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WRP 2019, I
Fritzsche 

Folgenbeseitigungsansprüche im Zivilrecht?

Abbildung 1

Prof. Dr. Jörg Fritzsche

Den Begriff „Folgenbeseitigungsanspruch“ ordnet man in der Regel dem Öffentlichen Recht zu. Papier etwa definiert ihn als Institut der unmittelbaren und verschuldensunabhängigen Staatsunrechtshaftung mit dem Inhalt, dass ein Träger der öffentlichen Gewalt einem durch ihn in seinen Rechten Verletzten gegenüber zur Wiederherstellung des früheren, vor der Rechtsbeeinträchtigung gegebenen oder eines diesem gleichwertigen Zustands verpflichtet ist (Papier, in: Maunz/Dürig, Grundgesetz-Kommentar, 84. EL August 2018, Art. 34 Rn. 62).

Im Zivilrecht sprach man dagegen vom Beseitigungsanspruch und kannte eine Folgenbeseitigung nur im Äußerungsrecht. Nun aber haben der BGH (BGH, 14.12.2017 – I ZR 184/15, WRP 2018, 434 Rn. 25, 37 f., 54 f. – Klauselersetzung) und das OLG Dresden (OLG Dresden, 10.04.2018 – 14 U 82/16, WRP 2019, 347, in diesem Heft) bei Verstößen gegen das AGB- bzw. Verbraucherschutzrecht § 8 Abs. 1 S. 1 UWG als Folgenbeseitigungsanspruch bezeichnet. Verbraucherschutzorganisationen jubeln, während der Zivilrechtler zumindest zweifelt (nicht nur Köhler, WRP 2019, 269 ff., in diesem Heft).

Die Entwicklung des Beseitigungsanspruchs im UWG wurde vor seiner Kodifikation (2004) durch die Dogmatik der Beseitigungsansprüche zum Schutz absoluter Rechte geprägt, wie etwa § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB oder § 97 Abs. 1 UrhG. Diese Ansprüche sollen die andauernde Beeinträchtigung eines Rechts beenden (vgl. etwa m. w. N. Berger, in: Jauernig, BGB, 17. Aufl. 2018, § 1004 Rn. 6 f.; Specht, in: Dreier/Schulze, UrhG, 6. Aufl. 2018, § 97 Rn. 69 f.) und werden wegen ihrer Verschuldensunabhängigkeit sorgsam vom Schadensersatzanspruch abgegrenzt, der gemäß § 249 Abs. 1 BGB auf Naturalrestitution gerichtet ist und somit die Beseitigung fortdauernder Störungszustände mitumfasst. Jedoch hat der BGH in einer umstrittenen Rechtsprechung den Beseitigungsanspruch insbesondere des § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB immer mehr auf Maßnahmen ausgedehnt, die nicht wenige Vertreter des Schrifttums (mit Nuancen im Detail) nur der Naturalrestitution zuordnen wollen. Das nähert den Anspruch der Sache dem öffentlich-rechtlichen Folgenbeseitigungsanspruch an, der zwar nicht auf Naturalrestitution gerichtet ist, aber über den Anspruch aus § 1004 Abs. 1 S. 1 BGB – jedenfalls nach klassischem Verständnis – hinausgeht (Papier/Shirvani, in: MüKoBGB, 7. Aufl. 2017, BGB § 839 Rn. 85).

Aktuell entbrennt eine Diskussion zum „Folgenbeseitigungsanspruch“ bei AGB- und verbraucherrechtswidrigen Praktiken um die Frage, was anspruchsberechtigte Verbände i. S. d. §§ 8 Abs. 3 Nr. 2–4 UWG, 3 Abs. 1 S. 1 UKlaG vom Verletzer als Beseitigung fortdauernder Folgen eines Verstoßes gegen § 3 oder § 7 UWG bzw. § 2 UKlaG verlangen können. Der BGH hält bei unwirksamen AGB-Klauseln aufklärende Maßnahmen gegenüber Vertragspartnern grundsätzlich für umfasst, das OLG Dresden sogar Rückzahlungen an Verbraucher. Zumindest letzteres geht über die bisherigen Vorstellungen hinaus. Die entscheidende Frage liegt darin, ob bei unlauteren Geschäftspraktiken und Verstößen gegen Verbraucherschutzgesetze eine „andauernde Beeinträchtigung“ beim Anspruchsteller vorliegen muss oder ob eine dauerhafte Beeinträchtigung der geschützten Verbraucherinteressen ausreicht und für diese wiederum, dass Verträge unwirksame Klauseln enthalten oder nicht bestehende Zahlungspflichten suggeriert und/oder erfüllt werden. Dafür, dass letzteres genügt, sprechen insbesondere der Zweck der UGP-Richtlinie 2005/29/EG, die wirtschaftlichen Interessen von Verbrauchern zu schützen, und das Effizienzgebot des Art. 11 Abs. 1 UGP-RL. Freilich liefern die Art. 5 ff. UGP-RL und Art. 11 Abs. 2 UGP-RL auch Gegenargumente (dazu Köhler, WRP 2019, 269 ff., in diesem Heft). In der nationalen Dogmatik steht zudem der Beseitigungsanspruch unter dem Vorbehalt der Verhältnismäßigkeit, sodass die Wahl der Beseitigungsmaßnahme in aller Regel dem Verletzer zu überlassen ist und konkrete Maßnahmen in der Regel nicht verlangt werden dürfen. In die Abwägung einfließen lassen muss man wohl auch, dass Folgenbeseitigungsansprüche von Verbraucherverbänden auf Rückzahlung nicht geschuldeter Beträge an Verbraucher wohl ihrerseits in deren Entscheidungsfreiheit eingreifen.

Solche Überlegungen kann und muss man jetzt noch anstellen, doch könnte dies bald vorbei sein: Der Vorschlag COM(2018) 184 vom 11.04.2018 für eine Richtlinie des Europäischen Parlaments und des Rates über Verbandsklagen zum Schutz der Kollektivinteressen der Verbraucher und zur Aufhebung der Richtlinie 2009/22/EG will u. a. gerade in seinen Art. 5 Abs. 3 und 6 Folgenbeseitigungsansprüche im Verbraucherschutzrecht einführen. (Zu weiteren Maßnahmen im New Deal for Consumers vgl. Editorial Alexander, WRP Heft 01 – 2019 und Dröge, WRP 2019, 160 ff.) Von daher nimmt ein erweiterndes Verständnis des Begriffs „Beseitigungsanspruch“ mittelfristig zu erwartende Gesetzesänderungen gewissermaßen vorweg. Zumindest in Teilbereichen ist dies mit geltendem Unionsrecht vereinbar, denn Art. 7 der Unterlassungsklagen-Richtlinie 2009/22/EG lässt über die Unterlassung hinausgehende Rechtsfolgen nach nationalem Recht ebenso zu wie Art. 8 Klausel-RL 93/13/EG ein höheres Schutzniveau bei missbräuchlichen Klauseln in Verbraucherverträgen. Bei Verstößen gegen Marktverhaltensregelungen und Verbraucherschutzrecht überwiegen in der Regel die Interessen der Anspruchsberechtigten, der Allgemeinheit und der Angehörigen der geschützten Verkehrskreise gegenüber denjenigen des Verletzers, sodass man von ihm häufiger konkrete Maßnahmen verlangen kann.

Prof. Dr. Jörg Fritzsche, Regensburg

 
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