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Arbeitsrecht
05.06.2025
Arbeitsrecht
BAG: Betriebsratswahl – Verlangen von Briefwahlunterlagen – Behandlung der Briefwahlstimmen durch den Wahlvorstand – Falten der Stimmzettel

BAG, Beschluss vom 22.1.2025 – 7 ABR 1/24

ECLI:DE:BAG:2025:220125.B.7ABR1.24.0

Volltext: BBOnline BBL2025-1396-1

 

Leitsatz

Die Pflicht des Wahlvorstands, einem Wahlberechtigten, der im Zeitpunkt der Betriebsratswahl wegen Abwesenheit vom Betrieb an der persönlichen Stimmabgabe verhindert ist, auf sein Verlangen die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe auszuhändigen oder zu übersenden, setzt keine Begründung des Verlangens durch den Wahlberechtigten voraus. Der Wahlvorstand hat die Verhinderung wegen Betriebsabwesenheit nur dann zu überprüfen, wenn sich Zweifel daran aufdrängen.

 

Sachverhalt

A. Die Beteiligten streiten über die Wirksamkeit einer Betriebsratswahl.

Die zu 7. beteiligte Arbeitgeberin betreibt ein Eisenbahnverkehrsunternehmen, in deren Wahlbetrieb F.I.3 vom 10. bis 12. Mai 2022 der zu 6. beteiligte elfköpfige Betriebsrat gewählt worden ist. Die vier noch am Verfahren beteiligten Antragsteller zu 1. und 2. sowie 4. und 5. sind in dem Betrieb wahlberechtigte Arbeitnehmer.

Im Zusammenhang mit der Wahl des Betriebsrats beantragten 71 Wahlberechtigte die Aushändigung bzw. Übersendung von Briefwahlunterlagen. Von diesen richteten 23 ihr Verlangen jeweils ohne nähere Begründung per EMail an ein Mitglied des Wahlvorstands, welches die Briefwahlunterlagen daraufhin ohne vorherige Beschlussfassung des Wahlvorstands übersandte. Einem Arbeitnehmer konnten die Briefwahlunterlagen nicht zugesandt werden. Der Wahlvorstand wandte sich daraufhin an die Arbeitgeberin, die ihm mitteilte, dieser Arbeitnehmer liege nicht ansprechbar in einer Klinik.

Die Briefwahlunterlagen enthielten ein Merkblatt mit dem Hinweis: „Falten Sie den Stimmzettel so, dass die Stimmabgabe erst nach dem Auseinanderfalten erkennbar ist und legen Sie nur den Stimmzettel in den Wahlumschlag und verschließen Sie ihn (bitte nicht zukleben).“ Auf dem Stimmzettel stand in der untersten Zeile: „Stimmzettel bitte mit dem Schriftbild nach innen falten!“

In der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung am 12. Mai 2022 behandelte der Wahlvorstand die Briefwahlstimmen einzeln jeweils dahingehend, dass zunächst der Freiumschlag geöffnet, diesem sodann der Wahlumschlag sowie die Erklärung zur persönlichen Stimmabgabe entnommen und anhand der Wählerliste überprüft wurde, ob bereits eine Stimmabgabe erfolgt war. War dies nicht der Fall, wurde der Wahlumschlag geöffnet. Bei vier mit dem Schriftbild nach außen gefalteten Stimmzetteln wurden die Stimmen für ungültig befunden und die Stimmzettel von vornherein nicht in die Wahlurne eingelegt. Die Bekanntmachung des Wahlergebnisses erfolgte am 19. Mai 2022.

Mit ihrer beim Arbeitsgericht am 2. Juni 2022 eingegangenen Antragsschrift haben die Antragsteller die Wahl angefochten. Sie haben die Auffassung vertreten, die Behandlung der vier mit dem Schriftbild nach außen gefalteten Stimmzettel als ungültige Stimmen greife in unzulässiger Weise in das Wahlrecht der betroffenen Briefwähler ein. Soweit die Erste Verordnung zur Durchführung des Betriebsverfassungsgesetzes – Wahlordnung (WO) – Anderes vorsehe, sei sie von der gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage nicht gedeckt. Ferner sei der Hinweis zur Faltung auf den Stimmzetteln ungenügend, weil er lediglich eine Bitte ausdrücke. In Bezug auf einen Arbeitnehmer habe der Wahlvorstand nicht genug unternommen, um diesem die verlangten Briefwahlunterlagen zu übermitteln.

Die Antragsteller haben zuletzt beantragt,

die vom 10. bis 12. Mai 2022 im Wahlbetrieb K F.I.3 durchgeführte Betriebsratswahl für unwirksam zu erklären.

Der Betriebsrat hat die Abweisung des Antrags beantragt.

Das Arbeitsgericht hat den Antrag abgewiesen; das Landesarbeitsgericht hat ihm auf die Beschwerde der Antragsteller stattgegeben. Mit seiner Rechtsbeschwerde begehrt der Betriebsrat die Wiederherstellung der erstinstanzlichen Entscheidung. Die Antragsteller beantragen die Zurückweisung der Rechtsbeschwerde. Die Arbeitgeberin hat – ebenso wie in den Vorinstanzen – keinen Antrag gestellt.

Aus den Gründen

10        B. Die zulässige Rechtsbeschwerde des Betriebsrats ist begründet. Das Landesarbeitsgericht hat dem Wahlanfechtungsantrag zu Unrecht stattgegeben. Die verfahrensgegenständliche Betriebsratswahl ist nicht anfechtbar.

