchschnittliche Anteil der „aktiven Arbeitszeitauslastung“ - also der Vollarbeit - 40 % nicht überschreiten darf, legen die Tarifvertragsparteien nicht nur das höchstzulässige Verhältnis von Vollarbeit und Bereitschaft fest. Zugleich wird der Bereitschaftsdienst faktorisiert: Wenn innerhalb der Höchstgrenze von 48 Wochenstunden nur 40 %, das sind 19,2 Stunden, Vollarbeit sein dürfen, müssen (48 abzüglich 19,2 =) 28,8 Wochenstunden Bereitschaft sein. Damit werden letztere wie (40 abzüglich 19,2 =) 20,8 Wochenstunden Vollarbeit vergütet und - bezogen auf die Vergütung - eine Stunde Bereitschaftsdienst wie 0,72 Stunde Vollarbeit bewertet. § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS enthält somit eine gesonderte Vergütungsregelung für Bereitschaftszeiten (zur Faktorisierung als gesonderte Vergütungsregelung für Sonderformen der Arbeit sh. auch BAG 17. Januar 2019 - 6 AZR 17/18 - Rn. 19). Diese ist angesichts der von Art. 9 Abs. 3 GG geschützten Tarifautonomie und des damit verbundenen weiten Gestaltungsspielraums der Tarifvertragsparteien (dazu BAG 2. August 2018 - 6 AZR 437/17 - Rn. 38 mwN, BAGE 163, 205) nicht zu beanstanden.

24        dd) Ein solches Verständnis von § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS entspricht auch dem übereinstimmenden Willen der Tarifvertragsparteien (zum Willen der Tarifvertragsparteien als Auslegungskriterium etwa BAG 19. Juni 2018 - 9 AZR 564/17 - Rn. 17 mwN). Das belegen sowohl die „Protokollerklärung zu Satz 3“ als auch die „Klarstellung für die Zeit vor 2016“ in § 2 ÄndTV Nr. 2 TV RD LOS.

25        c) Aus den Feststellungen des Landesarbeitsgerichts ergibt sich nicht, dass die Beklagte bei der Gestaltung der streitgegenständlichen 24-Stunden-Dienste die Grenze des § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS missachtet hätte. Auch hat die Klägerin nicht vorgebracht, dass generell oder bei einzelnen 24-Stunden-Diensten mehr Vollarbeit angefallen wäre als nach § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS erlaubt ist und dadurch die Summe aus Vollarbeits- und faktorisierten Bereitschaftsstunden die regelmäßige wöchentliche Arbeitszeit im Ausgleichszeitraum überschritten hätte.

26        d) Schließlich gibt der Sachvortrag der Klägerin auch keinen Anhalt für einen Verstoß gegen das Mindestlohngesetz mit der Rechtsfolge eines Differenzanspruchs nach § 3 Satz 1 MiLoG (vgl. dazu etwa BAG 17. Januar 2018 - 5 AZR 69/17 - Rn. 12). Zwar schuldet der Arbeitgeber kraft Gesetzes auch für Bereitschaft den gesetzlichen Mindestlohn (BAG 11. Oktober 2017 - 5 AZR 591/16 - Rn. 13 f.). Dass durch die Faktorisierung der Bereitschaftsdienste das in den streitgegenständlichen Monaten für die jeweils geleisteten Arbeitsstunden gezahlte Entgelt den gesetzlichen Mindestlohn unterschritten hätte, hat die Klägerin nicht behauptet.

27        2. Auf die Wirksamkeit der BV 04 kommt es entgegen der Auffassung der Revision vergütungsrechtlich nicht an.

