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Arbeitsrecht
25.07.2024
Arbeitsrecht
BAG: Entgeltfortzahlung – symptomlose SARS-CoV-2-Infektion

BAG, Urteil vom 20.3.2024 – 5 AZR 234/23

ECLI:DE:BAG:2024:200324.U.5AZR234.23.0

Volltext: BB-Online BBL2024-1779-2

Orientierungssätze

1. Krankheit iSd. § 3 EFZG setzt einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand des Arbeitnehmers voraus. Auf die Behandlungsbedürftigkeit kommt es nicht an. Da die SARS-CoV-2-Infektion einen regelwidrigen Körperzustand darstellt, ist sie eine Krankheit iSv. § 3 Abs. 1 EFZG (Rn. 11).

2. Arbeitsunfähigkeit liegt nicht nur vor, wenn der Arbeitnehmer infolge Krankheit seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde. Ein Arbeitnehmer ist vielmehr auch dann arbeitsunfähig, wenn er wegen der Erkrankung aus rechtlichen Gründen die Arbeitsleistung nicht erbringen kann, etwa weil für ihn aufgrund der Erkrankung ein Beschäftigungsverbot besteht oder wenn gegen ihn aufgrund einer ansteckenden Infektionskrankheit behördlich die Isolierung (Quarantäne) oder Absonderung angeordnet wurde (Rn. 13 f.).

3. Ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung besteht grundsätzlich nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt darf nicht bereits aufgrund anderer Ursachen entfallen. Danach besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung auch bei einer symptomlosen SARS-CoV-2-Infektion und einer darauf beruhenden Quarantäneanordnung. Der Kausalzusammenhang ist gewahrt, weil die Absonderungsanordnung ihrerseits unmittelbare Folge der Erkrankung ist. Sie ist kein weiterer, paralleler Umstand, der für sich allein gesehen Grund der Arbeitsverhinderung sein könnte (Rn. 16 f.).

4. Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 3 Abs. 1 EFZG wird nicht durch einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG ausgeschlossen, wenn durch die zuständige Behörde eine infektionsschutzrechtliche Isolierung (Quarantäne) angeordnet wird und zeitgleich krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit iSd. § 3 EFZG besteht. Der Entschädigungsanspruch ist gegenüber dem Entgeltfortzahlungsanspruch subsidiär (Rn. 18 ff.).

5. Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines den Entgeltfortzahlungsanspruch nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG ausschließenden Verschuldens trägt der Arbeitgeber, denn er macht eine anspruchshindernde Einwendung geltend. Der Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich einer schuldhaften Verursachung der Arbeitsunfähigkeit ergibt sich aus § 286 ZPO. Ein Entgeltfortzahlungsanspruch ist deshalb nach § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG nur dann ausgeschlossen, wenn das Tatsachengericht iSv. § 286 ZPO davon überzeugt ist, dass ein schuldhaftes Verhalten oder Unterlassen des Arbeitnehmers Ursache der Arbeitsunfähigkeit ist. Aus § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG lassen sich für ungeimpfte Arbeitnehmer, die infolge einer SARS-CoV-2-Infektion arbeitsunfähig sind, keine erleichterten Kausalitätsanforderungen ableiten (Rn. 25 ff.).

 

▄Leitsatz

Eine SARS-CoV-2-Infektion stellt auch bei einem symptomlosen Verlauf eine Krankheit iSv. § 3 Abs. 1 EFZG (juris: EntgFG) dar. Diese führt zur Arbeitsunfähigkeit, wenn es dem Arbeitnehmer infolge einer behördlichen Absonderungsanordnung rechtlich unmöglich ist, die geschuldete Tätigkeit bei dem Arbeitgeber zu erbringen und eine Arbeitsleistung in der häuslichen Umgebung nicht in Betracht kommt.

Sachverhalt

Die Parteien streiten über Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall im Zusammenhang mit einer SARS-CoV-2-Infektion.

Der Kläger ist seit März 2015 als Produktionsmitarbeiter bei der Beklagten, einem Unternehmen der kunststoffverarbeitenden Industrie, beschäftigt. Auf das Arbeitsverhältnis findet der Manteltarifvertrag für die Metall- und Elektroindustrie Nordrhein-Westfalens (MTV) Anwendung. Der Kläger ist Mitglied der IG Metall. Seine tägliche Arbeitszeit beträgt 7,4 Stunden, der Stundenlohn 17,41 Euro brutto. Das Arbeitsentgelt ist nach § 39.7 Abs. 2 MTV zum Schluss des Kalendermonats am letzten Banktag fällig. Nach § 26.3 MTV sind die in Anwendung des § 616 BGB möglichen Fälle abschließend mit § 26.1 MTV festgelegt.

Der Kläger, der sich keiner Schutzimpfung gegen das SARS-CoV-2-Virus (Coronavirus) unterzogen hatte, wurde am 26. Dezember 2021 positiv auf das Virus getestet. Für die Zeit vom 27. bis zum 31. Dezember 2021 wurde dem unter Husten, Schnupfen und Kopfschmerzen leidenden Kläger eine ärztliche Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung ausgestellt. Für diese Zeit leistete die Beklagte Entgeltfortzahlung. Am 29. Dezember 2021 erließ die Gemeinde N eine Ordnungsverfügung, nach der für den Kläger bis zum 12. Januar 2022 Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung angeordnet wurde. Dort war ihm die Erbringung der Arbeitsleistung nicht möglich.