 

11        I. Nach § 19 Abs. 1 und 2 BetrVG können mindestens drei wahlberechtigte Arbeitnehmer, eine im Betrieb vertretene Gewerkschaft oder der Arbeitgeber die Betriebsratswahl anfechten, wenn gegen wesentliche Vorschriften über das Wahlrecht, die Wählbarkeit oder das Wahlverfahren verstoßen wurde und eine Berichtigung nicht erfolgt ist, es sei denn, dass durch den Verstoß das Wahlergebnis nicht geändert oder beeinflusst werden konnte. Die Wahlanfechtung muss innerhalb von zwei Wochen ab der Bekanntgabe des Wahlergebnisses erfolgen.

 

12        II. Diese Voraussetzungen liegen nicht vor.

 

13        1. Zwar sind die formellen Anfechtungsvoraussetzungen erfüllt. Die vier (verbliebenen) Antragsteller sind als am Wahltag wahlberechtigte Arbeitnehmer des Betriebs nach § 19 Abs. 2 Satz 1 Alt. 1 BetrVG zur Wahlanfechtung berechtigt. Der Wahlanfechtungsantrag ist am 2. Juni 2022 und damit rechtzeitig iSv. § 19 Abs. 2 Satz 2 BetrVG innerhalb von zwei Wochen nach der am 19. Mai 2022 erfolgten Bekanntmachung des Wahlergebnisses beim Arbeitsgericht eingegangen.

 

14        2. Hingegen liegen die materiellen Voraussetzungen einer Wahlanfechtung nicht vor. Weder verstößt die Übermittlung von Briefwahlunterlagen an 23 Wahlberechtigte, bei denen das Landesarbeitsgericht eine ordnungsgemäße Begründung ihrer entsprechenden Verlangen vermisst hat, gegen die Regelung des § 24 Abs. 1 Satz 1 WO, noch bildet die Behandlung der vier mit dem Schriftbild nach außen gefalteten Stimmzettel von Briefwählern zu Beginn der Sitzung zur öffentlichen Stimmauszählung einen Anfechtungsgrund. Ein solcher liegt auch nicht in der Gestaltung des Hinweises über die Art und Weise der schriftlichen Stimmabgabe oder darin, dass einen Arbeitnehmer die von ihm verlangten Briefwahlunterlagen nicht erreicht haben.

 

15        a) Es liegt kein Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Satz 1 WO vor.

 

16        aa) Nach dieser Vorschrift hat der Wahlvorstand Wahlberechtigten, die im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben, auf ihr Verlangen die in § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 1 bis Nr. 5 WO näher angeführten Unterlagen für die schriftliche Stimmabgabe (Briefwahl) auszuhändigen oder zu übersenden. Diese Pflicht zur Übermittlung der Briefwahlunterlagen setzt weder eine ausdrückliche Begründung des einzelnen Verlangens der Wahlberechtigten – und eine dahingehende Überprüfung des Wahlvorstands – noch eine Beschlussfassung des Wahlvorstands über die Aushändigung oder Übersendung voraus.

 

17        (1) Der Wahlvorstand kann bei einem von dem Wahlberechtigten geäußerten Verlangen nach der Aushändigung oder Übersendung von Briefwahlunterlagen iSv. § 24 Abs. 1 Satz 1 WO grundsätzlich davon ausgehen, dass der Wahlberechtigte im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert ist. Das keinen besonderen Formanforderungen unterliegende Verlangen bedarf prinzipiell weder einer näheren Begründung noch einer – und sei es kursorischen – PlausibilitätsÜberprüfung durch den Wahlvorstand. Dieses Verständnis von § 24 Abs. 1 Satz 1 WO folgt aus dem Wortlaut der Vorschrift sowie aus verordnungssystematischen Erwägungen. Teleologische Gesichtspunkte stehen ihm nicht entgegen; allerdings gebieten sie eine Prüfpflicht des Wahlvorstands, wenn sich anhand objektiver Anhaltspunkte Zweifel daran aufdrängen, dass der die Briefwahlunterlagen verlangende Wahlberechtigte die Voraussetzung des § 24 Abs. 1 Satz 1 WO erfüllt.

 

18        (a) Nach dem Wortlaut von § 24 Abs. 1 Satz 1 WO setzt die Pflicht des Wahlvorstands zur Übermittlung der Briefwahlunterlagen ein „Verlangen“ – und nicht etwa einen „Antrag“, bei dem die Annahme eines Begründungserfordernisses näherläge – voraus. Wenngleich die Ausdrücke „Verlangen“ und „Antrag“ im Bedeutungsgehalt jeweils ua. mit einer „Forderung“ beschrieben sind (vgl. Duden Das große Wörterbuch der deutschen Sprache 3. Aufl.), deutet die sprachliche Fassung der Vorschrift damit eher darauf, dass das Anliegen der Übermittlung von Briefwahlunterlagen „an sich“ lediglich geäußert und nicht auch mit einer Begründung versehen sein muss. Hätte der Verordnungsgeber Letzteres – und damit eine gleichsam spiegelbildliche Prüfpflicht des Wahlvorstands – intendiert, hätte es nahegelegen, eine entsprechende ausdrückliche Formulierung in § 24 Abs. 1 Satz 1 WO aufzunehmen (etwa „… ihr begründetes Verlangen“).

