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Arbeitsrecht
28.11.2024
Arbeitsrecht
BAG: Betriebliche Mitbestimmung – technische Einrichtung – Headset-System – Gesamtbetriebsrat

BAG, Beschluss vom 16.7.2024 – 1 ABR 16/23

ECLI:DE:BAG:2024:160724.B.1ABR16.23.0

Volltext: BB-Online BBL2024-2867-3

Orientierungssätze

1. Werden mittels einer technischen Einrichtung Verhaltens- oder Leistungsda-ten erhoben, die nicht einzelnen Arbeit-nehmern zugeordnet werden können, besteht regelmäßig kein Mitbestim-mungsrecht nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG (Rn. 30).

2. Können Führungskräfte mithilfe eines Headset-Systems die Kommunikation unter Arbeitnehmern des Betriebs mithö-ren, unterliegt die Einführung und Nut-zung dieser technischen Einrichtung auch dann der betrieblichen Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, wenn die Gespräche nicht aufgezeichnet oder gespeichert werden (Rn. 34, 37).

3. Kann eine technische Einrichtung, die unternehmensweit eingeführt wird, nur von einer zentralen IT-Abteilung für alle oder mehrere Betriebe betreut und ge-wartet werden, ist der Gesamtbetriebsrat für die Ausübung des betrieblichen Mitbe-stimmungsrechts nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG zuständig. Das zwingende Erfor-dernis für eine unternehmenseinheitliche Regelung iSv. § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG besteht auch dann, wenn eine Individuali-sierung der Arbeitnehmer nur auf betrieb-licher Ebene erfolgen kann (Rn. 40 ff.).

 

▄Leitsatz

Ein Headset-System, das es den Vorgesetzten ermöglicht, die Kommunikation unter Arbeitnehmern mitzuhören, ist eine technische Einrichtung, die zur Überwachung der Arbeitnehmer iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bestimmt ist. Seine Einführung und Nutzung unterliegt auch dann der betrieblichen Mitbestimmung, wenn die Gespräche nicht aufgezeichnet oder gespeichert werden.

Aus den Gründen

1          A. Die Beteiligten streiten über ein Mitbestimmungsrecht des Betriebsrats bei der Einführung und Nutzung von Headsets.

 

2          Die Arbeitgeberin ist ein Unternehmen des Bekleidungseinzelhandelskonzerns P, dessen Obergesellschaft ihren Sitz in Dublin, Republik Irland, hat. Sie unterhält bundesweit zahlreiche Betriebe, darunter eine Filiale in D, in der mehr als 200 Arbeitnehmer beschäftigt sind. Antragsteller ist der dort gebildete (neunköpfige) Betriebsrat.

 

3          Im Jahr 2018 schloss die Arbeitgeberin mit ihrem – am Verfahren beteiligten – Gesamtbetriebsrat eine Gesamtbetriebsvereinbarung zur „Einführung und Anwendung von IKT-Systemen, Datenschutz und Informationssicherheit“. Diese sieht ua. vor, dass „mitbestimmungspflichtige IKT-Systeme … in Form einer Systemabsprache als Anlage zu dieser Vereinbarung in den mit dieser Vereinbarung geschaffenen Rahmen integriert“ werden. In der Folgezeit beschloss die Arbeitgeberin, für die Kommunikation der Arbeitnehmer innerhalb der einzelnen Filialen Headsets der Firma V zu verwenden. Im Jahr 2021 vereinbarte sie mit dem Gesamtbetriebsrat eine „Systemabsprache“ zum Einsatz dieser Geräte.

 

4          Die Headsets werden mithilfe einer Software betrieben. In dem von der Arbeitgeberin ausschließlich verwendeten Standardmodus bilden alle Arbeitnehmer einer Filiale, die ein solches Gerät benutzen, eine gemeinsame Kommunikationsgruppe („Conference“). Die Headsets sind über eine – lokal eingerichtete – Basisstation miteinander verbunden und ermöglichen die drahtlose Übertragung von „Live-Kommunikation“ an die übrigen aktiven Geräte. Eine Übertragung in andere Filialen ist nicht möglich.

