Reflexion über die Regulierung von Künstlicher Intelligenz
RA Fritz-Ulli Pieper, LL.M.
Stellen Sie sich ein gemütliches Sofa vor, ganz nach Ihrem Geschmack. Sie – festhalten – schweben damit „über den Dingen“, sehen für kurze Zeit alles etwas klarer, mit gesundem Abstand, und reflektieren… über die Regulierung von „Künstlicher Intelligenz“. Bummer! Aber ok: Was fällt Ihnen da ein? Wie schnell das alles geht? Wie international das alles ist? Ob die KI-Verordnung der „Goldstandard“ wird? Ob man die Balance zwischen Innovation und Regulierung richtig hinbekommt? Und vor allem: Brauchen wir das überhaupt, schießt sich Europa damit nicht ins Abseits? Nein, die Adlerperspektive hilft, sich ab und an auch mal vom gestressten Blick unter dem Einfluss des „daily business“ zu lösen und die Dinge im (noch) größeren Kontext zu betrachten. Was war vor vielen Jahren? Wie werden wir in vielen Jahren auf diese Zeit zurückblicken? Vielleicht sind das ebenfalls hilfreiche Gedanken bei der Diskussion um die Regulierung von Künstlicher Intelligenz.
Ein Blick in die Vergangenheit zeigt, was alles hinter Künstlicher Intelligenz steckt: grundlegendste Weisheiten eines Mathematik-Genies, das mit Depressionen Suizid beging, ein bis heute nachwirkendes (Vorschlagspapier für ein) Sommerforschungsprojekt über künstliche Intelligenz, mehrere „KI-Winter“ Jahrzehnte später, die die Fortentwicklung von KI zeitweise nahezu vollständig ausgebremst haben, die Entwicklung und weitflächige Ausbreitung einer „Datenautobahn“, eine neue Art von Gesellschaftsform. Ja, das ist eine komplexe Geschichte und eine unvorhersehbare Entwicklung. Aber: „Künstliche Intelligenz“ ist andererseits nüchtern betrachtet nur eins: ein Teilgebiet einer wissenschaftlichen Disziplin, der Informatik. Software, die auf eine bestimmte Art und Weise funktioniert, mit spezifischen Techniken und Konzepten.
Trotzdem: Eine Technik zu regulieren, die man als Allgemeinheit selbst noch beginnt, zu verstehen, ist ein mutiges Unterfangen. Der Vormarsch von KI geht einigen „Masterminds“ sogar derart zu schnell, dass sie ernsthaft forderten, KI-Entwicklung weltweit für ein halbes Jahr zu pausieren. Braucht es dann nicht erst recht „Regulierung“? Demgegenüber steht beispielsweise ein „Brandbrief der Wirtschaft“: Über 150 prominente Vertreter europäischer Unternehmen von Rang und Namen haben die EU-Gesetzgebungsorgane aufgefordert, ihren Plan zur KI-Regulierung zu überdenken. Der aktuelle Entwurf einer KI-Verordnung würde die Wettbewerbsfähigkeit und technologische Souveränität Europas gefährden. Wurde jemals über „Digitalregulierung“ in der Breite der Gesellschaft derart erbittert gestritten?
Später einmal wird man vielleicht lächeln und sich daran erinnern, dass die EU über Jahre, in unterschiedlichen Institutionen, geradezu irrwitzig viele Aktivitäten, Politikprogramme, Expertengruppen, „Impact Assessments“, öffentliche Konsultationen, Pläne, Whitepaper geplant, koordiniert, abgestimmt, zusammengeführt und durchgeführt hat, um zunächst eine belastbare Grundlage für die Fragen zu schaffen: Soll ich KI regulieren, und wenn ja, wie? Sogar CEOs der größten Tech-Konzerne der Welt und – nochmal festhalten – die Regierung der USA höchstselbst, einer Weltmacht, die ansonsten jedenfalls nicht unbedingt als Vorreiter in Sachen Regulierung bekannt ist, fordern oder arbeiten an KI-Gesetzen. China ist plötzlich vorgeprescht und hat im Juli mit ihren „Vorläufigen Maßnahmen für die Verwaltung von Diensten der generativen künstlichen Intelligenz“ die EU sogar noch überholt. Auch Brasilien und Kanada planen beispielsweise bindende Gesetze. Die Frage nach dem „Ob“ der Regulierung gerät insoweit zunehmend in den Hintergrund, vermutlich richtigerweise. Aber: Weniger zum Lächeln ist es, wenn überbordende Pflichten und technische Unmöglich- oder Abwegigkeiten die Debatte bestimmen. Man kann den Trilog-Parteien nur wünschen, sich zwischendurch ebenfalls einmal Zeit zu nehmen und mit Abstand zu reflektieren…
Fakt ist: Digitalregulierung, insbesondere KI-Regulierung, ist immer mit einer gewissen Unsicherheit behaftet. Haar hat es in seinem Editorial bereits auf den Punkt gebracht: „Es ist nicht möglich, eine KI-Regulierung gleichzeitig gut und es dabei allen recht zu machen.“ Die KI-Regulierung der EU-Institutionen ist vor alledem nicht nur ein vager Versuch, eine Regulierung „ins Blaue hinein“, ein „mal ausprobieren“. Es ist ein naheliegender, nächster Schritt in einer langen Reihe von Entwicklungen. Wir sollten diesen mit Mut und beherzt, und auch mit etwas gesundem Argwohn, gleichwohl den Blick zukunftsgewandt, mitgehen. Und: Noch dürfen wir kritisch das „Wie“ befeuern! Deshalb: Wieder runter vom Sofa! Wir haben Glück, in dieser Zeit, im „daily business“, live mit dabei zu sein.
RA Fritz-Ulli Pieper, LL.M.*
* | ist Rechtsanwalt und Fachanwalt für Informationstechnologierecht im Bereich Technologie, Medien und Telekommunikation bei Taylor Wessing in Düsseldorf sowie Redakteur bei telemedicus.info. Er berät nationale und internationale Mandanten zum IT-, Telekommunikations- und Datenschutzrecht. Sein besonderes Interesse gilt zukunftsträchtigen Fragen des Internet of Things, Künstlicher Intelligenz sowie Big Data. |