 

19        (b) Mit dem Attributsatz „… die im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben …“ sind die Wahlberechtigten beschrieben, deren Verlangen die Pflicht zur Übermittlung der Briefwahlunterlagen auslöst. Als Rechtsattribut bezieht er sich nicht auf das Nomen „Verlangen“. Dies spricht grammatikalisch eher dafür, dass bei einer Forderung nach den Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe der Grund nicht zwingend zu benennen ist. Selbst wenn man also den Begriff des Verlangens als sinngleich zu dem Begriff des Antrags verstünde, folgte hieraus nicht ohne Weiteres die Begründungsbedürftigkeit eines Ansinnens der Übersendung von Briefwahlunterlagen. Der sprachliche Kontext deutet vielmehr auf das Gegenteil. Im Übrigen hat sich der Verordnungsgeber auch der Regelungstechnik mittels eines Konditionalsatzes enthalten und bspw. nicht vorgegeben: „Wahlberechtigten hat der Wahlvorstand auf ihr Verlangen die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe auszuhändigen oder zu übersenden, wenn sie im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben.“

 

20        (c) Systematische Erwägungen stützen dieses Verständnis von § 24 Abs. 1 Satz 1 WO.

 

21        (aa) Der (historische) Vergleich mit Bestimmungen in anderen Wahlordnungen legt kein Begründungserfordernis für das Verlangen nach § 24 Abs. 1 Satz 1 WO nahe. Bei der Teilnahme an politischen Wahlen durch Briefwahl bedarf es mittlerweile keiner Glaubhaftmachung von Gründen mehr, was mit den Grundsätzen der freien und geheimen Wahl sowie der Öffentlichkeit der Wahl vereinbar ist (vgl. zur Europawahl BVerfG 9. Juli 2013 – 2 BvC 7/10 – Rn. 11 ff., BVerfGE 134, 25). In der Vergangenheit war die Erteilung eines Wahlscheins an die Voraussetzung der Glaubhaftmachung (zT näher bezeichneter) Gründe gebunden (vgl. § 24 Abs. 1 und 2 Europawahlordnung – EuWO – und § 27 Abs. 2 Bundeswahlordnung – BWO – [jeweils in der bis 10. Dezember 2008 geltenden Fassung]). Eine mit diesen Anforderungen vergleichbare Regelung enthält § 24 Abs. 1 Satz 1 WO nicht, zumal zB § 24 Abs. 1 EuWO aF die limitierten Gründe für den auf Antrag zu erteilenden Wahlschein klar konditional verfasst hatte („Ein Wahlberechtigter, der in das Wählerverzeichnis eingetragen ist, erhält auf Antrag einen Wahlschein, 1. wenn er …, 2. wenn er …, 3. wenn er …“).

 

22        (bb) Das Verlangen iSv. § 24 Abs. 1 Satz 1 WO ist nicht formbedürftig; es kann auch mündlich angebracht werden (vgl. zB GKBetrVG/Jacobs 12. Aufl. WO § 24 Rn. 9; Wiebauer in Löwisch/Kaiser/Klumpp BetrVG 8. Aufl. WO § 24 Rn. 3). Hätte der Verordnungsgeber die Briefwahl für die in § 24 Abs. 1 Satz 1 WO benannten Wahlberechtigten an deren zwingend mit einer Begründung zu versehende Verlangen binden wollen, hätte es sich schon aus Dokumentationsgründen und zur Durchführung rechtssicherer Wahlen angeboten, nur textlich oder sogar schriftlich verfasste Verlangen zuzulassen.

 

23        (cc) Die Regelungskonzeption der Voraussetzungen für die schriftliche Stimmabgabe spricht deutlich gegen die Annahme eines Begründungserfordernisses des Verlangens iSv. § 24 Abs. 1 Satz 1 WO. Während bei § 24 Abs. 1 WO die Initiative zur Übersendung der Wahlunterlagen bei Vorliegen der Voraussetzungen von den Wahlberechtigten ausgeht, liegt diese in den Fällen der § 24 Abs. 2 und 3 WO beim Wahlvorstand. Die in § 24 Abs. 2 Satz 1 Nr. 1 und Nr. 2 WO beschriebenen Wahlberechtigten erhalten die Unterlagen für eine schriftliche Stimmabgabe, ohne dass es ihres Verlangens bedarf; nach § 24 Abs. 3 Satz 1 WO kann der Wahlvorstand – unter bestimmten Voraussetzungen – die schriftliche Stimmabgabe beschließen und übermittelt gleichfalls ohne Verlangen den betroffenen Wahlberechtigten die Briefwahlunterlagen, vgl. § 24 Abs. 3 Satz 2 iVm. Abs. 2 WO. Darin zeigt sich, dass der Verordnungsgeber die Verantwortung für das Vorliegen der personenbezogenen Voraussetzung der Verhinderung an der persönlichen Stimmabgabe wegen einer Betriebsabwesenheit im Wahlzeitpunkt iSv. § 24 Abs. 1 Satz 1 WO bei den Wahlberechtigten gesehen und an deren bloßes Verlangen gebunden hat (anders konzipiert als zB nach § 7 Abs. 1 Nr. 2 der Wahlordnung für die Präsidien der Gerichte, wonach die Zuleitungspflicht des Wahlvorstands von Briefwahlunterlagen an die aus „sonstigen Gründen“ an der persönlichen Stimmabgabe verhinderten wahlberechtigten Mitglieder des Gerichts deren rechtzeitige Verhinderungs„anzeige“ voraussetzt).