Für die Zeit vom 3. bis zum 12. Januar 2022 lehnte der vom Kläger aufgesuchte Arzt die Ausstellung einer Folge-Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung mit der Begründung ab, das positive Testergebnis und die Absonderungsanordnung würden zum Nachweis der Arbeitsunfähigkeit ausreichen. Mit der Verdienstabrechnung für Januar 2022 nahm die Beklagte für diese Zeit vom Lohn des Klägers einen Abzug in Höhe von 1.019,65 Euro brutto vor.

Mit seiner Klage hat der Kläger für die Zeit vom 3. bis zum 12. Januar 2022 die Zahlung von 1.159,51 Euro brutto verlangt. Er hat die Auffassung vertreten, die Beklagte sei gemäß § 3 EFZG zur Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall verpflichtet. Er habe seine Arbeitsleistung nicht erbringen können, da er erkrankt gewesen sei. Es sei ihm zudem objektiv nicht zumutbar gewesen, seinen Arbeitsplatz aufzusuchen, da er in diesem Fall andere Personen aufgrund seiner Infektion mit dem Coronavirus in Gefahr gebracht hätte, ebenfalls zu erkranken. Hilfsweise stehe ihm ein Anspruch gemäß § 56 IfSG zu.

Der Kläger hat zuletzt beantragt,

1.    die Beklagte zu verurteilen, an ihn 1.159,51 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2022 zu zahlen;

2.    hilfsweise die Beklagte zu verurteilen, an ihn den Nettobetrag aus 1.159,51 Euro brutto nebst Zinsen in Höhe von fünf Prozentpunkten über dem jeweiligen Basiszinssatz seit dem 1. Februar 2022 zu zahlen.

Die Beklagte hat Klageabweisung beantragt und gemeint, es bestünde schon deshalb kein Entgeltfortzahlungsanspruch, weil der Kläger für den streitgegenständlichen Zeitraum keine Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung vorgelegt habe. Im Übrigen sei der Kläger nicht allein infolge einer Krankheit an seiner Arbeitsleistung gehindert gewesen, weil er bereits aufgrund der positiven PCR-Testung nicht habe arbeiten dürfen. Jedenfalls treffe ihn wegen der unterlassenen Impfung ein Verschulden iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG. Aus diesem Grund stehe ihm auch kein Entschädigungsanspruch gemäß § 56 IfSG zu.

Das Arbeitsgericht hat die Klage abgewiesen. Auf die Berufung des Klägers hat das Landesarbeitsgericht das Urteil des Arbeitsgerichts teilweise abgeändert und die Beklagte verurteilt, an den Kläger 1.019,65 Euro brutto nebst Zinsen zu zahlen. Mit ihrer vom Landesarbeitsgericht zugelassenen Revision begehrt die Beklagte die Wiederherstellung des erstinstanzlichen Urteils, während der Kläger die Zurückweisung der Revision beantragt.

Aus den Gründen

9          Die zulässige Revision der Beklagten ist unbegründet.

 

10        I. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass der Kläger für den Zeitraum vom 3. bis zum 12. Januar 2022 gegen die Beklagte einen Anspruch auf Entgeltfortzahlung aus § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG in Höhe von 1.019,65 Euro brutto hat. Nach dieser Bestimmung hat ein Arbeitnehmer Anspruch auf Entgeltfortzahlung im Krankheitsfall durch den Arbeitgeber für die Zeit der Arbeitsunfähigkeit bis zur Dauer von sechs Wochen, wenn er durch Arbeitsunfähigkeit infolge Krankheit an seiner Arbeitsleistung verhindert ist, ohne dass ihn ein Verschulden trifft.

 

11        1. Der Kläger war im Streitzeitraum arbeitsunfähig erkrankt. Krankheit iSd. § 3 EFZG setzt einen regelwidrigen körperlichen oder geistigen Zustand des Arbeitnehmers voraus. Regelwidrig ist der Zustand, wenn er nach allgemeiner Erfahrung unter Berücksichtigung eines natürlichen Verlaufs des Lebensgangs nicht bei jedem anderen Menschen gleichen Alters und Geschlechts zu erwarten ist (BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 14, BAGE 157, 102; 7. Dezember 2005 – 5 AZR 228/05 – Rn. 35; Staudinger/Oetker (2022) BGB § 616 Rn. 215 f.). Maßgeblich ist der jeweilige Stand der Wissenschaft. Auf die Behandlungsbedürftigkeit kommt es nicht an (vgl. BAG 9. April 2014 – 10 AZR 637/13 – Rn. 18 f., BAGE 148, 16; MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 80 Rn. 13 f.; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 98 Rn. 9; ErfK/Reinhard 24. Aufl. EFZG § 3 Rn. 5 ff.; BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. März 2024 EFZG § 3 Rn. 7 ff., jeweils mwN). Die SARS-CoV-2-Infektion stellt hiernach einen regelwidrigen Körperzustand und damit eine Krankheit iSv. § 3 Abs. 1 EFZG dar.

