LAG Sachsen: Erschütterung des Beweiswertes eines ärztlichen Attestes – Darlegungs- und Beweislast des Arbeitnehmers
LAG Sachsen , Urteil vom 20.9.2024 – 4 Sa 241/22
Volltext: BB-Online BBL2025-1339-1
Leitsätze der Redaktion
1. Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sind dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG beruft, hinsichtlich der ihn insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 14 [BB 2022, 253]).
2. Ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls und damit für die mögliche Erschütterung des Beweiswertes der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil v. 11.12.2019 -5 AZR 505/18- Rn. 21 [BB 2021, 443]) regelmäßig dann gegeben, wenn sich an eine erste Arbeitsverhinderung im engen zeitlichen Zusammenhang eine weitere Arbeitsunfähigkeit anschließt. Ausgehend davon ist der Beweiswert eines ärztlichen Attestes erschüttert, wenn zwischen dem Ende einer ärztlich attestierten Arbeitsunfähigkeit und der erstellten Erstbescheinigung einer Neuerkrankung lediglich ein Wochenende liegt.
3. Der Arbeitnehmer hat nunmehr Umstände und Tatsachen vorzutragen, die eine Neuerkrankung glaubhaft machen. Dies kann zunächst in der Schilderung der akut auftretenden Gesundheitsbeschwerden liegen, in deren Folge die als Zeugin benannte behandelnde Ärztin vom Gericht vernommen werden muss. Das Ende der alten Arbeitsunfähigkeit kann der Arbeitnehmer durch ärztliche Befund- und Entlassungsberichte nachweisen.
EntgFG AUT § 3 Abs 1 , EntgFG AUT § 5 Abs 1 , EntgFG AUT § 7 Abs 1 , ZPO § 286 , ZPO § 292
Sachverhalt
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall für die Zeit v. 31.05.2021 bis 09.07.2021.
Der 1956 geborene Kläger war bei der Beklagten bis zum 15.08.2021 beschäftigt. Das langjährige Arbeitsverhältnis endete aufgrund einer Eigenkündigung des Klägers.
Der Kläger war v. 24.02.2021 bis 31.03.2021 arbeitsunfähig erkrankt. Die Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung (Erstbescheinigung) von Frau … … (im Folgenden: Zeugin) vom 24.02.2021 (Bl. 6 d. A. I. Instanz) stellte die Diagnose: F41.0G. Vom 26.02.2021 bis 18.03.2021 befand sich der Kläger in stationärer Behandlung im … …-Klinikum … (Aufenthaltsbescheinigung v. 18.03.2021, Bl. 8 d. A. I. Instanz). Es folgte eine teilstationäre Behandlung v. 22.03.2021 bis 28.05.2021 im … Krankenhaus … (Bescheinigung über den Krankenhausaufenthalt, Bl. 7 d. A. I. Instanz). Ab dem 31.05.2021 bis 19.08.2021 war der Kläger erneut arbeitsunfähig erkrankt.
Mit Schreiben v. 11.08.2021 bestätigte die Beklagte dem Kläger den Eingang der Kündigung des Arbeitsvertrages zum 15.08.2021. Zudem stellte sie fest, dass der Kläger aufgrund der vorliegenden AU-Bescheinigungen der Zeugin in der Zeit v. 24.02.2021 bis 31.03.2021 arbeitsunfähig erkrankt war und diese nach einem Krankenhausaufenthalt v. 22.03.2021 bis 28.05.2021 aufgrund einer erneuten Erstbescheinigung für die Zeit ab dem 31.05.2021 bis zunächst 11.06.2021 eine Arbeitsunfähigkeit feststellte. Die Beklagte forderte den Kläger zum Nachweis einer Ersterkrankung zur Vorlage geeigneter Nachweise in Form der ärztlichen Atteste bzw. Diagnosen auf. Daraufhin benannte der Kläger der Beklagten den Diagnoseschlüssel F41.0 für die Arbeitsunfähigkeit v. 24.02.2021 bis 28.05.2021 und ab dem 31.05.2021 den Diagnoseschlüssel M54.5.
Am 23.11.2021 hat der Kläger Klage zum Arbeitsgericht Leipzig erhoben und für die Zeit v. 31.05.2021 bis 09.07.2021 Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall begehrt. Vom 24.02.2021 bis 28.05.2021 sei er aufgrund der Diagnose F41.0 arbeitsunfähig erkrankt gewesen und seit dem 31.05.2021 wegen der Diagnose M54.5. Zwischen beiden Erkrankungen bestehe keine Verbindung. Daher sei Entgeltfortzahlung zu leisten. Der Klageschrift hat der Kläger die ärztliche Folgebescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit v. 31.05.2021 bis 19.08.2021, v. 23.07.2021 (Bl. 5 d. A. I. Instanz), die Erstbescheinigung über eine Arbeitsunfähigkeit v. 24.02.2021 bis 31.03.2021, v. 24.02.2021 (Bl. 6 d. A. I. Instanz), die Bescheinigung über den Krankenhausaufenthalt des Sächsischen Krankenhauses … (Bl. 7 d. A. I. Instanz) und des … …Klinikum vom 18.03.2021 (Bl. 8 d. A. I. Instanz) beigefügt.
Der Kläger hat erstinstanzlich zuletzt beantragt,
die Beklagte zu verurteilen, an den Kläger 2.666,40 € brutto für den Zeitraum 31.05.2021 bis 09.07.2021 zu zahlen.
Die Beklagte hat erstinstanzlich beantragt,
die Klage abzuweisen.