 

24        (dd) Gegen die Erforderlichkeit einer Begründung spricht ferner der Umstand, dass die Wahlordnung keine Information für die Wahlberechtigten vorsieht, dass das Verlangen nach den Briefwahlunterlagen mit einer Begründung zu versehen wäre. Insbesondere ist eine solche Begründungspflicht nicht in den zwingenden Angaben im Wahlausschreiben nach § 3 Abs. 2 WO aufgeführt; in Bezug auf die schriftliche Stimmabgabe muss das Wahlausschreiben nach § 3 Abs. 2 Nr. 11 WO nur die Betriebsteile und Kleinstbetriebe angeben, für die schriftliche Stimmabgabe nach § 24 Abs. 3 WO beschlossen ist. Nach § 24 Abs. 1 Satz 3 WO soll der Wahlvorstand der Briefwählerin oder dem Briefwähler ein Merkblatt über die Art und Weise der schriftlichen Stimmabgabe aushändigen oder übersenden; ein Merkblatt über die Art und Weise, die Briefwahlunterlagen erhalten zu können, ist dagegen nicht vorgesehen. Während der Wahlvorstand gemäß § 24 Abs. 1 Satz 1 Nr. 4 WO für die Erklärung, dass der Stimmzettel von dem Briefwähler persönlich gekennzeichnet worden ist, einen Vordruck zu erstellen und mit den Briefwahlunterlagen auszuhändigen hat, fehlt eine entsprechende Regelung in Bezug auf die Erstellung eines Vordrucks für die Erklärung, dass der Wahlberechtigte im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert ist, seine Stimme persönlich abzugeben. Nach den Vorgaben der Wahlordnung wäre den Wahlberechtigten mithin nicht notwendig bekannt, dass sie ihr Verlangen begründen müssen. Dies spricht gegen die Annahme, die Wahl wegen nicht mit Begründungen versehener Briefwahlverlangen für anfechtbar zu erachten. Vielmehr deutet das Fehlen einer Informationsverpflichtung nach der Systematik der Wahlordnung – wonach den Wahlberechtigten wesentliche Wahlvorschriften insbesondere über das Wahlausschreiben bekannt gemacht werden müssen – darauf, dass auch der Verordnungsgeber die Wahlberechtigten nicht als verpflichtet angesehen hat, ihr Verlangen iSv. § 24 Abs. 1 WO mit einer Begründung zu versehen (vgl. Fitting BetrVG 32. Aufl. § 24 WO Rn. 3 und § 35 WO Rn. 1, wonach der Grund angegeben werden sollte, die fehlende Angabe aber unschädlich ist).

 

25        (d) Der Zweck der Vorschrift gebietet kein anderes Verständnis. Bei der schriftlichen Stimmabgabe ist einerseits die Integrität der Wahl nicht gleichermaßen gewährleistet wie bei der Urnenwahl im Wahllokal, während andererseits ihre Zulassung eine möglichst umfassende Wahlbeteiligung sichert und damit dem Grundsatz der Allgemeinheit der Wahl Rechnung trägt. Diese Spannungslage hat der Verordnungsgeber mit der Bindung der brieflichen Stimmabgabe an die in § 24 Abs. 1 bis 3 WO näher definierten Maßgaben aufgelöst (vgl. BAG 16. März 2022 – 7 ABR 29/20 – Rn. 29 mwN, BAGE 177, 269). § 24 Abs. 1 Satz 1 WO knüpft insoweit aber lediglich an eine in der Person des Wahlberechtigten liegende Maßgabe an. Bei einem Verlangen nach Briefwahlunterlagen darf der Wahlvorstand daher grundsätzlich unterstellen, dass es von einem Wahlberechtigten geäußert ist, der im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert ist, seine Stimme persönlich abzugeben. Bedürfte es demgegenüber einer Angabe des Grundes für das Verlangen, bliebe weitgehend unklar, ob die Wahlberechtigten nur entsprechend dem Verordnungstext anzugeben hätten, „im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert“ zu sein, „ihre Stimme persönlich abzugeben“, oder den Verhinderungsgrund – und nur insofern wäre dieser dann auch überhaupt überprüfbar durch den Wahlvorstand und ggf. durch das mit einem Wahlanfechtungsantrag befasste Gericht für Arbeitssachen – konkret benennen müssten. Die damit für eine Rechtswirksamkeit der Wahl kaum zu handhabenden Risiken verdeutlichen anschaulich die beispielhaft in der angefochtenen Entscheidung wörtlich zitierten EMails von zwei Wahlberechtigten, bei denen das Landesarbeitsgericht die Formulierung „Hallo …, da ich leider an BRWahlen nicht teilnehmen (kann), bräuchte ich die Wahlunterlagen für die Briefwahl. Könntest Du die mir zuschicken danke schon mal dafür.“ als ordnungsgemäß und die Formulierung „Hey …, ich benötige die Briefwahlunterlagen. Liebe Grüße D.“ als nicht ordnungsgemäß gewertet hat. Letztlich hinge es eher von zufällig gewählten Formulierungen ab, ob das Verlangen auf Übersendung der Briefwahlunterlagen eine hinreichende Begründung enthält oder nicht.

 

26        (2) Bedarf das Verlangen iSv. § 24 Abs. 1 Satz 1 WO regelmäßig keiner Begründung, hat der Wahlvorstand auch nicht regelhaft durch Beschluss darüber zu befinden, ob ein zur Übermittlung der Briefwahlunterlagen berechtigendes Verlangen vorliegt (gegen eine Prüfpflicht auch Fitting BetrVG 32. Aufl. § 24 WO Rn. 3; DKW/Homburg BetrVG 19. Aufl. § 24 WO Rn. 13; Wiebauer in Löwisch/Kaiser/Klumpp BetrVG 8. Aufl. WO § 24 Rn. 3). Er kann vielmehr unterstellen, dass es von einem Wahlberechtigten iSv. § 24 Abs. 1 Satz 1 WO angebracht ist. Die Übermittlungspflicht des § 24 Abs. 1 Satz 1 WO unterliegt insofern keinem vom Wahlvorstand auszuübenden Ermessen und ist nur an das Verlangen der Wahlberechtigten gebunden, die wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert sind, ihre Stimme persönlich abzugeben. Da kein Begründungserfordernis für das Verlangen besteht, droht ein solches durch das Absehen einer Überprüfung der Gründe auch nicht leerzulaufen (vgl. zu solchen Bedenken Richardi BetrVG/Forst 17. Aufl. WO § 24 Rn. 4 und GKBetrVG/Jacobs 12. Aufl. WO § 24 Rn. 6 jeweils unter Bezugnahme auf LAG Düsseldorf 16. September 2011 – 10 TaBV 33/11 – jurisRn. 53). Eine Beschlussfassung durch den Wahlvorstand ist im Übrigen ausdrücklich auch nur in einem Fall nach § 24 Abs. 3 WO vorgesehen (schriftliche Stimmabgabe für Betriebsteile und Kleinstbetriebe, die räumlich weit vom Hauptbetrieb entfernt sind).