 

5          In einem von der Firma V zur Verfügung gestellten Internet-Portal – dem sog. V-Portal – sind mittels der Software die Registrierungsdaten der Headsets, die Bezeichnung des Geräts sowie der Zeitpunkt der Verbindung ablesbar. Dort ist ua. auch erkennbar, wenn Headsets mit der Basisstation in der Filiale verbunden sind. Das Portal wird von Arbeitnehmern der zentralen IT-Abteilung des P-Konzerns in Dublin – dem sog. Helpdesk – bedient. Das System wird zudem von dort aus über das Internet-Portal technisch betreut und gewartet. Der Betrieb in D verfügt über keine eigene IT-Abteilung.

 

6          Bei der Arbeitgeberin sind die einzelnen Headset-Geräte keinem bestimmten Arbeitnehmer zugeordnet. Sie werden vielmehr täglich nach dem „Zufallsprinzip“ aus dem Gerätepool bzw. der Ladestation entnommen und sind nach Arbeitsende dorthin zurückzulegen. Es wird weder durch das System selbst noch außerhalb von ihm überprüft oder aufgezeichnet, welcher Arbeitnehmer wann welches Gerät genutzt hat. Auch eine Aufzeichnung von Sprachsignalen oder Geräuschen durch das System ist technisch nicht möglich.

 

7          Im Betrieb D sollen etwa 34 Geräte zum Einsatz kommen. Es besteht – jedenfalls für die Führungskräfte (Manager und Supervisor) und jeweils einen Arbeitnehmer in den Bereichen Kasse und Umkleidekabine sowie Aufräum- und Returnteam – eine Nutzungsverpflichtung. Soweit dies nicht der Fall ist, verwenden die Arbeitnehmer das System auf freiwilliger Basis.

 

8          Der Betriebsrat hat gemeint, die Nutzung der Headsets unterliege seiner Mitbestimmung. Das Headset-System sei eine technische Einrichtung, die zur Überwachung des Verhaltens und der Leistung der Arbeitnehmer geeignet sei. Da die Kommunikation nicht in andere Betriebe übertragen werde, sei er und nicht der Gesamtbetriebsrat für die Angelegenheit zuständig.

 

9          Der Betriebsrat hat sinngemäß beantragt,

1.    der Arbeitgeberin zu untersagen, das Tragen von Headsets im Betrieb in D ohne seine Zustimmung oder einen diese ersetzenden Spruch der Einigungsstelle anzuweisen oder zu dulden;

2.    der Arbeitgeberin für jeden Fall der Zuwiderhandlung gegen die Verpflichtung aus dem Antrag zu 1. ein Ordnungsgeld anzudrohen, dessen Höhe in das Ermessen des Gerichts gestellt wird.

 

10        Die Arbeitgeberin hat beantragt, die Anträge abzuweisen.

 

11        Die Vorinstanzen haben die Anträge abgewiesen. Mit seiner Rechtsbeschwerde verfolgt der Betriebsrat sein Begehren weiter.

 

12        B. Die Rechtsbeschwerde ist unbegründet. Das Landesarbeitsgericht hat die Beschwerde des Betriebsrats im Ergebnis zu Recht zurückgewiesen. Der zulässige Unterlassungsantrag ist unbegründet. Zwar unterliegt die Einführung und Anwendung des umstrittenen Headset-Systems der betrieblichen Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Für deren Ausübung ist jedoch nicht der örtliche Betriebsrat, sondern der Gesamtbetriebsrat zuständig. Über den Antrag zu 2. hatte der Senat nicht zu befinden.

 

13        I. An dem Beschlussverfahren ist neben dem antragstellenden Betriebsrat und der Arbeitgeberin der Gesamtbetriebsrat beteiligt.

 

14        1. Nach § 83 Abs. 3 ArbGG haben in einem Beschlussverfahren neben dem Antragsteller diejenigen Stellen ein Recht auf Anhörung, die nach dem jeweiligen Gesetz im einzelnen Fall beteiligt sind. Die Vorschrift regelt nicht selbst, wer Beteiligter ist. Sie ordnet lediglich an, dass die genannten Personen und Stellen zu hören sind. Maßgeblich ist, welche Personen oder Stellen durch die vom Antragsteller begehrte Entscheidung in ihrer kollektivrechtlichen Stellung unmittelbar betroffen sind (vgl. BAG 23. März 2023 – 1 ABR 43/18 – Rn. 26; 28. April 2021 – 7 ABR 20/20 – Rn. 9 mwN).