Die Beklagte hat die Ansicht vertreten, dem Kläger stehe ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für die Zeit v. 31.05.2021 bis 09.07.2021 nicht zu. Es handele sich um einen einheitlichen Verhinderungsfall. Deshalb habe der Kläger allenfalls Anspruch auf Krankengeld. Wenn zwischen zwei Krankheitszeiten nur ein freier Tag oder ein Wochenende liege, so ende die Entgeltfortzahlungspflicht des Arbeitsgebers nach sechs Wochen. Ein einheitlicher Verhinderungsfall sei regelmäßig anzunehmen, wenn zwischen den Arbeitsunfähigkeitszeiten ein enger zeitlicher Zusammenhang bestehe. Dies sei hier gegeben, da der Kläger bis einschließlich Freitag, dem 28.05.2021 arbeitsunfähig und dann am folgenden Montag, dem 31.05.2021, wieder erkrankt gewesen sei. Die Beklagte berufe sich auf den Grundsatz der Einheit des Versicherungsfalles und bestreite, dass die Erkrankung, die zur Arbeitsunfähigkeit bis 28.05.2021 geführt habe, vor Eintritt der Arbeitsverhinderung aufgrund der Diagnose ab 31.05.2021 beendet gewesen sei. Die jeweiligen Diagnosen habe der Kläger schriftsätzlich nicht vorgetragen. Die Beklagte gehe deshalb davon aus, dass es sich auch um eine Fortsetzungserkrankung handele. Vorsorglich werde deshalb der Eintritt einer neuen, auf einem anderen Grundleiden beruhenden Krankheit ab dem 31.05.2021 bestritten.
Das Arbeitsgericht hat mit Urteil vom 29.07.2022 die Beklagte verurteilt, an den Kläger 2.666,40 € brutto für den Zeitraum v. 31.05.2021 bis 09.07.2021 zu zahlen. Der Kläger habe Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. In der Zeit v. 22.03.-28.05.2021 habe sich der Kläger nach einer „Bescheinigung über Krankenhausaufenthalt“ des …Krankenhauses … zur teilstationären Behandlung im Krankenhaus befunden. Daraus und aus der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung v. 24.02.2021 ergäbe sich, dass der Kläger unter einer psychischen Erkrankung – Panikattacken – gelitten habe. Ab dem 31.05.2021 sei der Kläger ausweislich der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung v. 23.07.2021 aufgrund von Rückenproblemen arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung habe einen hohen Beweiswert. Sie sei der gesetzlich vorgesehene und wichtigste Beweis für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit. Das Gericht könne daher den Beweis der krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer eine solche Bescheinigung vorlege. Außerdem sei aus den beiden vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen die Diagnose ersichtlich. Daher stehe zur Überzeugung der Kammer fest, dass es sich um zwei verschiedene Krankheiten handele, so dass dem Kläger ab dem 31.05.2021 ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung zustehe. Die Höhe des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall belaufe sich für den Zeitraum v. 31.05.-09.07.2021 unstreitig auf 2.666,40 € brutto (30 Arbeitstage x 8 Stunden x 11,11 €).
Gegen das der Beklagten am 02.09.2022 zugestellte Urteil hat diese am 06.09.2022 Berufung zum Sächsischen Landesarbeitsgericht eingelegt und innerhalb der verlängerten Berufungsbegründungsfrist am 01.12.2022 begründet. Fehlerhaft habe das Arbeitsgericht der Zahlungsklage stattgegeben. Anders als das Arbeitsgericht meint, stehe keineswegs fest, dass es sich um zwei verschiedene Krankheiten gehandelt habe, sodass dem Kläger ab dem 31.05.2021 ein neuer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfalle zustehe. Die Beklagte habe davon ausgehen müssen, dass der Kläger an einer nicht ausgeheilten Grunderkrankung gelitten habe, weshalb ein einheitlicher Verhinderungsfall anzunehmen sei. Dem stünden auch nicht die mitgeteilten Diagnosenummern entgegen. Es werde auch bestritten, dass der Kläger in der Zeit v. 24.02.-31.03.2021 an Panikattacken sowie ab dem 31.05.2021 an Kreuzschmerzen gelitten habe. Zu den Gründen der stationären bzw. teilstationären Behandlungen im … …-Klinikum bzw. im … Krankenhaus … und den dort zugrundeliegenden Diagnosen habe der Kläger bislang nichts vorgetragen. Unabhängig davon seien die behaupteten Erkrankungen Folge einer psychosomatischen bzw. psychischen Grunderkrankung. Unstreitig sei der Kläger v. 24.02.-31.03.2021 aufgrund von Panikattacken arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Auch die Diagnose Kreuzschmerzen könne Folge einer psychischen Belastung sein. Dass der Kläger an einem Bandscheibenvorfall gelitten habe, werde bestritten. Es werde insbesondere in Abrede gestellt, dass die psychische Grunderkrankung des Klägers ausgeheilt gewesen sei. Allenfalls seien die später diagnostizierten … zu der latent weiterbestehenden Grunderkrankung hinzugetreten. Jedenfalls stellten diese keine neue Ersterkrankung dar. Im Bestreitensfall sei eine Sachverständigengutachten einzuholen. Der Kläger habe somit nach Ansicht der Beklagten keinen erneuten Anspruch auf Entgeltfortzahlung. Die beabsichtigte Einvernahme der Zeugin stelle einen unzulässigen Ausforschungsbeweis dar und sei nicht durchzuführen. Gelinge es, wie hier, dem Arbeitgeber den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeit zu erschüttern, so trete hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor der Vorlage der ärztlichen Bescheinigung bestanden habe. Es sei dann Sache des Arbeitnehmers konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Neuerkrankung zuließen. Der Arbeitnehmer müsse also mindestens laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen, mit welchen Auswirkungen auf seiner Arbeitsunfähigkeit bestanden hätten. Soweit er sich für die Behauptung, aufgrund dieser Einschränkungen arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte berufe, sei dieser Beweiswert nur ausreichend, wenn er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbinde. Außerdem sei zu würdigen, ob die bescheinigte Arbeitsunfähigkeit passgenau die Kündigungsfrist teilweise oder vollständig abdecke. Unter Berücksichtigung der vom Bundesarbeitsgericht entwickelten Grundsätze sei vorliegend der Beweiswert erschüttert. Hinsichtlich der Arbeitsunfähigkeit trage der Kläger lediglich formelhaft vor, dass er sich in der Zeit v. 24.02.2021 bis 28.05.2021 aufgrund einer Suchterkrankung in Behandlung befunden hätte und am 28.05.2021 insoweit therapiert gewesen sei, dass er am Ende des Tages wieder arbeitsfähig gewesen sei. Hierzu werde das Zeugnis der Hausärztin … … angeboten. Diese könne aber zu dem Sachverhalt keinerlei Angaben machen, da sich der Kläger nicht bei ihr, sondern im … …-Klinikum bzw. im Krankenhaus … in Behandlung befunden habe. Soweit der Kläger ausführe, dass er am 30.05.2021 beim Ausräumen seines Kühlschrankes einen Schmerz und eine Blockade im Rücken verspürt habe, die vorher nicht vorhanden gewesen sei und er sich daraufhin am 31.05.2021 wieder zur Zeugin in Behandlung begeben habe, sei auch dieser Sachvortrag unsubstantiiert. Der Kläger behauptet lediglich pauschal einen Schmerz und eine Blockade verspürt zu haben ohne darzulegen, wie sich dies auf seinen Gesundheitszustand ausgewirkt habe. Welche Behandlung die Zeugin und wo aufgrund welcher Diagnose veranlasst habe, trage der Kläger nicht vor. Der Kläger hätte hier darlegen müssen, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsunfähigkeit bestanden hätten. Ferner fehle auch jeglicher Vortrag dazu, weshalb der Kläger am 28.05.2021 insoweit therapiert gewesen sei, dass er am Ende dieses Tages wieder arbeitsfähig gewesen und die bestehende schwere Suchterkrankung ausgeheilt gewesen sei. Der Kammer sei es daher verwehrt, die Zeugin zu vernehmen.