 

27        (3) Die auf die Person des die Briefwahlunterlagen verlangenden Wahlberechtigten abhebende Voraussetzung des § 24 Abs. 1 Satz 1 WO gebietet es allerdings, dass der Wahlvorstand einen Wahlberechtigten, bei dem sich Zweifel am Vorliegen dieser Voraussetzung aufdrängen, zu einer entsprechenden Erklärung aufzufordern und – je nach Einzelfall – zu einer Begründung der Briefwahlanforderung anzuhalten hat. So vermag entsprechend dem Zweck von § 24 Abs. 1 Satz 1 WO sichergestellt zu werden, dass eine schriftliche Stimmabgabe nicht (auch) von Wahlberechtigten beansprucht wird, deren Anwesenheit im Betrieb im Wahlzeitpunkt eine persönliche Stimmabgabe nicht hindert. Eine solche Überprüfungspflicht wird etwa bei einem Briefwahlverlangen ausgelöst, von dem ein Wahlvorstandsmitglied weiß, dass der verlangende Wahlberechtigte am Wahltag im Betrieb anwesend sein wird (vgl. Richardi BetrVG/Forst 17. Aufl. WO § 24 Rn. 4: „kursorischen Minimalprüfung anhand der ihm ohnehin bekannten betrieblichen Umstände“).

 

28        bb) Ausgehend von diesen Grundsätzen hat der Wahlvorstand mit der Übermittlung der Briefwahlunterlagen an die 23 Wahlberechtigten, deren Verlangen das Landesarbeitsgericht als nicht (ausreichend) begründet angesehen hat, § 24 Abs. 1 Satz 1 WO nicht verletzt, sondern seiner Übermittlungspflicht gerade genügt. Eine Rechtfertigung der Briefwahlverlangen im Sinn einer (konkreten) Angabe, dass (bzw. warum) der Wahlberechtigte im Zeitpunkt der Wahl wegen Abwesenheit vom Betrieb verhindert ist, seine Stimme persönlich abzugeben, gibt § 24 Abs. 1 Satz 1 WO nicht vor. Anhaltspunkte für sich aufdrängende Zweifel daran, dass bei einem oder mehreren der 23 Wahlberechtigten die persönlichen Voraussetzungen einer Verhinderung im Wahlzeitpunkt wegen Betriebsabwesenheit trotz des geäußerten Briefwahlverlangens nicht erfüllt waren und der Wahlvorstand daher einer entsprechenden Prüfpflicht nicht nachgekommen ist, sind im Streitfall nicht ersichtlich.

 

29        b) In dem Vorgehen des Wahlvorstands, das die schriftliche Stimmabgabe betrifft, und seiner Behandlung von vier Briefwahlstimmen zu Beginn der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung liegen gleichfalls keine Anfechtungsgründe. Davon ist das Landesarbeitsgericht zu Recht ausgegangen.

 

30        aa) Das Landesarbeitsgericht hat zunächst zutreffend erkannt, dass vier (Briefwahl)Stimmen vom Wahlvorstand wahlrechtskonform wegen einer nicht der Vorgabe des § 25 Satz 1 Nr. 1 WO entsprechenden Faltung der Stimmzettel als ungültig angesehen worden sind.

 

31        (1) Seit dem Inkrafttreten der im Zuge des Betriebsrätemodernierungsgesetzes reformierten Wahlordnung am 15. Oktober 2021 erfolgt die Stimmabgabe in Präsenz ohne Wahlumschläge durch Einwerfen des gefalteten Stimmzettels in die Wahlurne, § 11 Abs. 1 Satz 2 WO. Das Wahlgeheimnis wird dadurch gewährleistet, dass die Wählerin oder der Wähler den Stimmzettel in der Weise faltet, dass ihre oder seine Stimme nicht erkennbar ist, § 11 Abs. 3 WO (vgl. BRDrs. 666/21 S. 21). Bei der schriftlichen Stimmabgabe ist – trotz der Beibehaltung von Wahlumschlägen – der Stimmzettel gleichfalls so zu falten (und in dem Wahlumschlag zu verschließen), dass die Stimmabgabe erst nach Auseinanderfalten des Stimmzettels erkennbar ist, § 25 Satz 1 Nr. 1 WO. Die Beibehaltung des Wahlumschlags sowie die Vorgabe, den Stimmzettel so zu falten und in den Wahlumschlag einzulegen, dass die Stimmabgabe nicht schon beim Herausnehmen des Stimmzettels aus dem Wahlumschlag erkennbar ist, dient der Wahrung der Geheimheit der Wahl (vgl. BRDrs. 666/21 S. 24).