 

15        2. Danach ist neben dem Betriebsrat und der Arbeitgeberin auch der Gesamtbetriebsrat beteiligt. Er ist in seiner betriebsverfassungsrechtlichen Rechtsstellung unmittelbar betroffen, weil seine Zuständigkeit für die Ausübung des vom Betriebsrat in Anspruch genommenen Mitbestimmungsrechts infrage steht (vgl. auch BAG 17. Mai 2011 – 1 ABR 121/09 – Rn. 10).

 

16        II. Der Antrag zu 1. ist zulässig.

 

17        1. Der Betriebsrat möchte der Arbeitgeberin untersagen lassen, das Headset-System der Firma V in der Filiale einzuführen und zu verwenden, solange er nicht mitbestimmt hat oder die fehlende Einigung der Beteiligten hierüber durch Spruch der Einigungsstelle ersetzt worden ist. Das ergibt die rechtsschutzgewährende Auslegung des Antrags (vgl. dazu BAG 28. Juli 2020 – 1 ABR 41/18 – Rn. 11 mwN, BAGE 171, 340).

 

18        a) Entgegen seinem Wortlaut beschränkt sich das Unterlassungsverlangen nicht auf das bloße „Tragen“ der Headsets im Sinn einer bloßen Nutzung der Hardware. Das Headset-System, das in der Filiale eingesetzt werden soll, ist ohne die entsprechende Software nicht funktionsfähig. Daher kann das Begehren des Betriebsrats nur dahin verstanden werden, dass das gesamte System – einschließlich der Hard- und Software – ohne seine (ggf. durch die Einigungsstelle ersetzte) Mitbestimmung im Betrieb nicht zur Anwendung gelangen soll. Der – zu untersagende – Einsatz des Systems kann dabei sowohl darauf beruhen, dass die Arbeitgeberin ihn ausdrücklich angeordnet hat, als auch darauf, dass sie eine Verwendung der Geräte durch die Arbeitnehmer der Filiale lediglich duldet.

 

19        b) Der Antrag erstreckt sich sowohl auf die Einführung als auch auf die Nutzung des Headset-Systems. Bei der Einführung und Anwendung einer zur Überwachung geeigneten technischen Einrichtung handelt es sich um eine – untrennbare – Angelegenheit, die dem einheitlichen Mitbestimmungstatbestand des § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG unterfällt (BAG 8. März 2022 – 1 ABR 20/21 – Rn. 26, BAGE 177, 237). Soweit der Betriebsrat wiederholt darauf hingewiesen hat, die Einführung der technischen Einrichtung sei nicht streitig, es gehe ihm vielmehr um deren Nutzung im Betrieb, hat er damit lediglich zum Ausdruck gebracht, dass er sich im Rahmen der Ausübung seines Mitbestimmungsrechts einem Gebrauch des Headset-Systems nicht grundsätzlich entgegenstellen würde.

 

20        2. Der so verstandene Antrag ist iSv. § 253 Abs. 2 Nr. 2 ZPO hinreichend bestimmt (vgl. zu den Anforderungen BAG 22. Januar 2020 – 7 ABR 18/18 – Rn. 14 mwN, BAGE 169, 267; 22. Juli 2014 – 1 ABR 9/13 – Rn. 12). Die Arbeitgeberin kann eindeutig erkennen, welche Verhaltensweisen sie künftig unterlassen soll, um sich rechtmäßig zu verhalten.

