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ZNER 2015, 201
Becker 

Schwerpunkt Atomausstieg

Schon im Jahrgang 2011 der ZNER, dem „Fukushima-Jahr“, fand sich in fast jedem Heft ein einschlägiger Aufsatz. Heft 3 des Jahrgangs 2012 war dann das erste Schwerpunktheft Atomausstieg. Cornelia Ziehm beleuchtete das Verhältnis Atomausstieg und Energiewende (2012, 221), Alexander Roßnagel und Anja Hentschel untersuchten die Sicherheitsgewährleistungen für Kernkraftwerke während der Restlaufzeit (2012, 226). Wolfram König, seit 1999 Präsident des Bundesamtes für Strahlenschutz, untersuchte den Entwurf eines Standortauswahlgesetzes (2012, 232). Und Bettina Meyer widmete sich den Rückstellungen für Rückbau und Entsorgung im Atombereich (2012, 238). Außerdem untersuchte Anaïs Guerry die Wirkung von Fukushima auf die Energiepolitik in Frankreich (2012, 244) und Philipp Spatz die Atomwirtschaft und Atomaufsicht in Japan vor und nach Fukushima (2012, 248). Meyer und Ziehm wirken auch am vorliegenden Heft mit – und ihre Untersuchungen sind einerseits spannend, andererseits aber auch furchterregend. Denn was kommt auf die Stromkonzerne, auf den Staat und auf die Gesellschaft zu?

Der Beitrag zur Reform der Atomrückstellungen für Stilllegung/Rückbau und Entsorgung von Meyer/Küchler/Wronski startet mit einer Übersicht über die aktuelle und wissenschaftliche und politische Diskussion zu diesem Thema. Anhand einer Kurzanalyse der Atomrückstellungen 2014 und Vorjahren zeigen die Autor/innen vom Forum Ökologisch-Soziale Marktwirtschaft (FÖS), dass Höhe, Struktur und Entwicklung der Atomrückstellungen bei den vier Energiekonzernen höchst unterschiedlich sind. Es bestehe ein hohes Risiko, dass sich die Atomrückstellungen als nicht hoch genug erweisen werden und dass sie zu dem Zeitpunkt, an dem sie benötigt werden, nicht vollständig zur Verfügung stehen. Das Reformkonzept des FÖS besteht aus den drei Kernbausteinen Verbesserung der Transparenz, Verlagerung der Rückstellungen für langfristige Verpflichtungen in einen Fonds und Insolvenzschutz für die bei den Energiekonzernen verbleibenden Rückstellungen. Ähnliche Reformkonzepte werden von vielen weiteren Institutionen aus Wissenschaft und Politik vertreten. Diese unterscheiden sich vor allem in der Frage, wie schnell und wie umfassend die Rückstellungen in einen öffentlich-rechtlichen Fonds verlagert werden sollen. Das FÖS-Autorenteam arbeitet die paradoxe Situation heraus, dass einerseits Problembewusstsein und Reformbereitschaft in den letzten Jahren deutlich gestiegen sind, andererseits aber das politische Umfeld für eine Reform mit den sich häufenden Krisenmeldungen der Energiekonzerne eher schwieriger geworden ist. Dennoch gebe es aktuell mit der Öffnung des Bundeswirtschaftsministeriums – auch auf Grundlage des von dort bei der Kanzler BBH und Irrek beauftragten Gutachtens – und dem Vorschlag der Energiekonzerne zur Etablierung einer Stiftung eine Grundlage für eine politische Verhandlungslösung.

Ziehms Aufsatz wartet erst einmal mit Zahlen zu den Belastungen für die Haushalte aus Morsleben, Asse II und Gorleben auf. Dann nimmt sie Stellung zum Streit zwischen den Konzernen und dem Staat über die Lastenverteilung: Als Verursacher radioaktiver Abfälle obliegt den Betreibern der Atomkraftwerke die Finanzierungsverantwortung für die sichere Endlagerung dieser Abfälle. Die Finanzierung von Suche, Errichtung, Betrieb und Verschluss atomarer Endlager durch die Atomkraftwerksbetreiber steht nicht zur Disposition – weder der Sache noch der Höhe nach. Vielmehr handelt es sich um eine nicht verhandelbare öffentlich-rechtliche Grundpflicht, die der Staat endlich durchsetzen muss. In Anbetracht der aller Wahrscheinlichkeit nach unzureichenden Höhe sowie der fehlenden Insolvenzfestigkeit der von den Atomkraftwerksbetreibern gebildeten Rückstellungen wird das Verursacherprinzip zu Lasten der Allgemeinheit durchbrochen. Die bislang gebildeten Rückstellungen sollten deshalb (gegebenenfalls schrittweise) in einen öffentlich-rechtlichen Fonds überführt werden. Dieser Fonds ist seitens der Abfallverursacher um die absehbaren zusätzlich erforderlichen, das heißt nicht durch die bisher gebildeten Rückstellungen abgedeckten Kosten einschließlich eines realistischen „Kostensteigerungsfaktors“, einer angemessenen Risikorücklage sowie der Kosten für das Standortauswahlverfahren und anteiliger Kosten für die sichere Schließung der Endlager Morsleben und Asse II zu ergänzen. Auf diese Weise würde für den Bereich des Atomrechts im Übrigen durchgesetzt, was in anderen gefahrträchtigen Bereichen des Umweltrechts längst Standard ist.

Auch die einschlägigen Entscheidungen haben es in sich. Der EuGH entschied – brandaktuell – am 4. Juni wie folgt: Die deutsche Kernbrennstoffsteuer ist mit dem Unionsrecht vereinbar. Der EuGH schloss sich den Anträgen des Generalanwalts an. Da das häufig so ist, war die Überraschung in der Sache nicht ganz so groß, wohl aber die deutliche Diktion. Die ZNER druckt die Pressemitteilung ab.

Das Bundesverwaltungsgericht hat Revisionsbeschwerden eines Anliegers gegen ein Standortzwischenlager und des Betreibers zurückgewiesen. Wichtig ist die Entscheidung mit Blick auf den von den Gerichten gerne verfochtenen „atomrechtlichen Beurteilungsspielraum“. Ein solcher liegt jedenfalls hinsichtlich der Datengrundlage für die Genehmigung eines Standortzwischenlagers nicht vor. Anders der VGH Baden-Württemberg zum Stilllegungsverfahren beim Kernkraftwerk Obrigheim. Zwar wird bekräftigt, dass bei der Auslegung von Genehmigungsbescheiden „auf den Empfängerhorizont potentiell Drittbetroffener abzustellen“ sei. Aber es bleibt bei nur einem umfassenden Verfahren für die Öffentlichkeitsbeteiligung, es bleibt dabei, dass nur das Gefahrenpotential zu berücksichtigen sei, das zum Gestattungsumfang der Genehmigung gehöre, und es wird – man kennt das schon – der atomrechtliche Beurteilungsspielraum bekräftigt.

Damit das Editorial nicht ganz so düster endet, habe ich noch ein Schmankerl für die Freunde der Rekommunalisierung: Der BGH hat am 14. April bestätigt, dass der Altkonzessionär – hier die (E.ON) Avacon AG im Verfahren der Stadt Springe – die kalkulatorischen Restwerte mitteilen müsse. Diese Mitteilung ist für die Bestimmung des Ertragswertes (und die Widerlegung des Sachzeitwertes) maßgeblich. Damit wird das kommunale Verständnis des § 46 Abs. 2 Satz 4 EnWG bekräftigt.

Peter Becker

 
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