 

32        (2) Nach dem in § 26 Abs. 1 Satz 1 WO für die Behandlung der Briefwahlstimmen vorgegebenen Verfahren legt der Wahlvorstand zu Beginn der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung die Stimmzettel nach der Öffnung der Wahlumschläge in die Wahlurne. Das trägt dem Umstand Rechnung, dass bei der persönlichen Stimmabgabe keine Wahlumschläge mehr verwendet werden, gleichwohl aber beim Einlegen der Stimmzettel in die Wahlurne persönlich abgegebene und schriftlich abgegebene Stimmen zum Schutz des Grundsatzes der geheimen Wahl nicht einer der beiden Wählergruppen zuordenbar sein sollen (vgl. BRDrs. 666/21 S. 24 f.). Eine Ausnahme hiervon besteht lediglich in der in § 26 Abs. 1 Satz 3 WO geregelten Konstellation von mehreren gekennzeichneten Stimmzetteln in einem Wahlumschlag.

 

33        (3) Unrichtig gefaltete Stimmzettel – also diejenigen, bei denen die Stimmabgabe ohne Auseinanderfalten ersichtlich ist – sind ungültig. Diese Rechtsfolge gebietet der Grundsatz der geheimen Wahl. Darüber hinaus ist der Grundsatz der Gleichheit der Wahl tangiert, wonach jedermann sein aktives und passives Wahlrecht in formal möglichst gleicher Weise ausüben können soll (vgl. ausf. zu § 13 Abs. 3 WODrittelbG BAG 28. April 2021 – 7 ABR 20/20 – Rn. 28 mwN). Darauf, ob der Wahlvorstand einen förmlichen Beschluss über die Ungültigkeit von auf falsch gefalteten Stimmzetteln abgegebenen Stimmen gefasst hat (vgl. zu einem dahingehenden Erfordernis zB Fitting BetrVG 32. Aufl. § 11 WO Rn. 8 mwN), kommt es regelmäßig nicht an, denn allein durch das Fehlen eines entsprechenden (ohnehin nicht konstitutiv wirkenden) Beschlusses kann das Wahlergebnis prinzipiell nicht iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG geändert oder beeinflusst werden.

 

34        (4) Ausgehend von diesen Grundsätzen waren die vier Stimmzettel von Briefwählern, welche mit dem Schriftbild nach außen gefaltet waren, ungültig. Mit deren Nichtberücksichtigung hat der Wahlvorstand nicht gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren verstoßen.

 

35        bb) Ein Verstoß gegen § 26 WO liegt des Weiteren nicht in dem Umstand, dass der Wahlvorstand bei den eingegangenen Briefwahlstimmen einzeln nacheinander den Freiumschlag geöffnet, den Wahlumschlag und die Erklärung zur persönlichen Stimmabgabe entnommen und – nach der Feststellung anhand der Wählerliste, dass nicht bereits eine persönliche Stimmabgabe erfolgt war – den Wahlumschlag geöffnet und jeweils den mit dem Schriftbild nach außen gefalteten Stimmzettel nicht in die Wahlurne eingelegt hat (und nicht erst nach der Öffnung aller Freiumschläge die „gesammelten“ Wahlumschläge geöffnet und die falsch gefalteten Stimmzettel „aussortiert“ hat). Zwar ist die Prüfung der Einhaltung der Voraussetzungen der Briefwahl von der Prüfung der Stimmzettel zu trennen, weil anderenfalls eine die Geheimheit der Wahl tangierende persönliche Zuordnung der Stimmen möglich ist (vgl. für die Wahl der Schwerbehindertenvertretung, bei der allerdings das Wahlrecht nach § 9 SchwbVWO durch Abgabe eines Stimmzettels in einem Wahlumschlag ausgeübt und entspr. bei der Briefwahl nach § 12 Abs. 1 Satz 2 SchwbVWO die Wahlumschläge ungeöffnet in die Wahlurne einzulegen sind; dazu zB LPKSGB IX/Sachadae 6. Aufl. SchwbVWO § 12 Rn. 3 f.). Ausweislich des Verweises von § 26 WO auf § 25 WO einschließlich dessen Satz 1 Nr. 1 ist jedoch die Maßgabe des korrekten Faltens des Stimmzettels gleichsam zur Voraussetzung einer ordnungsgemäß erfolgten schriftlichen Stimmabgabe erhoben. Darin zeigt sich, dass die Wahlumschläge nicht erst dann geöffnet werden dürfen, wenn deren Zuordnung zum Freiumschlag absolut ausgeschlossen ist. Wäre dem so, bestünde im Übrigen ein unauflösbarer Konflikt in jenen Fällen, in denen es nur sehr wenige oder gar nur einen einzigen Briefwähler gibt; eine Öffnung der Wahlumschläge ohne personalisierte Zuordnungsmöglichkeit falsch gefalteter Stimmzettel wäre dann undenkbar.

 

36        cc) Auch auf die Verfahrensweise, dass der Wahlvorstand die vier falsch gefalteten Stimmzettel zu Beginn der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung sogleich „aussortiert“ – und nicht (zunächst) in die Wahlurne eingelegt – hat, vermag die Wahlanfechtung nicht gestützt zu werden. Das hat das Landesarbeitsgericht gleichfalls zutreffend erkannt.

 

37        (1) Nach § 26 WO ist dem Wahlvorstand weder zwingend vorgegeben noch ist es ihm verboten, die beim Öffnen der Wahlumschläge als nicht ordnungsgemäß erkannten – weil mit dem Schriftbild nach außen gefalteten – Stimmzettel in die Wahlurne einzulegen.

 

38        (a) Gemäß § 26 Abs. 1 Satz 1 und Satz 2 WO öffnet der Wahlvorstand zu Beginn der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung die bis zum Ende der Stimmabgabe eingegangenen Freiumschläge und entnimmt ihnen die Wahlumschläge sowie die vorgedruckten Erklärungen. Ist die schriftliche Stimmabgabe ordnungsgemäß erfolgt (§ 25 WO), so vermerkt der Wahlvorstand die Stimmabgabe in der Wählerliste, öffnet die Wahlumschläge und legt die Stimmzettel in die Wahlurne.