 

21        3. Entgegen der Annahme der Arbeitgeberin ist der Unterlassungsantrag nicht deshalb unzulässig, weil es an einer ordnungsgemäßen Beschlussfassung des Betriebsrats über die Einleitung des Beschlussverfahrens und die Beauftragung seines Verfahrensbevollmächtigten fehlte. Dabei kann dahinstehen, ob die Beschlüsse des Betriebsrats vom 22. Juni, 1. und 13. Juli sowie vom 6. August 2021 wirksam sind. Der Betriebsrat hat – von der Arbeitgeberin unbestritten – unter Vorlage der entsprechenden Einladung, der Sitzungsniederschrift und der Anwesenheitsliste dargelegt, dass er mit Beschluss vom 10. März 2022 durch die anwesenden drei Betriebsratsmitglieder und sechs Ersatzmitglieder einstimmig beschlossen hat, gegen die Entscheidung des Arbeitsgerichts Beschwerde einzulegen und die Rechtsanwälte F mit der Vertretung im Beschwerdeverfahren zu beauftragen. Damit hat er jedenfalls die erfolgte Einleitung des Beschlussverfahrens sowie die Beauftragung des Verfahrensbevollmächtigten genehmigt (vgl. zur Möglichkeit der Genehmigung BAG 6. November 2013 – 7 ABR 84/11 – Rn. 50 mwN).

 

22        III. Der Unterlassungsantrag ist jedoch unbegründet.

 

23        1. Allerdings unterliegt die Einführung und Anwendung des Headset-Systems der betrieblichen Mitbestimmung.

 

24        a) Nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG hat der Betriebsrat ua. bei der Anwendung von technischen Einrichtungen mitzubestimmen, die dazu bestimmt sind, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen. Das Mitbestimmungsrecht ist darauf gerichtet, Arbeitnehmer vor Beeinträchtigungen ihres Persönlichkeitsrechts durch den Einsatz technischer Überwachungseinrichtungen zu bewahren, die nicht durch schützenswerte Belange des Arbeitgebers gerechtfertigt und unverhältnismäßig sind (BAG 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – Rn. 21, BAGE 157, 220; 29. Juni 2004 – 1 ABR 21/03 – zu B I 2 d der Gründe mwN, BAGE 111, 173). Die auf technischem Weg erfolgende Erhebung und/oder Aufzeichnung von Informationen über Arbeitnehmer bei der Erbringung ihrer Arbeitsleistung birgt die Gefahr in sich, dass sie zum Objekt einer Überwachungstechnik gemacht werden (vgl. BAG 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – Rn. 21, BAGE 157, 220; 10. Dezember 2013 – 1 ABR 43/12 – Rn. 27). Die Abläufe einer technikgestützten Datenermittlung sind für den Arbeitnehmer häufig nicht wahrnehmbar und es fehlt regelmäßig an einer Möglichkeit, sich ihr zu entziehen. Die Einbindung in eine von ihm nicht beeinflussbare Überwachungstechnik kann zu erhöhter Abhängigkeit führen und damit die freie Entfaltung seiner Persönlichkeit beeinträchtigen (BAG 10. Dezember 2013 – 1 ABR 43/12 – aaO; 8. November 1994 – 1 ABR 20/94 – zu B I 1 der Gründe).

 

25        b) „Überwachung“ im Sinn des Mitbestimmungsrechts ist ein Vorgang, durch den Informationen über das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern erhoben und – in der Regel – aufgezeichnet werden, um sie auch späterer Wahrnehmung zugänglich zu machen. Die Überwachung muss dabei durch die technische Einrichtung selbst bewirkt werden. Das setzt voraus, dass sie die Daten über bestimmte Vorgänge automatisch erhebt, speichert und/oder verarbeitet. Ausreichend ist, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt. Zur Überwachung „bestimmt“ sind technische Einrichtungen, wenn sie objektiv geeignet sind, Verhaltens- oder Leistungsinformationen über den Arbeitnehmer zu erheben und/oder aufzuzeichnen. Auf die subjektive Überwachungsabsicht des Arbeitgebers kommt es nicht an (vgl. BAG 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – Rn. 22, BAGE 157, 220; 10. Dezember 2013 – 1 ABR 43/12 – Rn. 20 mwN).

 

26        c) Danach ist das von der Arbeitgeberin eingeführte Headset-System mit seinen vorgegebenen Funktionen eine technische Einrichtung, die aufgrund ihrer Nutzungsmöglichkeiten dazu bestimmt ist, das Verhalten oder die Leistung von Arbeitnehmern zu überwachen.