Die Beklagte beantragt,
das Urteil des Arbeitsgerichts Leipzig v. 29.07.2022 – 12 Ca 2619/21 – aufzuheben und die Klage abzuweisen.
Der Kläger beantragt,
die Berufung zurückzuweisen.
Er hält die erstinstanzliche Entscheidung für zutreffend. Im Rahmen seiner Berufungserwiderung v. 17.01.2023 hat der Kläger vorgetragen, dass er sich in der Zeit v. 24.02.2021 bis 28.05.2021 aufgrund einer Suchterkrankung in Behandlung befunden hätte. So habe er sich vom 26.02.2021 bis 18.03.2021 stationär im … … … für eine qualifizierte Entgiftung aufgehalten. Vom 22.03.2021 bis zum 28.05.2021 sei er im … Krankenhaus … teilstationär wegen dieser Suchterkrankung behandelt worden. Dies könne die Zeugin bestätigen, insbesondere auch den Umstand, dass er am 28.05.2021 insoweit therapiert gewesen sei, dass er am Ende dieses Tages wieder arbeitsfähig gewesen sei. Am 30.05.2021 habe der Kläger bei sich zu Hause den Kühlschrank ausgeräumt. Dabei habe er plötzlich einen Schmerz und eine Blockade im Rücken verspürt, welche vorher nicht vorhanden gewesen sei. Er habe sich daraufhin am 31.05.2021 zur Zeugin begeben, die eine entsprechende Untersuchung veranlasst und eine Diagnose erstellt habe. Bei der Untersuchung im Zentrum für Radiologie und Nuklearmedizin in … sei ein Bandscheibenvorfall festgestellt worden. Aufgrund dieser Erkrankung sei der Kläger dann arbeitsunfähig erkrankt gewesen bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses. Es bestünde ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung für weitere 6 Wochen. Der Kläger habe nach Ablauf seiner Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zum 28.05.2021 eine erneute, als Erstbescheinigung ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vom 31.05.2021 vorgelegt. Aus dieser werde deutlich, dass zwischen den beiden Arbeitsunfähigkeitszeiträumen eine Unterbrechung liege. Der Kläger hätte auch am 29.05.2021 zur Arbeit herangezogen werden können. Dazu sei er in der Lage gewesen. Anders als die Beklagte meint, habe das Berufungsgericht zu Recht die Vernehmung der Zeugin veranlasst. Der Kläger habe aus seiner nicht fachkundigen und laienhaften Sicht geschildert, welche Erkrankungen in welchem Zeitraum vorgelegen hätten. Für alles Weitergehende habe er die Zeugin benannt. Dem Kläger liege nunmehr auch der Arztbrief des … Krankenhauses … vor. Aus diesem gehe hervor, dass der Kläger, wie auch von ihm geschildert, an einer Therapie gegen seine Alkoholabhängigkeit teilgenommen habe. Für diesen Zeitraum sei er deshalb arbeitsunfähig erkrankt gewesen. Auf Seite 3 des Berichtes sei zu lesen, dass der Kläger am 28.05.2021 im arbeitsfähigen Zustand nach Hause entlassen worden sei.
Die Kammer hat Beweis erhoben durch Einvernahme der Zeugin Frau … … …am 20.09.2024. Hinsichtlich des Inhalts der Zeugenaussage wird verwiesen auf die Sitzungsniederschrift vom 20.09.2024 (Bl. 97- 98 d.A. 2. Instanz).
Wegen der weiteren Einzelheiten des Parteivorbringens wird auf die gewechselten Schriftsätze nebst Anlagen aus erster und zweiter Instanz sowie auf den Inhalt der Sitzungsniederschriften der mündlichen Verhandlungen aus beiden Instanzen verwiesen.
Aus den Gründen
I. Die Berufung der Beklagten ist zulässig. Sie ist gemäß §§ 8 Abs. 2, 64 Abs. 2 lit. b. ArbGG statthaft und auch im Übrigen zulässig, insbesondere form- und fristgerecht eingelegt (§ 66 Abs. 1 S. 1 Alt. 1, 64 Abs. 6 ArbGG, 519 ZPO) und innerhalb der Berufungsbegründungsfrist ausreichend begründet worden (§§ 66 Abs. 1, Satz 1 Alt. 2, 64 Abs. 6 ArbGG, 520 Abs. 1 und 3 ZPO).