 

39        (b) Die richtige Faltung des Stimmzettels kann denklogisch nicht vor der Öffnung des Wahlumschlags wahrgenommen werden. Nach dem Wortlaut von § 26 Abs. 1 Satz 2 WO wird dieser aber (erst) geöffnet, wenn die schriftliche Stimmabgabe „ordnungsgemäß“ erfolgt ist, wobei in diesem Zusammenhang auf § 25 WO verwiesen ist, dessen Satz 1 Nr. 1 für eine ordnungsgemäße Stimmabgabe die richtige Faltung des Stimmzettels voraussetzt (nach Carlson/Kummert AuR 2022, 100, 107 handelt es sich um einen „redaktionell missglückt[en]“ Verweis). Dementsprechend ist das Nichteinlegen eines falsch gefalteten Stimmzettels in die Wahlurne nicht unzulässig, weil es jedenfalls in dem Verweis (auch) auf § 25 Satz 1 Nr. 1 WO angelegt ist (zutr. Fitting BetrVG 32. Aufl. § 26 WO Rn. 5 mwN: „Nicht ordnungsgemäß ist die Stimmabgabe auch dann, wenn der im Wahlumschlag befindliche Stimmzettel nicht entsprechend der Vorgabe des § 25 S. 1 Nr. 1 WO gefaltet und die Stimmabgabe bereits beim Entnehmen aus dem Wahlumschlag erkennbar ist.“; vgl. demgegenüber aber Carlson/Kummert AuR 2022, 100, 107).

 

40        (c) Die gemäß § 14 Abs. 1 Satz 2 WO auf den Zeitpunkt nach der Öffnung der Wahlurne und Entnahme der Stimmzettel festgelegte Prüfung der Gültigkeit der Stimmzettel verbietet eine solche Vorgehensweise nicht. Das folgt aus dem verlautbarten Regelungswillen des Verordnungsgebers zu § 26 WO, wonach die im Wege der schriftlichen Stimmabgabe übersandten Stimmzettel zu Beginn der öffentlichen Sitzung zur Stimmauszählung den Wahlumschlägen entnommen „und so, wie vom Wahlberechtigten im Einklang mit dem neu gefassten § 25 Satz 1 Nummer 1 gefaltet, in die Wahlurne eingelegt [werden], sodass von ihrem Inhalt nicht Kenntnis genommen werden kann“ (BRDrs. 666/21 S. 24 f.). Mangels einer zwingenden Vorgabe des § 26 WO wäre allerdings auch das Einlegen eines falsch gefalteten Stimmzettels in die Wahlurne und die (spätere) Feststellung dessen Ungültigkeit wegen einer „Falschfaltung“ nach § 14 Abs. 1 Satz 2 WO nicht untersagt. Jedenfalls hätte der Wahlvorstand dann aber – beim Verfahren der Stimmauszählung – den Stimmzettel als ungültig zu werten. Eine andere Sichtweise vernachlässigte den Grundsatz der Stimmengleichheit, denn der bei der persönlichen Stimmabgabe entgegen der Vorgabe von § 11 Abs. 3 WO gefaltete und in die Wahlurne gelangte Stimmzettel ist gleichfalls ungültig (Grambow DB 2021, 3032, 3034; Richardi BetrVG/Forst 17. Aufl. WO § 11 Rn. 7; aA Carlson/Kummert AuR 2022, 100, 105; DKW/Homburg BetrVG 19. Aufl. § 12 WO Rn. 6e; diff. Fitting BetrVG 32. Aufl. § 12 WO Rn. 7). Das entspricht der vormaligen Rechtslage zu einem in die Urne eingelegten Stimmzettel ohne Wahlumschlag, welchen nunmehr die ordnungsgemäße Stimmzettelfaltung funktionell ersetzt (vgl. Boemke/Haase NZA 2021, 1513, 1519; zur Anfechtung einer Betriebsratswahl ohne Wahlumschläge entgegen § 11 Abs. 1 Satz 2 und § 12 Abs. 3 WO aF vgl. BAG 20. Januar 2021 – 7 ABR 3/20 – Rn. 18 ff.).

 

41        (2) Demnach hat der Wahlvorstand nicht gegen § 26 WO verstoßen, indem er die vier Stimmzettel, die nicht entsprechend § 25 Satz 1 Nr. 1 WO gefaltet waren, von vornherein als ungültig behandelt und nicht in die Wahlurne eingelegt hat. Sähe man dies anders, hätte sich ein diesbezüglicher Verstoß jedenfalls nicht iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG auf das Wahlergebnis ausgewirkt.

 

42        dd) Die der Wahlordnung nicht widersprechende Behandlung der schriftlich abgegebenen Stimmen durch den Wahlvorstand begründet entgegen der Auffassung der Antragsteller nicht deshalb einen Anfechtungsgrund, weil die Vorgaben von §§ 25, 26 WO mangels einer gesetzlichen Ermächtigungsgrundlage unwirksam sind. Die einschlägigen Bestimmungen sind vielmehr von § 126 Nr. 5 und 6 BetrVG gedeckt, wonach das Bundesministerium für Arbeit und Soziales (BMAS) ermächtigt ist, mit Zustimmung des Bundesrats Rechtsverordnungen zur Regelung der Stimmabgabe sowie der Feststellung des Wahlergebnisses bei Betriebsratswahlen zu erlassen.