 

27        aa) Das Headset-System der Firma V ist eine technische Einrichtung iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG. Bei Nutzung der Headsets bewirkt die Software, dass die Sprache der jeweiligen Arbeitnehmer automatisch digitalisiert und über die Basisstation an die übrigen aktiven Headsets übertragen wird. Zudem werden die Registrierungsdaten der Headsets und der Zeitpunkt der Verbindung mit der Basisstation eigenständig vom Gerät erfasst und sind im V-Portal abrufbar.

 

28        bb) Die technische Einrichtung ist auch dazu geeignet und damit bestimmt, das Verhalten oder die Leistung der Arbeitnehmer zu überwachen.

 

29        (1) Dies ergibt sich allerdings nicht schon aus dem Umstand, dass die Mitarbeiter der zentralen IT-Abteilung in Dublin über das Internet-Portal auf bestimmte gerätebezogene Daten zugreifen können.

 

30        (a) Zwar handelt es sich bei der Übertragung der die einzelnen Geräte betreffenden Nutzungsdaten um eine Datenverarbeitung (vgl. zur Begrifflichkeit auch Art. 4 Nr. 2 DSGVO). Die Überwachung durch eine technische Einrichtung iSd. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG erfordert aber grundsätzlich, dass die erhobenen Daten einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden können, die betreffenden Arbeitnehmer also identifizierbar sind (vgl. etwa BAG 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – Rn. 27, BAGE 157, 220). Wird lediglich das Gesamtverhalten oder die Gesamtleistung einer Personenmehrheit überwacht, unterliegt dies nur dann der Mitbestimmung nach § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG, wenn der auf die Gruppe ausgeübte Druck auf die einzelnen Mitglieder durchschlägt (vgl. BAG 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – aaO; ausf. BAG 26. Juli 1994 – 1 ABR 6/94 – zu B II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 77, 262).

 

31        (b) Daran fehlt es im Ausgangsfall.

 

32        (aa) Die Arbeitnehmer entnehmen die von ihnen genutzten Headsets einem Gerätepool, ohne dass – technisch oder von Hand – aufgezeichnet würde, welcher Arbeitnehmer welches Gerät benutzt hat. Damit können die im V-Portal abrufbaren Daten nicht einzelnen Personen zugeordnet werden. Anhaltspunkte für die Annahme, eine Führungskraft in der Filiale könnte Rückschlüsse auf die technischen Identifizierungsdaten ziehen, wenn ein Arbeitnehmer ein Gerät an sich nimmt, sind im Entscheidungsfall nicht ersichtlich. Allein die theoretische Möglichkeit, dass ein Vorgesetzter den Arbeitnehmer bei der Wahl des Headsets beobachten und zufällig – auf welche Weise auch immer – die Identifizierungsdaten des für den konkreten Tag von einem Arbeitnehmer verwendeten Geräts in Erfahrung bringen könnte, genügt nicht. Aus diesem Grund kommt es auch nicht darauf an, ob – was nicht festgestellt ist – im V-Portal die technische Möglichkeit besteht, die verwendeten Geräte arbeitnehmerbezogen zu bezeichnen.

 

33        (bb) Die nicht individualisierte Datenerhebung erzeugt auch keinen gruppenbezogenen Druck, der auf die einzelnen Arbeitnehmer in der Filiale durchschlägt. Dies hat der Senat etwa für den Fall angenommen, dass die Arbeitnehmer in einer überschaubaren Gruppe – dort sechs bis acht Arbeitnehmer – im Gruppenakkord arbeiten (vgl. BAG 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – Rn. 27, BAGE 157, 220; ausf. BAG 26. Juli 1994 – 1 ABR 6/94 – zu B II 2 c aa der Gründe mwN, BAGE 77, 262). Im Streitfall besteht jedoch weder eine entsprechende Gruppengröße noch eine vergleichbare Verbindung der Gruppenmitglieder.

 

34        (2) Das Headset-System ist aber deshalb zur Überwachung geeignet und somit iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG bestimmt, weil die in der Filiale tätigen Führungskräfte damit die Kommunikation der anderen Arbeitnehmer, die ebenfalls ein Headset verwenden, jederzeit mithören können.

