Abmahnmissbrauch erfordert Gesetzesänderung
RAin Hildegard Reppelmund
Seit Jahren, ja Jahrzehnten, ist Abmahnmissbrauch ein Thema. Immer mehr kleine Gewerbetreibende fühlen sich durch organisierten Missbrauch von Abmahnungen ausgebremst und schikaniert. Schon mehrfach hat der Gesetzgeber Lösungen versucht, dennoch gibt es dieses Phänomen weiterhin. Es besteht aber Hoffnung, dass in dieser Legislaturperiode wirksame gesetzgeberische Maßnahmen ergriffen werden. Im Koalitionsvertrag ist jedenfalls der Wille festgehalten, etwas gegen Abmahnmissbrauch zu tun: „Dem Abmahnmissbrauch soll entgegengetreten werden und der fliegende Gerichtsstand im UWG abgeschafft werden.“ Konkrete Vorstellungen, wie das geschehen könnte, hat eine Allianz von Wirtschaftsverbänden in einem gemeinsamen Forderungspapier zusammengestellt. Zu dieser Allianz gehören neben dem DIHK auch bevh, BGA, Bitkom, HDE, IVD, Markenverband, ZAW, ZDK, ZGV sowie der Gutachterausschuss für Wettbewerbsfragen.
Das deutsche System der privaten Rechtsdurchsetzung mit der wettbewerbsrechtlichen Abmahnung als außergerichtlicher Streitbeilegung ist im Grundsatz ein Erfolgsmodell. Das Abstellen von Rechtsverstößen geht schnell, unbürokratisch und für die beteiligten Parteien regelmäßig vergleichsweise kostengünstig. Diese Vorteile treten allerdings dort in den Hintergrund, wo unseriöse Abmahnvereine und auf Abmahnungen spezialisierte Rechtsanwälte zusammen mit angeblichen Mitbewerbern wettbewerbsrechtliche Abmahnungen als lukrative Einnahmequelle für sich identifiziert haben. Besonders betroffen sind Online-Shops im Internet. Dort sind Rechtsverstöße leicht recherchierbar, und hohe Fallzahlen können mit Standardschreiben erledigt werden. Gerade die vielen und komplexen Informationspflichten, die nicht zuletzt aus Europa im Zusammenhang mit dem Verbraucherschutz in das deutsche Recht Eingang gefunden haben, sind faktisch nicht zu bewältigen und daher ein Einfallstor für missbräuchliche Abmahnungen. Bei solchen Abmahnungen wegen einfacher Verstöße gegen Informationspflichten drängt sich oftmals der Eindruck auf, dass es weniger darum geht, den Wettbewerb und den Verbraucher zu schützen, sondern vielmehr darum, über Abmahnkosten und Vertragsstrafen möglichst viel Geld einzutreiben. Typische Fälle sind etwa der zwar angegebene, aber nicht anklickbare Link zur außergerichtlichen ODR-Streitbeilegungsplattform ebenso wie Fehler im Impressum, z. B., dass der Vorname eines Kleinunternehmers nicht ausgeschrieben, sondern nur abgekürzt ist. Auch fehlerhafte Angaben zu Garantieversprechen und Fehler in der Widerrufsbelehrung werden immer wieder abgemahnt.
Der wichtigste Ansatzpunkt zur Eindämmung des Abmahnmissbrauchs ist die Abmahn- und Klagebefugnis. Man bräuchte eine Vorab-Kontrolle, wer abmahnen darf, und zwar sowohl bei Wettbewerbsvereinen als auch bei Verbraucherschutzvereinen. Denn selbst bei den Verbraucherschutzvereinen gibt es trotz einer solchen Kontrolle durch das Bundesamt für Justiz „schwarze Schafe“. Das zeigt, dass auch dort die Anforderungen noch geschärft und die Vereine regelmäßig überprüft werden müssten. Für Wettbewerbsvereine müsste eine solche Prüfung und Liste erst geschaffen werden, da im Moment erst im Gerichtsverfahren überprüft werden kann, ob die Aktivlegitimation besteht. Fraglich ist ferner, warum Wettbewerber solche formalen Verstöße überhaupt abmahnen dürfen: Schließlich kauft kein Verbraucher nur wegen dieser Fehler genau bei diesem Unternehmen – und gerade nicht beim Mitbewerber. Zumindest sollten Mitbewerber aber bereits in der Abmahnung nachvollziehbar darlegen müssen, dass sie tatsächlich Mitbewerber sind.
Darüber hinaus sollte auch auf der Verfahrensseite angeknüpft werden. Dass ein Gericht eine Abmahnung als rechtsmissbräuchlich einstuft, ist aufgrund der derzeit bestehenden Rechtslage die absolute Ausnahme. Durch eine Ergänzung des UWG um konkrete Fallgestaltungen, in denen zwingend von einem missbräuchlichen Verhalten auszugehen ist, könnte viel erreicht werden. Hier kann auf von der Rechtsprechung bereits entwickelte Kriterien zurückgegriffen werden, wie z. B. das Missverhältnis zwischen eigenen geschäftlichen Einnahmen des Abmahners und den finanziellen Risiken aus seiner Abmahntätigkeit. Ein solcher gesetzlicher Katalog von Beispielen missbräuchlichen Verhaltens würde zu mehr Rechtssicherheit und einer größeren praktischen Relevanz dieses gesetzlichen Korrektivs führen.
Für einfach gelagerte Fälle, z. B. bei Verstößen gegen Informationspflichten oder Impressumsfehlern, sollte eine Streitwert- oder Kostendeckelung eingeführt werden. Zudem sollte nach Ansicht der Verbände-Allianz zumindest für diese einfach gelagerten Fälle der sogenannte „Fliegende Gerichtsstand“ abgeschafft werden: Er ist ein weiteres Einfallstor für Missbrauch, weil er den Mitbewerbern die Möglichkeit gibt, sich ein beliebiges Gericht unabhängig vom Sitz des abgemahnten Unternehmens auszuwählen und damit die Erfolgsaussichten der Klage zu beeinflussen oder dem Abgemahnten durch zusätzliche Reisekosten Druck zu machen.
Weiteren Schwung erhält die Debatte um den Abmahnmissbrauch durch eine von einer Abmahnung betroffenen Unternehmerin aktuell eingereichte Petition beim Deutschen Bundestag. Jeder Unternehmer und jeder am funktionierenden Wettbewerbsrecht Interessierte sollte sich dafür einsetzen, das Abmahnunwesen mit gesetzlichen Mitteln zu bekämpfen und hierzu mit seiner Unterschrift beizutragen. Die Petition läuft bis zum 24.04.2018 und ist zu finden unter https://epetitionen.bundestag.de/content/petitionen/_2018/_03/_08/Petition_77180.html
RAin Hildegard Reppelmund, Berlin