II. Die Berufung der Beklagten ist jedoch unbegründet. Der Kläger hat gemäß § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG für die Zeit v. 31.05.2021 bis 09.07.2021 Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall i.H.v. 2.666,40 €. Anders als das Arbeitsgericht festgestellt hat, ist zwar der Beweiswert der ärztlichen Erstbescheinigung über das Bestehen der Arbeitsunfähigkeit vom 31.05.2021 sowie der sich anschließenden Folgebescheinigung erschüttert. Dies folgt bereits aus dem Umstand, dass - wie von der Beklagten dargestellt - zwischen dem Ende der bis zum 28.05.2021 (Freitag) andauernden Arbeitsunfähigkeit im Rahmen der teilstationären Unterbringung im Krankenhaus … und der am 31.05.2021 (Montag) durch die Zeugin attestierten neuerlichen Arbeitsverhinderung lediglich ein Wochenende lag. Zu Recht konnte die Beklagte daher das Vorliegen eines abermaligen Entgeltfortzahlungsanspruchs mit Erfolg anzweifeln. Der Kläger hat jedoch zunächst in einem ausreichenden Umfang Tatsachen geschildert, die für eine akut aufgetretene Neuerkrankung sprechen und als Zeugin hierzu die von der Schweigepflicht entbundene behandelnde Hausärztin benannt. Deren Einvernahme war nach Ansicht der Berufungskammer veranlasst. Die vom Kläger geschilderten Umstände der Neuerkrankung, die vorgelegten ärztlichen Unterlagen und die Einvernahme der behandelnden Hausärztin als Zeugin konnten im Rahmen der erfolgten freien Beweiswürdigung durch die Berufungskammer (§ 286 ZPO) vorliegend den Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im streitigen Zeitraum bestätigen.
1. Ein Arbeitnehmer hat nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von 6 Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge von Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.
a) Nach allgemeinen Grundsätzen trägt der Arbeitnehmer die Darlegungs- und Beweislast für die Anspruchsvoraussetzungen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG (BAG Urteil vom 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 11 [BB 2022, 253]).
b) Der Beweis krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit wird in der Regel durch die Vorlage einer ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung im Sinne des § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG geführt. Die ordnungsgemäß ausgestellte Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist das gesetzlich ausdrücklich vorgesehene und insoweit wichtigste Beweismittel für das Vorliegen krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit. Nach § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG reicht die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung im Sinne von § 5 Abs. 1 Satz 2 EFZG aus, um dem Arbeitgeber das Recht zur Leistungsverweigerung zu entziehen (BAG Urteil v. 08.09.2011 -5 AZR 149/21- Rn. 12 [BB 2022, 253]). Der ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung kommt daher aufgrund der normativen Vorgaben im Entgeltfortzahlungsgesetz ein hoher Beweiswert zu. Der Tatrichter kann normalerweise den Beweis einer krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit als erbracht ansehen, wenn der Arbeitnehmer im Rechtstreit eine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorlegt (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 12 [BB 2022, 253]; BAG Urteil v. 26.10.2016 -5 AZR 167/16- Rn. 17 [BB 2017, 116 Ls.]).
aa) Die ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung begründet jedoch keine gesetzliche Vermutung einer tatsächlich bestehenden Arbeitsunfähigkeit im Sinne des § 292 ZPO mit der Folge, dass nur der Beweis des Gegenteils zulässig wäre (BAG Urteil v. 08.09.2021 - 5 AZR 149/21- Rn. 13 [BB 2022, 253]). Aufgrund des normativ vorgegebenen hohen Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung genügt daher ein bloßes Bestreiten der Arbeitsunfähigkeit mit Nichtwissen durch den Arbeitgeber nicht, wenn der Arbeitnehmer seine Arbeitsunfähigkeit mit einer ordnungsgemäß ausgestellten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nachgewiesen hat. Vielmehr kann der Arbeitgeber den Beweiswert der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung nur dadurch erschüttern, dass er tatsächliche Umstände darlegt und im Bestreitensfall beweist, die Zweifel an der Erkrankung des Arbeitnehmers ergeben mit der Folge, dass der ärztlichen Bescheinigung kein Beweiswert mehr zukommt (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 13 [BB 2022, 253]).
bb) Bei dieser wechselseitigen Darlegungslast der Parteien ist allerdings zu berücksichtigen, dass der Arbeitgeber in aller Regel keine Kenntnis von den Krankheitsursachen hat und nur in eingeschränktem Maß in der Lage ist, Indiztatsachen zur Erschütterung des Beweiswertes der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorzutragen. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichtes sind daher dem Arbeitgeber, der sich auf eine Fortsetzungserkrankung im Sinne von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG beruft, hinsichtlich der ihm insoweit treffenden Darlegungs- und Beweislast Erleichterungen zuzubilligen (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 14 [BB 2022, 253]; BAG Urteil v. 10.09.2014 -10 AZR 651/12- Rn. 27 [BB 2021, 443]). Für die durch den Arbeitgeber vorzutragenden Indizien für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls ist der Unkenntnis des Arbeitgebers von den Krankheitsursachen angemessen Rechnung zu tragen (BAG Urteil v. 11.12.2019 -5 AZR 505/18- Rn. 20 [BB 2021, 443]). Da die Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung keine gesetzliche Vermutung oder eine Beweislastumkehr auslöst, dürfen an den Vortrag des Arbeitgebers, der ihren Beweiswert erschüttern will, keine überhöhten Anforderungen gestellt werden (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 14 [BB 2022, 253]).
cc) Ein hinreichend gewichtiges Indiz für das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls und damit für die mögliche Erschütterung des Beweiswertes der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ist nach der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts (BAG Urteil v. 11.12.2019 -5 AZR 505/18- Rn. 21 [BB 2021, 443]) regelmäßig dann gegeben, wenn sich an eine erste Arbeitsverhinderung im engen zeitlichen Zusammenhang, eine dem Arbeitnehmer im Wege der Erstbescheinigung attestierte weitere Arbeitsunfähigkeit dergestalt anschließt, dass die bescheinigte Arbeitsverhinderung zeitlich entweder unmittelbar aufeinanderfolgen oder dass zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder ein arbeitsfreies Wochenende liegt. Denn bei solchen Sachverhalten ist es dem Arbeitgeber angesichts fehlender zwischenzeitlicher Arbeitsverpflichtung des Arbeitnehmers nahezu unmöglich, konkrete Anhaltspunkte zur Erschütterung des Beweiswertes der ärztlichen Bescheinigung vorzutragen. Es ist deshalb dem Arbeitnehmer auch unter Berücksichtigung seiner Sachnähe zuzumuten, seine Behauptungen, es lägen voneinander zu trennende Verhinderungsfälle vor, durch konkreten Vortrag zu den Krankheitsursachen sowie zum Ende bzw. Beginn der jeweiligen Arbeitsunfähigkeit zu konkretisieren und hierfür ggf. vollen Beweis zu erbringen.