 

35        (a) Durch die gleichzeitige Übertragung des gesprochenen Worts an sämtliche Nutzer wird die im Betrieb stattfindende dienstliche Kommunikation technisch in einem Umfang zugänglich gemacht, wie es ohne Einsatz des Systems nicht möglich wäre. Die Vorgesetzten vor Ort sind – was die Arbeitgeberin ausdrücklich angeführt hat – dadurch immer in der Lage, das Verhalten sämtlicher in einer Schicht tätigen Arbeitnehmer, die ein Headset verwenden, zur Kenntnis zu nehmen und damit zu überprüfen. Das hat zur Folge, dass diese Arbeitnehmer einem ständigen Überwachungsdruck ausgesetzt sind (vgl. zu diesem Gesichtspunkt BAG 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – Rn. 39, BAGE 157, 220; für das „Silent Monitoring“ Fitting BetrVG 32. Aufl. § 87 Rn. 253). Der einzelne Arbeitnehmer kann sich dem nicht etwa dadurch entziehen, dass er das Headset – ggf. weisungswidrig – absetzt oder die Lautstärke auf null reduziert. Auch in einem solchen Fall lassen sich hieraus ggf. Rückschlüsse auf sein Verhalten dahingehend ziehen, dass er seiner Arbeit während dieser Zeit nicht oder nicht ordnungsgemäß nachgeht. Dadurch wird jedenfalls eine indirekte Kontrolle ausgeübt (vgl. BAG 14. Mai 1974 – 1 ABR 45/73 – zu II 5 der Gründe). Die Einbindung in eine solche – nicht beeinflussbare – Überwachungstechnik führt zu einer erhöhten Abhängigkeit der betroffenen Arbeitnehmer und beeinträchtigt damit die freie Entfaltung ihrer Persönlichkeit (vgl. BAG 10. Dezember 2013 – 1 ABR 43/12 – Rn. 27; 8. November 1994 – 1 ABR 20/94 – zu B I 1 der Gründe).

 

36        (b) Dieser Überwachungsdruck besteht, auch ohne dass die Headsets einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden. Aufgrund der direkten Übertragung des gesprochenen Worts besteht ohne Weiteres die Möglichkeit, dass der Vorgesetzte die sprechende oder angesprochene Person anhand ihrer Stimme und/oder des Gesprächsinhalts – ggf. unter Zuhilfenahme der Dienstpläne – identifiziert, zumal nicht ausgeschlossen ist, dass die Kommunikation unter Verwendung von Eigennamen erfolgt.

 

37        (c) Entgegen der Auffassung der Arbeitgeberin kommt es dabei nicht darauf an, dass die Gespräche der Arbeitnehmer nicht aufgezeichnet oder gespeichert werden. Eine Aufzeichnung oder Speicherung der verhaltens- oder leistungsbezogenen Daten ist für den Vorgang einer „Überwachung“ nicht zwingend erforderlich. Der Schutzzweck von § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG ist bereits dann berührt, wenn lediglich ein Teil des Überwachungsvorgangs mittels einer technischen Einrichtung erfolgt (vgl. BAG 13. Dezember 2016 – 1 ABR 7/15 – Rn. 22 mwN, BAGE 157, 220). Daher genügt es, wenn – wie hier – die Datenerhebung und -übermittlung auf technische Weise erfolgt und die gewonnenen Daten in dieser Form der – akustischen – Wahrnehmung zugänglich gemacht werden (vgl. zu Videoaufnahmen, die nicht gespeichert werden, BAG 26. Januar 2016 – 1 ABR 68/13 – Rn. 4, 22 mwN).

 

38        2. Das Mitbestimmungsrecht steht jedoch nicht dem antragstellenden (örtlichen) Betriebsrat, sondern dem Gesamtbetriebsrat zu.