 

43        (1) Mit § 11 Abs. 3 WO sowie §§ 25, 26 WO wird das Wahlrecht nach § 7 BetrVG nicht eingeschränkt, was unzulässig wäre (vgl. zu § 4 Abs. 3 Satz 2 WO BAG 21. März 2017 – 7 ABR 19/15 – Rn. 28, BAGE 158, 256; GKBetrVG/Weber 12. Aufl. BetrVG § 126 Rn. 4). Insbesondere stellt die inhaltliche Modifikation, den Stimmzettel nunmehr so zu falten, dass die Stimmabgabe nicht erkennbar ist, keine unzumutbare Anforderung an die Wähler. Sie entspricht einer bereits 2005 in den Wahlordnungen zur Unternehmensmitbestimmung vollzogenen Umstellung vom Wahlumschlag zum gefalteten Stimmzettel (Verordnung zur Änderung der Ersten, Zweiten und Dritten Wahlordnung zum Mitbestimmungsgesetz und zur Neufassung der Wahlordnung zum Mitbestimmungsergänzungsgesetz vom 10. Oktober 2005, BGBl. I S. 2927), die der Verordnungsgeber für die Betriebsratswahlen nachvollzogen hat. Ziel war es dabei ua., den Zeitaufwand des Wahlvorstands bei der Stimmauszählung zu verringern (vgl. BRDrs. 666/21 S. 21 f.). Ob andere Ausgestaltungen praktikabler gewesen wären, ist rechtlich unerheblich.

 

44        (2) Der Wegfall der Wahlumschläge, die damit einhergehende Faltvorgabe für die Stimmzettel sowie die entsprechend angepasste Ausgestaltung der Modalitäten und des Verfahrens bei der schriftlichen Stimmabgabe widersprechen nicht dem Grundsatz der geheimen Wahl, sondern gestalten diesen aus. Dies mag sich bei den Briefwählern zugleich dahingehend auswirken (können), dass diesen – personalisiert oder als Wählergruppe – falsch gefaltete Stimmzettel zugeordnet werden (können). Soweit damit aber überhaupt eine Einschränkung des Wahlgeheimnisses verbunden sein sollte (ersichtlich wäre jedenfalls, dass eine ungültige Stimme abgegeben worden ist), wäre diese im Hinblick auf die Allgemeinheit der Wahl gerechtfertigt. Im Übrigen dient(e) auch der – im Zuge der Modifikation der Wahlordnung bei der schriftlichen Stimmabgabe beibehaltene – briefwahlbezogene Wahlumschlag der Wahrung der Geheimheit der Wahl (vgl. BRDrs. 666/21 S. 24). Fehlt(e) der Umschlag, konnte und kann sich auch insoweit eine „Zurechenbarkeit“ der nicht ordnungsgemäß erfolgten Stimmabgabe zu einem/mehreren Briefwähler/n ergeben. Eine diese Folge ausschließende Gestaltung der schriftlichen Stimmabgabe hängt nicht von der Beibehaltung der Wahlumschläge auch für die Präsenzwähler und einem entsprechenden Verzicht auf eine Vorgabe des Stimmzettelfaltens ab.

 

45        c) Weiterhin hat das Landesarbeitsgericht zutreffend erkannt, dass kein Verstoß gegen § 24 Abs. 1 Satz 3 WO vorliegt.

 

46        aa) Nach § 24 Abs. 1 Satz 3 WO soll der Wahlvorstand der Briefwählerin oder dem Briefwähler ferner ein Merkblatt über die Art und Weise der schriftlichen Stimmabgabe (§ 25 WO) aushändigen oder übersenden. Dem Wortlaut der Norm nach handelt es sich um eine mit dem Ausdruck „ferner“ versehene „Sollvorschrift“. Es kann offenbleiben, ob § 24 Abs. 1 Satz 3 WO als ein mit geringerem Befolgungsanspruch ausgestaltetes Gebot einen Verstoß gegen eine wesentliche Vorschrift über das Wahlverfahren iSv. § 19 Abs. 1 BetrVG bewirkte, wenn den Briefwählern kein Merkblatt über die Art und Weise der schriftlichen Stimmabgabe übermittelt worden ist. Jedenfalls, wenn ein Merkblatt übersandt wurde, darf es keine fehlerhaften oder widersprüchlichen Informationen enthalten, weil anderenfalls die Wirksamkeit der schriftlichen Stimmabgabe beeinflusst werden kann (so im Ergebnis auch GKBetrVG/Jacobs 12. Aufl. WO § 24 Rn. 19 mwN).

 

47        bb) Dem ist vorliegend genügt. Das Landesarbeitsgericht hat zutreffend angenommen, dass die Hinweise zum Falten der Stimmzettel auf diesem selbst inhaltlich mit dem Falthinweis auf dem Merkblatt für die Briefwahl übereinstimmen. Insbesondere aus der Zusammenschau beider Hinweise wird deutlich, dass die Stimmzettel mit dem Schriftbild nach innen gefaltet werden müssen, denn nur so ist die Stimmabgabe erst nach dem Auseinanderfalten erkennbar. Die (Brief) Wähler mussten auch trotz der Höflichkeitsform „Bitte“ auf dem Stimmzettel davon ausgehen, dass die vorgegebene Faltweise obligatorisch ist. Hinzu kommt, dass der Hinweis auf dem Stimmzettel mit Ausrufungszeichen endet. Die Benutzung dieses Satzzeichens macht hinreichend deutlich, dass die gesamte Aussage keinen lediglich appellativen, sondern einen imperativen Inhalt hat.

 

48        d) Schließlich hat das Landesarbeitsgericht in Bezug auf die Bemühungen des Wahlvorstands, die einem Wahlberechtigten nicht zustellbaren Wahlunterlagen erneut zukommen zu lassen, zu Recht keinen Anfechtungsgrund gesehen. Die Rechtsbeschwerde greift diese Würdigung auch nicht mehr an.

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