dd) Davon ausgehend ist ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen den dem Kläger bescheinigten Arbeitsunfähigkeiten gegeben, mit der Folge, dass der Beweiswert der ärztlichen Erstbescheinigung vom 31.05.2021 und der darauf aufbauenden Folgebescheinigung vom 23.07.2021 erschüttert ist:
Der Kläger befand sich ausweislich der Bescheinigung des Krankenhauses … bis zum 28.05.2021 in teilstationärer Unterbringung. Zwischen der Entlassung aus dem Krankenhaus am 28.05.2021 (Freitag) und der am Montag, dem 31.05.2021 attestierten Erkrankung des Klägers, befand sich lediglich ein Wochenende. Unter Beachtung der Rechtsprechung des Bundesarbeitsgerichts ist das Vorliegen eines einheitlichen Verhinderungsfalls damit ausreichend indiziert. In Verbindung mit den zunächst fehlenden Angaben des Klägers zu den Ursachen seiner Erkrankung konnte die Beklagte daher zu Recht zunächst davon ausgehen, dass der Kläger - wie auch in den zurückliegenden Wochen – wegen desselben Grundleidens an der Arbeitsleistung gehindert war.
2. Auf Grund der oben dargestellten Grundsätze zur Darlegungs- und Beweislast oblag es nunmehr dem Kläger, den vollen Beweis für den Ausschluss eines einheitlichen Verhinderungsfalles zu erbringen. Denn gelingt es dem Arbeitgeber, den Beweiswert der ärztlichen Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung zu erschüttern, so tritt hinsichtlich der Darlegungs- und Beweislast wieder derselbe Zustand ein, wie er vor der Vorlage der Bescheinigung bestand (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 15 [BB 2022, 253]).
Es war nunmehr Sache des Klägers, konkrete Tatsachen darzulegen und im Bestreitensfall zu beweisen, die den Schluss auf eine bestehende Neuerkrankung zulassen. Hierzu ist substantiierter Vortrag z.B. dazu erforderlich, welche Krankheiten vorgelegen, welche gesundheitlichen Einschränkungen bestanden haben und welche Verhaltensmaßregeln oder Medikamente ärztlich verordnet wurden (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 15 [BB 2022, 253]). Der Arbeitnehmer muss also zumindest laienhaft bezogen auf den gesamten Entgeltfortzahlungszeitraum schildern, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen mit welchen Auswirkungen auf seine Arbeitsfähigkeit bestanden haben (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 15 [BB 2022, 253]). Soweit er sich für die Behauptung, aufgrund dieser Einschränkungen arbeitsunfähig gewesen zu sein, auf das Zeugnis der behandelnden Ärzte beruft, ist dieser Beweisantritt nur ausreichend, wenn er die Ärzte von ihrer Schweigepflicht entbindet (BAG Urteil v. 08.09.2021 -5 AZR 149/21- Rn. 15 [BB 2022, 253]).
a.) Ausgehend davon hat der Kläger zunächst in einem ausreichenden Umfang seine konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschildert. So hat er im Rahmen der Berufungserwiderung vorgetragen, dass er beim Ausräumen des Kühlschrankes am Sonntag, dem 30.05.2021 einen plötzlichen Schmerz und eine Blockade im Rücken verspürte, die vorher nicht vorhanden war. Daraufhin suchte er am Montag, den 31.05.2021 die Zeugin auf.
aa.) Damit hat der Kläger zumindest laienhaft geschildert, welche konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen und Beschwerden bei ihm am Sonntag, dem 31.05.2021 unerwartet aufgetreten sind und dass er sich aufgrund dieser Einschränkungen arbeitsunfähig erkrankt fühlte. Letzteres ergibt sich aus dem Umstand, dass er gleich am nächsten Tag aufgrund seiner Beschwerden seine behandelnde Ärztin aufsuchte. Als Beweis der vorgenannten Behauptungen hat der Kläger die Zeugin benannt. Deren Vernehmung durch die Berufungskammer war vorliegend – anders als die Beklagte meint - auch veranlasst, denn der Kläger hat zunächst substantiiert geschildert, wann und wo die neuen Beschwerden erstmals aufgetreten sind (Ausräumen des Kühlschrankes am 30.05.2021), dass diese zu einer gesundheitlichen Beeinträchtigung (plötzlicher Schmerz und Blockade im Rücken) geführt haben, aufgrund derer der Kläger sich nicht arbeitsfähig gefühlt und sogleich am nächsten Montag, den 31.05.2021, seine behandelnde Hausärztin aufgesucht hat.
bb.) Die Berufungskammer konnte damit auf Grundlage des Beweisbeschlusses vom 20.09.2024 die vom Kläger als Beweis angebotene behandelnde Hausärztin Frau … … … als Zeugin zum Beweisthema und zur Behauptung des Klägers, er habe am 30.05.2021 einen plötzlichen Schmerz und eine Blockade im Rücken verspürt und sich daraufhin am 31.05.2021 zu seiner Hausärztin … … a begeben, er aufgrund dieser Erkrankung arbeitsunfähig erkrankt war bis zum Ende des Arbeitsverhältnisses und zur Behauptung des Klägers, er sei am 28.05.2021 insoweit therapiert gewesen, dass er am Ende dieses Tages wieder arbeitsfähig war, vernehmen. Denn das mit dem Beweisbeschluss vom 20.09.2024 benannte Beweisthema hat der Kläger selbst mit seiner Klageerwiderung vom 17.01.2023 zunächst ausreichend umrissen und mit konkretem Tatsachenvortrag unterlegt.