 

12        2. Der Kläger war im Streitzeitraum infolge der Krankheit arbeitsunfähig.

 

13        a) Arbeitsunfähigkeit besteht, wenn der Arbeitnehmer infolge Krankheit seine vertraglich geschuldete Tätigkeit objektiv nicht ausüben kann oder nicht ausüben sollte, weil die Heilung nach ärztlicher Prognose hierdurch verhindert oder verzögert würde (BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 14, BAGE 157, 102; 9. April 2014 – 10 AZR 637/13 – Rn. 21, BAGE 148, 16). Jedenfalls dann, wenn der Arbeitnehmer die geschuldete Arbeitsleistung objektiv nicht ausüben kann, wird ihm die Erbringung der Leistung unmöglich iSv. § 275 Abs. 1 BGB (vgl. BAG 23. Februar 2022 – 10 AZR 99/21 – Rn. 43, BAGE 177, 163; Canaris JZ 2001, 499, 504; Joussen NZA 2001, 745, 747; MüKoBGB/Ernst 9. Aufl. § 275 Rn. 47, auch zur Abgrenzung zwischen Unmöglichkeit und Unzumutbarkeit der Arbeitsleistung [§ 275 Abs. 1 und 3 BGB]; dazu eingehend Gotthardt Arbeitsrecht nach der Schuldrechtsreform 2. Aufl. Rn. 100 ff.; Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106, 2107 ff.; Schlodder Der Arbeitsvertrag im neuen Schuldrecht S. 117 ff., jeweils mwN).

 

14        b) Arbeitsunfähigkeit liegt aber auch dann vor, wenn der Arbeitnehmer wegen der Erkrankung aus rechtlichen Gründen die Arbeitsleistung nicht erbringen kann, etwa weil für ihn aufgrund der Erkrankung ein Beschäftigungsverbot besteht (Gotthardt/Greiner DB 2002, 2106, 2108). Gleiches gilt, wenn gegenüber einem Arbeitnehmer aufgrund einer ansteckenden Infektionskrankheit gemäß § 30 Abs. 1 Satz 2 iVm. § 28 Abs. 1 Satz 1 IfSG in der im Streitzeitraum geltenden Fassung behördlich die Isolierung (Quarantäne) oder Absonderung verfügt wurde (vgl. HWK/Vogelsang 11. Aufl. § 3 EFZG Rn. 43; Noack NZA 2021, 251, 252 f.; BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. März 2024 EFZG § 3 Rn. 20; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 98 Rn. 14; Staudinger/Oetker (2022) BGB § 616 Rn. 233; aA: Balkau NJW 2023, 1768, 1769; Fischinger SR 2022, 37, 39 f.; Greiner NZA 2022, 665, 672 f.; Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1138; Schmitt EFZG/L. Schmitt 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 67). Auch in diesem Fall war dem Arbeitnehmer die Erbringung der Arbeitsleistung aus krankheitsbedingten Gründen rechtlich unmöglich, weil eine Zuwiderhandlung gegen angeordnete Absonderungen nach § 73 Abs. 1a IfSG bußgeldbewehrt und unter weiteren Voraussetzungen sogar nach § 74 IfSG strafbewehrt war.

 

15        c) Entgegen der Auffassung der Beklagten steht dem Anspruch auf Entgeltfortzahlung nach § 3 Abs. 1 EFZG nicht der Grundsatz der Monokausalität entgegen.

 

16        aa) Danach besteht ein Anspruch auf Entgeltfortzahlung grundsätzlich nur dann, wenn die Arbeitsunfähigkeit die alleinige Ursache für den Ausfall der Arbeitsleistung ist. Der Anspruch auf Arbeitsentgelt darf nicht bereits aufgrund anderer Ursachen entfallen. Der Entgeltfortzahlungsanspruch setzt also voraus, dass der erkrankte Arbeitnehmer ohne die Arbeitsunfähigkeit einen Vergütungsanspruch gehabt hätte (BAG 24. März 2004 – 5 AZR 355/03 – zu I 3 a der Gründe; ebenso zuletzt BAG 19. Mai 2021 – 5 AZR 420/20 – Rn. 26 mwN). Angesichts dieses Kausalitätserfordernisses besteht damit grundsätzlich kein Entgeltfortzahlungsanspruch, wenn der Arbeitnehmer im Falle der Nichterkrankung aus anderen Gründen nicht gearbeitet und kein Entgelt erhalten hätte (MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 80 Rn. 31; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 14 f.; BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. März 2024 EFZG § 3 Rn. 21; Staudinger/Oetker (2022) BGB § 616 Rn. 249 f.; Schmitt EFZG/L. Schmitt 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 81 ff.).

