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WRP 2025, I
Glöckner 

20 Jahre UGP-Richtlinie – Happy Birthday!

Abbildung 1

Prof. Dr. Jochen Glöckner,
LL.M. (USA)

Im Europäischen Wirtschaftsrecht stellt das 20jährige Bestehen einer Richtlinie bereits äußerlich eine Besonderheit dar. Die am 11.06.2005 veröffentlichte und am Tag danach in Kraft getretene Richtlinie über unlautere Geschäftspraktiken im binnenmarktinternen Geschäftsverkehr zwischen Unternehmen und Verbrauchern hat es aber auch aus inhaltlichen Gründen verdient, dass ihr 20jähriges Bestehen besonders gewürdigt wird.

Die bald unter der griffigen Verkürzung „UGP-Richtlinie“ bekannt gewordene Richtlinie ist unter eher überraschenden Umständen entstanden: Die über Jahrzehnte angestrengten Bemühungen der Generaldirektion Binnenmarkt um eine Gesamtharmonisierung des Lauterkeitsrechts waren nach dem Erlass der Richtlinie über vergleichende Werbung 1997 steckengeblieben. Die Blockade wurde durch einen geschickten, wenngleich wohl nicht einmal bewussten Flankenwechsel innerhalb der Kommission aufgelöst: Die seinerzeit noch relativ junge Generaldirektion Gesundheit und Verbraucherschutz (SANCO) entdeckte das Lauterkeitsrecht als Verbraucherrecht und trieb das Gesetzgebungsvorhaben mit großem Nachdruck voran: Nicht einmal fünf Jahre nach dem Gutachten von Micklitz wurde die UGP-Richtlinie verabschiedet, deren prozessuales Pendant die sogar noch etwas früher in Kraft getretene CPC-Verordnung („consumer protection cooperation“) bildete.

Trotz einiger handwerklicher Schwächen stand am Ende ein gesetzgeberisches Highlight, ein Aushängeschild für die unionsweite Rechtsharmonisierung. Dem Unionsgesetzgeber mangelte es nicht an Mut: Nach zahlreichen Akten punktueller Harmonisierung wurde hier der Weg zu einem horizontalen Regelungszugang gewählt, der mit dem Anspruch auf Totalharmonisierung verbunden war. Schließlich sollte eine Generalklausel als Sicherheitsnetz dienen. Innerhalb der gesamten (damals gerade auf 25 Mitgliedstaaten angewachsenen) Union wurden mit nur 13 Vorschriften einheitliche Rechtsbedingungen für das verbraucherbezogene Marketing geschaffen. Ein großer Wurf, der über 20 Jahre hinweg auch nur zweimal, im Gefolge des „New Deal for Consumer“ durch die sog. Omnibus-Richtlinie 2019/2161 sowie als Folgemaßnahme zum „European Green Deal“ durch die sog. EmpCo-Richtlinie 2024/825, substantiell geändert wurde! Dennoch dürfen an dieser Stelle auch einige kritische Bemerkungen gemacht werden:

Die Schwarze Liste in Annex I UGPRL war schon in ihrer ursprünglichen Fassung wenig strukturiert und systematisch. Die beiden Novellen haben diesen Zustand nicht verbessert. Die Anhäufung weiterer Per-se-Verbote ignoriert den institutionellen Lernprozess innerhalb der Union sowie maßgebliche Erkenntnisse aus der Durchsetzung.

Vor allem ist in den letzten Jahren eine starke Präferenz des verwaltungsrechtlichen und insbesondere ordnungswidrigkeitenrechtlichen Enforcements deutlich geworden. Ausgehend von der Verschärfung der Anforderungen der CPC-Verordnung im Jahr 2017 hat die Umsetzung der durch die Omnibus-Richtlinie bewirkten Änderungen des Art. 13 UGPRL zu einem maßgeblichen Bedeutungsgewinn des Lauterkeits-Ordnungswidrigkeitenrechts geführt. Die Botschaft des Unionsrechts ist offensichtlich: An einer flächendeckenden Durchsetzung gegenüber allen Verstößen ist der Unionsgesetzgeber weniger interessiert als an „big guns“, die in wettbewerbs- oder auch nur gesellschaftspolitisch für relevant gehaltenen Fällen abgefeuert werden können und eine entsprechende Drohkulisse aufbauen.

In dieselbe Richtung weist der Umgang mit den materiellen Verhaltensnormen der UGP-Richtlinie. Während die Rechtsprechung des EuGH etwa im Markenrecht oder im IPR dazu geführt hat, dass sich genuin unionsrechtliche Systeme und Strukturen entwickelt haben, sind Entscheidungen zu der Tragweite des Irreführungsverbots oder des Verbots aggressiver Geschäftspraktiken über 20 Jahre hinweg Mangelware geblieben. Stattdessen – und das ist nicht unbedingt ein Ausweis Europäischer Rechtskultur – greift selbst der EuGH (z. B. 20.07.2017 – C-357/16, BB 2017, 1729 – Gelvora) inzwischen auf die in einem wenig transparenten Verfahren erlassenen und unverbindlichen Leitlinien der Kommission zurück, deren Bedeutung über drei Generationen stetig gewachsen ist. Anders als auf dem Gebiet des Kartellrechts verfügt die Kommission im Lauterkeitsrecht allerdings gerade nicht über ein Mandat zur konkretisierenden Gesetzgebung.

Diese doppelte Verlagerung beim Enforcement und der Regelsetzung von den Marktbeteiligten auf Durchsetzungsbehörden stellt eine durchaus bedenkliche Entwicklung dar. Wenn die Union ihre Identität als Gemeinschaft des Rechts definiert und im internationalen Wettstreit der Systeme hervorzuheben sucht, wäre es wünschenswert, wenn das Entstehen eines inhaltlich angemessenen und nachvollziehbar begründeten Systems von Verhaltens- und Sanktionsnormen, die betroffene Individual- und Allgemeininteressen in Ausgleich bringen, stärker durch den vom Vorabentscheidungsverfahren geforderten Dialog der Gerichte gefördert würde. Die Anlagen dazu bringt die UGP-Richtlinie mit und es ist ihr zu wünschen, dass diese Anlagen in der Zukunft noch viele Jahre und noch weitergehend genutzt werden.

Prof. Dr. Jochen Glöckner, LL.M. (USA), Konstanz

 
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