cc.) Einer förmlichen Entscheidung über die Gegenvorstellung der Beklagten vom 06.06.2024 bedurfte es daher vorliegend nicht, da – worauf die Parteien mit gerichtlichen Schreiben vom 10.09.2024 hingewiesen worden sind – das endgültige Beweisthema erst im Termin zur mündlichen Verhandlung vom 20.09.2024 beschlossen werden sollte, was letztlich auch geschehen ist. Die Gegenvorstellung gegen das im (Zeugen-) Ladungsbeschluss vom 27.05.2024 benannte vorläufige Beweisthema ging damit ins Leere. Einer förmlichen Entscheidung über den später durch die Kammer abgeänderten Beweisbeschluss bedurfte es nicht. Den Beweisbeschluss der Berufungskammer vom 20.09.2024 hat die Beklagte nicht erneut mit dem außerordentlichen Rechtsbehelf der Gegenvorstellung angegriffen. Dies war auch nicht veranlasst, da der Beklagten nunmehr der Rechtsbehelf der Nichtzulassungsbeschwerde gemäß § 72a Abs. 1 ArbGG zusteht und ein Beweisbeschluss nach § 355 Abs. 2 ZPO nicht anfechtbar ist (LAG Köln, Beschluss vom 28.12.2005 – 9 Ta 361/05 – Rn. 13ff.; BAG, Beschluss vom 21.04.1998 – 2 AZB 4/98 – [BB 1998, 1488]).
b.) Dem Kläger ist nunmehr im Rahmen der ihm obliegenden Darlegungs- und Beweislast mit der Einvernahme der behandelnden Ärztin und der Vorlage des an die Zeugin gerichteten Entlassungsberichtes des … Krankenhauses … vom 02.06.2021 der Nachweis gelungen, dass er am 28.05.2021 in einem arbeitsfähigen Zustand aus der teilstationären Behandlung seiner Suchterkrankung nach Hause entlassen wurde und am 30.05.2021 neue, bisher nicht bekannte Beschwerden am Rücken aufgetreten sind, aufgrund derer er ab dem 31.05.2021 erneut aufgrund einer Neuerkrankung arbeitsunfähig erkrankt war.
aa.) Ausweislich des an die Zeugin gerichteten Arztbriefes des … Krankenhauses … vom 02.06.2021 steht zur Überzeugung der Berufungskammer nunmehr fest, dass sich der Kläger bis zum 28.05.2021 aufgrund einer Alkoholabhängigkeit in tagesklinischer Behandlung befunden hat, nachdem im Vorfeld vom 26.02.2021 bis 18.03.2021 eine qualifizierte Entgiftungsbehandlung durchgeführt wurde. Unter den Diagnosen Alkoholabhängigkeit und essentieller Hypertonie wurde der Kläger im Laufe des 28.05.2021, einem Werktag, im arbeitsfähigen Zustand nach Hause entlassen. Dem Kläger wurde somit bereits am 28.05.2021 eine Arbeitsfähigkeit durch die im Krankenhaus … behandelnden Ärzte bescheinigt. Dass der Kläger bereits an diesem Tag arbeitsfähig war, hat auch die Zeugeneinvernahme vom 20.09.2024 erbracht. Die Zeugin hat vor der Berufungskammer ausgesagt, den Kläger selbst in den Entzug geschickt und sich um seine teilstationäre Unterbringung gekümmert zu haben. Weder die Entgiftung, noch die teilstationäre Entwöhnungsbehandlung haben dann aber bei der Vorstellung des Klägers bei seiner Hausärztin am 31.05.2021 eine Rolle gespielt. Der Kläger hat sich nicht wegen seiner Suchterkrankung bzw. möglicher Folgebeschwerden bei der Zeugin vorgestellt. Die wiedererlangte Arbeitsfähigkeit wurde der behandelnden Ärztin dann letztlich durch die Epikrise der Ärzte des Krankenhauses … vom 02.06.2021 bestätigt.
bb.) Ab dem 31.05.2021 war der Kläger aufgrund einer Neuerkrankung am Rücken erneut arbeitsunfähig erkrankt. Dies steht zur Überzeugung der Berufungskammer unter Würdigung der vom Kläger vorgetragenen Tatsachen zu den Umständen der unerwartet aufgetretenen Beschwerden fest. Hierzu hat der Kläger nach den Vorgaben des Bundesarbeitsgerichts zunächst seine konkreten gesundheitlichen Beeinträchtigungen geschildert. So hat er vorgetragen, dass der beim Ausräumen des Kühlschrankes am 30.05.2021 einen plötzlichen Schmerz und eine Blockade im Rücken verspürte und aufgrund dessen am 31.05.2021 die Zeugin aufsuchte. Für den Beweis dieser Behauptungen hat der Kläger die Zeugin angeboten. Die Zeugeneinvernahme vom 20.09.2024 hat die vom Kläger behauptete Neuerkrankung bestätigt. So hat die Zeugin vorgetragen, dass der Kläger am 31.05.2021 in ihrer Praxis vorstellig gewesen ist aufgrund von Rückenschmerzen. Er hat hierzu behauptet, dass er aufgrund dieser Rückenschmerzen nicht arbeiten konnte. Die Zeugin hat ihm dies geglaubt, ihn aufgrund dessen das Attest über die Arbeitsunfähigkeit erstellt, Schmerztabletten und Physiotherapie verschrieben und eine weitere Diagnostik veranlasst. Der Zeugin war bewusst, dass der Kläger kurz zuvor aus der Klinik gekommen war, in die er wegen seiner Alkoholsucht von ihr eingewiesen worden war. Trotzdem kam diese Erkrankung am 31.05.2021 im Arztzimmer nicht zur Sprache. Nach Ansicht der Zeugin war diese Behandlung abgeschlossen. Jedenfalls spielte Entgiftung und Alkoholsucht bei der Vorstellung am 31.05.2021 keine Rolle.