 

17        bb) Diese Grundsätze gelten ebenso, wenn sich der Arbeitnehmer infolge einer ansteckenden Krankheit aufgrund einer hierauf bezogenen behördlichen Anordnung in häusliche Isolierung (Quarantäne) begeben muss und dort seine Arbeitsleistung nicht erbringen kann. Der Arbeitnehmer ist auch in diesem Fall arbeitsunfähig (Rn. 14). Die Absonderungsanordnung steht der Annahme, die Krankheit sei alleinige Ursache der Arbeitsunfähigkeit, nicht entgegen (vgl. BAG 26. April 1978 – 5 AZR 7/77 – zu 2 a der Gründe, zu einem Beschäftigungsverbot nach dem Bundesseuchengesetz gegenüber einem Schlachter infolge einer Erkrankung an ansteckungsfähiger Tuberkulose; ebenso zu Beschäftigungsverboten nach dem Infektionsschutzgesetz nach Infektion mit dem SARS-CoV-2-Virus: Knorr/Krasney in Entgeltfortzahlung – Krankengeld – Mutterschaftsgeld Stand Dezember 2023 § 3 EntgFG Rn. 58; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 10; Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 98 Rn. 14; BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. März 2024 EFZG § 3 Rn. 26; Schürgers/Marski BB 2022, 308, 309; Staudinger/Oetker (2022) BGB § 616 Rn. 233; aA: Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1138; Schmitt EFZG/L. Schmitt 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 94 iVm. Rn. 67; NK-GA/Sievers 2. Aufl. EFZG § 3 Rn. 112 f.). Der Kausalzusammenhang ist gewahrt, weil die Absonderungsanordnung ihrerseits unmittelbare Folge der Erkrankung ist. Sie ist kein weiterer, paralleler Umstand, der für sich allein gesehen Grund der Arbeitsverhinderung sein könnte (vgl. dazu BAG 22. Juni 1988 – 5 AZR 526/87 – zu I 1 der Gründe, BAGE 59, 62 [Arbeitsunfähigkeit während des Erziehungsurlaubs/Elternzeit]; BAG 1. Oktober 1991 – 1 AZR 147/91 – zu 2 der Gründe, BAGE 68, 299 [Arbeitsunfähigkeit während eines Arbeitskampfes]), sie war vielmehr nach der im streitgegenständlichen Zeitraum geltenden infektionsschutzrechtlichen Rechtslage zwingende Rechtsfolge bei einer SARS-CoV-2-Infektion. Der Grundsatz der Monokausalität stünde dem Entgeltfortzahlungsanspruch nur dann entgegen, wenn die Absonderungsanordnung unabhängig von der Erkrankung erfolgen würde. In diesem Fall käme ihr selbstständige Bedeutung zu.

 

18        d) Der Entgeltfortzahlungsanspruch des Arbeitnehmers nach § 3 Abs. 1 EFZG wird nicht durch einen Entschädigungsanspruch nach § 56 Abs. 1 IfSG ausgeschlossen, wenn durch die zuständige Behörde eine infektionsschutzrechtliche Isolierung (Quarantäne) angeordnet wird und zeitgleich krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit iSd. § 3 EFZG besteht. Zwar wird im Schrifttum hierzu die Auffassung vertreten, entgeltfortzahlungsrechtlich fehle es in diesen Fällen bereits am Tatbestand der Arbeitsunfähigkeit, da diese durch das als vorrangig anzusehende infektionsschutzrechtliche Beschäftigungsverbot verursacht werde, welches zum Wegfall der Arbeitspflicht führe (so insbes. MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 80 Rn. 41; ders. NZA 2022, 665, 671; Grimm DB 2020, 1177, 1178). Dies überzeugt jedoch nicht, weil der Entschädigungsanspruch gegenüber dem Entgeltfortzahlungsanspruch nachrangig ist.

 

19        aa) Der Regelungszweck des § 56 Abs. 1 IfSG erschließt sich nicht unmittelbar aus den Materialien des Infektionsschutzgesetzes. In der Gesetzesbegründung heißt es in den Vorbemerkungen zum 12. Abschnitt des Gesetzes, die dort getroffenen Entschädigungsregelungen ersetzten umfassend den von der Rechtsprechung entwickelten allgemeinen Aufopferungsanspruch, dem damit insoweit keine lückenschließende Funktion mehr zukomme. Zu § 56 IfSG wird in der Gesetzesbegründung lediglich darauf hingewiesen, dass diese Regelung im Wesentlichen § 49 BSeuchG entspreche (BT-Drs. 14/2530 S. 87 f.). In der Begründung des Regierungsentwurfs eines Gesetzes zur Verhütung und Bekämpfung übertragbarer Krankheiten beim Menschen (Bundes-Seuchengesetz) vom 27. Mai 1960 zu dem im Entwurf noch als § 48 aufgeführten und späteren § 49 BSeuchG heißt es, die Vorschrift stelle eine Billigkeitsregelung dar. Sie bezwecke keinen vollen Schadensausgleich, sondern eine gewisse Sicherung der von einem Berufsverbot Betroffenen vor materieller Not. § 49 Abs. 4 BSeuchG sah des Weiteren klarstellend vor, dass eine Entschädigung nicht gewährt wird, solange derjenige, dem sie zustehen würde, die verbotene Tätigkeit wegen Arbeitsunfähigkeit nicht ausüben könne. Dieser Regelung lag nach der Gesetzesbegründung der Gedanke zu Grunde, dass für die Billigkeitsentschädigung kein Raum sei, wenn und solange nicht das Berufsverbot, sondern Arbeitsunfähigkeit, etwa infolge Krankheit, die Ursache dafür sei, dass der Betroffene einen Verdienstausfall erleide (BT-Drs. 3/1888 S. 27 f.). Dieses Regelungsziel hat der Gesetzgeber in neuerer Zeit in der Beschlussempfehlung und dem Bericht zum Entwurf eines Gesetzes zur Fortgeltung der die epidemische Lage von nationaler Tragweite betreffenden Regelungen vom 3. März 2021 nochmals bestätigt (BT-Drs. 19/27291 S. 61).