 

39        a) Die Ausübung der Mitbestimmungsrechte nach dem Betriebsverfassungsgesetz obliegt grundsätzlich dem von den Arbeitnehmern unmittelbar gewählten Betriebsrat. Dem Gesamtbetriebsrat ist nach § 50 Abs. 1 Satz 1 BetrVG nur die Behandlung von Angelegenheiten zugewiesen, die das Gesamtunternehmen oder mehrere Betriebe betreffen und nicht durch die einzelnen Betriebsräte innerhalb ihrer Betriebe geregelt werden können. Erforderlich ist, dass es sich zum einen um eine mehrere Betriebe betreffende Angelegenheit handelt und zum anderen objektiv ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche oder betriebsübergreifende Regelung besteht (BAG 8. März 2022 – 1 ABR 20/21 – Rn. 33 mwN, BAGE 177, 237). Ob ein zwingendes Erfordernis gegeben ist, bestimmt sich nach Inhalt und Zweck des Mitbestimmungstatbestands, der einer zu regelnden Angelegenheit zugrunde liegt. Maßgeblich sind stets die konkreten Gegebenheiten im Unternehmen und in den einzelnen Betrieben. Allein der Wunsch des Arbeitgebers nach einer unternehmenseinheitlichen oder betriebsübergreifenden Regelung, sein Kosten- oder Koordinierungsinteresse und reine Zweckmäßigkeitsgesichtspunkte genügen nicht, um in Angelegenheiten der zwingenden Mitbestimmung die Zuständigkeit des Gesamtbetriebsrats zu begründen (BAG 8. März 2022 – 1 ABR 20/21 – aaO).

 

40        b) Nach Maßgabe dieser Grundsätze ist im Entscheidungsfall der Gesamtbetriebsrat zuständig.

 

41        aa) Das Headset-System ist im gesamten Unternehmen eingeführt worden und betrifft deshalb sämtliche Betriebe der Arbeitgeberin. Es besteht zudem ein zwingendes Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche Regelung. Das System wird über das V-Portal von den Arbeitnehmern der IT-Zentrale in Dublin einheitlich betreut und gewartet. Der Betrieb in D verfügt über keine eigene IT-Abteilung. Es ist auch nicht ersichtlich, dass es – technische und personelle – Möglichkeiten gäbe, die Aufgaben des Helpdesks jeweils in den einzelnen Filialen vor Ort wahrzunehmen.

 

42        bb) An dem zwingenden Erfordernis für eine unternehmenseinheitliche Regelung ändert auch der Umstand nichts, dass die durch die technische Einrichtung begründete Überwachungsmöglichkeit – die Kenntnis der dienstlichen Kommunikation einzelner Arbeitnehmer und ihre Individualisierung durch ihre Vorgesetzten – lediglich auf der jeweiligen betrieblichen Ebene besteht. Zwar können die im Internet-Portal ablesbaren Daten in der IT-Abteilung in Dublin nicht den einzelnen Arbeitnehmern zugeordnet werden. Dies ist aber für die Frage, welches Gremium für die Regelung der mitzubestimmenden Angelegenheit zuständig ist, unerheblich. Das Headset-System, das in den Betrieben der Arbeitgeberin zum Einsatz kommen soll, besteht nicht nur aus der Hard-, sondern auch aus der damit verbundenen Software. Hierzu gehört – untrennbar – auch das V-Portal, das vom Anbieter zur Verfügung gestellt wird. Damit handelt es sich um eine einheitliche technische Einrichtung iSv. § 87 Abs. 1 Nr. 6 BetrVG und folglich eine betriebsverfassungsrechtliche Angelegenheit, die insgesamt der Mitbestimmung unterliegt. Eine Aufspaltung der Zuständigkeit für die Wahrnehmung des entsprechenden Mitbestimmungsrechts auf mehrere betriebsverfassungsrechtliche Organe kommt nicht in Betracht (vgl. BAG 8. März 2022 – 1 ABR 20/21 – Rn. 36 mwN, BAGE 177, 237; 18. Juli 2017 – 1 ABR 59/15 – Rn. 21 mwN, BAGE 159, 360). Damit kommt es – anders als der Betriebsrat meint – auch nicht darauf an, dass die Benutzung der Geräte in den einzelnen Betrieben unterschiedlich ausgestaltet werden könnte.

 

43        IV. Der – nur für den Fall des Obsiegens mit dem Unterlassungsantrag gestellte – Antrag auf Androhung eines Ordnungsgelds ist dem Senat nicht zur Entscheidung angefallen.

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