Die von der Zeugin am 31.05.2021 erhobene Diagnose akuter Rückenbeschwerden hat sich im Nachgang der von ihr veranlassten Diagnostik als richtig erwiesen. So konnte das von ihr in Auftrag gegebene MRT einen leichten Bandscheibenvorfall und damit die vom Kläger geschilderten Beschwerden bestätigen können.
cc.) Im Rahmen der vorzunehmenden freien Beweiswürdigung (§ 286 ZPO) ist die Berufungskammer zu dem Ergebnis und der Überzeugung gelangt, dass der Kläger ab dem 31.05.2021 und zumindest bis zum 09.07.2021 aufgrund seiner Rückenbeschwerden arbeitsunfähig erkrankt war. Damit lag ein neues – von der ausgeheilten Suchterkrankung abgrenzbares und nach dem 28.05.2021 akut entstandenes - Erkrankungsbild vor. Die Angaben der Zeugin waren klar, unmissverständlich und in sich widerspruchsfrei. Die Zeugin hat dargestellt, dass der Kläger am 31.05.2021 in ihrer Praxis mit Rückenschmerzen vorstellig geworden ist und dargestellt hat, dass er mit diesen Rückenschmerzen nicht arbeiten kann. Die Zeugin hat ihm dies aufgrund der Erkrankungsbiografie des von ihr langjährig betreuten Patienten geglaubt, ihn deswegen arbeitsunfähig krankgeschrieben und weitere Diagnostik veranlasst. Eine solche wäre nicht nötig gewesen, wenn die Zeugin Zweifel an dem Vorbringen des Klägers gehabt hätte. Letztlich hat das vorgenommene MRT hat im Nachgang einen leichten Bandscheibenvorfall bestätigt. Insoweit erscheint es auch nach Einschätzung der Zeugin plausibel, dass der Kläger am 31.05.2021 nicht arbeitsfähig war. Entgegen der Ansicht der Beklagten war auch keine weitergehende Untersuchung des Klägers am 31.05.2021 erforderlich. Die Zeugin hat auf Nachfrage der Beklagtenvertreterin mitgeteilt, dass sie den Kläger am 31.05.2021 nicht körperlich untersucht. Dies ist nach ihrer Einschätzung aber auch nicht notwendig gewesen. Sie hat den Kläger beim Hereinkommen in das Behandlungszimmer angeschaut und sich seine Schmerzen schildern lassen. Die Diagnose hat sie aufgrund ihrer nicht anzuzweifelnden ärztlichen Erfahrung gestellt. Dass – wie die Beklagte meint – Rückenbeschwerden auch psychische Ursachen haben können, hat die Zeugin bestätigt. Diese wissenschaftlich anerkannte Tatsache führte jedoch zu keiner anderen Einschätzung durch die Zeugin und ist auch im Übrigen für die Frage der möglichen Abgrenzung von Alt- und Neuerkrankung ohne Belang. Denn der Kläger litt nicht an einer evtl. einschlägigen somatoformen Schmerzstörung, sondern an einer klinisch belegten Suchterkrankung und einem diagnostisch dargestellten leichten Bandscheibenvorfall. Beide diagnostisch und klinisch nachweisbaren Erkrankungsbilder liegen gerade nicht im somatoformen Bereich. Für die von der Beklagten vermutete Alternativdiagnose gibt es daher keine wissenschaftlichen Anhaltspunkte, im Gegenteil. Durch die von den behandelnden Ärzten erhobenen Befunde konnte die Vermutung der Beklagten widerlegt werden.
Das Erkrankungsbild des Klägers bestand auch zumindest bis zum 09.07.2021. An der Berechtigung der Feststellung einer Arbeitsunfähigkeit hat die Berufungskammer keinen Zweifel. Die Zeugin hat im Rahmen der Zeugenaussage bekräftigt, dass die Behandlung des Erkrankungsbildes langwierig ist und neben der Diagnosefindung Mithilfe eines MRT noch einer zusätzlichen physiotherapeutischen Behandlung bedurfte.
3. Die Höhe des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall beläuft sich - wie das Arbeitsgericht von der Beklagten unangegriffen festgestellt hat und was zwischen den Parteien unstreitig ist - für den Zeitraum 31.05. - 09.07.2021 auf 2.666,40 € brutto (30 Arbeitstage x 8 Stunden x 11,11 €).
Das Arbeitsgericht hat dem Kläger den geltend gemachten Entgeltfortzahlungsanspruch dem Grunde und der Höhe nach zu Recht zugesprochen. Die Berufung ist zurückzuweisen.
III. Die Kostenentscheidung folgt aus § 97 ZPO.
VI. Gründe für die Zulassung der Revision liegen nicht vor, § 72 Abs. 2 ArbGG. Auf die Möglichkeit einer Nichtzulassungsbeschwerde nach § 72 a ArbGG wird hingewiesen.
BB-Kommentar
Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen einer erneuten Ersterkrankung – Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung
Problem
Die Parteien streiten über einen Anspruch des Klägers auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall. Nach Ende eines bis zum 28.5.2021, einem Freitag, und insgesamt mehr als sechs Wochen dauernden Krankenhausaufenthalts hatte der Kläger eine (erneute) Erstbescheinigung für einen Zeitraum beginnend ab dem 31.5.2021, einem Montag, vorgelegt. Konkret in Streit stand dabei zwischen den Parteien nicht die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit des Klägers als solche, sondern die Frage, ob – wie vom Kläger behauptet – ab dem 31.5.2021 tatsächlich eine erneute Ersterkrankung vorgelegen hatte, die zu einem Neubeginn der Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG geführt hätte.
Zusammenfassung
Das LAG hat die Berufung der Beklagten gegen das der Klage stattgebende Urteil des ArbG zurückgewiesen. Dem Kläger stehe ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im streitgegenständlichen Zeitraum zu. Entgegen der Auffassung des ArbG folge das Vorliegen einer erneuten Ersterkrankung jedoch nicht aus der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung. Deren Beweiswert sei erschüttert. Dies folge bereits aus dem Umstand, dass zwischen dem Ende der bis zum 28.5.2021 andauernden Arbeitsunfähigkeit im Rahmen des Krankenhausaufenthalts und dem Beginn der am 31.5.2021 attestierten neuerlichen Arbeitsverhinderung lediglich ein arbeitsfreies Wochenende gelegen habe. Der Kläger habe jedoch im Rahmen der ihn (wieder) im vollen Umfang treffenden Darlegungs- und Beweislast zunächst in ausreichendem Umfang konkrete gesundheitliche Beeinträchtigungen geschildert, die für eine akut aufgetretene Neuerkrankung sprächen, und als Zeugin hierzu die von der Schweigepflicht entbundene behandelnde Hausärztin benannt. Die vom Kläger geschilderten Umstände der Neuerkrankung, die vorgelegten ärztlichen Unterlagen und die Einvernahme der behandelnden Hausärztin als Zeugin hätten im Rahmen der erfolgten freien Beweiswürdigung den Ausschluss eines einheitlichen Verhinderungsfalls – und damit das Vorliegen eines Anspruchs auf Entgeltfortzahlung im streitgegenständlichen Zeitraum – zur Überzeugung des Gerichts bestätigt.