 

20        bb) Diese gesetzgeberische Zielsetzung hat ihren Niederschlag im Wortlaut des § 56 Abs. 1 Satz 1 IfSG gefunden. Danach ist Voraussetzung eines Entschädigungsanspruchs, dass der Arbeitnehmer einen Verdienstausfall erleidet. Dieser besteht nicht, wenn dem Arbeitnehmer für den fraglichen Zeitraum ein gesetzlicher oder vertraglicher Anspruch auf Fortzahlung seines Entgelts gegen den Arbeitgeber zusteht. Der auf Billigkeitserwägungen beruhende infektionsschutzrechtliche Entschädigungsanspruch ist deshalb nur subsidiär (ebenso zu § 49 BSeuchG BGH 1. Februar 1979 – III ZR 88/77 – zu 2 a der Gründe; 30. November 1978 – III ZR 43/77 – zu I 3 a der Gründe, BGHZ 73, 16; zu § 56 IfSG aus dem Schrifttum pars pro toto: BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse Stand 8. Juli 2023 IfSG § 56 Rn. 37; Hohenstatt/Krois NZA 2020, 413, 418; Kießling/Kümper IfSG 3. Aufl. § 56 Rn. 25; Kluckert Neues InfektionsschutzR/Temming 2. Aufl. § 16 Rn. 21 ff.; Preis/Mazurek/Schmid NZA 2020, 1137, 1139; BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. März 2024 EFZG § 3 Rn. 26; Schmitt EFZG/L. Schmitt 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 96 f.). Eine gesetzliche Verpflichtung zur Fortzahlung der Vergütung bei Arbeitsunfähigkeit besteht nach § 3 Abs. 1 EFZG. Diese ist im Verhältnis zu Ansprüchen nach dem Infektionsschutzgesetz vorrangig.

 

21        e) Nach diesen Grundsätzen gilt im vorliegenden Fall Folgendes: Der Kläger war infolge seiner SARS-CoV-2-Infektion in der Zeit vom 3. bis zum 12. Januar 2022 krankheitsbedingt arbeitsunfähig. Die Infektion stellte – unabhängig davon, ob beim Kläger auch in dieser Zeit Symptome von COVID-19 vorlagen – eine Erkrankung iSv. § 3 Abs. 1 EFZG dar. Diese führte zur Arbeitsunfähigkeit. Denn der Kläger war nach Erhalt des positiven Testergebnisses einer SARS-CoV-2-Infektion nach § 15 Abs. 1 der Verordnung zur Testung in Bezug auf einen direkten Erregernachweis des Coronavirus SARS-CoV-2 und zur Regelung von Absonderungen nach § 30 des Infektionsschutzgesetzes (Corona-Test-und-Quarantäneverordnung – CoronaTestQuarantäneVO) des Landes Nordrhein-Westfalens vom 24. November 2021 verpflichtet, sich unverzüglich in Quarantäne zu begeben. Infolge der wegen der Infektion ergangenen Ordnungsverfügung der Gemeinde N vom 29. Dezember 2021 befand er sich bis zum 12. Januar 2022 in behördlich angeordneter Absonderung in häuslicher Umgebung und durfte seine Arbeitsleistung als Produktionsmitarbeiter im Betrieb der Beklagten nicht erbringen. Es war ihm damit – bußgeld- und strafbewehrt – rechtlich nicht möglich, die geschuldete Arbeitsleistung zu erbringen (§ 275 Abs. 1 BGB). Für den Fall der Nichtbefolgung der Anordnung war ihm überdies in der Ordnungsverfügung die zwangsweise Unterbringung in einer abgeschlossenen Einrichtung angedroht worden. Die in der Infektion liegende Erkrankung stellt auch die alleinige Ursache des Arbeitsausfalls dar. Die Absonderungsanordnung begründet keine eigenständige, parallele Ursache neben der Erkrankung. Vielmehr beruht das aus der Absonderungsverfügung resultierende Tätigkeitsverbot gerade unmittelbar auf der Infektion. Diese ist die nicht hinwegzudenkende Ursache für die nachfolgende Anordnung.

 

22        3. Der Kläger hat die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit nicht schuldhaft iSd. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG verursacht. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, es könne nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass die unterlassene Corona-Schutzimpfung ursächlich für die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit war.