28        a) § 3 Satz 2 und § 7 Abs. 8 ArbZG begrenzen die zulässige Höchstarbeitszeit auf durchschnittlich 48 Wochenstunden. Diese Grenze beachtet § 8 Abs. 2 Satz 1 TV RD LOS und verstößt damit nicht gegen höherrangiges Recht. Die BV 04 soll auf der Grundlage des § 8 Abs. 6 TV RD LOS die Voraussetzungen dafür schaffen, dass arbeitszeitrechtlich von den in §§ 7, 12 ArbZG vorgesehenen Abweichungen Gebrauch gemacht werden darf. In dieser Legitimierung von anderenfalls einzuhaltender Vorgaben des Arbeitszeitgesetzes, die ein gesetzliches Beschäftigungsverbot begründen (BAG 20. November 2018 - 9 AZR 327/18 - Rn. 15 mwN), erschöpft sich grundsätzlich die Wirkung einer Betriebsvereinbarung nach §§ 7, 12 ArbZG. Das Arbeitszeitgesetz verbietet nicht die Vergütung von Arbeit, die unter Verstoß gegen arbeitszeitrechtliche Vorgaben erbracht wurde (BAG 24. August 2016 - 5 AZR 129/16 - Rn. 48, BAGE 156, 157). Wären die im Betrieb der Beklagten praktizierten 24-Stunden-Dienste arbeitszeitrechtlich unzulässig gewesen, hätte die Klägerin für die tatsächlich geleisteten 24-Stunden-Dienste gleichwohl, aber auch nur Anspruch auf die dafür vorgesehene Vergütung, also das Tabellenentgelt nach § 17 Abs. 1 TV RD LOS. Dieses hat die Klägerin nach den nicht angegriffenen tatsächlichen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts erhalten.

29        b) Weil die Faktorisierung der Bereitschaft in § 8 Abs. 2 Satz 2 TV RD LOS tariflich geregelt ist, kommt es nicht entscheidungserheblich darauf an, ob § 5 Nr. 3 BV 04 in der ab dem 1. Januar 2015 geltenden Fassung lediglich den Tarifvertrag „deklaratorisch wiederholt“ - so die erkennende Kammer des Landesarbeitsgerichts - oder - so andere Kammern des Landesarbeitsgerichts - unter Verstoß gegen § 77 Abs. 3 Satz 1 BetrVG die Vergütung von Bereitschaft regelt. Ist § 5 Nr. 3 BV 04 in der im Streitzeitraum maßgebenden Fassung (teil-)unwirksam (zu den Voraussetzungen der Teilunwirksamkeit einer Betriebsvereinbarung vgl. BAG 5. Mai 2015 - 1 AZR 435/13 - Rn. 20), verbleibt es bei der tariflichen Vergütungsregelung.

30        3. Aus dem Arbeitsvertrag ergibt sich nichts anderes.

31        a) Nach dessen Nr. 4.1 beträgt die „regelmäßig vereinbarte Arbeitszeit“ 40 Wochenstunden. Weil weder dort noch an anderer Stelle des Arbeitsvertrags von Sonderformen der Arbeit die Rede ist, muss unter Berücksichtigung der Gepflogenheiten im Arbeitsleben der verständige Arbeitnehmer davon ausgehen, mit einer solchen Formulierung werde der Umfang der geschuldeten regelmäßigen Vollarbeit bestimmt. Zudem ist durch die Bezugnahmeklausel der Nr. 2.1 Arbeitsvertrag das in § 8 Abs. 2 TV RD LOS vorgesehene „Arbeitszeitmodell“ aus Vollarbeit und Bereitschaft arbeitsvertraglich mitvereinbart. Für ein Verständnis der Nr. 4.1 Arbeitsvertrag dahingehend, 40 Wochenstunden sollen Obergrenze auch für eine Kombination aus Vollarbeit und Bereitschaft sein, fehlt jeglicher Anhaltspunkt.

32        b) Im Übrigen würde sich bei einem anderen Verständnis des Inhalts der Nr. 4.1 Arbeitsvertrag die tarifliche Regelung, die nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts (auch) kraft beiderseitiger Tarifgebundenheit auf das Arbeitsverhältnis Anwendung findet, durchsetzen. Denn die arbeitsvertragliche Arbeitszeitregelung wäre in diesem Falle nicht günstiger iSd. § 4 Abs. 3 TVG. Ob bei der Arbeit im Rettungsdienst für dieselbe Vergütung eine Wochenarbeitszeit von 40 Stunden Vollarbeit oder eine Kombination aus 19,2 Stunden Vollarbeit und 20,8 Stunden Bereitschaftsdienst günstiger ist, lässt sich objektiv nicht zweifelsfrei feststellen, so dass es bei der zwingenden Geltung des Tarifvertrags verbleibt (zur Durchführung des Günstigkeitsvergleichs im Einzelnen sh. BAG 22. August 2018 - 5 AZR 551/17 - Rn. 14; st. Rspr., BAG 15. April 2015 - 4 AZR 587/13 - Rn. 29 ff. mwN, BAGE 151, 221).

33        II. Die Klägerin hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

 

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