Praxisfolgen
Die Entscheidung des LAG liegt auf einer Linie mit der Rechtsprechung des BAG und zeigt sowohl in ihren Leitsätzen als auch den Entscheidungsgründen zunächst anschaulich die Verteilung der Darlegungs- und Beweislast in einem Verfahren auf, in dem die Einheit eines Verhinderungsfalls im Streit steht.
Darlegungs- und beweisbelastet (auch) für das Vorliegen einer erneuten Ersterkrankung ist danach der Arbeitnehmer. Dieser hat darzulegen und ggf. zu beweisen, dass die neue Arbeitsunfähigkeit erst zu einem Zeitpunkt eingetreten ist, zu dem die vorherige krankheitsbedingte Arbeitsverhinderung bereits beendet war (BAG, 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, BB 2021, 443, Rn. 16). Für den somit erforderlichen Nachweis von Beginn und Ende einer auf einer bestimmten Krankheit beruhenden Arbeitsunfähigkeit kann sich der Arbeitnehmer zunächst allein auf eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung berufen. Gelingt es dem Arbeitgeber jedoch, deren Beweiswert im Hinblick auf das Vorliegen einer erneuten Ersterkrankung zu erschüttern, so tritt den Arbeitnehmer erneut die volle Darlegungs- und Beweislast und er muss den entsprechenden Nachweis auf anderem Wege führen (BAG, 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, BB 2021, 443, Rn. 19). Hierzu muss der Arbeitnehmer in jedem Fall substantiiert zu Krankheiten und gesundheitlichen Einschränkungen vortragen. Bietet er Beweis durch das Zeugnis behandelnder Ärzte an, ist dieser Beweisantritt nur zulässig, wenn er die Ärzte zugleich von ihrer Schweigepflicht entbindet (BAG, 8.9.2021 – 5 AZR 149/21, BB 2022, 253, Rn. 15).
Hinsichtlich des Beweiswerts der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung geht das LAG in Übereinstimmung mit dem BAG davon aus, dass dieser in Bezug auf das Vorliegen einer erneuten Ersterkrankung regelmäßig dann erschüttert ist, wenn zwischen den bescheinigten Zeiträumen ein enger zeitlicher Zusammenhang besteht. Ein solcher liegt jedenfalls dann vor, wenn die bescheinigten Arbeitsverhinderungen unmittelbar aneinanderschließen oder zwischen ihnen lediglich ein für den erkrankten Arbeitnehmer arbeitsfreier Tag oder arbeitsfreies Wochenende liegt (BAG, 11.12.2019 – 5 AZR 505/18, BB 2021, 443, Rn. 19). Entsprechendes wird man bei einem „langen Wochenende“ oder mehreren aufeinanderfolgenden, für den Arbeitnehmer freien Tagen innerhalb einer Woche annehmen können. Entscheidendes Kriterium ist insoweit, dass der Arbeitnehmer zwischen den bescheinigten Arbeitsverhinderungen tatsächlich keine Arbeitsleistung mehr erbracht hat. In anderen Fallgestaltungen der Erschütterung des Beweiswerts einer Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung steht indes auch eine zwischenzeitliche Arbeitsleistung der Annahme eines ausreichenden zeitlichen Zusammenhangs nicht zwingend entgegen. So kann etwa eine zur Erschütterung des Beweiswerts (im Hinblick auf das Vorliegen einer Arbeitsunfähigkeit als solcher) führende zeitliche Koinzidenz zwischen bescheinigter Arbeitsunfähigkeit und einer Kündigung jedenfalls im Einzelfall auch dann noch angenommen werden, wenn der Arbeitnehmer zunächst weiter gearbeitet hat (vgl. etwa LAG Niedersachsen, 30.7.2024 – 10 Sa 699/23, Rn. 31, juris).
Unabhängig davon kann sich die Erschütterung des Beweiswerts im Hinblick auf das Vorliegen einer erneuten Ersterkrankung auch aus anderen Umständen als einem engen zeitlichen Zusammenhang ergeben. Zu denken ist hier etwa an Fälle, in denen verschiedene (Erst-)Bescheinigungen vorgelegt werden, die jeweils einen identischen Diagnoseschlüssel aufweisen, oder verschiedene (Erst-)Bescheinigungen jeweils von einem oder verschiedenen Fachärzten einer identischen besonderen Fachrichtung ausgestellt worden sind.
In Fällen, in denen ein enger zeitlicher Zusammenhang zwischen zwei oder mehr Zeiträumen bescheinigter Arbeitsverhinderung besteht oder sonstige Auffälligkeiten vorliegen, sind Arbeitgeber jedenfalls gut beraten, kritisch zu prüfen, ob eine Entgeltfortzahlung tatsächlich vorgenommen wird, sollte in Summe die Sechswochenfrist des § 3 Abs. 1 S. 1 EFZG überschritten sein. Zu beachten ist jedoch in jedem Fall, dass auch dann, wenn es gelingt, den Beweiswert der vorgelegten Arbeitsunfähigkeitsbescheinigungen im Hinblick auf das Vorliegen einer erneuten Ersterkrankung zu erschüttern, ein Entfall des Anspruchs auf Entgeltfortzahlung nicht zwingende Folge ist. Vielmehr kann der Arbeitnehmer den entsprechenden Nachweis – wie im vorliegenden Fall – ggf. erfolgreich auf anderem Wege führen. Ob dies gelingt, ist indes stets eine Frage des Einzelfalls.
[▄Vita durch Autor, Bild fehlt]
Dr. Johann Ante ist selbständiger Rechtsanwalt in Dortmund sowie Geschäftsführer in einer mittelständischen Unternehmensgruppe.