 

23        a) Schuldhaft iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG handelt nur der Arbeitnehmer, der in erheblichem Maße gegen die von einem verständigen Menschen im eigenen Interesse zu erwartende Verhaltensweise verstößt. Hierbei handelt es sich nicht um ein Verschulden iSv. § 276 BGB, der das Maß an Verhaltensanforderungen des Schuldners gegenüber Dritten bestimmt. Das Entstehen einer Krankheit und/oder die daraus resultierende Arbeitsunfähigkeit betrifft vielmehr die Person des Arbeitnehmers selbst. Es gilt deshalb festzustellen, ob ein „Verschulden gegen sich selbst“ vorliegt. Dabei ist – anders als bei der Haftung für Sorgfalt in eigenen Angelegenheiten nach § 277 BGB – von einem objektiven Maßstab auszugehen. Erforderlich ist ein grober oder gröblicher Verstoß gegen das Eigeninteresse eines verständigen Menschen und damit ein besonders leichtfertiges oder vorsätzliches Verhalten (BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 35 f., BAGE 157, 102; 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 – Rn. 13 f., BAGE 151, 159).

 

24        b) Bei der Prüfung eines etwaigen Verschuldens ist der Zweck der Entgeltfortzahlung bei krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit in den Blick zu nehmen. Mit § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG soll einerseits der Arbeitnehmer bei unverschuldeter krankheitsbedingter Arbeitsunfähigkeit finanziell abgesichert werden, andererseits sollen Kostenrisiken zwischen Arbeitgeber und Krankenversicherung verteilt werden (vgl. BAG 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 – Rn. 15, BAGE 151, 159; MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 79 Rn. 5; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 1 f.; Schmitt EFZG/L. Schmitt 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 24; Staudinger/Oetker (2022) BGB § 616 Rn. 180 ff.). Ausgehend von dieser gesetzgeberischen Zielsetzung ist das beim Verschulden zu berücksichtigende Eigeninteresse allein das Interesse des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden. Ausschließlich dieses ist Bezugspunkt eines anspruchsausschließenden Verschuldens iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG (BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 37 mwN, BAGE 157, 102).

 

25        c) Die Darlegungs- und Beweislast für das Vorliegen eines Verschuldens trägt der Arbeitgeber, denn er macht eine anspruchshindernde Einwendung geltend (st. Rspr., vgl. BAG 23. November 1971 – 1 AZR 404/70 – zu 2 der Gründe, BAGE 24, 36; 7. August 1991 – 5 AZR 410/90 – zu I der Gründe, BAGE 68, 196). Soweit die maßgeblichen tatsächlichen Umstände in der Sphäre des Arbeitnehmers liegen und keine hinreichenden Erkenntnismöglichkeiten des Arbeitgebers bestehen, trifft den Arbeitnehmer nach den Grundsätzen der abgestuften Darlegungs- und Beweislast eine sekundäre Darlegungslast (vgl. BAG 27. Mai 1992 – 5 AZR 297/91 – zu II 2 a der Gründe; MHdB ArbR/Greiner 5. Aufl. Bd. 1 § 80 Rn. 51; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 85; Schmitt EFZG/L. Schmitt 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 185; HWK/Vogelsang 11. Aufl. § 3 EFZG Rn. 72). Das Risiko der Unaufklärbarkeit der Ursachen einer Krankheit oder Arbeitsunfähigkeit und eines möglichen Verschuldens des Arbeitnehmers verbleibt beim Arbeitgeber (BAG 26. Oktober 2016 – 5 AZR 167/16 – Rn. 36, BAGE 157, 102; 18. März 2015 – 10 AZR 99/14 – Rn. 16, BAGE 151, 159).

 

26        d) Der Maßstab für die richterliche Überzeugungsbildung hinsichtlich einer schuldhaften Verursachung der Arbeitsunfähigkeit ergibt sich aus § 286 ZPO. Aus § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG lassen sich – anders als die Beklagte meint – für Fälle wie den vorliegenden im Rahmen von § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG keine erleichterten Kausalitätsanforderungen ableiten. § 286 ZPO verlangt vom Gericht weder, dass es mit unumstößlicher Gewissheit noch mit einer an Sicherheit grenzenden Wahrscheinlichkeit von der Richtigkeit einer tatsächlichen Behauptung überzeugt ist. Vielmehr genügt ein für das praktische Leben brauchbarer Grad an Gewissheit, der Zweifeln Schweigen gebietet, ohne sie völlig auszuschließen (vgl. BGH 13. September 2018 – III ZR 294/16 – Rn. 34 mwN, BGHZ 219, 298). Diese tatrichterliche Beweiswürdigung unterliegt revisionsrechtlich nur einer eingeschränkten Überprüfung (vgl. dazu BAG 8. September 2021 – 5 AZR 149/21 – Rn. 18, BAGE 175, 358; 11. Dezember 2019 – 5 AZR 505/18 – Rn. 25, BAGE 169, 117).

 

27        e) Nach diesen Grundsätzen ist der Entgeltfortzahlungsanspruch des Klägers nicht aufgrund eines schuldhaften Unterlassens der Corona-Schutzimpfung ausgeschlossen. Das Berufungsgericht hat zugunsten der Beklagten unterstellt, dass die Nichtvornahme der empfohlenen Schutzimpfung gegen das SARS-CoV-2-Virus einen gröblichen Verstoß gegen das von einem verständigen Menschen zu erwartende Verhalten darstellt und hat weiter rechtsfehlerfrei ausgehend vom Maßstab des § 286 ZPO angenommen, es könne jedoch unter Berücksichtigung der nicht unerheblichen Zahl von Impfdurchbrüchen nicht mit der gebotenen Sicherheit festgestellt werden, dass das Unterlassen der Corona-Schutzimpfung für die SARS-CoV-2-Infektion des Klägers ursächlich gewesen sei.

 

28        aa) Das unterstellte Verschulden des Klägers – die unterlassene Schutzimpfung – ist nur dann ursächlich für die eingetretene SARS-CoV-2-Infektion, wenn durch die Inanspruchnahme der empfohlenen Impfung die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit vermieden worden wäre (BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. März 2024 EFZG § 3 Rn. 37; vgl. auch Schaub ArbR-HdB/Linck 20. Aufl. § 98 Rn. 40; HWK/Vogelsang 11. Aufl. § 3 EFZG Rn. 70; MüKoBGB/Müller-Glöge 9. Aufl. EFZG § 3 Rn. 42; Naber/Schulte NZA 2021, 81, 85; Schmidt-Lauber/Naber/Ruth NZA 2023, 1220, 1221). Es genügt nicht, dass das Unterlassen der gebotenen Handlung das Risiko des Erfolgseintritts erhöht. Vielmehr muss unter Beachtung des Maßstabs des § 286 Abs. 1 ZPO auszuschließen sein, dass die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit auch bei Vornahme der gebotenen Handlung – also die Inanspruchnahme der Schutzimpfung durch den Arbeitnehmer – eingetreten wäre. Hierbei sind die tatsächlichen Umstände zu würdigen.

 

29        bb) Soweit im Schrifttum unter Verweis auf § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG die Auffassung vertreten wird, bei einer unterlassenen Schutzimpfung sei die Kausalität dieses schuldhaften Unterlassens für die eingetretene Arbeitsunfähigkeit zu vermuten (dafür Fischinger SR 2022, 37, 43; Krainbring NZA 2021, 247, 248 f.; ähnlich Schmidt-Lauber/Naber/Ruth NZA 2023, 1220, 1221) oder die Anforderungen an den Beweis der Kausalität seien herabzusetzen (dafür wohl Sievers/Kruppa jM 2022, 22, 28), wird nicht genügend berücksichtigt, dass § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG im Kontext mit dem Zweck dieser Regelung zu sehen ist. Wie oben ausgeführt (Rn. 19 f.) enthält § 56 IfSG eine Billigkeitsregelung, die nur subsidiär eingreift. Dieser Regelungszweck kann es rechtfertigen, besondere Anspruchsvoraussetzungen und Ausschlusstatbestände für den gegen den Staat gerichteten Entschädigungsanspruch zu normieren. Entsprechende Regelungen enthält das Entgeltfortzahlungsgesetz jedoch nicht. § 3 Abs. 1 EFZG regelt vielmehr ganz allgemein als Voraussetzung des Entgeltfortzahlungsanspruchs, dass den Arbeitnehmer an der Arbeitsunfähigkeit kein Verschulden treffen darf. Ausschließlicher Bezugspunkt eines anspruchsausschließenden Verschuldens iSv. § 3 Abs. 1 Satz 1 Halbs. 2 EFZG ist das Interesse des Arbeitnehmers, seine Gesundheit zu erhalten und zur Arbeitsunfähigkeit führende Erkrankungen zu vermeiden. Ob ein schuldhaftes Tun oder Unterlassen kausal für die Arbeitsunfähigkeit geworden ist, beurteilt sich nach den allgemeinen zivilprozessualen Regeln der Beweiswürdigung. Es kann deshalb dahinstehen, ob die Kausalitätsanforderungen des § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG denen des § 3 Abs. 1 Satz 1 EFZG entsprechen (zu den Anforderungen in § 56 Abs. 1 Satz 4 IfSG vgl. VGH Baden-Württemberg 20. Februar 2024 – 1 S 678/23 – Rn. 67 ff.; 20. Februar 2024 – 1 S 484/23 – Rn. 81 ff.; BeckOK InfSchR/Eckart/Kruse Stand 8. Juli 2023 IfSG § 56 Rn. 39; Kießling/Kümper IfSG 3. Aufl. § 56 Rn. 28).

 

30        cc) In Anwendung des Maßstabs des § 286 ZPO ist das Landesarbeitsgericht in revisionsrechtlich nicht zu beanstandender Weise davon ausgegangen, dass die Vornahme der Impfung nicht mit der gebotenen Sicherheit dazu geführt hätte, dass eine Arbeitsunfähigkeit des Klägers verhindert worden wäre. Nach den nicht angegriffenen Feststellungen des Landesarbeitsgerichts schätzte das Robert-Koch-Institut die Effektivität der Grundimmunisierung gegenüber einer symptomatischen COVID-19-Erkrankung in der für den Kläger maßgeblichen Altersgruppe von 18 bis 59 Jahren mit ca. 62 vH und die Effektivität einer Auffrischungsimpfung mit 89 vH (jeweils Meldewochen 49 bis 52/2021) ein. Im gesamten Zeitraum von der 5. bis zur 52. Meldewoche des Jahres 2021 wurden in der Altersgruppe des Klägers 401.233 Impfdurchbrüche identifiziert. Dazu kommt, dass die Impfeffektivität sowohl der Grundimmunisierung als auch der Auffrischungsimpfung mit der Dominanz der sog. Omikron-Variante des SARS-CoV-2-Virus seit Beginn des Jahres 2022 abgesunken ist. Ausgehend hiervon hat das Berufungsgericht gemeint, es könne nicht angenommen werden, dass die Ende Dezember 2021 beim Kläger aufgetretene Corona-Infektion durch die Inanspruchnahme der empfohlenen Schutzimpfung mit hoher Wahrscheinlichkeit hätte verhindert werden können. Diese Würdigung ist in sich widerspruchsfrei und verletzt weder Denkgesetze noch allgemeine Erfahrungssätze. Sie ist rechtlich möglich und berücksichtigt alle für die Beurteilung wesentlichen Umstände.

 

31        4. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend erkannt, dass die Beklagte nicht gemäß § 7 Abs. 1 Nr. 1 EFZG berechtigt ist, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern.

 

32        a) Nach dieser Vorschrift ist der Arbeitgeber berechtigt, die Fortzahlung des Arbeitsentgelts zu verweigern, solange der Arbeitnehmer die von ihm nach § 5 Abs. 1 EFZG vorzulegende ärztliche Bescheinigung nicht vorlegt. Daraus ergibt sich die Berechtigung des Arbeitgebers die Entgeltfortzahlung zu verweigern, wenn der Arbeitnehmer seinen im Tatbestand des § 7 Abs. 1 EFZG beschriebenen Obliegenheiten nicht nachkommt und er die Verletzung der Obliegenheiten zu vertreten hat. Der Vorlage der Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung bedarf es nicht, wenn die krankheitsbedingte Arbeitsunfähigkeit unstreitig ist (BAG 12. Juni 1996 – 5 AZR 960/94 – zu III 1 der Gründe, BAGE 83, 168) oder anderweitig nachgewiesen wird (BAG 1. Oktober 1997 – 5 AZR 499/96 – zu I 4 der Gründe; zum Ganzen ErfK/Reinhard 24. Aufl. EFZG § 7 Rn. 9; BeckOK ArbR/Ricken Stand 1. März 2024 EFZG § 7 Rn. 5). Die vorzulegende Arbeitsunfähigkeitsbescheinigung hat somit keine anspruchsbegründende Bedeutung (BAG 12. Juni 1996 – 5 AZR 960/94 – aaO). Die nicht rechtzeitige Vorlage oder die Nichtvorlage begründet kein endgültiges Leistungsverweigerungsrecht des Arbeitgebers (BAG 1. Oktober 1997 – 5 AZR 499/96 – aaO; 1. Oktober 1997 – 5 AZR 726/96 – zu III 1 der Gründe, BAGE 86, 357).

 

33        b) Gemessen an diesen Grundsätzen war die Beklagte nicht berechtigt, die Entgeltfortzahlung des Klägers zu verweigern. Zwischen den Parteien ist unstreitig, dass der Kläger jedenfalls seit dem 26. Dezember 2021 mit dem SARS-CoV-2-Virus infiziert war und sich aufgrund der Ordnungsverfügung der Gemeinde N vom 29. Dezember 2021 bis zum 12. Januar 2022 in Isolierung (Quarantäne) in häuslicher Umgebung begeben musste. Streit besteht nicht über das Vorliegen dieser Tatsachen, sondern lediglich über deren rechtliche Bewertung. Die Vorlage einer ärztlichen Bescheinigung ist aufgrund des anderweitigen Nachweises der Tatsachen, die zur krankheitsbedingten Arbeitsunfähigkeit des Klägers führten, entbehrlich.

 

34        5. Der Kläger hat die Ausschlussfrist des § 49.2 Buchst. b MTV gewahrt. Die rechtzeitige Geltendmachung der Forderung steht zwischen den Parteien nicht im Streit.

 

35        6. Der Zinsanspruch beruht auf § 288 Abs. 1, § 286 Abs. 2 Nr. 1 BGB. Dem Kläger stehen nach § 187 Abs. 1 BGB Verzugszinsen ab dem Tag nach Eintritt der Fälligkeit zu. Die Fälligkeit bestimmt sich nach § 39.7 Abs. 2 MTV.

 

36        II. Der Hilfsantrag des Klägers fiel nicht zur Entscheidung an.

 

37        III. Die Beklagte hat nach § 97 Abs. 1 ZPO die Kosten der Revision zu tragen.

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